Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung

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22.04.2014 Aufrufe

Allerdings kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass manche Systeme aus unterschiedlichsten Gründen einfach nicht zur Verfügung stehen wollen oder können und sich hieraus in einem wechselseitigen Verhalten ein beiderseitiger Rückzug ergibt. Ein typisches Beispiel wäre etwa das Andocken der WWH an die Gesundheitsversorgung: Auch heute noch beobachten viele der Fachkräfte der WWH, dass die bestehenden Gesundheitseinrichtungen in einer gewissen Weise diskriminierend gegenüber AußenseiterInnen wirken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass diese Strukturen in der Regel eher latent als manifest angelegt sind. So werden Mängel der Körperpflege etwa stigmatisiert oder auch eine fehlende Kooperationsbereitschaft der KlientInnen, die sich durch ihr Anders-Sein ergibt. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, wenn die Einrichtungen der WWH danach getrachtet haben, eigene Angebote (wie etwa Team NeunerHAUSARZT) zu erschaffen, um sich hier Spielraum zu verschaffen. Zu den externen Schnittstellen, bei denen unserer Ansicht nach Diskussionsbedarf besteht, zählen jene Zwischen der WWH und der Sozialhilfe/BMS (MA 40), der stationären psychiatrischen Versorgung, der Jugendwohlfahrt und zum Themenfeld Gemeindewohnungen bzw. leistbares Wohnen. 10.1 Schnittstelle MA 40 Immerhin rund 22% der WWH-KlientInnen, welche mehr als 6 Monate in BEWO, SOBEWO, ÜWO, ÜWOMUKI oder ÜWOZG – Angeboten wohnen, beziehen Sozialhilfe bzw. Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Deutlich höher ist der Anteil noch im SOBEWO-Bereich mit rund 33%. Allein aus diesem Grund ist eine Diskussion der Schnittstelle zur MA 40 von relativ großer Wichtigkeit. Seitens der in die qualitative Teilstudie eingebundenen ExpertInnen und Fachkräfte wird die Schnittstelle zur MA 40 mehrheitlich kritisch gesehen. Hauptkritikpunkt ist dabei das derzeitige Procedere der ausschließlich schriftlichen Beantragung einer BMS. Dieses derzeitige Procedere dürfte zwar einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, um den immer größer werdenden Andrang von BezieherInnen verwalten zu können und hat vielen Einschätzungen zufolge nicht nur die Bearbeitungszeiten reduziert, sondern hat auch positive Neuerungen nach sich gebracht, wie etwa ein garantiertes Bescheidwesen. Aber gerade für spezifische Zielgruppen (wie ein Teil der KlientInnen der WWH) sind eindeutige Nachteile erwachsen, da das Beantragungsverfahren im gleichen Atemzug hochschwelliger geworden ist. Anders ausgedrückt: Im Zuge der Umstellung auf die BMS ist das Beantragungsverfahren „ein Stück abstrakter“ geworden. Anträge werden demzufolge bei der Abgabe nicht mehr überprüft, sondern ohne persönlichen Kontakt eingereicht. Nachbesserungsaufträge ergehen i.d.R. per RSB-Brief an den/die AntragstellerIn, die Bescheide selbst müssen als relativ kompliziert für die Zielgruppe (Personen mit sprachlichen Barrieren, Suchtproblematiken, gesundheitlichen Problemen etc.) eingeschätzt werden. Eine sofortige Auszahlung von Unterstützungsleistungen, wie sie vor der Umstellung noch möglich war, ist nunmehr zum Einzelfall zurückgestuft worden. Individuelle Abklärungen, welchen früher ein Referent/eine Referentin zur Verfügung stand, landen heute in einem Callcenter, das – so die Auskunft vieler Fachkräfte - Detailfragen nur per Rückrufticket nach Absprache mit den ReferentInnen bearbeitet. Dieser Kommunikationskanal dürfte derzeit suboptimal funktionieren. Insgesamt wird daher beobachtet, dass es für einen großen Teil der KlientInnen der WWH schwieriger geworden ist, die BMS zu beantragen und somit auch die eigenen Wohn- und Aufenthaltskosten im System der WWH zu 177

