Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung

Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung

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22.04.2014 Aufrufe

vermutet, dass die Einrichtungsgröße Unterschiede macht. Kleinere, aber auch „jüngere“ Einrichtungen würden in diesem Sinn mehr Spielraum für eigene Entscheidungen lassen, in größeren und alteingesessenen Einrichtungen gäbe es demgegenüber mehr Regelwerke, die Entscheidungen zwar systematischer gestalten, aber auch in gewisser Weise einengen könnten. In Abgrenzung zu den flexiblen und begleitenden sozialarbeiterischen Angeboten wird von allen InterviewpartnerInnen ein proaktiver, nachgehender Ansatz beschrieben. Dieses setzt etwa dann ein, wenn, man merkt, dass keine Miete gezahlt wird, das Wohl von Kindern bedroht ist, gewalttätiges Handeln droht, Drogen- oder Alkoholmissbrauch zum Problem werden oder andere akute Problematiken bestehen. Die spezifischen Vorgehensweisen des nachgehenden Ansatzes werden etwas unterschiedlich beschrieben. So taucht zum Beispiel im Kontext eines Zielgruppenwohnangebotes der Begriff „Krisengespräche“ auf, im Kontext eines Übergangswohnangebotes für Junge Erwachsene der Begriff „Zwickmühlengespräche“. Eine Fachkraft aus dem BEWO-Bereich gibt folgende Beschreibung wider: „Wenn bei einer Hausbesprechung auffällig ist, dass jemand beeinträchtigt ist oder jemand nicht an Hausbesprechungen teilnimmt, dann wird der ins Büro vorgeladen. Dann wird das besprochen. Es wird gefragt, was nimmst du, wie nimmst du und willst du ins Programm. Es führt also nicht sofort zu einem Rausschmiss, aber es wird der Person ständig ein Spiegel vorgehalten.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Von anderer Seite wird im Zusammenhang mit dem nachgehenden Ansatz Folgendes formuliert: „Wir laden Leute dann schon zum Gespräch ein, wenn wir zum Beispiel merken, dass keine Miete gezahlt wird. Oder wenn im Zimmer die Lautstärke zu groß ist.“ (Interviews Fachkräfte WWH) Hier konnten wir individuell unterschiedliche Grenzziehungen beobachten: Manche (eher größere) Einrichtungen verschieben die Grenze eher zugunsten des nachgehenden Ansatzes und setzen in Bezug auf Verletzungen der Hausordnung auch in der Regel engere Grenzen, andere (meist kleinere) Einrichtungen mit höherem Betreuungsschlüssel geben eher dem Empowerment-Ansatz mehr Raum. Entsprechend wird der nachgehende Ansatz etwas zurückgesetzt, auch werden die Grenzen, innerhalb derer eine Hausordnung als verletzt gilt, etwas weiter gesteckt. Ein Thema, das im Rahmen der sozialen Arbeit mehrheitlich kritisch angemerkt wurde, ist jenes der Nachbetreuung. Eine Fachkraft formuliert dies folgendermaßen: „Hier in Wien fehlt eine Betreuung danach in der Wohnung. Also eine Nachbetreuung. Das gab es meines Wissens nach noch nie. Seit 15 Jahren [Zahl aus Gründen des Datenschutzes geändert] bin ich in dem Beruf. Viele Menschen verstehen die Post nicht, sie brauchen jemanden, der sie zu ihrem Geburtstag anruft, der ihnen eine Weihnachtskarte schreibt. Das würde volkswirtschaftlich viel ersparen.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Eine Fachkraft aus dem Bereich des ÜWOZG erzählt aus ihren Erfahrungen: „Viele haben nach zwei Jahren 4000 bis 5000 Euro Schulden und können ohne Unterstützung ihre Wohnung nicht halten. Stehen dann wieder vor den Toren der Wohnungslosenhilfe. Es ist aber alles für sie schlimmer als vorher. Nix ist passiert.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Ein Kollege aus dem BEWO Bereich wiederum merkt an: „Ein verbindliches Betreuungsangebot und -Netz muss sein, sonst fliegen die Leute wieder raus aus ihrer Wohnung. In Deutschland gibt es Erfahrungen, dass mindestens 60% der ehemaligen Klienten eine langfristige Nachbetreuung brauchen.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang freilich, dass im System der Wiener Wohnungslosenhilfe seit kurzem Angebote der MOWO (Mobile Wohnbetreuung) gefördert werden, welche diese Agenden zumindest bei einem Teil der ehemaligen KlientInnen übernehmen. 189

