Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung

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22.04.2014 Aufrufe

nicht wesentlich nach außerhalb des Hauses orientiert ist, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und dem Wert derartiger weitreichender Kontakte. Ist also der sozialen Integration im SOBEWO-Bereich doch innerhalb der Einrichtung genüge getan? In einem Reflexionsbogen heißt es dazu: „Fürs unser Haus bedeutet der Begriff: Eingebunden sein ins Haus und Kontakte mit Nachbarn. Soziale Integration nach außen hin, etwa Teilnahme an Pensionistenklubs, ist sehr schwierig bis kaum möglich. Leute erleben schon Stigmatisierung, wenn Außenstehende wissen, dass sie hier wohnen. Wenige haben die Kompetenz, sich nach außen zu vernetzen. Wenn man sich als wohnungslos definiert, ist Integration nach außen ganz schwierig“ (87_SOBEWO). Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wird soziale Integration begrifflich vor allem mit „Teilhabe“ und „Teilnahme“ eng verbunden. Soziale Integration bedeutet demnach die Teilhabe an den gesellschaftlichen Teilbereichen wie Arbeit und Erwerbstätigkeit sowie Ausbildung, materielle Teilhabe, Beziehungen und soziale Teilhabe, Gesundheit, Kultur, und eben auch Wohnraum, die allesamt auch in engen Wechselbeziehungen stehen. Die Begriffe „Inklusion“ und „Exklusion“ betonen mehr die einzelnen Teilelemente, also aus welchem Bereich jemand (zum Zeitpunkt) exkludiert ist (38_ka). „Soziale Integration geht für mich auch immer mit sozialer Exklusion einher. Soziale Integration ist stark von ökonomischen Faktoren abhängig. So führt Wohnungslosigkeit fast immer zur sozialen Exklusion. Durch den Wohnungsverlust können auch andere Lebensbereiche wegfallen, die mit eine Voraussetzung für soziale Integration sind, z.B. Verlust der Arbeit“ (12_BEWO). Teilhabe und Teilnahme spielen auch in Zusammenhang mit Partizipation eine zentrale Rolle spielen (siehe Kapitel 16.5). Obwohl von Seiten der sozialen Integration nur vereinzelt diese direkte Verbindung explizit hergestellt wird, werden sowohl auf Ebene der Einrichtung (Integration in Prozesse und Gefüge im Haus als Partizipation) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (soziale Integration als Partizipation an gesellschaftlichen Teilbereichen) als vergleichbare und miteinander verbundene Vergesellschaftungsmechanismen verstanden. Die eigene Wohnung gilt als wesentlicher Bestandteil sozialer Integration, und hier stellen zwei RespondentInnen (beide aus dem BEWO-Bereich) eine Verbindung zur Nachhaltigkeit der Betreuung durch die WWH her (siehe Kapitel 16.6). Sie kritisieren die dort diskutierte fehlende Nachbetreuung auch ganz zentral im Kontext von sozialer Integration. „Für die nachhaltige Wohnungssicherung des Klienten [ist soziale Integration] sicher von hoher Bedeutung, allerdings kann diese in der WWH nicht sinnvoll gefördert werden, weil KlientInnen ihr bekanntes Wohnumfeld am Ende einer Betreuung verlassen müssen (in die eigene Wohnung) und der Klient bei der Aneignung und Integration ins neue Wohnumfeld meistens keine Unterstützung der Wohnbetreuer mehr bekommt. Umso wichtiger ist es meiner Meinung nach, schon während der Betreuung gegebenenfalls Strukturen aufzubauen, die über die Betreuungsdauer hinaus halten“ (72_BEWO). Neben der Verbindung zu den Begriffen der Teilhabe/Teilnahme/Partizipation und Nachhaltigkeit besteht auch eine enge Konnotation sozialer Integration mit bestimmten Fähigkeiten der Personen: Soziale Integration verlangt dem Individuum konkrete Fähigkeiten ab, nämlich die Fähigkeit zur Interaktion, sich in einem sozialen Gefüge zu bewegen, soziale Kontakte aufzubauen und zu erhalten, die „Fähigkeit, sich in eine Gruppe oder Gemeinschaft einzugliedern und auf die Bedürfnisse und Lebenssituationen der Mitglieder so weit Rücksicht zu nehmen bzw. damit respektvoll umzugehen, dass auch einmal die eigenen Bedürfnisse zurückgenommen werden können, um das Gemeinschaftsgefüge nicht ganz zu sprengen“ (5_ÜWO) oder generell die „Fähigkeit zur Teilnahme am gesellschaftlichen Umfeld“ (23_ÜWO). In einer schärferen Definition geht es hier um die Fähigkeit zur Anpassung an bestehende Normen- und Wertesysteme und die Fähigkeit zu ihrer Einhaltung (42_SOBEWO) oder das „Kennen und Ausüben von Rechten und Pflichten“ (41_ka). Die 217

