Glaubenskurse als missionarisches Bildungsangebot - Kurse-zum ...
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Dr. Burghard Krause<br />
<strong>Glaubenskurse</strong> <strong>als</strong> <strong>missionarisches</strong> <strong>Bildungsangebot</strong> –<br />
Plädoyer für neue Korridore zwischen Bildung und Mission<br />
1. Mission und Bildung – (k)ein Paar <strong>zum</strong> Verlieben?<br />
Mission und Bildung - was haben beide miteinander zu tun? Sollten sie sich geflissentlich aus dem Weg<br />
gehen, weil sie sich gegenseitig doch nur stören? Oder brauchen sie einander? Muss es vielleicht sogar<br />
breite Korridore zwischen beiden geben, wenn das Evangelium nachhaltig unter die Leute kommen<br />
soll? Wie sieht eine bildungsoffene Mission aus? Und wie eine missionsoffene Bildung? Welche Kriterien<br />
sind an missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e anzulegen, damit Mission ihr Anliegen nicht verrät und<br />
Bildung ihre Standards nicht einbüßt?<br />
1.1 Mission und Bildung – kein Paar <strong>zum</strong> Verlieben. So sah es bislang aus. Evangelische Bildungsträger<br />
und missionarisch Motivierte misstrauten sich gegenseitig. Eine missionskritische Religions- und<br />
Gemeindepädagogik stand einem bildungsvergessenen missionarischen Gemeindeaufbau gegenüber.<br />
Vorbehalte blockierten das Gespräch. Mission mache den Menschen <strong>zum</strong> rein rezeptiven Objekt, beraube<br />
ihn seines mündigen Subjektseins in der Auseinandersetzung mit religiösen Themen – so ein<br />
Vorwurf der Bildung an die Mission. Bildung im Raum der Kirche erspare den Menschen die werbende<br />
Einladung <strong>zum</strong> Glauben, den Ruf in die Nachfolge und <strong>zum</strong> Leben in der Gemeinde – so ein Vorbehalt<br />
der missionarischen Szene gegenüber kirchlicher Bildungsarbeit. Den Religions- und Gemeindepädagogen<br />
ging es um ergebnisoffene Lernprozesse zu Glaubensthemen. Den missionarisch Engagierten<br />
dagegen um ein ganz und gar nicht offenes Ergebnis: dass nämlich Menschen tatsächlich <strong>zum</strong> Glauben<br />
finden. Zwei Welten ohne Korridore. Und so gebärdete sich die kirchliche Bildungsarbeit lange Zeit dezidiert<br />
missionsresistent. Und die missionarische Arbeit zeigte sich am Bildungsthema kaum interessiert.<br />
Das hat beiden Seiten nicht gut getan.<br />
1.2 Mission und Bildung - es gibt Anzeichen dafür, dass sich das zwischen Desinteresse und Gegnerschaft<br />
schwankende Verhältnis zwischen beiden zur Zeit verändert. Allerdings zeigen sich in beiden<br />
Szenen auch Einwände gegen die neue Annäherung. Die Vorbehalte auf der Seite der evangelischen<br />
Erwachsenenbildung wurzeln in ihrer Brückenfunktion <strong>als</strong> Bindeglied zwischen Kirche und Gesellschaft<br />
und einem daraus resultierenden Bildungskonzept: Evangelische Erwachsenenbildung muss a) trotz<br />
ihres Rückbezugs zur christlichen Glaubenstradition den allgemein anerkannten Bildungsstandards<br />
genügen und b) in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft den Gesprächskorridor zu anderen Weltund<br />
Lebensdeutungen offen halten. Die Vorbehalte in der missionarischen Szene wurzeln in der Angst<br />
vor einem Profilverlust des genuin missionarischen Anliegens. Man fürchtet, dass dieses Anliegen untergraben<br />
oder verwässert wird, wo man sich auf das gängige Bildungsparadigma und dessen didaktische<br />
Kategorien (Zielgruppenorientierung, Lebensweltorientierung, Teilnehmerorientierung, Prozessorientierung,<br />
Problemorientierung, Subjektorientierung) einlässt.<br />
Aber vielleicht geht es im Öffnen von Korridoren zwischen Bildung und Mission auch gar nicht darum,<br />
dass beide Seiten dasselbe tun. Man darf ja nicht übersehen, dass Bildung und Mission in der Regel mit<br />
sehr unterschiedlichen Lernorten verbunden sind. Die oft übergemeindlichen Lernorte der Evangelischen<br />
Erwachsenenbildung und der Lernort „Gemeinde“ <strong>als</strong> kontextueller Rahmen von <strong>Glaubenskurse</strong>n<br />
eröffnen verschiedene Erfahrungs- und Einübungsräume im Umgang mit dem Evangelium. Der Lernort<br />
„Gemeinde“ <strong>als</strong> gottesdienstlich gefüllter Raum eines bereits praktizierten Glaubens und gemeinschaft-
2<br />
licher Gotteserfahrung lädt zu Bildungsprozessen ein, die an anderen Lernorten so kaum möglich erscheinen.<br />
Ich stimme ausdrücklich Rudolf Weth zu, wenn er schreibt: „Die evangelische Erwachsenenbildung<br />
kann von ihrem Auftrag und von ihren Rahmenbedingungen her selber den Part einer ‚missionarischen<br />
Bildungsinitiative’ nicht übernehmen. Sie muss aber vital daran interessiert sein, dass es eine solche<br />
Initiative gibt. Denn sie ist mit ihrem besonderen Auftrag darauf angewiesen, dass ihr das erstmissionarische,<br />
Glauben weckende und Glauben stärkende Handeln der Kirche korrespondiert. In diesem Gegenüber<br />
und Miteinander kann sie die Funktion einer missionarischen Propädeutik übernehmen und hat<br />
das auch in der Vergangenheit immer schon von Fall zu Fall getan“ 1 .<br />
1.3 Es ist inzwischen unstrittig, dass unsere Kirche im gesellschaftlichen Spannungsfeld von religiösem<br />
Pluralismus und offensivem Säkularismus vor unabweisbaren Herausforderungen steht. Den damit<br />
verbundenen missionarischen Horizont kann auch die Evangelische Erwachsenenbildung nicht ignorieren.<br />
Sie ist, will sie sich nicht selbst marginalisieren, dazu herausgefordert, ihr „Evangelisch-Sein“ engagiert<br />
und erkennbar zu profilieren. Das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ weist genau in diese<br />
Richtung. Es schärft im 7. Leuchtfeuer das Profil evangelischer Bildungsarbeit in missionarischer Perspektive,<br />
indem es diese Arbeit <strong>als</strong> „Zeugendienst in der Welt“ definiert. Das geschieht in einer bisher<br />
nicht gekannten Deutlichkeit. Originalton des Impulspapiers: Evangelische Bildungsarbeit „führt Kinder<br />
und Jugendliche an den christlichen Glauben und an ein verantwortliches Leben aus Glauben heran“.<br />
