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langfristig sicher zu stellen. Sicherheit im Motorradhandel 5. Ausblick Wirksamkeitsstudie Signaljacke Die vorliegenden Studien stellen Module eines abgestimmten Präventionskonzeptes dar und zeigen, dass eine gut begründete und strukturierte, langfristig angelegte Präventionsmaßnahme auch in einem problematischen Umfeld eingeführt werden kann und akzeptiert wird. Ausgehend von detaillierten Unfallanalysen wurden die Problemfelder identifiziert, die wesentlich in der mangelnden Wahrnehmung motorisierter Zweiradfahrer durch andere Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr liegen. Autofahrer übersehen Motorräder aufgrund der vergleichsweise kleinen und gebrochenen Silhouette und schätzen deren Geschwindigkeiten falsch ein. Zudem sind Zweiradfahrer oft zu schnell unterwegs. Sie werden von Autofahrern beim Linksabbiegen auf einer Hauptstraße oder beim Einbiegen in diese von einer Nebenstraße angefahren und kommen zu Schaden. Untersuchungen und Vergleich unterschiedlicher Präventionsaßnahmen zeigten, dass das Tragen einer Signaljacke die Auffälligkeit entscheidend erhöht und signaler Farbgebung von Motorrädern oder alternativen Tagfahrlichtkonzepten überlegen ist. Zudem ist die Maßnahme kostengünstig und technisch unaufwendig: Die Signaljacke macht auffällig und erhöht die Sicherheit insgesamt, Gefahrensituationen treten mit ihr seltener auf, ein sehr gutes Ergebnis. Natürlich muss der Erfolg mittel- und langfristig sichergestellt und gegebenenfalls von – hinsichtlich signalfarbener Bekleidung – modifizierten Sicherheitstrainings begleitet werden. Der endgültige Nachweis der Wirksamkeit der Signaljacke steht aus. Dazu müssen die Analysen von Unfällen nach Einführung der Signaljacke und ihrer Wirkung über einen Zeitraum ca. 2010 unter vergleichbaren Bedingungen wiederholt werden. Unfallhäufigkeiten, Folgeschäden und Verletzungsschweren und Kosten werden vorher/nachher, dh. 2002 und 2010, erhoben und verglichen. Anhand dieser Ergebnisse wird die Wirksamkeit der Maßnahme endgültig festgestellt. 6. Anhang: Sicherheitsmanagement System ARIADNE Sicherheit, beispielsweise der Arbeit oder im Verkehr, ist zentrales Anliegen von Gesellschaften. Dennoch verursachen auch Arbeitstätigkeiten Unfälle und Schäden. Aus ökonomischen und haftungsrechtlichen Gründen oder aus humanistischer Sicht ist dies nicht hinnehmbar, denn laut Brockhaus (2007) ist ein Unfall "ein unbeabsichtigtes, plötzlich auftretendes, auf äußerer Einwirkung wie zum Beispiel Stoß, Fall etc., beruhendes Ereignis, durch das Schädigungen von Gesundheit und Leben oder Sachen hervorgerufen werden. Die wichtigsten Unfallbereiche sind Straßenverkehr, Beruf sowie Freizeit und Haushalt". Brockhaus erklärt nicht, warum überhaupt Unfälle geschehen oder warum es Gefährdungen gibt. Ein Blick in Statistiken zeigt z.B. falsches Verhalten der Fahrer in zwei Dritteln aller Unfälle als Ursache (Käppler et al 2008). "Menschliches Versagen heißt es auch heute noch in Abschlussberichten nach einem bekannt gewordenen Störfall. Die