Begleittext - LAG Niedersachsen WfbM
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Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten<br />
für behinderte Menschen in <strong>Niedersachsen</strong><br />
Kaiserstraße 18 • 38100 Braunschweig<br />
Sexualität in Werkstätten<br />
Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht<br />
von Detlef Springmann<br />
Sexualität ist allgegenwärtig, selbstverständlich auch im Arbeitsleben und deshalb ebenso in<br />
unseren Werkstätten. Darum hat der Vorstand der <strong>LAG</strong>:<strong>WfbM</strong> <strong>Niedersachsen</strong> vor kurzem<br />
die aktualisierten Vorschläge von Vera Neugebauer zur Sexualität in unseren Werkstätten beschlossen.<br />
Vera Neugebauer ist Geschäftsführerin der Hannoverschen Werkstätten, Vorstandsmitglied<br />
der <strong>LAG</strong>:<strong>WfbM</strong> und stellvertretende Vorsitzende der BAG:<strong>WfbM</strong>.<br />
„Sexualität ist, was wir daraus machen: eine teure oder billige Ware, Mittel zur Fortpflanzung,<br />
Abwehr gegen Einsamkeit, eine Form der Kommunikation, ein Werkzeug der Aggression (der<br />
Herrschaft, der Macht, der Strafe und der Unterdrückung), ein kurzweiliger Zeitvertrieb, Liebe,<br />
Kunst, Schönheit, ein idealer Zustand, das Böse oder das Gute, Luxus oder Entspannung, Belohnung,<br />
Flucht, ein Grund der Selbstachtung, eine Form der Zärtlichkeit, eine Art der Rebellion, eine<br />
Quelle der Freiheit, Pflicht, Vergnügen, […] eine juristische Streitsache, eine Form, Neugier<br />
und Forschungsdrang zu befriedigen, eine Technik, eine biologische Funktion […] oder einfach<br />
eine sinnliche Erfahrung“, heißt es im Leitfaden von „wohn4tel“, einem Übergangswohnheim<br />
für psychisch erkrankte Menschen im schweizerischen Langenthal.<br />
Ganz besonders in Organisationen kann Sexualität für einzelne Menschen zur Bedrohung werden.<br />
Die Beispiele, mit der sich die Rechtsprechung immer wieder befassen muss, machen eines<br />
deutlich: Es bedarf bewusst gestalteter Organisationsstrukturen, um sexuellen Missbrauch<br />
zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Denn sexualisierte Drohungen<br />
und Gewalt richten sich meist gegen Personen, die in einer schwächeren Position sind. Das<br />
wegen seiner offenen Formulierungen inzwischen weithin bekannte Urteil des Landesarbeitsgerichts<br />
Schleswig-Holstein vom 04.03.2009 ist ein Beispiel dafür (<strong>LAG</strong> SH, Az.: 3 Sa 410/08).<br />
Darin zieht das Gericht u. a. die Konsequenz:<br />
„Die sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen an ihrem Arbeitsplatz kann 'an sich' eine außerordentliche<br />
oder ordentliche Kündigung rechtfertigen. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz<br />
stellt im Rahmen der §§ 3 Abs. 4, 2 Abs. 1 Nr. 1 - 4 AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher<br />
Pflichten dar. Die sexuelle Belästigung muss aber feststehen. Ist das der Fall, hat der Arbeitgeber<br />
gemäß § 12 Abs. 3 AGG die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen<br />
zur Unterbindung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen<br />
(§ 12 Abs. 3 AGG)“ (Urteil S. 6).<br />
Sexueller Missbrauch ist strafbar. Mit dem „Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die<br />
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung […]“ von 2003 wurde das Strafgesetzbuch<br />
u. a. um die §§ 174a und 174c erweitert: „Sexueller Missbrauch von […] Hilfsbedürftigen in<br />
Einrichtungen“ und „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungsoder<br />
Betreuungsverhältnisses“.<br />
1|2<br />