Sie konzentriert sich „auf die Beheimatung in den Überlieferungen des Glaubens…durch Einführung in<br />
eine evangelische Frömmigkeitstradition, durch Kenntnis biblischer Grundtexte und zentraler Glaubensaussagen,<br />
durch Begegnung mit wichtigen Gebeten und geistlichen Liedern, durch Beschäftigung<br />
mit Vorbildern christlicher Existenz“. Evangelische Bildungsarbeit „bestärkt Christen darin, in Familie,<br />
Beruf und Gesellschaft von Gott Gutes zu sagen und den christlichen Glauben zu bezeugen“ 2 .<br />
1.4 Aber auch die missionarische Szene kann zu einer Öffnung der Korridore zwischen Bildung und<br />
Mission Entscheidendes beitragen. Sie hat zu zeigen, dass sie in ihren missionarischen <strong>Bildungsangebot</strong>en<br />
(z. B. in Gestalt von <strong>Glaubenskurse</strong>n) den allgemein gültigen Bildungskriterien genügt – oder dort,<br />
wo sie diese Kriterien modifiziert, ihre sachbezogenen Gründe hat. Michael Nüchtern sieht die Notwendigkeit<br />
eines Brückenschlags zwischen Bildung und Mission von beiden Seiten: „Der Verzicht auf einen<br />
positiven Bezug <strong>zum</strong> Missionarischen in der kirchlichen Erwachsenenbildung könnte leicht dazu führen,<br />
dass in der Erwachsenenbildung die religiöse Dimension unausdrücklich bleibt und der kirchliche Träger<br />
der Gesellschaft das schuldig bleibt, was er allein geben kann. Umgekehrt schützt die Integration des<br />
Bildungsgedankens in missionarische Konzepte diese davor, in eine Überwältigungs- und Erlebnisfrömmigkeit<br />
abzugleiten und die kritische Reflexion des eigenen Glaubens zu tabuisieren“. 3<br />
2. Eckdaten eines reformatorisch geprägten Bildungsbegriffs<br />
Im Raum der Kirche und darüber hinaus ist man sich weithin darin einig, dass Bildung nicht auf eine<br />
technische Vermittlung von Faktenwissen reduziert werden darf. Bildung eröffnet den Raum eines umfassenden<br />
Orientierungswissens. Und sie befähigt Menschen dazu, es schöpferisch und kritisch anzuwenden.<br />
Bildungsprozesse intendieren eine ganzheitliche Persönlichkeitsbildung. Urteilsfähigkeit, Denkund<br />
Sprachkraft, Werteorientierung, Haltung und Verhalten des Menschen erfahren im Bildungsprozess<br />
ihre individuelle Ausformung.<br />
2.1 Bildung hat <strong>zum</strong> Ziel, dass Menschen lebenstüchtig werden. Lebenstüchtig – das ist übrigens die<br />
ursprüngliche Bedeutung des Wortes „fromm“ 4 . Evangelisch verstandene Bildung intendiert letztlich<br />
„Herzensbildung“. Sie geschieht in der Hoffnung, dass Gott sich mehr und mehr in die Seele des Menschen<br />
„hineinbildet“ und sich der Mensch dankbar dessen bewusst wird, dass er Ebenbild Gottes ist.
3<br />
Ein an biblisch-reformatorischer Tradition ausgerichteter Bildungsbegriff geht von einem Menschenbild<br />
aus, das den Menschen nicht selbstreferentiell, auf sich bezogen versteht, sondern relational, in seiner<br />
Beziehung zu Gott. Evangelisch verstandene Bildung thematisiert daher den Menschen und sein Lebensumfeld<br />
im Horizont seiner Gottesbeziehung und spricht ihn darauf an.<br />
2.2 Weil der Mensch theologisch durch seine Gottesbeziehung definiert ist, rechnet eine reformatorisch<br />
ausgerichtete evangelische Bildungsarbeit mit der Möglichkeit einer Veränderung des Menschen,<br />
die nicht allein in seinen eigenen Potentialen begründet ist, sondern im Potential der transformierenden<br />
Kraft, die in der Bibel „Heiliger Geist“ genannt wird. Gottes Geist überwindet die Alternative von Autonomie<br />
oder Heteronomie, indem er den Menschen nicht <strong>zum</strong> fremd bestimmten Objekt werden lässt,<br />
sondern ihn zu seinem Subjektsein vor Gott und <strong>zum</strong> mündigen Dialogpartner Gottes allererst befreit.<br />
Evangelische Bildungsarbeit versteht von daher Bildung nicht nur <strong>als</strong> Selbstbildung, sondern auch <strong>als</strong><br />
ein Gebildet-Werden, bei dem der Mensch in und trotz seiner aktiven Partizipation am Bildungsgeschehen<br />
ein Empfangender ist. Ein reformatorisch geprägter Bildungsbegriff ist nach Wilfried Härle „gerade<br />
deswegen für das Verständnis des Glaubens, seine Entstehung und Entwicklung, gut geeignet, weil er<br />
einen Prozess bezeichnet, der am Menschen und mit dem Menschen geschieht, an dem dieser zwar<br />
ganz und gar, aber vor allem empfangend beteiligt ist“ 5 .<br />
2.3. Diese empfangende Beteiligung des Menschen an der eigenen Glaubensbildung findet reformatorisch<br />
im Zeichen der Taufe ihren markantesten Ausdruck. Die Taufe ist <strong>als</strong> das Zeichen der uns zuvorkommenden<br />
Gnade Gottes die zentrale „Inszenierung des Anfangs“ des menschlichen Glaubensweges.<br />
Darum kann ein reformatorisch geprägtes Bildungsverständnis nicht von der Taufe abstrahieren. Evangelische<br />
Bildungsarbeit führt Menschen nicht in einen „höheren Stand“ über die Taufe hinaus, sondern<br />
„immer tiefer in die Taufe hinein“. „Christsein heißt: Gebildet-werden und Sich-bilden-lassen auf dem<br />
Grund der Taufe“ 6 . Für missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e heißt das: Wo etwa im Abschlussgottesdienst<br />
von <strong>Glaubenskurse</strong>n in einer Art Umkehr-Liturgie eine Antwort des Glaubens inszeniert wird, ist diese<br />
Antwort nicht Ausdruck einer frei schwebenden Entscheidungstheologie, die Menschen suggeriert, dass<br />
ihre Geschichte mit Gott mit ihrem Ja <strong>zum</strong> Glauben beginnt. Sie ist vielmehr angelegt <strong>als</strong> Tauferinnerung<br />
und Konfirmationsvertiefung (d.h. <strong>als</strong> Reflex auf Gottes großes Ja <strong>zum</strong> Menschen) bzw. <strong>als</strong> Einladung<br />
zur Taufe für Noch-nicht-Getaufte.<br />
3. Der Weg <strong>zum</strong> Glauben <strong>als</strong> Bildungsaufgabe<br />
3.1 „Der Weg <strong>zum</strong> Glauben muss ebenso <strong>als</strong> Bildungsaufgabe verstanden werden wie das Bleiben<br />
und Wachsen im Glauben“ 7 . Dass das Bleiben und Wachsen im Glauben auf Bildungsvorgänge (religiöse<br />
