Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung

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22.04.2014 Aufrufe

ne Dienstleister wie Essen auf Rädern, Heimhilfe, Wäsche-/Reinigungsdienst, „betreutes Konto“ oder Sachwalterschaft genannt, auch von „koordinierten Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung des Alltags“ (30_ÜWO) ist die Rede. Auf der anderen Seite finden sich Definitionen, die für intakte Wohnkompetenz das Bestehen von Betreuungsbedarf ausschließen und Wohnkompetenz daran festmachen, dass eben kein solcher (mehr) besteht: demnach bedeutet Wohnkompetenz, „in der eigenen Wohnung ohne Betreuung“ wohnen zu können (11_ÜWO). Indizierende Worte sind hier etwa auch „allein“ oder „selbstständig“. Es liegt nahe, dass diese divergierenden Auffassungen von Wohnkompetenz den verschiedenen Einrichtungstypen zugeschrieben werden können, da etwa im Bereich des Sozial Betreuten Wohnens die Betreuung in unterschiedlichem Ausmaß vorgesehen ist. Aus den hier vorliegenden Begriffsreflexionen lässt sich so ein Zusammenhang jedoch nicht ablesen: Die explizite Inklusion von Unterstützungsleistungen in das Begriffsverständnis von Wohnkompetenz ist nicht spezifisch verschiedenen Betreuungsformen oder Trägereinrichtungen zuzuordnen. 54 So deutet diese Differenz doch auf abweichende Begriffsverständnisse innerhalb der WWH hin. Bezüglich des gesamten Umfangs der in der WWH ‚verlangten’ Wohnkompetenz merkt eine Respondentin an, dass diese Ansprüche umfassend und eigentlich vergleichsweise sehr hoch sind. Menschen mit besserer Ressourcenausstattung können verschiedene – auch die als wesentlich erachteten – Elemente von Wohnkompetenz relativ einfach „auslagern“ und die Instandhaltung und das Sauberhalten dem Reinigungspersonal und die korrekte Erledigung der finanziellen Bankgeschäfte der Ehefrau anvertrauen – „Menschen, die von Armut betroffen sind, müssen und sollen das alles können, sonst fehlt ihnen laut zuständigen SozialarbeiterInnen die Wohnkompetenz“ (86_ÜWO), resümiert sie kritisch. Während nur fünf MitarbeiterInnen explizit schreiben, der Begriff sei insgesamt für sie „klar und präzise“, sprechen viele RespondentInenn Unschärfen des Begriffs an: Woran genau ist Wohnkompetenz festzumachen? Wie ist sie festzustellen? Welche Maßstäbe liegen dieser Bewertung zugrunde? Insgesamt rund jede/r Siebte thematisiert verschiedene Dimensionen von Unschärfe und Dehnbarkeit sowie der sozialen Konstruktion des Konzepts innerhalb des Beziehungssystems von KlientIn, Einrichtung und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Diese Unschärfe beginnt ganz praktisch bei der Operationalisierung von Wohnkompetenz, also deren schwierige Übersetzung in klare und eindeutige Kriterien. Zwar gibt es verschiedene „Abklärungsfaktoren“ (32_ÜWO) oder „Parameter“ (96_SOBEWO) – im Sinne bestimmter Merkmale der KlientInnen – die zur Einschätzung herangezogen werden, wie etwa die Dauer der vorangegangenen Obdachlosigkeit, eventuelle Suchtabhängigkeit oder psychische Problemlagen, die Frage ob das Nutzungsentgelt regelmäßig bezahlt wird, etc., doch schon die Breite der genannten Lebensbereiche, auf die sich Wohnkompetenz beziehen kann, zeigt die Dehnbarkeit des Konzepts. Die Unschärfe geht bei den Rahmenbedingungen der Feststellung von Wohnkompetenz weiter. So differiert die Beurteilungsmöglichkeit stark, wenn Wohnkompetenz in einem kurzen Abklärungsgespräch ermittelt werden soll/muss (wie etwa in Nachtquartieren oder Beratungseinrichtungen), oder wenn eine längere Beobachtungszeit gegeben ist, in der verschiedene Verhaltensweisen des Klienten/der Klientin beobachtet werden können (wie in Wohnhäusern) (25_NQ). In dem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, was genau hier auch bei längerer Beobachtung tatsächlich beobachtet wird oder werden kann – man kann argumentieren, dass die Kompetenz zu einem bestimmten ‚Wohnen’ nur bei einem solchen 54 Allerdings ist auch das nicht-Anführen von möglichen Unterstützungsleistungen in der Definition von Wohnkompetenz nicht zwangsläufig als deren Ausschluss zu lesen. 205