Vorsitzender: Detlef Springmann • Kaiserstraße 18 • 38100 Braunschweig • Fon 05 31 – 47 19 - 2 21 • Fax 05 31 – 47 19 - 3 81<br />
stellv. Vorsitzender: Michael Bode • Kellerdamm 7 • 26169 Friesoythe-Altenoythe • Fon 0 44 91 – 92 51-10 • Fax 0 44 91 – 92 51-25
Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten<br />
für behinderte Menschen in <strong>Niedersachsen</strong><br />
Kaiserstraße 18 • 38100 Braunschweig<br />
Den Fachleuten in unseren Werkstätten ist klar: Zur Persönlichkeitsentwicklung eines jeden<br />
Menschen gehört ein möglichst unverkrampftes Verhältnis zur Sexualität, erst recht zu<br />
seiner eigenen. Die gesetzlichen Werkstattleistungen für die Beschäftigten umfassen besonders<br />
solche, um „die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln“ (§ 39, § 41 Abs. 2 Nr. 2<br />
und 136 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Das schließt Sexualaufklärung ebenso ein wie die Vermittlung<br />
von Kenntnissen einer nützlichen wie angenehmen Körper- und Intimpflege.<br />
Die Leitlinie dafür sind die Grundsätze des Persönlichkeitsschutzes nach § 36 SGB IX.<br />
Persönlichkeitsentwicklung als Werkstattleistung ist mit sexueller Bedrohung oder einem<br />
Zwang, der ein sexuelles Verhalten bezweckt oder bewirkt, unvereinbar. Das gilt für alle Personen<br />
in der Werkstatt. Der Persönlichkeitsschutz stellt die Würde der Person und ihre<br />
Selbstbestimmung in den Vordergrund. Anfeindungen, Beleidigungen, Druck, Einschüchterungen,<br />
Entwürdigungen, Erniedrigungen, Gewaltanwendungen oder Machtausnutzung, um<br />
sexuelle Handlungen zu erzwingen, werden in den Werkstätten nicht geduldet. Das macht das<br />
Positionspapier des <strong>LAG</strong>:<strong>WfbM</strong>-Vorstandes zweifelsfrei klar.<br />
Der Umgang mit Sexualität in der Werkstatt muss offen, ehrlich und zugleich professionelle<br />
Distanz wahrend sein. Das verlangt ein qualifiziertes Personal, das Empathie, Lehrbefähigung<br />
und Offenheit als fachliches Handwerkzeug nutzen kann. Die Erwartungen an die Fachkräfte<br />
sind hoch, gerade beim Persönlichkeitsschutz. Dominique Jakob, promovierter Jurist, Professor<br />
und Lehrstuhlinhaber an der Universität Zürich, listet folgende wesentliche Inhalte des<br />
Persönlichkeitsschutzes auf, u. a.<br />
> Schutz vor übermäßiger Bindung,<br />
> Schutz vor Verletzungen durch Dritte,<br />
> das Recht auf einen Namen,<br />
> Schutz vor Behinderungen durch Dritte,<br />
> körperliche und psychische Unantastbarkeit und Unversehrtheit,<br />
> das Recht auf eigene Entscheidungen,<br />
> Schutz der Würde und Ehre.<br />
Dem Beispiel des schweizerischen Zivilrechts folgt das deutsche Recht mit seinen Bestimmungen<br />
über die Schadensersatzpflicht bei derartigen Verstößen im § 823 BGB und bei<br />
sexuellen Handlungen unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses im § 825 BGB.<br />
Als ein besonders guter Leitfaden zum Thema „Sexueller Missbrauch“ wird die Arbeitshilfe<br />
des Paritätischen Gesamtverbandes von 2010 bewertet:<br />
„Arbeitshilfe. Schutz vor sexualisierter Gewalt in Diensten und Einrichtungen.“<br />
Alle Leitungen und Fachkräfte in unseren Werkstätten müssen sich immer wieder in geeigneter<br />
Form mit diesem Thema befassen, nach wirkungsvollen Wegen zur Verhinderung, zur<br />
Meldung und Verfolgung sexueller Übergriffe suchen.<br />
Braunschweig, den 3. Oktober 2012<br />
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Vorsitzender: Detlef Springmann • Kaiserstraße 18 • 38100 Braunschweig • Fon 05 31 – 47 19 - 2 21 • Fax 05 31 – 47 19 - 3 81<br />
stellv. Vorsitzender: Michael Bode • Kellerdamm 7 • 26169 Friesoythe-Altenoythe • Fon 0 44 91 – 92 51-10 • Fax 0 44 91 – 92 51-25