öffentliche Meinung ist dann beruhigt - da konnte man also nichts machen. Die Fachwelt weiß, dass das heute bei hochentwickelter Technik nicht die letzte Antwort sein kann, sondern eher das Eingeständnis kläglichen Versagens der eigentlich Verantwortlichen ist" (Kamiske 1999). So steht beispielsweise im Straßenverkehr die Klärung von Haftungsfragen im Mittelpunkt: Wer ist Schuld am Unfall? Wer muss für den Schaden aufkommen? Als Antwort auf diese Fragen wird Versagen beispielsweise in Form von Alkoholgenuss oder überhöhter Geschwindigkeit verfolgt und geahndet. Nahezu unbeachtet bleiben aber die Prozesse und Faktoren, die überhaupt erst zum Versagen oder überhöhter Geschwindigkeit führten. Dazu ein einfaches Beispiel in Abbildung 35. Schnelles Fahren im Bild führt termingerecht und unfallfrei zum Zielort, wenn die Rahmenbedingungen beachtet werden. Schlimmstenfalls entsteht durch überhöhte Geschwindigkeit ein höheres Risiko. Den Unfall in der Abbildung unten jedoch darauf zurückzuführen, verdeckt die Unfallursachen. Abbildung 35: Unfall (Käppler et al 2008) Vielmehr führt bei genauer Überlegung die Handlung Abkommen von der Fahrbahn zum Crash mit dem Baum, überhöhte Geschwindigkeit und Alleebäume verschärfen die Folgen und Risiken latent. So lautet die Frage nun also: Warum wurden diese Fehler begangen? Das einfache Beispiel erlaubt nur spekulative Antworten: Möglicherweise haben Ermüdung oder Unaufmerksamkeit zu Wahrnehmungsfehlern geführt und Zeitdruck zu überhöhter Geschwindigkeit. Kontrolle und Überwachung gelten im Beispiel der Ermüdung, Unaufmerksamkeit oder Geschwindigkeit. Modernes Sicherheitsmanagement geht darüber hinaus und schafft durch psychologische Bedingungen und Strategieentscheidungen konkrete Präventionsmaßnahmen, das sind im Beispiel Leitplanken, Einschlafwarnsysteme oder gar die Beseitigung der Bäume. Auch über Handhabung und Abbau von Zeitdruck können latente Risiken und Versagensmöglichkeiten reduziert werden. Hier setzt das Konzept menschliche Fehler (engl. Human Error) an. Bereits vor mehr als 100 Jahren schrieb Sully (1881) "a wide survey of error" zu Illusionen und systematischen Anomalien des Gedächtnisses, Glaubens, Denkens. Danach, 1896, entdeckte Freud (1914) den nach ihm benannten Fehler. Die Vorstellung festigte sich, dass Fehler unterbewussten Mechanismen folgten, aber bereits wenige Jahre später kritisierte Spearman (1928) "psychological writings....with allusions to errors in an incidental way, they hardly ever arrive at considering these profoundly, or even systematically". Rückblickend legt Reason (1990) den Beginn systematisch wissenschaftlicher Beschäftigung mit Human Error in die Achtziger Jahre. Erst im Gefolge schwerer Katastrophen und Gefährdungen wie Three Mile Island 1977, Challenger und Tschernobyl 1986 oder Piper Alpha 1988 sei in der kognitiven Psychologie das theoretische und methodische Rüstzeug entstanden, das heute Klassifizierungen und Analysen menschlicher Fehler als Unfallursachen erlaubt. Internationale Konferenzen, unter anderen organisiert von der NATO, fallen in diese