damit angesprochenen Fähigkeiten sind ihrerseits ein wesentlicher Bestandteil dessen, was unter Eigenkompetenz verstanden wird (siehe Kapitel 16.4), wenngleich auch hier keine explizite Verbindung dahingehend hergestellt wird. Als zentraler Aspekt wird von mehreren RespondentInnen betont, dass es zu kurz greift, soziale Integration als einseitiges Konzept nur auf die einzelnen Personen zu beziehen. Zu gelingender sozialer Integration ist auch ein entsprechendes Verhalten der Gesellschaft notwendig: „Die notwendige Wechselseitigkeit wird wenig reflektiert und teilweise auch wenig bearbeitet (im Sinne: es braucht Nachbarn, eine Öffentlichkeit etc., die ein breiteres Spektrum an Verhaltensweisen aushält)“ (74_SOBEWO). Es werden verschiedene Leistungen der Gesellschaft formuliert, die als deren Beitrag zur Ermöglichung von sozialer Integration notwendig sind. Dazu gehört eine grundsätzliche Offenheit für alle Individuen und insbesondere eben auch jenen gegenüber, die den üblichen Anforderungen nicht entsprechen (können) und/oder „deren ‚Beitrag‘ (aus welchen Gründen auch immer) temporär oder auf Lebenszeit in geringerem Ausmaß möglich ist als Anderen“ (44_ÜWO). Es braucht den „Willen der Gesellschaft, [auch diesen Personengruppen] den Zugang zu sämtlichen Bereichen sozialer Interaktion zu ermöglichen“ (33_ÜWO) und eine „Erweiterung der gesellschaftlich üblichen Normen und Werte um Vielfalt und Buntheit“ (98_ka). Es erscheint bemerkenswert, dass diese strukturellen Anforderungen an soziale Integration ausschließlich in Bezug auf die gesamtgesellschaftliche Ebene reflektiert werden, nicht jedoch als Anforderung an die Einrichtung (soziale Integration auf Ebene der Einrichtung, s.o.). Im der konkreten Wohnungslosenarbeit der WWH gewinnen zahlreiche RespondentInnen oftmals den Eindruck, dass die Gesellschaft soziale Integration einfach jenen gewährt, die unauffällig sind, nicht anecken, die optimale Anpassungsleistungen vollbringen. „Sozial integriert ist jemand, der in der Öffentlichkeit nicht permanent auffällig erscheint“ (57_ÜWO). Über weite Strecken, so die Kritik, ist soziale Integration auch innerhalb der WWH ein ‚wohnen so normal wie möglich‘ und soziale Integration gilt dann als gegeben, „wenn man nichts Negatives, z.B. von Nachbarn hört“ (74_SOBEWO). In diesem Sinn erlebt man auch die Erwartung an die WWH, primär die Anpassungsfähigkeit ihrer KlientInnen zu steigern. „Politisch erwünscht sind Einrichtungen, die aus auffälligen und teuren Klientinnen sozial reintegrierte BürgerInnen machen – was meist nur ein Wunschtraum bleiben kann“ (45_BEWO). Insgesamt, so entsteht der Eindruck, spielt soziale Integration als eine Art ‚Hintergrundbegriff‘ eine zentrale Rolle in der WWH, der – wie die anderen Begriffe auch – in einem breiten Anwendungsspektrum steht. Freilich kann auch hier die grundlegende Kritik an Begriffen als Konstruktionsmechanismen geübt werden, in dem Fall als Instrument der expliziten Ausgrenzung von Gruppen: „Soziale Integration ist ein Ausdruck der dazu dient, Menschen als ‚ausgegrenzt‘ beschreiben zu können (von jenen Menschen die diese Definitionsmacht für sich beanspruchen), und wo die Spielregeln je nach dem auch wieder willkürlich dafür geändert werden“ (86_ÜWO). Insgesamt besteht bezüglich des Begriffs der sozialen Integration jedoch der Tenor, dass er für die Wohnungslosenarbeit wertvoll ist und nichts gegen seine Verwendung spricht, egal an welcher Stelle die Interventionsaufgaben der WWH verortet werden (Ebene der KlientInnen, Ebene der Gesellschaft). 218

damit angesprochenen Fähigkeiten sind ihrerseits ein wesentlicher Bestandteil dessen, was<br />

unter Eigenkompetenz verstanden wird (siehe Kapitel 16.4), wenngleich auch hier keine explizite<br />

