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Sicherheit im Motorradhandel Abbildung 38: Latentes Versagen und Unfallentstehung (Käppler et al 2008) Reason (ebda) hatte sich mit solch menschlichen Beiträgen am Zusammenbruch technischer Systeme beschäftigt und unterscheidet 5 Bedingungsebenen der Unfallentstehung: Drei latente und zwei aktive Versagenskategorien, siehe Abbildung 38. Demnach führen fehlerhafte Strategieentscheidungen, Managementfehler und psychologische Bedingungen zu sogenanntem latentem Versagen. Daraus kann unsicheres Handeln folgen. Dessen latentes Risiko führt dann zum Unfall, wenn unzureichende präventive Barrieren entsprechende Fenster haben. Darauf bauten Frieling & Sonntag (1999) auf und forderten ein Arbeitssystem, "in dem Fehler als Erkenntnisquelle und nicht als personelles Problem angesehen werden". Fehler seien Folgen ergonomischer und organisatorischer Fehlgestaltungen des Arbeitssystems sowie fehlender personeller Leistungsvoraussetzungen. Demzufolge liegt im gängigen Umfeld technischer, organisatorischer und personaler Bedingungen zum Beispiel der Arbeitsorganisation eine hinreichende Kombination latenter Fehlerursachen vor. Sie haben unter bestimmten Bedingungen unsichere Handlungen und aktives Versagen mit konkreten Fehlern zur Folge. Sie verursachen dann Unfälle, wenn unzureichende Barrieren entsprechende Risiken nicht verhindern oder minimieren. Latentes Versagen lässt sich durch Maßnahmen auf der Strategie- und der Managementebene minimieren oder verhindern. Solche Barrieren sind humane Arbeitssystemgestaltung, ergonomische Arbeitsbedingungen, effiziente und lernförderliche Organisationsstrukturen (Frieling & Jamal 2001). Das Sicherheitsmanagementsystem ARIADNE Zentrale Grundlage des Sicherheitsmanagementsystems sind systematische und konsistente Taxonomien von Fehlern und Ursachen. Es empfahlen sich Analyse und Vergleich in Frage kommender verfügbarer Klassifizierungssysteme, die mit Fehlern arbeiten. Solche Verfahren werden vor allem in der Luftfahrt verwendet. Hier eine kurze Zusammenfassung: • PANDORA: Die Mehrheit der nutzbaren Begriffe kategorisiert technische Flugzeugsysteme oder Komponenten. Nur 12 der Begriffe beziehen sich auf Fehler, die 78 anderen gelten der Hardware. Fünf davon beschreiben Reaktionen auf ein technisches Problem und zwei einen vermutlich voraus gegangenen Handlungsfehler ("unangemessene Ansteuerung"). Die anderen gelten z.B. "Triebwerksfehlern". Hilfreich erscheint die Klassifizierung technischer Defekte durch total, teilweise, intermittierend, Strukturschaden usw. Diese Begriffe können auf fast alle technischen Systeme angewendet werden und erleichtern Adaptationen des SMS. PANDORA erfüllt allerdings nicht die Anforderungen an systematische Klassifizierung von Fehlern in Systemen, in denen Menschen entscheidende Rollen spielen. Auch ist Ziel des vorliegenden Managementsystems nicht die Analysetiefe PANDORAs zu technischen Problemen. • BRITISH CIVIL AVIATION AUTHORITY CAA: Die CAA (1998) veröffentlicht einen jährlichen Bericht über weltweit tödliche Unfälle in der zivilen Luftfahrt. Die zu Grunde liegende Kategorisierung gleicht denen vieler anderer ziviler und militärischer Luftfahrtbehörden, wie beispielsweise dem System FluSi DB II der deutschen Luftwaffe. Sie unterscheidet zwischen Folgen (z.B. kontrollierter Flug ins Gelände), kausalen Faktoren (zB Desorientierung) und Beitragenden Faktoren (z.B. fehlerhafte Sicherheitsausrüstung), Fehler sind hier kausale Faktoren. Die Kategorien sind breit und unscharf und fassen unterschiedliche Faktoren in einer Kategorie zusammen. So sind nur allgemeine Rückschlüsse auf Präventionsmaßnahmen möglich. Statistische Datenanalysen können nicht vorgenommen werden, da die Informationen in Textform abgelegt werden. Diese Systeme dienen der Dokumentation und Archivierung von Einzelfällen. Inkonsistente Klassifizierungssysteme sind für Analysen und Vorhersagen unbrauchbar. • BRITISH AIRWAYS SAFETY INFORMATION