Erziehung, familiäre und/oder gemeindliche Sozialisation) angewiesen ist, war nie strittig. Bereits der<br />
Umgang Jesu mit seinen Jüngern kann problemlos <strong>als</strong> ein umfassender Bildungsvorgang beschrieben<br />
werden – <strong>als</strong> Prozess, in dem die Jünger Nachfolge lernen. Sie gehen bei Jesus in die Schule. Sie lernen<br />
Gott zu vertrauen, weil Jesus ihnen dieses Vertrauen vorlebt. Sie lernen beten, indem er mit ihnen<br />
das „Vater unser“ <strong>als</strong> praktische Unterweisung einübt. Sie lernen zu predigen und zu heilen, indem er es<br />
ihnen zutraut, sie anleitet, sendet und nach Rückkehr mit ihnen das Erfahrene auswertet. Auch Martin<br />
Luther hat schnell begriffen, dass der geistliche Aufbruch der Reformation durch Bildungsprozesse abgestützt<br />
werden muss. Mündiges Christsein setzt Kenntnis der Bibel voraus. Also muss sie übersetzt<br />
und dem Kirchenvolk in die Hand gegeben werden. Wie soll Gemeinde „Lehre beurteilen“, wenn sie<br />
selbst ungelehrt bleibt? Luthers Katechismen haben sich schnell <strong>als</strong> wirksames Bildungsinstrument für<br />
die Ausbreitung der Reformation erwiesen.<br />
3.2 Aber nicht nur das Wachsen im Glauben, auch der Weg <strong>zum</strong> Glauben ist ein Bildungsweg – oft ein<br />
langer und beschwerlicher Emmaus-Weg 8 . Wie sieht dieser Weg <strong>zum</strong> Glauben aus – und welche Bildungswege<br />
werden ihm gerecht? In der Gemeindepädagogik unterscheidet man zwischen einer „Her-
4<br />
meneutik der Vermittlung“ und einer „Hermeneutik der Verständigung“. „Eine Hermeneutik der Vermittlung<br />
will Glauben vorrangig ‚weitergeben’, eine Hermeneutik der Verständigung will helfen, den eigenen<br />
Glauben zu klären“ 9 . Verständigung über den eigenen Glauben und Klärung des eigenen Glaubens<br />
setzen voraus, dass der Glaube (wie ungeformt, unbewusst und unreflektiert auch immer) bereits da ist.<br />
Die Erfahrung zeigt aber, dass diese Voraussetzung für immer weniger Menschen zutrifft. Mag es in<br />
vielen Menschen Gottesahnungen und Transzendenzsehnsüchte geben, verbunden mit Rudimenten<br />
christlicher oder fremdreligiöser Tradition – Christusglaube, in dem der Mensch sein Herz an den dreieinigen<br />
Gott verliert, ist das häufig noch nicht. Nach biblisch-reformatorischem Verständnis kommt evangelischer<br />
„Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi“ 10 . Dieser Glaube ist <strong>als</strong>o<br />
keine anthropologische Vorgegebenheit, die nur der Entfaltung bedarf. Er wird gezeugt. Er kann sich<br />
erst entwickeln, wenn er geweckt ist.<br />
Das heißt: Die Hermeneutik der Verständigung braucht <strong>als</strong> Partner die Hermeneutik der Vermittlung.<br />
Und das umso mehr, <strong>als</strong> die Zeit des kulturgestützten Christentums unwiderruflich zu Ende geht. Familie,<br />
Gesellschaft und Schule fallen weithin <strong>als</strong> Initialzündung, <strong>als</strong> Bildungsträger und Lernorte des Glaubens<br />
aus. Christsein wird von immer mehr Menschen in unserem Land nicht mehr von Kindesbeinen an<br />
<strong>als</strong> Muttersprache gelernt, sondern muss im Erwachsenenalter <strong>als</strong> Fremdsprache neu erlernt werden.<br />
Es ist Zeit, aus einem volkskirchlichen Illusionsmus aufzuwachen, der immer schon Glaube voraussetzt,<br />
der sich durch Bildung lediglich individuell ausformt. Christlicher Glaube ist kein Erbe, das weitergereicht<br />
und an das Bildungsprozesse wie selbstverständlich andocken können. Darum braucht es Glaubensbildung<br />
auch in Gestalt einer Hermeneutik der Vermittlung.<br />
3.3 Im Weltanschauungspluralismus unserer Gesellschaft wird Christsein mehr und mehr zur Option,<br />
zur Wahl eines Lebensentwurfs - zu einer Entscheidung, die angesichts vieler Alternativen unter Optionsstress<br />
setzt. <strong>Glaubenskurse</strong> können <strong>als</strong> <strong>als</strong> Entscheidungshilfen im Optionswirrwar verstanden werden.<br />
Sie helfen erfahrungsgemäß, die Botschaft von der freien Gnade Gottes wieder für Menschen in<br />
Hörweite zu bringen, die sonst kein Ohr dafür hätten. Aber auch Menschen aus dem kerngemeindlichen<br />
Bereich erleben durch dieses missionarische <strong>Bildungsangebot</strong> nicht selten eine geistliche Erneuerung<br />
oder entdecken den Glaubenskurs <strong>als</strong> Denk- und Sprachhilfe für die eigene Glaubensweitergabe. <strong>Glaubenskurse</strong><br />
sind eine von mehreren Varianten eines zeitgemäßen missionarischen Erwachsenen-<br />
Katechumenats. Sie entfalten im Dialog mit der Lebenswirklichkeit der Teilnehmenden die Option des<br />
christlichen Glaubens und tragen so zur Klärung der eigenen Position bei. Sie intendieren einen ganzheitlichen<br />
Bildungsvorgang, der kognitive, affektive und soziale Dimensionen umfasst und im Hoffnungshorizont<br />
des Wirkens Gottes geschieht. <strong>Glaubenskurse</strong> sind Weggemeinschaften auf Zeit. Sie<br />
ermöglichen ein Lernen in Gemeinschaft, in Beteiligung und im Miterleben. Der Bildungsvorgang umfasst<br />
elementarisierte Information, Einführung in evangelische Frömmigkeitstraditionen sowie das Angebot<br />
praktischer Hilfen <strong>zum</strong> Einstieg- oder Wiedereinstieg in eine persönlich verantwortete Glaubensbiographie<br />
und –Praxis.<br />
4. Glaube <strong>als</strong> Lernziel?<br />
4.1 Glaube <strong>als</strong> Vertrauen auf Gott ist kein didaktisch operationalisierbares Lernziel. Als Werk des Heiligen<br />
Geistes bleibt er unverfügbar. Glaubenswissen lässt sich vermitteln, Ausdrucksformen des Glaubens<br />
können eingeübt, dem Glauben gemäße Werteinstellungen erlernt werden – aber der Glaube<br />
selbst, das innere Einverständnis eines Menschen mit dem Evangelium von der in Christus erschienenen<br />
Menschenfreundlichkeit Gottes entzieht sich aller Machbarkeit. Nur die Außenseite des Glaubens<br />
ist didaktisch verfügbar. Jens Martin Sautter nennt sie „Spiritualität“ und formuliert: „Lernziele lassen<br />
sich auf der Ebene der Spiritualität angeben, nicht aber auf der Ebene des Glaubens“ 11 .