14 Diskussion zu einzelnen Zielgruppensegmenten 14.1 Junge Erwachsene Der Anteil junger Erwachsener im Alter zwischen 18 und 29 Jahren beläuft sich in den ÜWOZG-Angeboten mittlerweile auf rund 35% (Tabelle 366). Gleichzeitig handelt es sich um ein Zielgruppensegment mit überdurchschnittlich stark ausgeprägten Risikolagen. Tabelle 61 zufolge bestehen hier beispielsweise in einem hohen Maße beziehungsbedingte Risikolagen (61% Anteil). Diese geben Hinweise auf problematische soziale Konstellationen, wie heftige Konflikte im sozialen Umfeld, oft im Zusammenhang mit dem Umstand der Beendigung der Wohnsituation vor Eintritt in die WWH. Weiters waren überdurchschnittlich häufig herkunftsfamilienbedingte Risikolagen aufgrund der Vorgeschichte gegeben (63%). Hintergrund ist hier die Gewalterfahrung im Elternhaus und/oder ein frühzeitiger Auszug aus dem Elternhaus. In weiterer Folge sind auch suchtbedingte Risikolagen anzuführen, welche zwar bei der Gruppe der jungen Erwachsenen geringfügig seltener anzutreffen waren wie bei KlientInnen mittleren Lebensalters, aber mit rund 31% Anteil handelt es sich dennoch um eine alarmierende Größenordnung. Als problematisch muss auch erscheinen, dass Risikolagen aufgrund verringerter gesellschaftlicher Teilhabe mit rund 56% Anteil bei den jungen Erwachsenen am deutlich stärksten ausgeprägt sind. Von solchen Risiken sind definitionsgemäß jene KlientInnen betroffen, deren individuelle Vorgeschichte durch lange Phasen erfolgloser Jobsuche und Zeiten großer materieller Armut geprägt war (Stichwort Ausgrenzungserfahrungen). Hierzu passt auch, dass die Verschuldungsquote in diesem Alterssegment mit rund 75% Anteil dramatisch hoch ausfällt und deutlich überdurchschnittliche Werte im Vergleich mit den anderen Altersgruppen einnimmt (siehe Abbildung 30). Diese sehr stark ausgeprägten Risikolagen schlagen sich dann auch in Form deutlich reduzierter Maßnahmeneffekte im Bereich des Wohnstatus nach Abgang nieder. Dies findet sich in allen Übergangsangeboten, vom BEWO-Segment über ÜWO-Angebote bis hin zu ÜWOZG- und ÜWOMUKI-Angebotsformen. Als problematisch sind diesbezüglich aber vor allem zwei Angebotssegmente zu sehen, im konkreten ÜWO- und ÜWOZG-Angebotsformen: Im Bereich der ÜWO-Einrichtungen zeigt sich bei der Gruppe der jungen Erwachsenen ein Anteil von Übergängen in Finalwohnungen von lediglich 13% (siehe Tabelle 427) Im Bereich der ÜWOZG-Angebote fällt dieser Indikatorwert nur geringfügig höher aus mit rund 15% Anteil (siehe Tabelle 440). Dementsprechend finden sich relativ viele Fälle von Verstößen gegen die Hausordnung, vorzeitigem Auszug oder nicht bezahltem Nutzungsentgelt (siehe Tabelle 391). Dies schlägt sich wiederum nieder in einer vergleichsweise kritischen Bewertung zur Verlässlichkeit der Wohn-/Schlafangebote (siehe Tabelle 147). Hinweise zum Hintergrund dieser relativ problematischen Situation finden sich in Kapitel 11. Fachkräfte beschreiben dieses Alterssegment als sehr schnelllebig. Junge Erwachsene befinden sich in einer lebensbiographischen Phase, die stark von Emotionen geprägt ist und dementsprechend auch sehr wenig krisenresistent ist. Das Hauptproblem dürfte sein, dass ein sehr großer Teil dieses Alterssegments noch keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat (und leider sehr oft auch keinen Platz in der Familie). Von daher ist die Aufgabe der WWH-Einrichtungen eine fast nicht zu bewältigende. Im Zentrum steht eben nicht eine Reintegration in die Gesellschaft, im Zentrum steht vielmehr das Begleiten der Zielgruppe beim Versuch einer erstmaligen Integration. Familiäre Anbindungen sind in höchstem Maße 190

vermutet, dass die Einrichtungsgröße Unterschiede macht. Kleinere, aber auch „jüngere“<br />