Zeit (Senders & Moray 1991) und liefern entscheidende Beiträge. Erstmals wurden Fehler definiert: "Fehler werden als generischer Begriff verstanden, der Gelegenheiten umschließt, in denen eine geplante Sequenz mentaler oder physikalischer Aktivitäten das gewünschte Ergebnis nicht erzielt und dies weder äußeren Interventionen noch Zufällen zugeschrieben werden kann" (Reason 1991). Es wurde der Frage nachgegangen, was die wissenschaftliche Natur von Fehlern sei, ob sie vorhersagbar seien und ob es systematisch klassifizierbare Fehlerursachen gibt. Ziel aller Bemühungen war und ist Prävention, die Vorhersage und Entschärfung gefahrenträchtiger Situationen. Entsprechende Vorhersagemodelle kognitiver Steuer- und Regelungsprozesse müssen beispielsweise unterscheiden, welche Leistungen erwünscht und welche Fehler zu vermeiden sind. Diese Unterscheidung bezieht sich auf große Bandbreiten möglicher Leistungen und Fehler und ist nicht trivial. Ernst Mach (1905) hat das gut getroffen: "Wissen und Fehler entspringen denselben mentalen Ressourcen, nur der Erfolg trennt das eine vom anderen". So wurde die Frage, warum selbst erfahrene Operateure wichtige Informationen übersehen, falsche Entscheidungen treffen oder unangemessen reagieren von Reason (1990) und Senders & Moray (1991) wissenschaftlich beantwortet. Sie konzentrierten ihre Arbeiten auf die systematische Kategorisierung von Fehlern. Ihre Modelle fassen Fehler als unerwartetes Verhalten und Produkte eines umfassenden Wirkungsnetzwerks unterschiedlicher Risikobedingungen auf. Sie unterschieden und benannten eine begrenzte Anzahl unterschiedlicher variabler und konstanter Fehler. Im deutschen Sprachgebrauch haben sich diese Unterscheidungen bislang nicht durchgesetzt, ein Hinweis auf unterschiedliche Fehlerkulturen in unterschiedlichen sozialen Systemen. Im vorliegenden wird zusammenfassend von Fehlern gesprochen. Reason (ebda) unterschied zwischen Intention, Handlung und Handlungsfolgen und stellte fest, dass Intention und Fehler untrennbar sind. Er bezog juristische und haftungsrechtliche Bedingungen ein und unterschied zwischen "beabsichtigten Handlungen ohne vorherige Intention", "unfreiwilligen Handlungen" und "beabsichtigten Handlungen und Fehlern". Sein Konzept gilt dem konkreten Handeln oder Entscheiden in der aktuellen Arbeitssituation auch aus rechtlicher Sicht. Rasmussen (1983) schlug eine Fehlertaxonomie vor, die sich an Unterschieden zwischen erwartetem und aktuellem Verhalten orientiert. Allerdings ist Rasmussens Arbeit nicht für alltägliche Arbeitssysteme, sondern die Untersuchung komplexer industrieller Abläufe geeignet. Reasons (1990) Fehlerklassifizierung unterscheidet Verhaltens- und Kontextebenen. Diese Kontextabhängigkeit wurde in der Zwischenzeit vielfach untersucht und nach Hudson (2003) zur Basis modernen Sicherheitsmanagements. Es ist praktische Ausprägung vorherrschender Sicherheitskultur (INSAG 1991). Hudson (ebda) unterscheidet fünf Evolutionsstufen in Abbildung 36: Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution www.bghw.de Seite 22 / 32