‚Wohnen’ zu beobachten oder für die KlientInnen zu erlernen ist, die interessierende Wohnkompetenz also nur in einer Finalwohnung zu sehen ist. In dem „künstlich geschaffenen Umfeld der Einrichtung“ werden andere (Wohn-)Kompetenzen geschult, überspitzt formuliert die Fähigkeit, in einer/dieser Institution zu (über-)leben (40_ka). Ein solcher Zugang kann als Argument für den Ansatz des Housing First gelesen werden. Ein wesentlicher Unschärfeaspekt sind aber vor allem die Maßstäbe für den Inhalt von Wohnkompetenz und der damit verbundene Definitions- bzw. Konstruktionsprozess: Wessen Maßstäbe werden zur Beschreibung und Beurteilung von Wohnkompetenz herangezogen? Dieser Definitionsprozess wird von mehreren MitarbeiterInnen in seinem gesellschaftlichen Umfeld verortet: was ‚normales Wohnen’ ist bzw. wie Wohnen stattzufinden hat – und welche Kompetenzen in der Folge dafür notwendig sind – wird entlang gesellschaftlicher Wertevorstellungen festgelegt, und geschieht in einem gewissen Normenumfeld. Dieses wird – auf großer Maßstabsebene – durch die Mehrheitsgesellschaft vorgegeben (zb. 44_ÜWO), ist aber auch einrichtungsspezifisch und von den jeweiligen Betreuungszielen und den Rahmenbedingungen geprägt. Dies zeigt sich etwa in einer Gegenüberstellung der Ziele von Übergangswohnen und Sozial Betreutem Wohnen, deren Zielvorstellung von Wohnen unterschiedliche Kompetenzen von den Wohnenden verlangt – insofern „funktioniert der Begriff innerhalb der eigenen Einrichtung gut, bei der Vernetzung mit anderen Einrichtungen könnte er aber zu Missverständnissen führen“ (31_SOBEWO). Schließlich gibt es auch auf der individuellen Ebene der BetreuerInnen viel Interpretationsspielraum, mehrfach konkretisiert anhand der Frage nach „angemessenen Sauberkeitsstandards“ – hier ist es problematisch, wenn „persönliche Sichtweisen des Betreuungspersonals dem Klientel „übergestülpt“ werden“ (72_BEWO). Die Entscheidungsmacht über die Wohnkompetenz von KlientInnen in der Hand der Fachkräfte wird kritisch auch eine „mögliche Quelle für Machtmissbrauch“ genannt (56_ÜWO). Insgesamt, so die Konklusion in einem Fragebogen, „ist immer wieder zu hinterfragen, welche Maßstäbe für die Bewertung der Wohnkompetenz herangezogen werden“ (77_BEWO). Ein anderer kritischer Aspekt des Begriffs Wohnkompetenz wird in der Lenkung des Fokus auf individuelle Kompetenzen und vermeintliche diesbezügliche Defizite der KlientInnen gesehen, was einer Individualisierung des Problems der Wohnungslosigkeit zuträgt. Zum einen sollte nicht aus dem Blick geraten, dass Wohnungslosigkeit ein strukturelles Problem des Wohnungsmarkts darstellt, und dass immer „mehr Menschen ihren Wohnraum aufgrund mangelnder Leistbarkeit verlieren, wiewohl sie willig und fähig sind, Pflichten im Zusammenhang mit Mietzahlung und Instandhaltung zu erfüllen“ (74_SOBEWO). Zum anderen erwächst damit innerhalb der WWH problematischerweise häufig der „Generalverdacht, dass die KlientInnen grundsätzlich nicht in der Lage sind“ zu wohnen (ebd.). Verbunden mit dieser Fokussierung auf mangelnde individuelle Wohnkompetenz entsteht „oft das Bild, dass die KlientInnen verändert werden müssen, damit sie diese Fähigkeiten erlernen [anstatt die] Schaffung eines Umfeldes, das das Leben der KlientInnen so wie sie sind, ermöglicht“ (86_ÜWO), in den Fokus zu nehmen: „Anstatt die Frage zu stellen, warum Menschen nicht so wohnen können, wie sie möchten, wird ihnen unterstellt, sie könnten es halt einfach nicht“ (33_ÜWO). Im Wesentlichen liegt das ‚Problem’ ja in einem „Auseinanderklaffen“ von den Vorstellungen und dem Können auf Seiten der KlientInnen einerseits und den gesellschaftlichen Vorstellungen andererseits (70_SOBEWO) – aber auf welcher dieser beiden Seiten das Problem verortet wird, ist eine Frage der Definition, und der Begriff der (individuellen, mangelnden) Wohnkompetenz fällt diese Entscheidung zu Lasten der KlientInnen. Daran schließen sich zentrale Fragen der Ausrichtung der sozialen Arbeit im System der WWH an. Generell spielt Wohnkompetenz auf dieser systemischen Ebene eine wesentliche 206

‚Wohnen’ zu beobachten oder für die KlientInnen zu erlernen ist, die interessierende Wohnkompetenz<br />

also nur in einer Finalwohnung zu sehen ist. In dem „künstlich geschaffenen Umfeld<br />

der Einrichtung“ werden andere (Wohn-)Kompetenzen geschult, überspitzt formuliert die<br />