SYSTEM: Das Hauptmerkmal dieses Berichtssystems für Gefährdungen sind die Kausalketten zwischen Fehlern und Defekten einerseits sowie vorausgegangene Faktoren andererseits. Hier wurde Reasons Idee der "Psychologischen Vorläufer" aus Abbildung 38 aufgegriffen, sicherlich eine gute Idee. • AGARD: Eine AGARD Expertengruppe (NATO AGARD, 1998) hat auf der Basis der Arbeiten von Reason (1990) und Rasmussen (1983) eine Kategorisierung für Human Factors und flugmedizinische Daten vorgeschlagen. Die vorgeschlagenen Klassen orientieren sich an verantwortlichen Behörden. Deren Identifikation ist eine wichtige Aufgabe in militärischen Bereichen, aber doch weniger anspruchsvoll als die Erarbeitung einer grundlegenden, trennscharfen Kategorisierung für Fehler und Ursachen und die darunter liegenden Mechanismen, die Unfälle zur Folge haben. • ROYAL AIR FORCE FLIGHT SAFETY RAFFS: Chappelow (1998) hat für die britische Luftwaffe eine moderne Kategorisierung von Fehlern, Unfällen und Fehlerursachen entwickelt. Sie umgeht wesentliche Nachteile der beschriebenen Verfahren und legt ihr Hauptaugenmerk erstmals auf psychologische, organisatorische und ergonomische Faktoren. Sie legt statistisch zu verarbeitende Schlüsseltabellen zugrunde. Alleinstellungsmerkmal dieses Ansatzes ist die darauf basierende umfassende Daten-und Risikoanalyse auch für Fehler und Fehlerursachen, die hierzu einem Schätzverfahren durch Unfalluntersucher unterzogen werden. Wenig bedienerfreundlich ist die Trennung zwischen menschlichen Fehlern und technischen Defekten. • NATO RSG 25: Die hochkarätig besetzte, internationale Arbeitsgruppe Accident Investigation and Prevention in Military Crew Operations (Chappelow, Janssen, Käppler et al unveröffentlicht) entwickelte diese Idee zu einem systematischen Gesamtansatz weiter und ergänzte die RAFFS Klassifizierung um Risikosimulationen und – Vorhersagen für unterschiedliche Präventionsszenarien. Dieses System wurde in Unfalluntersuchungen praktisch erprobt und ins Deutsche übersetzt. Andere Verfahren sind bekannt, aber nicht publiziert. Allen gemein sind weitgehend inkonsistente Fehler- und Ursachenklassifikationen und fehlende Fehler- und Ursachenanalysetools oder Risikomodelle. Dies betrifft beispielsweise FLUSI DBII der deutschen Luftwaffe, SERA der DRDC für die kanadische Air Force oder AFSID für die Israelische Air Force. Dennoch verfügen sie über benutzungsfreundliche Oberflächen und anwendungsorientierten Workflow. Das Gesagte gilt auch für die verbreiteten Systeme Global Event Management GEMS und das Modul Arbeitsunfallerfassung und -Analyse der Unternehmenssoftware SAP. Vor diesem Hintergrund und mit Erfahrungen aus über 2000 Unfalluntersuchungen bei unterschiedlichen Arbeitstätigkeiten einschließlich Flug- und Straßenverkehr wurde eine eigene Taxonomie von Fehlern und Ursachen entwickelt und empirisch untersucht. Sie orientiert sich an den von der NATO RSG 25 und Chappelow (1998) entwickelten Taxonomien und Risikomodellen. Dessen Dualität von Fehlern und technischen Defekten wurde jedoch analog zu Dekker (2005) verworfen. Er plädiert ebenfalls für gesamthafte systemische Ansätze, die organisatorische, technische und personale Faktoren integrieren und verknüpfen. Eigene Analysen bestätigten diese Sicht anhand der zitierten Fehlerketten. Sie zeigten, dass beispielsweise technische Defekte auf vorausgegangene Fehler, z.B. bei Beschaffung, Konstruktion, Verwendung, Wartung oder Herstellung, zurückgeführt werden konnten. Im Sinne eines gesamthaften Sicherheitsmanagementsystems wurden weitere Ideen der betrachteten Systeme integriert, vor allem moderne Bedienungsfreundlichkeit, Workflow, Internetverfügbarkeit aller Module, auch der Analyse, der Risikosimulation, des Zentralarchivs, der Berichtssysteme und des Qualitätsmanagements. Neu ist das Kostenmodell mit Personenschäden, Sachschäden und Untersuchungskosten, siehe Abbildung 39. Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution www.bghw.de Seite 24 / 32