Sein Konzept gilt dem konkreten Handeln oder Entscheiden in der aktuellen Arbeitssituation auch aus rechtlicher Sicht. Rasmussen (1983) schlug eine Fehlertaxonomie vor, die sich an Unterschieden zwischen erwartetem und aktuellem Verhalten orientiert. Allerdings ist Rasmussens Arbeit nicht für alltägliche Arbeitssysteme, sondern die Untersuchung komplexer industrieller Abläufe geeignet. Reasons (1990) Fehlerklassifizierung unterscheidet Verhaltens- und Kontextebenen. Diese Kontextabhängigkeit wurde in der Zwischenzeit vielfach untersucht und nach Hudson (2003) zur Basis modernen Sicherheitsmanagements. Es ist praktische Ausprägung vorherrschender Sicherheit im Motorradhandel Sicherheitskultur (INSAG 1991). Hudson (ebda) unterscheidet fünf Evolutionsstufen in Abbildung 36: Abbildung 36: Evolutionsstufen der Sicherheitskultur (Käppler et al 2008) • Negativ: Gründet in der aus heutiger Sicht pathologischen Vorstellung, dass vernünftige Menschen keine Fehler machen, frei nach Palmström: "...weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf" (Morgenstern 1910) • Reaktiv: Erkennt Sicherheit als Problem und agiert nach dem Eintreten von Vorfällen • Kalkulativ: Ist gekennzeichnet von hierarchischer Kommunikation und bürokratischer Verwaltung und Analyse großer Datenmengen. Typische Feststellung: "Da konnte man also nichts machen." • Proaktiv: Involviert die Arbeitsebene und implementiert Präventionsmaßnahmen aufgrund von Risiko- oder Gefährdungsanalysen, ohne dass Schäden aufgetreten sind • Generativ: Versteht Sicherheit als unverzichtbaren Teil des Geschäfts z.B. neben Gewinnmaximierung und lebt von aktiver Teilnahme aller auf den Organisationsebenen Strategie, Management und Arbeit in Abbildung 37 (INSAG 1991). Abbildung 37: Sicherheitskultur und Organisation (Käppler et al 2008) Modernes Sicherheitsmanagement ist proaktiv und befördert generative Sicherheitskultur, siehe Abbildung. Auf der Arbeitsebene wird fragend vorsichtig agiert, auf der Managementebene fallen Entscheidungen in demokratischen Prozessen, neben Qualitätsmanagement und Überwachung unterstützen Anreize Reports eigener Fehler. Auf der Strategieebene setzen Leitbilder Ziele, zu denen beispielsweise die Schonung von Ressourcen gehört. Senders & Moray (ebda) stellten fest, dass ohne Fehlertheorie und Klassifizierung – wie in anderen Bereichen auch – die formale Analyse, Modellierung, Vorhersage und Prävention nicht möglich seien. Ohne Klassifizierung könnten Natur und Ursprünge der Fehler nicht verstanden werden. Dieses Verstehen basiere auf eindeutiger und umfassender Klassifikation der Phänomene, die untersucht werden und der Ziele, die verfolgt werden. Viele weitere, an psychologischen Mechanismen orientierte Klassifikationen von Reason und anderen machen klar, dass die Klassifikationen so unterschiedlich sind wie die Systeme, denen sie gelten. Altman (1966), modifiziert und zitiert nach Senders & Moray (1991) sowie Senders & Moray (ebda), stellen demzufolge eine Meta-Klassifizierung vor, die lediglich die Klassifizierung selbst einordnet. Sie unterscheiden vier Ebenen der Komplexität des Verhaltens mit unterschiedlichen Fehlerarten und Modi für jede Ebene: • Phänomenologisch (wie z.B. Unterlassung) • Hypothetische interne Prozesse (wie z.B. Befangenheit, Überlastung) • Neuro-psychologische Mechanismen (wie z.B. Aufmerksamkeit, Stress) • Externe Prozesse (wie z.B. mangelhafte Ausrüstung). Vorhersage und Prävention werden erschwert, weil zwischen Fehlern und ihren Ursachen kein kausaler, sondern ein probabilistischer Zusammenhang besteht. Senders & Moray schlugen deshalb Kausalketten aus Fehlern dieser vier Ebenen vor, die mit gewissen Wahrscheinlichkeiten zu Unfällen führen. So führt in Abbildung 35 - verkürzt betrachtet - überhöhte Geschwindigkeit zum Unfall, die genaue Analyse zeigt jedoch, dass es Abkommen von der Fahrbahn war. Diese Betrachtungen zeigen, dass zwar Auftreten und Auswirkung von Fehlern vermindert, Fehler aber nicht eliminiert werden können. "Dies sei auch nicht unbedingt wünschenswert, denn Fehler, die nicht mehr auftreten, werden auch nicht mehr erwartet. Wenn sie auftreten, sind wir schlecht auf den Umgang mit ihnen vorbereitet und können kaum Folgen mindern oder ganz verhindern" (Bainbridge 1987). Sie hat dies elegant als Ironien der Automatisierung komplexer technischer Systeme beschrieben: Schaltwarten von Kernkraftwerken, so ihr Beispiel, werden von kompetenten Experten überwacht. Bekannt ist, dass selbst hoch motivierte Operateure nicht unbegrenzt aufmerksam sein können. Im seltenen Falle des Ausfalls automatischer Überwachungssysteme müssen aber schnellstmöglich sicherheitsrelevante Entscheidungen und Handlungen erfolgen, die gar nicht oder lange nicht geübt werden konnten... Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution www.bghw.de Seite 23 / 32