Fähigkeit, in einer/dieser Institution zu (über-)leben (40_ka). Ein solcher Zugang kann als<br />

Argument für den Ansatz des Housing First gelesen werden.<br />

Ein wesentlicher Unschärfeaspekt sind aber vor allem die Maßstäbe für den Inhalt von<br />

Wohnkompetenz und der damit verbundene Definitions- bzw. Konstruktionsprozess:<br />

Wessen Maßstäbe werden zur Beschreibung und Beurteilung von Wohnkompetenz herangezogen?<br />

Dieser Definitionsprozess wird von mehreren MitarbeiterInnen in seinem gesellschaftlichen<br />

Umfeld verortet: was ‚normales Wohnen’ ist bzw. wie Wohnen stattzufinden hat<br />

– und welche Kompetenzen in der Folge dafür notwendig sind – wird entlang gesellschaftlicher<br />

Wertevorstellungen festgelegt, und geschieht in einem gewissen Normenumfeld. Dieses<br />

wird – auf großer Maßstabsebene – durch die Mehrheitsgesellschaft vorgegeben (zb.<br />

44_ÜWO), ist aber auch einrichtungsspezifisch und von den jeweiligen Betreuungszielen und<br />

den Rahmenbedingungen geprägt. Dies zeigt sich etwa in einer Gegenüberstellung der Ziele<br />

von Übergangswohnen und Sozial Betreutem Wohnen, deren Zielvorstellung von Wohnen<br />

unterschiedliche Kompetenzen von den Wohnenden verlangt – insofern „funktioniert der Begriff<br />

innerhalb der eigenen Einrichtung gut, bei der Vernetzung mit anderen Einrichtungen<br />

könnte er aber zu Missverständnissen führen“ (31_SOBEWO). Schließlich gibt es auch auf<br />

der individuellen Ebene der BetreuerInnen viel Interpretationsspielraum, mehrfach konkretisiert<br />

anhand der Frage nach „angemessenen Sauberkeitsstandards“ – hier ist es problematisch,<br />

wenn „persönliche Sichtweisen des Betreuungspersonals dem Klientel „übergestülpt“<br />

werden“ (72_BEWO). Die Entscheidungsmacht über die Wohnkompetenz von KlientInnen in<br />

der Hand der Fachkräfte wird kritisch auch eine „mögliche Quelle für Machtmissbrauch“ genannt<br />

(56_ÜWO). Insgesamt, so die Konklusion in einem Fragebogen, „ist immer wieder zu<br />

hinterfragen, welche Maßstäbe für die Bewertung der Wohnkompetenz herangezogen werden“<br />

(77_BEWO).<br />

Ein anderer kritischer Aspekt des Begriffs Wohnkompetenz wird in der Lenkung des Fokus<br />

auf individuelle Kompetenzen und vermeintliche diesbezügliche Defizite der KlientInnen<br />

gesehen, was einer Individualisierung des Problems der Wohnungslosigkeit zuträgt.<br />

Zum einen sollte nicht aus dem Blick geraten, dass Wohnungslosigkeit ein strukturelles Problem<br />

des Wohnungsmarkts darstellt, und dass immer „mehr Menschen ihren Wohnraum<br />

aufgrund mangelnder Leistbarkeit verlieren, wiewohl sie willig und fähig sind, Pflichten im<br />

Zusammenhang mit Mietzahlung und Instandhaltung zu erfüllen“ (74_SOBEWO).<br />

Zum anderen erwächst damit innerhalb der WWH problematischerweise häufig der „Generalverdacht,<br />

dass die KlientInnen grundsätzlich nicht in der Lage sind“ zu wohnen (ebd.).<br />

Verbunden mit dieser Fokussierung auf mangelnde individuelle Wohnkompetenz entsteht<br />

„oft das Bild, dass die KlientInnen verändert werden müssen, damit sie diese Fähigkeiten<br />

erlernen [anstatt die] Schaffung eines Umfeldes, das das Leben der KlientInnen so wie sie<br />

sind, ermöglicht“ (86_ÜWO), in den Fokus zu nehmen: „Anstatt die Frage zu stellen, warum<br />

Menschen nicht so wohnen können, wie sie möchten, wird ihnen unterstellt, sie könnten es<br />

halt einfach nicht“ (33_ÜWO). Im Wesentlichen liegt das ‚Problem’ ja in einem „Auseinanderklaffen“<br />

von den Vorstellungen und dem Können auf Seiten der KlientInnen einerseits und<br />

den gesellschaftlichen Vorstellungen andererseits (70_SOBEWO) – aber auf welcher dieser<br />

beiden Seiten das Problem verortet wird, ist eine Frage der Definition, und der Begriff der<br />

(individuellen, mangelnden) Wohnkompetenz fällt diese Entscheidung zu Lasten der KlientInnen.<br />

Daran schließen sich zentrale Fragen der Ausrichtung der sozialen Arbeit im System der<br />

WWH an. Generell spielt Wohnkompetenz auf dieser systemischen Ebene eine wesentliche<br />

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