5<br />
Und trotzdem gilt: „Glauben lässt sich (zwar) nicht lernen, aber ohne Lernen kann Glaube nicht sein“ 12 .<br />
Gottes Geist wirkt zwar wo und wann er will, aber sein Wirken wird nicht unmittelbar, sondern vermittelt<br />
erfahren - an Lernorten und in Lernzusammenhängen: z. B. durch einladende Gottesdienste, durch<br />
informative Glaubensseminare, durch das werbende Leben eines Evangeliumszeugen, durch eine gastfreundliche<br />
Gemeinde, durch das attraktive Klima eines Netzwerkes von Christen – kurz: durch die<br />
„Körpersprache des Leibes Christi“ in all ihren Ausprägungen. Es gibt kein Erlernen des Glaubens, aber<br />
ein Lernen auf dem Weg <strong>zum</strong> Glauben. Es gibt Lernorte und Lernprozesse, in denen sich Glaube ereignen<br />
kann, oder durch die dieses Ereignis vorbereitet wird.<br />
Wir brauchen Gemeinden, die spirituelle Erfahrungsräume öffnen und Lern- und Entdeckungsprozesse<br />
anbieten <strong>als</strong> Andockstellen für das Wirken des Heiligen Geistes. Für die Arbeit mit <strong>Glaubenskurse</strong>n<br />
heißt das: Nicht nur der Kurs selbst - die ganze Gemeinde wird zu einem Lernort. Ihre Gastfreundschaft,<br />
ihr Binnenklima, ihre Ausstrahlung, ihre Sprach- und Begegnungskultur haben auf das Gelingen oder<br />
Misslingen des missionarischen Bildungsgeschehens einen nicht unerheblichen Einfluss. Auch darauf,<br />
ob sich jemand auf eine Bildungsreise ins „Land des Glaubens“ 13 überhaupt einlässt. Die Entdeckung<br />
der Anglikanischen Kirche, dass persönlicher Glaube meist im Lernfeld gemeindlicher Begleitung entsteht<br />
(Stichwort: „belonging before believing“) 14 , zeigt die Bedeutung der zu einem Glaubensseminar<br />
einladenden Gemeinde an.<br />
4.2 Bei Fulbert Steffensky habe ich gelernt: Wir wachsen geistlich nicht nur von innen nach außen,<br />
sondern auch von außen nach innen. 15 Nicht nur von der inneren Überzeugung zur äußeren Gestalt des<br />
Glaubens, sondern auch von der äußeren Gestaltung zur inneren Überzeugung. Man kann „in Häuser<br />
gehen, in denen man noch nicht gewohnt hat, auch wenn man sich nicht völlig heimisch in ihnen<br />
fühlt“ 16 . Man kann den Glauben schon wie ein Kleidungsstück anprobieren, ohne bereits entschieden zu<br />
sein, es auch tragen zu wollen. Aber indem man es probeweise trägt, verliebt man sich vielleicht darin.<br />
Es gibt ein Ausprobieren des Glaubens – noch bevor er selbst erwacht.<br />
Die „performative Religionspädagogik“ bestreitet, dass Religion aus der Außenperspektive verstanden<br />
werden kann. Ihre These: So wie niemand schwimmen lernt, ohne ins Wasser zu springen, braucht es<br />
<strong>zum</strong> Verstehen von Religion <strong>zum</strong>indest probeweise die Übernahme der Innenperspektive. So spricht z.<br />
B. der Religionspädagoge Bernhard Dressler bezüglich des Betens im Religionsunterricht von einem<br />
„Probehandeln“, einer „probeweisen Ingebrauchnahme“ religiöser Sprache 17 .<br />
Wir brauchen missionarische Bildungsprozesse, die fragenden und suchenden Menschen Raum <strong>zum</strong><br />
Ausprobieren des Glaubens anbieten – Raum für Probedenken, für Probehandeln, für Probevertrauen<br />
und Probebeten. Gottes Geist kann diese Lernräume füllen. Ich plädiere für <strong>Glaubenskurse</strong>, die solche<br />
spirituellen Erfahrungsräume eröffnen. Wenn wir <strong>zum</strong> Beispiel im Abschlussgottesdienst eines Glaubensseminars<br />
die liturgisch geprägte Inszenierung einer Antwort des Glaubens anbieten (in Gestalt von<br />
Tauferinnerung, Antwortgebet und Segnung), dann nicht, um nun doch am Ende den Glauben produzieren<br />
zu wollen. Wir tun es, um dem, was Gottes Geist in Menschen bewirkt hat und bewirken will, einen<br />
Entfaltungsraum zu geben. Und für manche wird die Teilnahme an einer solchen Inszenierung einer<br />
Glaubensantwort zunächst vielleicht auch nur ein erstes Probehandeln, ein Probeaufenthalt im Haus<br />
des Glaubens sein. Aber was heißt hier: nur? Ist das etwa nichts?<br />
Nun höre ich den Einwand: Gibt es denn Glaube „auf Probe“? Wirft sich ein Mensch im Akt des Vertrauens<br />
Gott nicht ganz und ungeteilt in die Arme? Dogmatisch mag das so sein – aber auf dem konkreten<br />
Glaubensweg wird es häufig anders erlebt. Da gibt es Halbheiten und Gespaltensein, das „Ja“<br />
zugleich mit dem „aber“, den Testlauf vor dem Ernstfall, das Experimentieren mit dem Glaubenswagnis.<br />
Im kleinen „Amen“ des Glaubens auf Gottes großes „Ja“ spricht der Mensch ohnehin immer mehr aus,<br />
<strong>als</strong> er jem<strong>als</strong> einlösen kann. Auch nach einem Glaubensanfang ist ein Christ „immer im Werden“ (Luther)<br />
und nie fertig.