langfristig sicher zu stellen.<br />

Sicherheit im Motorradhandel<br />

5. Ausblick Wirksamkeitsstudie Signaljacke<br />

Die vorliegenden Studien stellen Module eines abgestimmten Präventionskonzeptes dar <strong>und</strong> zeigen, dass eine gut begründete <strong>und</strong> strukturierte, langfristig angelegte<br />

Präventionsmaßnahme auch in einem problematischen Umfeld eingeführt werden kann <strong>und</strong> akzeptiert wird.<br />

Ausgehend von detaillierten Unfallanalysen wurden die Problemfelder identifiziert, die wesentlich in der mangelnden Wahrnehmung motorisierter Zweiradfahrer durch andere<br />

Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr liegen. Autofahrer übersehen Motorräder aufgr<strong>und</strong> der vergleichsweise kleinen <strong>und</strong> gebrochenen Silhouette <strong>und</strong> schätzen deren<br />

Geschwindigkeiten falsch ein. Zudem sind Zweiradfahrer oft zu schnell unterwegs. Sie werden von Autofahrern beim Linksabbiegen auf einer Hauptstraße oder beim Einbiegen<br />

in diese von einer Nebenstraße angefahren <strong>und</strong> kommen zu Schaden.<br />

Untersuchungen <strong>und</strong> Vergleich unterschiedlicher Präventionsaßnahmen zeigten, dass das Tragen einer Signaljacke die Auffälligkeit entscheidend erhöht <strong>und</strong> signaler<br />

Farbgebung von Motorrädern oder alternativen Tagfahrlichtkonzepten überlegen ist. Zudem ist die Maßnahme kostengünstig <strong>und</strong> technisch unaufwendig: Die Signaljacke macht<br />

auffällig <strong>und</strong> erhöht die Sicherheit insgesamt, Gefahrensituationen treten mit ihr seltener auf, ein sehr gutes Ergebnis. Natürlich muss der Erfolg mittel- <strong>und</strong> langfristig<br />

sichergestellt <strong>und</strong> gegebenenfalls von – hinsichtlich signalfarbener Bekleidung – modifizierten Sicherheitstrainings begleitet werden.<br />

Der endgültige Nachweis der Wirksamkeit der Signaljacke steht aus. Dazu müssen die Analysen von Unfällen nach Einführung der Signaljacke <strong>und</strong> ihrer Wirkung über einen<br />

Zeitraum ca. 2010 unter vergleichbaren Bedingungen wiederholt werden. Unfallhäufigkeiten, Folgeschäden <strong>und</strong> Verletzungsschweren <strong>und</strong> Kosten werden vorher/nachher, dh.<br />

2002 <strong>und</strong> 2010, erhoben <strong>und</strong> verglichen. Anhand dieser Ergebnisse wird die Wirksamkeit der Maßnahme endgültig festgestellt.<br />

6. Anhang: Sicherheitsmanagement System ARIADNE<br />

Sicherheit, beispielsweise der Arbeit oder im Verkehr, ist zentrales Anliegen von Gesellschaften. Dennoch verursachen auch Arbeitstätigkeiten Unfälle <strong>und</strong> Schäden. Aus<br />

ökonomischen <strong>und</strong> haftungsrechtlichen Gründen oder aus humanistischer Sicht ist dies nicht hinnehmbar, denn laut Brockhaus (2007) ist ein Unfall "ein unbeabsichtigtes,<br />

plötzlich auftretendes, auf äußerer Einwirkung wie zum Beispiel Stoß, Fall etc., beruhendes Ereignis, durch das Schädigungen von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Leben oder Sachen<br />

hervorgerufen werden. Die wichtigsten Unfallbereiche sind Straßenverkehr, Beruf sowie Freizeit <strong>und</strong> Haushalt".<br />

Brockhaus erklärt nicht, warum überhaupt Unfälle geschehen oder warum es Gefährdungen gibt. Ein Blick in Statistiken zeigt z.B. falsches Verhalten der Fahrer in zwei Dritteln<br />

aller Unfälle als Ursache (Käppler et al 2008). "Menschliches Versagen heißt es auch heute noch in Abschlussberichten nach einem bekannt gewordenen Störfall. Die<br />

öffentliche Meinung ist dann beruhigt - da konnte man also nichts machen. Die Fachwelt weiß, dass das heute bei hochentwickelter Technik nicht die letzte Antwort sein kann,<br />

sondern eher das Eingeständnis kläglichen Versagens der eigentlich Verantwortlichen ist" (Kamiske 1999).<br />