Verbindung dahingehend hergestellt wird.<br />

Als zentraler Aspekt wird von mehreren RespondentInnen betont, dass es zu kurz greift, soziale<br />

Integration als einseitiges Konzept nur auf die einzelnen Personen zu beziehen. Zu<br />

gelingender sozialer Integration ist auch ein entsprechendes Verhalten der Gesellschaft notwendig:<br />

„Die notwendige Wechselseitigkeit wird wenig reflektiert und teilweise auch wenig<br />

bearbeitet (im Sinne: es braucht Nachbarn, eine Öffentlichkeit etc., die ein breiteres Spektrum<br />

an Verhaltensweisen aushält)“ (74_SOBEWO). Es werden verschiedene Leistungen<br />

der Gesellschaft formuliert, die als deren Beitrag zur Ermöglichung von sozialer Integration<br />

notwendig sind. Dazu gehört eine grundsätzliche Offenheit für alle Individuen und insbesondere<br />

eben auch jenen gegenüber, die den üblichen Anforderungen nicht entsprechen (können)<br />

und/oder „deren ‚Beitrag‘ (aus welchen Gründen auch immer) temporär oder auf Lebenszeit<br />

in geringerem Ausmaß möglich ist als Anderen“ (44_ÜWO). Es braucht den „Willen<br />

der Gesellschaft, [auch diesen Personengruppen] den Zugang zu sämtlichen Bereichen sozialer<br />

Interaktion zu ermöglichen“ (33_ÜWO) und eine „Erweiterung der gesellschaftlich üblichen<br />

Normen und Werte um Vielfalt und Buntheit“ (98_ka). Es erscheint bemerkenswert,<br />

dass diese strukturellen Anforderungen an soziale Integration ausschließlich in Bezug auf die<br />

gesamtgesellschaftliche Ebene reflektiert werden, nicht jedoch als Anforderung an die Einrichtung<br />

(soziale Integration auf Ebene der Einrichtung, s.o.).<br />

Im der konkreten Wohnungslosenarbeit der WWH gewinnen zahlreiche RespondentInnen<br />

oftmals den Eindruck, dass die Gesellschaft soziale Integration einfach jenen gewährt, die<br />

unauffällig sind, nicht anecken, die optimale Anpassungsleistungen vollbringen. „Sozial integriert<br />

ist jemand, der in der Öffentlichkeit nicht permanent auffällig erscheint“ (57_ÜWO).<br />

Über weite Strecken, so die Kritik, ist soziale Integration auch innerhalb der WWH ein ‚wohnen<br />

so normal wie möglich‘ und soziale Integration gilt dann als gegeben, „wenn man nichts<br />

Negatives, z.B. von Nachbarn hört“ (74_SOBEWO). In diesem Sinn erlebt man auch die Erwartung<br />

an die WWH, primär die Anpassungsfähigkeit ihrer KlientInnen zu steigern. „Politisch<br />

erwünscht sind Einrichtungen, die aus auffälligen und teuren Klientinnen sozial reintegrierte<br />

BürgerInnen machen – was meist nur ein Wunschtraum bleiben kann“ (45_BEWO).<br />

Insgesamt, so entsteht der Eindruck, spielt soziale Integration als eine Art ‚Hintergrundbegriff‘<br />

eine zentrale Rolle in der WWH, der – wie die anderen Begriffe auch – in einem breiten<br />

Anwendungsspektrum steht. Freilich kann auch hier die grundlegende Kritik an Begriffen als<br />

Konstruktionsmechanismen geübt werden, in dem Fall als Instrument der expliziten Ausgrenzung<br />

von Gruppen: „Soziale Integration ist ein Ausdruck der dazu dient, Menschen als<br />

‚ausgegrenzt‘ beschreiben zu können (von jenen Menschen die diese Definitionsmacht für<br />

sich beanspruchen), und wo die Spielregeln je nach dem auch wieder willkürlich dafür geändert<br />

werden“ (86_ÜWO). Insgesamt besteht bezüglich des Begriffs der sozialen Integration<br />

jedoch der Tenor, dass er für die Wohnungslosenarbeit wertvoll ist und nichts gegen seine<br />

Verwendung spricht, egal an welcher Stelle die Interventionsaufgaben der WWH verortet<br />

werden (Ebene der KlientInnen, Ebene der Gesellschaft).<br />

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