6<br />
5. <strong>Glaubenskurse</strong> und Bildungsstandards<br />
Jens Martin Sautter hat in Orientierung am Bildungsbegriff von K.E. Nipkow einige Standards beschrieben,<br />
die für seriöse Bildungsprozesse <strong>als</strong> verbindlich gelten 18 , und auf die ich im Folgenden Bezug<br />
nehme. Auch die <strong>Glaubenskurse</strong>, die von der missionarischen Bildungsinitiative der EKD / AMD gefördert<br />
werden, orientieren sich an diesen Standards – was kritische Rückfragen und begründete Modifikationen<br />
nicht ausschließt.<br />
5.1 Ein erster Standard heißt: Bildungsprozesse sind prinzipiell ergebnisoffen.<br />
Es gibt keine intentionsfreie Bildung. Alle ernst zu nehmende Bildung hat Intentionen. Aber sie geschieht<br />
zugleich in dem Bewusstsein, dass das von ihr Intendierte nicht erzwingbar ist. Denn der sich<br />
bildende bzw. zu bildende Mensch bleibt in der ihm eigenen Freiheit ein unverfügbares Geheimnis.<br />
Darum sind Bildungsprozesse prinzipiell ergebnisoffen.<br />
Das gilt für missionarische Bildungsprozesse sogar in besonderer Weise. Denn nicht nur der Mensch,<br />
auch Gott bleibt in seinem freien Wirken ein unverfügbares Geheimnis. Die Ergebnisoffenheit missionarischer<br />
<strong>Bildungsangebot</strong>e ist daher nicht nur anthropologisch, sondern zugleich auch pneumatologisch<br />
begründet. Sie wurzelt nicht nur in der Entscheidungsfreiheit des Subjekts, das dem <strong>Bildungsangebot</strong><br />
zustimmend oder ablehnend gegenübertreten kann, sondern darüber hinaus auch in der unverfügbaren<br />
Freiheit des Geistes Gottes, der weht, wo und wann er will – oder auch nicht.<br />
Natürlich sind missionarische Bildungsprozesse von dem Wunsch begleitet, dass Menschen sich für<br />
den Glauben öffnen. Man kann diesen Wunsch <strong>als</strong> die „optionale Intention“ missionarischer Bildung<br />
bezeichnen. Aber diese optionale Intention lässt sich nicht operationalisieren. Weil missionarische Bildung<br />
unter dem pneumatologischen Vorbehalt geschieht, dass es Gottes Geist ist, der Glauben weckt,<br />
muss sie offen lassen, was durch sie geschieht - und sie muss dem auch methodisch, inhaltlich und<br />
atmosphärisch Rechnung tragen. Das, was sich missionarische Bildung erhofft, bleibt für sie unverfügbar<br />
- und somit ergebnisoffen. 19<br />
Positiv formuliert meint Ergebnisoffenheit in missionarischer Perspektive für die Bildungsträger: unaufgeregt<br />
und ohne missionarischen Leistungsdruck offen sein für das verheißene Wirken des Geistes<br />
Gottes. Heißt: gespannt und geduldig Gottes Kommen erwarten - ohne es herbeireden oder herbeizwingen<br />
zu wollen. Heißt: phantasievoll werben - ohne zu vereinnahmen, liebevoll einladen - ohne zu<br />
bedrängen, die Schönheiten des Evangeliums gewinnend präsentieren - ohne über andere siegen zu<br />
wollen. Heißt mit Paulus: Bitten „an Christi statt“ 20 . Mehr ist nicht erlaubt. Missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e<br />
müssen sich daran messen lassen, ob sie die kreative Spannung von verheißungsorientierter Intentionalität<br />
und pneumatologisch begründeter Unverfügbarkeit durchhalten.<br />
5.2 Ein zweiter Standard kirchlicher Bildungsarbeit heißt: Die Lernenden sind im Rahmen der Lernprozesse<br />
nicht Objekte, denen etwas vermittelt wird, d.h. sie sind nicht nur rezeptiv, sondern<br />
mündige, aktive und selbstverantwortliche Subjekte des Geschehens.<br />
Das gilt auch für missionarische Bildungsarbeit – und zwar nicht nur aus didaktischen, sondern schon<br />
aus theologischen Gründen: Gott überrollt und bevormundet den Menschen nicht <strong>als</strong> Adressaten seiner<br />
Liebe, sondern befreit ihn <strong>zum</strong> mündigen Subjekt, das im Land des Glaubens auf Entdeckungsreise<br />
geht und Gott in Freiheit antwortet.