So steht beispielsweise im Straßenverkehr die Klärung von Haftungsfragen im Mittelpunkt: Wer ist Schuld am Unfall? Wer muss für den Schaden aufkommen? Als Antwort auf<br />

diese Fragen wird Versagen beispielsweise in Form von Alkoholgenuss oder überhöhter Geschwindigkeit verfolgt <strong>und</strong> geahndet. Nahezu unbeachtet bleiben aber die Prozesse<br />

<strong>und</strong> Faktoren, die überhaupt erst zum Versagen oder überhöhter Geschwindigkeit führten. Dazu ein einfaches Beispiel in Abbildung 35. Schnelles Fahren im Bild führt<br />

termingerecht <strong>und</strong> unfallfrei zum Zielort, wenn die Rahmenbedingungen beachtet werden. Schlimmstenfalls entsteht durch überhöhte Geschwindigkeit ein höheres Risiko. Den<br />

Unfall in der Abbildung unten jedoch darauf zurückzuführen, verdeckt die Unfallursachen.<br />

Abbildung 35: Unfall (Käppler et al 2008)<br />

Vielmehr führt bei genauer Überlegung die Handlung Abkommen von der Fahrbahn zum Crash mit dem Baum, überhöhte Geschwindigkeit <strong>und</strong> Alleebäume verschärfen die<br />

Folgen <strong>und</strong> Risiken latent. So lautet die Frage nun also: Warum wurden diese Fehler begangen? Das einfache Beispiel erlaubt nur spekulative Antworten: Möglicherweise<br />

haben Ermüdung oder Unaufmerksamkeit zu Wahrnehmungsfehlern geführt <strong>und</strong> Zeitdruck zu überhöhter Geschwindigkeit.<br />

Kontrolle <strong>und</strong> Überwachung gelten im Beispiel der Ermüdung, Unaufmerksamkeit oder Geschwindigkeit. Modernes Sicherheitsmanagement geht darüber hinaus <strong>und</strong> schafft<br />

durch psychologische Bedingungen <strong>und</strong> Strategieentscheidungen konkrete Präventionsmaßnahmen, das sind im Beispiel Leitplanken, Einschlafwarnsysteme oder gar die<br />

Beseitigung der Bäume. Auch über Handhabung <strong>und</strong> Abbau von Zeitdruck können latente Risiken <strong>und</strong> Versagensmöglichkeiten reduziert werden.<br />

Hier setzt das Konzept menschliche Fehler (engl. Human Error) an. Bereits vor mehr als 100 Jahren schrieb Sully (1881) "a wide survey of error" zu Illusionen <strong>und</strong><br />

systematischen Anomalien des Gedächtnisses, Glaubens, Denkens. Danach, 1896, entdeckte Freud (1914) den nach ihm benannten Fehler. Die Vorstellung festigte sich,<br />

dass Fehler unterbewussten Mechanismen folgten, aber bereits wenige Jahre später kritisierte Spearman (1928) "psychological writings....with allusions to errors in an<br />

incidental way, they hardly ever arrive at considering these profo<strong>und</strong>ly, or even systematically".<br />

Rückblickend legt Reason (1990) den Beginn systematisch wissenschaftlicher Beschäftigung mit Human Error in die Achtziger Jahre. Erst im Gefolge schwerer Katastrophen<br />

<strong>und</strong> Gefährdungen wie Three Mile Island 1977, Challenger <strong>und</strong> Tschernobyl 1986 oder Piper Alpha 1988 sei in der kognitiven Psychologie das theoretische <strong>und</strong> methodische<br />

Rüstzeug entstanden, das heute Klassifizierungen <strong>und</strong> Analysen menschlicher Fehler als Unfallursachen erlaubt. Internationale Konferenzen, unter anderen organisiert von der<br />

NATO, fallen in diese Zeit (Senders & Moray 1991) <strong>und</strong> liefern entscheidende Beiträge.<br />