Sicherheit im Motorradhandel Abbildung 39: Struktur des Kostenmodells (Käppler et al 2008) Es sagt Unfallfolgekosten als Kriterium durch die Parameter Deskriptoren, Fehler und Ursachen voraus. Die Risikomodelle von Chappelow wurden überarbeitet und erweitert. Detaillierte Beschreibungen der mathematischen Modelle und Verfahren finden sich in Chappelow (1996), Käppler (2004; 2006; 2007) sowie Käppler & Dalinger (2005). ARIADNE verknüpft all diese Einzelelemente zu einem Sicherheitsmanagementsystem. Das vereinfachte Drei-Ebenen-Modell der Unfallentstehung zeigt Abbildung 40 (Käppler 2004). Abbildung 40: Schematisches Drei-Ebenen-Modell der Unfallentstehung (Käppler et al 2008) Dessen Taxonomie ist Kern des Systems und beschreibt aktuell ca. 150 Fehlerursachen in den acht Oberkategorien in Abbildung 41. Abbildung 41: Fehlerursachenkategorien (Käppler et al 2008) • Fehlerursachen Arbeitsorganisation bezeichnen Mängel der zielgerichteten Ordnung, Regelung und Eingliederung von Aufgaben und Tätigkeiten in Sozialgebilden, z.B. bei Gesetzen, Regeln oder Arbeitsmitteln • Fehlerursachen Kommunikation bezeichnen Mängel von verbalen und nonverbalen Prozessen der Informationsübertragung • Fehlerursachen Personal und Qualifikation bezeichnen Mängel der Personalselektion, –zuordnung und –qualifikation Kenntnisse und Fähigkeiten betreffend, die zur Ausübung einer Tätigkeit befähigen • Fehlerursachen Qualitätsmanagement bezeichnen Mängel der laufenden Überprüfung von Güte und Beschaffenheit der Arbeitsergebnisse, z.B. bei Normen, Anweisungen, Handbüchern • Fehlerursachen Einstellung bezeichnen Beeinträchtigungen arbeitender Personen durch die Neigung oder Prädisposition, Subjekte und Objekte in einer bestimmten Weise konsistent zu bewerten, z.B. infolge Geltungsbedürfnis • Fehlerursachen Physiologie bezeichnen Beeinträchtigungen arbeitender Personen durch Lebensvorgänge wie Wachstum, Krankheit • Fehlerursachen Verhalten beschreiben beobachtbare Beeinträchtigungen des Handelns und Entscheidens arbeitender Personen, verursacht durch mehr oder weniger bewusste Prozesse des Erlebens • Fehlerursachen Umweltbedingungen bezeichnen anhand von physikalischen Daten beschreibbare Eigenschaften der Umwelt, die Risiken erhöhen. Die Gruppierung von 35 beobachteten Fehlerarten in drei Kategorien zeigt Abbildung 42. Abbildung 42: Fehlerkategorien (Käppler et al 2008) • Wahrnehmungsfehler bezeichnen Mängel der Fähigkeit, aus sensorischen Informationen ein umfassendes und adäquates Abbild von Eigenschaften der physikalischen und sozialen Umwelt abzuleiten • Kognitionsfehler bezeichnen die Formulierung von Plänen, die auf korrekter Wahrnehmung relevanter Informationen beruhen, den Erfordernissen von Aufgabe und Situation aber nicht gerecht werden • Handlungsfehler bezeichnen die fehlerhafte Ausführung eines korrekten Handlungsplanes, beispielsweise die Verwechslung von Handlungsabfolgen oder das Abgleiten in ähnliche, aber gewohnte Routinen. Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution www.bghw.de Seite 25 / 32