7<br />
5.2.1 Allerdings ist zu fragen: Wie wird denn der Mensch in Bildungsprozessen, die sich um die christliche<br />
Tradition drehen, ein „mündiges und selbstverantwortliches Subjekt des Geschehens“? Vielen ist<br />
diese Tradition inzwischen ja nahezu unbekannt. Ich kann <strong>als</strong> Lernender doch nur souverän mit etwas<br />
umgehen, das ich kenne und wenigstens rudimentär in seinem inneren Begründungszusammenhang<br />
verstanden habe – völlig unabhängig von meiner Zustimmung oder Ablehnung. Die „Subjekt-Fähigkeit“<br />
setzt <strong>zum</strong>indest eine elementare Kenntnis der Lerninhalte voraus. Anders gesagt: Die Vermittlung und<br />
Aneignung von Lerninhalten degradiert den lernenden Menschen nicht <strong>zum</strong> passiven Objekt, sondern<br />
stärkt gerade seine Kompetenz <strong>als</strong> handelndes Subjekt.<br />
Für das Bildungskonzept der Arbeit mit <strong>Glaubenskurse</strong>n heißt das: Ohne ein Basiswissen des Evangeliums<br />
kann sich niemand selbstverantwortlich zu den zentralen Lebens- und Glaubensthemen in Beziehung<br />
setzen. Gerade in einer Zeit des Traditionsabbruchs und eines rapide abnehmenden Glaubenswissens<br />
braucht es deshalb die informative und elementarisierte Bereitstellung des „Lerninhalts Evangelium“,<br />
die den lernenden Menschen zur existentiellen Auseinandersetzung motiviert.<br />
Das Evangelium ist nun aber keine neutrale Information. Es hat selbst eine missionarische Dimension.<br />
Die wird ihm nicht erst durch ein <strong>missionarisches</strong> Bildungsparadigma aufoktroyiert. Hier ist das Bildungskonzept<br />
der Evangelischen Erwachsenenbildung kritisch zu befragen: Wie geht dieses Konzept<br />
mit der missionarischen Intention um, die den biblischen Texten und Themen selbst innewohnt? Es ist<br />
kein Ausweis verantwortlicher evangelischer Bildungsarbeit, wenn man die um Glauben werbende Dimension<br />
der biblischen Tradition didaktisch neutralisiert oder ausblendet.<br />
5.2.2 Die Betonung des freien und mündigen Subjekts im gängigen Konzept kirchlicher Bildungsarbeit<br />
wirft aber noch eine weitere Frage auf: Wie frei und mündig ist der Mensch eigentlich wirklich? Ein reformatorisch<br />
geprägtes Bildungskonzept kann nicht davon absehen, dass christliche Freiheit und Mündigkeit<br />
aus dem freimachenden Evangelium erwächst. Wirklich frei und mündig im Umgang mit Gott ist<br />
der Mensch nach biblisch-reformatorischem Verständnis erst, wenn ihn dazu das Evangelium befreit,<br />
das den Sünder rechtfertigt. Hartmut Rupp ist deshalb Recht zu geben, wenn er schreibt: „Die in <strong>Glaubenskurse</strong>n<br />
praktizierte glaubenserweckende Bildungsarbeit stellt evangelische Bildungsarbeit vor die<br />
Frage, welche Rolle die Sünde in ihr spielt“ 21 . Wer im Reden vom autonomen und mündigen Subjekt<br />
das Thema des „unfreien Willens“ und die Dimension der Sünde ausblendet, „läuft Gefahr, die Möglichkeiten<br />
des Menschen zu überschätzen“ 22 .<br />
Positiv gewendet: Die für die Glaubenskursarbeit zentrale, narrative „Vermittlung des Wortes, das das<br />
Evangelium Jesu Christi bezeugt, ist keine Gefährdung, sondern im Gegenteil allererst die Ermöglichung<br />
wahrer Freiheit“ 23 – vorausgesetzt natürlich, dass diese Vermittlung in Sprachform und Adressierung<br />
nicht manipulativ geschieht. Das Evangelium entmündigt nicht, sondern konstituiert allererst subjektive<br />
Mündigkeit.<br />
5.3 Ein dritter Standard kirchlicher Bildungsarbeit heißt: Die Lernenden machen im Lernprozess<br />
eigene Entdeckungen und gelangen letztlich zu einem selbst bestimmten Umgang mit ihrer Lebenswirklichkeit.<br />
Die „Reise ins Land des Glaubens“, zu der missionarische Bildungsarbeit einlädt, ist eine Entdeckungsreise.<br />
Dabei weist die „Reiseleitung“ auf Entdeckungswürdiges hin und eröffnet zugleich Räume für<br />
eigene subjektive Entdeckungen. Entscheidend ist, dass die KursteilnehmerInnen die Relevanz der<br />
verhandelten Themen für ihr Leben spüren. Erst das motiviert zu eigenen Expeditionen im Land des<br />
Glaubens. <strong>Glaubenskurse</strong> sind weder informative Bibelkurse noch auf „Laien“ abgestimmte Dogmatikkurse,<br />
sondern sie schaffen ein Begegnungsforum zwischen dem Evangelium und der Alltagsrealität der<br />
Kursbesucher.
8<br />
Inhaltlich bedeutet dieser Ansatz für missionarische Bildung: Glaubens- und Lebensthemen werden<br />
ständig miteinander verschränkt und aufeinander bezogen. Die Teilnehmenden bringen ihre Lebenswirklichkeit<br />
in den Gruppenprozess ein und lernen sie unter neuen Perspektiven zu betrachten. Viele<br />
biblische Texte eignen sich hervorragend für den Transfer zwischen Evangelium und Lebenswirklichkeit,<br />
weil sie eine Kontextualisierung im Alltag der Teilnehmenden ermöglichen. Methodisch bedeutet<br />
das: Neben Impuls-Referaten gibt es Kleingruppenprozesse - partizipatorische Spielräume, die der eigenen<br />
Auseinandersetzung mit den verhandelten Themen dienen. Eigene Entdeckungen brauchen Zeit<br />
und Raum - und das Gespräch mit anderen, die auch auf Entdeckungsreise sind.<br />
Dabei führt das Hauptmedium der Kommunikation, nämlich die Sprache, missionarische Bildungsarbeit<br />
immer wieder auch an ihre Grenze. Angesichts der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft in sehr<br />
unterschiedliche Milieus bricht die Frage auf: Wie kann das Evangelium zu Menschen aus bildungsfernen<br />
Milieus durchdringen, deren Hauptzugang zur Wirklichkeit nicht die Reflexion und deren Hauptkommunikationsmittel<br />
nicht die Sprache ist? Wie kann<br />
5.4 Ein vierter Standard kirchlicher Bildungsarbeit lautet: Teilnehmende an Bildungsprozessen behalten<br />
die Freiheit, auch zu anderen Schlüssen, Ergebnissen und Überzeugungen zu kommen,<br />
<strong>als</strong> sie von den Lehrenden vertreten werden.<br />
An der Gewährleistung dieses Standards entscheidet sich nach meinem Verständnis die Seriosität missionarischer<br />
Bildungsarbeit. Gott befreit zur Antwort des Glaubens. Aber er gibt auch frei, wo diese<br />
Antwort ausbleibt. Gottes Liebe wirbt. Und sie leidet, wo ihre Werbung nicht erwidert wird. Aber sie<br />
zwingt nicht. Darum ist mit großer Wachsamkeit darauf zu achten, dass <strong>missionarisches</strong> Bildungsbemühen<br />
keinen auch noch so subtilen Druck ausübt. Jeder missionarische Druck konterkariert das Anliegen<br />
des Evangeliums. Wer an missionarischer Bildungsarbeit partizipiert, muss ohne Gesichtsverlust<br />
und ohne das Gefühl, das angestrebte Lernziel nicht erreicht zu haben, das Angebot des Evangeliums<br />