Erstmals wurden Fehler definiert: "Fehler werden als generischer Begriff verstanden, der Gelegenheiten umschließt, in denen eine geplante Sequenz mentaler oder<br />

physikalischer Aktivitäten das gewünschte Ergebnis nicht erzielt <strong>und</strong> dies weder äußeren Interventionen noch Zufällen zugeschrieben werden kann" (Reason 1991). Es wurde<br />

der Frage nachgegangen, was die wissenschaftliche Natur von Fehlern sei, ob sie vorhersagbar seien <strong>und</strong> ob es systematisch klassifizierbare Fehlerursachen gibt. Ziel aller<br />

Bemühungen war <strong>und</strong> ist Prävention, die Vorhersage <strong>und</strong> Entschärfung gefahrenträchtiger Situationen. Entsprechende Vorhersagemodelle kognitiver Steuer- <strong>und</strong><br />

Regelungsprozesse müssen beispielsweise unterscheiden, welche Leistungen erwünscht <strong>und</strong> welche Fehler zu vermeiden sind. Diese Unterscheidung bezieht sich auf große<br />

Bandbreiten möglicher Leistungen <strong>und</strong> Fehler <strong>und</strong> ist nicht trivial. Ernst Mach (1905) hat das gut getroffen: "Wissen <strong>und</strong> Fehler entspringen denselben mentalen Ressourcen,<br />

nur der Erfolg trennt das eine vom anderen".<br />

So wurde die Frage, warum selbst erfahrene Operateure wichtige Informationen übersehen, falsche Entscheidungen treffen oder unangemessen reagieren von Reason (1990)<br />

<strong>und</strong> Senders & Moray (1991) wissenschaftlich beantwortet. Sie konzentrierten ihre Arbeiten auf die systematische Kategorisierung von Fehlern. Ihre Modelle fassen Fehler als<br />

unerwartetes Verhalten <strong>und</strong> Produkte eines umfassenden Wirkungsnetzwerks unterschiedlicher Risikobedingungen auf. Sie unterschieden <strong>und</strong> benannten eine begrenzte<br />

Anzahl unterschiedlicher variabler <strong>und</strong> konstanter Fehler.<br />

Im deutschen Sprachgebrauch haben sich diese Unterscheidungen bislang nicht durchgesetzt, ein Hinweis auf unterschiedliche Fehlerkulturen in unterschiedlichen sozialen<br />

Systemen. Im vorliegenden wird zusammenfassend von Fehlern gesprochen. Reason (ebda) unterschied zwischen Intention, Handlung <strong>und</strong> Handlungsfolgen <strong>und</strong> stellte fest,<br />

dass Intention <strong>und</strong> Fehler untrennbar sind. Er bezog juristische <strong>und</strong> haftungsrechtliche Bedingungen ein <strong>und</strong> unterschied zwischen "beabsichtigten Handlungen ohne vorherige<br />

Intention", "unfreiwilligen Handlungen" <strong>und</strong> "beabsichtigten Handlungen <strong>und</strong> Fehlern".<br />

Sein Konzept gilt dem konkreten <strong>Handel</strong>n oder Entscheiden in der aktuellen Arbeitssituation auch aus rechtlicher Sicht. Rasmussen (1983) schlug eine Fehlertaxonomie vor,<br />

die sich an Unterschieden zwischen erwartetem <strong>und</strong> aktuellem Verhalten orientiert. Allerdings ist Rasmussens Arbeit nicht für alltägliche Arbeitssysteme, sondern die<br />

Untersuchung komplexer industrieller Abläufe geeignet. Reasons (1990) Fehlerklassifizierung unterscheidet Verhaltens- <strong>und</strong> Kontextebenen. Diese Kontextabhängigkeit wurde<br />

in der Zwischenzeit vielfach untersucht <strong>und</strong> nach Hudson (2003) zur Basis modernen Sicherheitsmanagements. Es ist praktische Ausprägung vorherrschender<br />

Sicherheitskultur (INSAG 1991). Hudson (ebda) unterscheidet fünf Evolutionsstufen in Abbildung 36:<br />

<strong>Berufsgenossenschaft</strong> <strong>Handel</strong> <strong>und</strong> <strong>Warendistribution</strong> www.bghw.de <strong>Seite</strong> 22 / <strong>32</strong>

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