Sicherheit im Motorradhandel<br />

Abbildung 39: Struktur des Kostenmodells (Käppler et al 2008)<br />

Es sagt Unfallfolgekosten als Kriterium durch die Parameter Deskriptoren, Fehler <strong>und</strong> Ursachen voraus. Die Risikomodelle von Chappelow wurden überarbeitet <strong>und</strong> erweitert.<br />

Detaillierte Beschreibungen der mathematischen Modelle <strong>und</strong> Verfahren finden sich in Chappelow (1996), Käppler (2004; 2006; 2007) sowie Käppler & Dalinger (2005).<br />

ARIADNE verknüpft all diese Einzelelemente zu einem Sicherheitsmanagementsystem. Das vereinfachte Drei-Ebenen-Modell der Unfallentstehung zeigt Abbildung 40 (Käppler<br />

2004).<br />

Abbildung 40: Schematisches Drei-Ebenen-Modell der Unfallentstehung (Käppler et al 2008)<br />

Dessen Taxonomie ist Kern des Systems <strong>und</strong> beschreibt aktuell ca. 150 Fehlerursachen in den acht Oberkategorien in Abbildung 41.<br />

Abbildung 41: Fehlerursachenkategorien (Käppler et al 2008)<br />

• Fehlerursachen Arbeitsorganisation bezeichnen Mängel der zielgerichteten Ordnung, Regelung <strong>und</strong> Eingliederung von Aufgaben <strong>und</strong> Tätigkeiten in Sozialgebilden, z.B.<br />

bei Gesetzen, Regeln oder Arbeitsmitteln<br />

• Fehlerursachen Kommunikation bezeichnen Mängel von verbalen <strong>und</strong> nonverbalen Prozessen der Informationsübertragung<br />

• Fehlerursachen Personal <strong>und</strong> Qualifikation bezeichnen Mängel der Personalselektion, –zuordnung <strong>und</strong> –qualifikation Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten betreffend, die zur<br />

Ausübung einer Tätigkeit befähigen<br />

• Fehlerursachen Qualitätsmanagement bezeichnen Mängel der laufenden Überprüfung von Güte <strong>und</strong> Beschaffenheit der Arbeitsergebnisse, z.B. bei Normen,<br />

Anweisungen, Handbüchern<br />

• Fehlerursachen Einstellung bezeichnen Beeinträchtigungen arbeitender Personen durch die Neigung oder Prädisposition, Subjekte <strong>und</strong> Objekte in einer bestimmten<br />

Weise konsistent zu bewerten, z.B. infolge Geltungsbedürfnis<br />

• Fehlerursachen Physiologie bezeichnen Beeinträchtigungen arbeitender Personen durch Lebensvorgänge wie Wachstum, Krankheit<br />

• Fehlerursachen Verhalten beschreiben beobachtbare Beeinträchtigungen des <strong>Handel</strong>ns <strong>und</strong> Entscheidens arbeitender Personen, verursacht durch mehr oder weniger<br />

bewusste Prozesse des Erlebens<br />

• Fehlerursachen Umweltbedingungen bezeichnen anhand von physikalischen Daten beschreibbare Eigenschaften der Umwelt, die Risiken erhöhen.<br />

Die Gruppierung von 35 beobachteten Fehlerarten in drei Kategorien zeigt Abbildung 42.<br />

Abbildung 42: Fehlerkategorien (Käppler et al 2008)<br />

• Wahrnehmungsfehler bezeichnen Mängel der Fähigkeit, aus sensorischen Informationen ein umfassendes <strong>und</strong> adäquates Abbild von Eigenschaften der physikalischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Umwelt abzuleiten<br />

• Kognitionsfehler bezeichnen die Formulierung von Plänen, die auf korrekter Wahrnehmung relevanter Informationen beruhen, den Erfordernissen von Aufgabe <strong>und</strong><br />

Situation aber nicht gerecht werden<br />

• Handlungsfehler bezeichnen die fehlerhafte Ausführung eines korrekten Handlungsplanes, beispielsweise die Verwechslung von Handlungsabfolgen oder das<br />

Abgleiten in ähnliche, aber gewohnte Routinen.<br />

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