abweisen können.<br />
Die Eröffnung der Freiheit, „auch zu anderen Schlüssen, Ergebnissen und Überzeugungen zu kommen,<br />
<strong>als</strong> sie von den Lehrenden vertreten werden“, ist nur überzeugend, wenn sie sich im Gesamtklima, in<br />
der Begegnungs- und Gesprächskultur, in den Denkfiguren und in der Sprachgestalt missionarischer<br />
Bildungsarbeit abbildet. Wo in einem Glaubenskurs die liturgische Inszenierung einer Antwort des Glaubens<br />
angeboten wird, ist sicher zu stellen, dass diesem Angebot gegenüber Nähe und Distanz sowie<br />
die Freiheit zur Enthaltung und <strong>zum</strong> Nein möglich bleiben. Positiv formuliert: Das Vertrauen auf das<br />
„sanfte Wehen“ des Heiligen Geistes befreit davon, mit missionarischem Druck „nachhelfen“ zu wollen.<br />
5.5 Ein fünfter Standard kirchlicher Bildungsarbeit thematisiert die Würde der Lernenden: Lernende<br />
dürfen nicht für (kirchliche) Zwecke instrumentalisiert werden. Ihre Würde wird gewahrt, wo sie<br />
in ihrer konkreten Lebenswirklichkeit wahrgenommen werden – nicht nur im Blick auf Defizite,<br />
sondern auch auf besondere Begabungen und Fähigkeiten.<br />
5.5.1 Es gehört zu den fundamentalen Verwundungen, die Menschen durch unsere Gesellschaft zugefügt<br />
bekommen, dass sie häufig nur in bestimmten Verwertungszusammenhängen, nur verzweckt,<br />
nur in ihrer Funktion, nicht aber <strong>als</strong> ganze Person wahrgenommen und gewollt werden. Ob <strong>als</strong> Kunde,<br />
Konsument oder Produktionsfaktor – zu oft wird der Mensch instrumentalisiert und so seiner Würde <strong>als</strong><br />
Person beraubt. Seriöse missionarische Bildungsarbeit widersetzt sich solcher Instrumentalisierung<br />
ausdrücklich – auch und gerade einer kirchlichen Instrumentalisierung. Missionarische Bildungsarbeit ist<br />
motiviert durch die Sehnsucht Gottes nach seinen Menschen, deren Würde <strong>als</strong> seine Ebenbilder gerade
9<br />
in der Begegnung mit ihm zur Entfaltung kommt. Diese Sehnsucht, an der Mission partizipiert, schließt<br />
zwar naturgemäß auch Gottes Anliegen ein, dass sein Volk wächst. Aber trotzdem ist missionarische<br />
Bildungsarbeit weder verkappte Mitgliederrekrutierung einer durch demographische Ausdünnung bedrohten<br />
Kirche noch die Gott unter die Arme greifende Aufbesserung seiner himmlischen Statistik.<br />
5.5.2 Theologisch ist die im Bildungsgeschehen zu wahrende Würde des Menschen in seiner Gottesebendbildlichkeit<br />
begründet. Sie verliert der Mensch auch unter den Bedingungen eines sündhaft entfremdeten<br />
Lebens nicht, da sie in Gottes Beziehung zu ihm wurzelt. Das Evangelium stellt den Menschen<br />
zudem trotz seiner Defizite ins Licht der Verheißungen Gottes. Als Sünder ist er zugleich designierter<br />
Sohn und designierte Tochter Gottes. Missionarische Bildungsarbeit transportiert deshalb ein<br />
verheißungsorientiertes Menschenbild, in dem vom Menschen größer gedacht wird, <strong>als</strong> er von sich selber<br />
denkt. <strong>Glaubenskurse</strong> machen Menschen die Würde ihrer Erwählung <strong>zum</strong> Bundespartner Gottes<br />
lieb und sprechen ihnen diese Würde zu. Erst in diesem Licht wird der sündhafte Schatten der Entfremdung<br />
von Gott wirklich erkennbar.<br />
Mission hat oft an die defizitäre Schattenseite menschlicher Existenz angedockt: an die Frage des<br />
Leids, der Schuld und des Todes. Ich denke: die zentrale Pointe des Evangeliums, nämlich dass Gott<br />
sich den Verlorenen zuwendet, muss (nicht sachlich, aber) hermeneutisch noch einmal auf den Prüfstand<br />
– und zwar hinsichtlich derer, die sich gar nicht verloren fühlen und ohne Gott ganz gut klar kommen.<br />
Im Bild eines Gleichnisses Jesu: Dem verlorenen Groschen ist es egal, wo er liegt – ob unter dem<br />
Sofa oder im Geldbeutel. Der Groschen hat kein Problem, sondern die Frau, die ihn sucht. Wie begegnen<br />
wir Menschen, die sich ihrer Gottesbedürftigkeit nicht bewusst sind und denen ihre Angewiesenheit<br />
auf Gottes rettendes Handeln nicht vorgängig plausibel gemacht werden kann? Wie helfen wir ihnen, zu<br />
entdecken: Gott meint mich auch mit meinen Stärken, meinen Gaben und Fähigkeiten – und nicht nur<br />
mit meinen Defiziten, meiner Armut und Bedürftigkeit?<br />
5.6 Ein sechster Standard kirchlicher Bildung lautet: Bildung dient nie nur der privaten Selbstfindung,<br />
sondern schließt immer auch ein soziales Lernen ein, in dem sich die Lernenden <strong>als</strong> Teil<br />
der Welt und damit <strong>als</strong> auf ihre Mitwelt bezogen wahrnehmen.<br />
Missionarische Bildungsarbeit macht sich diese ganzheitliche Sicht des Menschen und seiner sozialen<br />
Vernetzung zu eigen. Denn die im Glauben aktualisierte Beziehung des Menschen zu Gott hat unmittelbare<br />
Auswirkungen auf sein Verhältnis zu anderen und auf seine Weltbeziehung. Sie führt notwendig in<br />
die Gemeinschaft der Glaubenden und erfährt ihre Aktualisierung und Bewährung im gesellschaftlichen<br />
Alltag. Lernen auf dem Weg des Glaubens meint immer auch ein soziales Lernen, das den Lernort der<br />
christlichen Gemeinde <strong>als</strong> Ort sozialer, gemeinschaftlicher Glaubenserfahrung und Lebensdeutung mit<br />
einschließt. Christlicher Glaube ist immer persönlich – aber nie privat. Darum geht es in einer missionarischen<br />
Bildungsarbeit zwar auch um persönliche Frömmigkeit – aber zugleich um ihre Ent-Privatisierung.<br />
<strong>Glaubenskurse</strong> und deren Folgeangebote entfalten Dimensionen einer weltbezogenen Nachfolge,<br />
die aus dem engen „Schneckenhaus privater Frömmigkeit“ 24 in die Weite der Teilhabe an Gottes<br />
Leidenschaft für seine Welt führt.<br />
Fazit: Die <strong>Glaubenskurse</strong>, die von der missionarischen Bildungsinitiative von EKD und AMD gefördert<br />
werden, genügen sowohl in theologischer <strong>als</strong> auch in pädagogischer Hinsicht den Anforderungen, die<br />
heute zu Recht an Bildungsprozesse gestellt werden. Diese Form missionarischer Bildungsarbeit entspricht<br />
den Standards kirchlicher Bildung – und stellt dort, wo sie diese Standards theologisch vertieft<br />
und modifiziert, unverzichtbare Fragen an die bisherige Praxis kirchlicher Erwachsenenbildung. <strong>Glaubenskurse</strong>,<br />
die zu den „wesentlichen Wachstumsimpulsen“ 25 unserer Kirche zählen, sind ein gutes Beispiel<br />
dafür, dass sich eine bildungsoffene Mission und eine missionsoffene Bildung in kreativer Weise<br />
miteinander verbinden lassen.