Einrichtungen würden in diesem Sinn mehr Spielraum für eigene Entscheidungen lassen, in<br />

größeren und alteingesessenen Einrichtungen gäbe es demgegenüber mehr Regelwerke,<br />

die Entscheidungen zwar systematischer gestalten, aber auch in gewisser Weise einengen<br />

könnten.<br />

In Abgrenzung zu den flexiblen und begleitenden sozialarbeiterischen Angeboten wird von<br />

allen InterviewpartnerInnen ein proaktiver, nachgehender Ansatz beschrieben. Dieses<br />

setzt etwa dann ein, wenn, man merkt, dass keine Miete gezahlt wird, das Wohl von Kindern<br />

bedroht ist, gewalttätiges Handeln droht, Drogen- oder Alkoholmissbrauch zum Problem<br />

werden oder andere akute Problematiken bestehen. Die spezifischen Vorgehensweisen des<br />

nachgehenden Ansatzes werden etwas unterschiedlich beschrieben. So taucht zum Beispiel<br />

im Kontext eines Zielgruppenwohnangebotes der Begriff „Krisengespräche“ auf, im Kontext<br />

eines Übergangswohnangebotes für Junge Erwachsene der Begriff „Zwickmühlengespräche“.<br />

Eine Fachkraft aus dem BEWO-Bereich gibt folgende Beschreibung wider: „Wenn bei<br />

einer Hausbesprechung auffällig ist, dass jemand beeinträchtigt ist oder jemand nicht an<br />

Hausbesprechungen teilnimmt, dann wird der ins Büro vorgeladen. Dann wird das besprochen.<br />

Es wird gefragt, was nimmst du, wie nimmst du und willst du ins Programm. Es führt<br />

also nicht sofort zu einem Rausschmiss, aber es wird der Person ständig ein Spiegel vorgehalten.“<br />

(Interviews Fachkräfte WWH). Von anderer Seite wird im Zusammenhang mit dem<br />

nachgehenden Ansatz Folgendes formuliert: „Wir laden Leute dann schon zum Gespräch<br />

ein, wenn wir zum Beispiel merken, dass keine Miete gezahlt wird. Oder wenn im Zimmer die<br />

Lautstärke zu groß ist.“ (Interviews Fachkräfte WWH)<br />

Hier konnten wir individuell unterschiedliche Grenzziehungen beobachten: Manche (eher<br />

größere) Einrichtungen verschieben die Grenze eher zugunsten des nachgehenden Ansatzes<br />

und setzen in Bezug auf Verletzungen der Hausordnung auch in der Regel engere<br />

Grenzen, andere (meist kleinere) Einrichtungen mit höherem Betreuungsschlüssel geben<br />

eher dem Empowerment-Ansatz mehr Raum. Entsprechend wird der nachgehende Ansatz<br />

etwas zurückgesetzt, auch werden die Grenzen, innerhalb derer eine Hausordnung als verletzt<br />

gilt, etwas weiter gesteckt.<br />

Ein Thema, das im Rahmen der sozialen Arbeit mehrheitlich kritisch angemerkt wurde, ist<br />

jenes der Nachbetreuung. Eine Fachkraft formuliert dies folgendermaßen: „Hier in Wien<br />

fehlt eine Betreuung danach in der Wohnung. Also eine Nachbetreuung. Das gab es meines<br />

Wissens nach noch nie. Seit 15 Jahren [Zahl aus Gründen des Datenschutzes geändert] bin<br />

ich in dem Beruf. Viele Menschen verstehen die Post nicht, sie brauchen jemanden, der sie<br />

zu ihrem Geburtstag anruft, der ihnen eine Weihnachtskarte schreibt. Das würde volkswirtschaftlich<br />

viel ersparen.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Eine Fachkraft aus dem Bereich des<br />

ÜWOZG erzählt aus ihren Erfahrungen: „Viele haben nach zwei Jahren 4000 bis 5000 Euro<br />

Schulden und können ohne Unterstützung ihre Wohnung nicht halten. Stehen dann wieder<br />

vor den Toren der <strong>Wohnungslosenhilfe</strong>. Es ist aber alles für sie schlimmer als vorher. Nix ist<br />

passiert.“ (Interviews Fachkräfte WWH). Ein Kollege aus dem BEWO Bereich wiederum<br />

merkt an: „Ein verbindliches Betreuungsangebot und -Netz muss sein, sonst fliegen die Leute<br />

wieder raus aus ihrer Wohnung. In Deutschland gibt es Erfahrungen, dass mindestens<br />

60% der ehemaligen Klienten eine langfristige Nachbetreuung brauchen.“ (Interviews Fachkräfte<br />

WWH). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang freilich, dass im System der <strong>Wiener</strong><br />

<strong>Wohnungslosenhilfe</strong> seit kurzem Angebote der MOWO (Mobile Wohnbetreuung) gefördert<br />

werden, welche diese Agenden zumindest bei einem Teil der ehemaligen KlientInnen übernehmen.<br />

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