10<br />
1 Rudolf Weth, Vorklärungen <strong>zum</strong> EKD/AMD-Projekt einer missionarischen Bildungsinitiative „Erwachsen<br />
glauben“, insbesondere zu den theologischen Grundlagen eines missionarischen Bildungsbegriffs; bisher unveröffentlichter<br />
Text vom 11.11.09, 5<br />
2 Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates<br />
der EKD, 2066, 77 bzw. 79<br />
3 So Michael Nüchtern: Nur „begrenzt missionarisch“? Zum Verhältnis von kirchlicher Erwachsenenbildung und<br />
missionarischem Handeln, in: Hartmut Rupp und Christoph Th. Scheilke (Hg), a.a.O, 101f<br />
4 vgl. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 1967, 220<br />
5 Wilfried Härle: Bildung auf dem Grund der Taufe, in: Hartmut Rupp und Christoph Th. Scheilke (Hg), Bildung<br />
und Gemeindeentwicklung. Jahrbuch für kirchliche Bildungsarbeit 2007, Stuttgart 2007, 38<br />
6 Wilfried Härle, a.a.O., 36<br />
7 Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh<br />
1988, 295<br />
8 vgl. Lukas 24, 31ff<br />
9 Beate Hofmann, Erwachsen glauben; in: Erwachsen glauben. Missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e <strong>als</strong> Kernaufgabe<br />
der Gemeinde. Dokumentation eines Hearings der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen<br />
Werk der EKD am 3. Juni in Hannover, epd-Dokumentation Nr. 31, 22<br />
10 Römer 10, 17<br />
11 Jens Martin Sautter, Spiritualität lernen. <strong>Glaubenskurse</strong> <strong>als</strong> Einführung in die Gestalt des christlichen Glaubens,<br />
Neukirchen-Vluyn 2005, 41<br />
12 a.a.O., 22<br />
13 vgl. Burghard Krause, Reise ins Land des Glaubens. Christ werden – Christ bleiben, Neukirchen-Vluyn, 4.<br />
Aufl. 2008<br />
14 vgl. John Finney: Finding Faith Today. How does it happen? Stonehill Green, Westlea, Swindon 1992<br />
15 vgl. Fulbert Steffensky, Dem Glauben eine Gestalt geben; in: ders., Wo der Glaube wohnen kann, Stuttgart<br />
1989, S. 40ff<br />
16 a.a.O., 47<br />
17 vgl. Bernhard Dressler, Darstellung und Mitteilung. Religionsdidaktik nach dem Traditionsabbruch; in:<br />
Schauplatz Religion. Grundzüge einer performativen Religionspädagogik, hg. v. Silke Leonhard u.a., Leipzig<br />
2003, 152- 165<br />
18 vgl. Jens Martin Sautter, Spiritualität lernen, 39ff; ders. „erwachsen glauben“ – Missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e<br />
<strong>als</strong> Kernaufgabe der Gemeinde; in: Erwachsen glauben, 8ff<br />
19 Michael Herbst ist der Meinung, Mission sei „zwar nicht ergebnisoffen, aber doch bei aller Intentionalität<br />
ergebnisunsicher“; vgl. Michael Herbst, Bildsame Mission – Missionarische Bildung; in: Zeitumstände: Bildung<br />
und Mission. Festschrift für Jörg Ohlemacher <strong>zum</strong> 65. Geburtstag, hg. v. M. Herbst u.a., Greifswalder theologische<br />
Forschungen, Frankfurt a. M. 2009, 169.Demgegenüber plädiere ich dafür, terminologisch an der Ergebnisoffenheit<br />
missionarischer Bildung festzuhalten.<br />
Michael Herbst, Bildsame Mission – Missionarische Bildung; in: Zeitumstände: Bildung und Mission. Festschrift<br />
für Jörg Ohlemacher <strong>zum</strong> 65. Geburtstag, hg. v. M. Herbst u.a., Greifswalder theologische Forschungen,<br />
Frankfurt a. M. 2009, 169<br />
20 vgl. 2. Korinther 5,20<br />
21 Hartmut Rupp, Bildungsarbeit in Konzepten der Gemeindeentwicklung; in: Bildung und Gemeindeentwicklung<br />
a.a.O., 78<br />
22 Johannes Zimmermann, Missionarische Bildung? Überlegungen <strong>zum</strong> Verhältnis von Bildung und Mission<br />
(unveröffentlichtes Manuskript, 2009)<br />
23 Michael Herbst, Bildsame Mission – Missionarische Bildung?, a.a. O., 173<br />
24 Burghard Krause, Auszug aus dem Schneckenhaus. Praxis-Impulse für eine verheißungsorientierte Gemeindeentwicklung,<br />
Neukirchen-Vluyn, 2. Aufl. 1998, 9<br />
25 Erhard Berneburg, in: Erwachsen glauben. Missionarische <strong>Bildungsangebot</strong>e <strong>als</strong> Kernaufgabe der Gemeinde,<br />
epd-Dokumentation 31/2008, 4; vgl. auch Wilfried Härle u.a., Wachsen gegen den Trend. Analysen von Gemeinden,<br />
mit denen es aufwärts geht, Leipzig 2008. Von den 32 wachsenden Gemeinden, die Wilfried Härle in<br />
seinem Buch „Wachsen gegen den Trend“ analysiert, arbeiten 20 mit einem Glaubenskurs.