finanzieren. Dies manifestiert sich unter anderem auch darin, dass die Zahl der Ansuchen an die Caritas um Überbrückungshilfe in den letzten Monaten deutlich gestiegen ist. Da den KlientInnen im Rahmen ihrer Unterbringung im System der WWH in der Regel BetreuerInnen zur Verfügung stehen, bedeutet dies auch, dass ein Teil der ohnehin begrenzten Betreuungszeit für die Unterstützung bei der Beantragung der BMS gebunden ist. Diese Kritik betrifft zunächst einmal die Frage, wie die Lebenssicherung während des Aufenthalts im System der WWH erreicht werden kann. Noch problematischer muss aber diesbezüglich die Phase nach dem Abgang eingeschätzt werden, da bei einem großen Teil der WWH- Angebote (zumindest derzeit) keine strukturierte Nachbetreuung zur Verfügung steht. Nach einem Abgang in eine Finalwohnung sind die KlientInnen sozusagen mehr oder weniger auf sich gestellt und müssen das hochschwellige Einreichverfahren auf BMS alleine managen. Dies betrifft somit das Thema der Nachhaltigkeit der Maßnahmenergebnisse. Abgänge aus den Angeboten ziehen i.d.R. mit Ausnahme Poolwohnungen häufig eine Veränderung des Wohnortes nach sich, sind somit tendenziell eine Belastung für die Lebensführung der Klientel und in diesem Rahmen muss jede weitere Belastung – wie das hochschwellige Beantragungsverfahren auf BMS – als weiteres Risiko gefasst werden. Insofern ist davon auszugehen, dass die Nachhaltigkeit der Maßnahmenergebnisse Gefahr läuft, negativ beeinflusst zu werden. Freilich haben – zumindest für die Zeit der Unterbringung im System der WWH - die Fachkräfte der WWH auch nach Alternativen gesucht und sind auch fündig geworden, wenngleich auch die näheren Begleitumstände zu der Ansicht kommen lassen, dass dies keine längerfristige Lösung darstellen kann: Im Callcenter der Servicestelle werden prinzipiell keine Zuständigkeiten und Kontaktdaten der bearbeitenden ReferentInnen weitergegeben. Dennoch gelang es den Fachkräften auf unterschiedlichem Wege, Kontakte zu recherchieren und auch in Erfahrung zu bringen, welche ReferentInnen an welchen Tag zur Verfügung stehen. Der direkte Kontakt mit teils höchst engagierten ReferentInnen hilft zumeist, problematische Einzelfragen zu klären und lange Bearbeitungswege mit einhergehender zwischenzeitlich fehlender Lebenssicherung zu vermeiden. Dieses Verfahren ist aber im Grunde genommen im Graubereich der Instanzenwege zu verorten und deshalb nicht als dauerhaftes Schnittstellenprocedere tragbar, um strukturelle Defizite auszugleichen. 10.2 Schnittstelle psychiatrische Versorgung Unter den Fachkräften der WWH besteht ein allgemeiner Konsens bezüglich der Erkenntnis, dass der Anteil an KlientInnen mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Wechselwirkungen zwischen Wohnungslosigkeit und psychischen Erkrankungen verwiesen. Demzufolge kann Wohnungslosigkeit und insbesondere das Leben auf der Straße psychische Krisen induzieren, andererseits beeinflussen akute psychische Erkrankungen aber auch die Wohnfähigkeit. Personen mit psychischen Erkrankungen zählen demzufolge zur Klientel der WWH, wenngleich auch die einzelnen Angebotsformen und Angebote in unterschiedlichem Maße auf dieses Zielgruppenkriterium eingehen (können). So werden im Rahmen der Wohnungslosenhilfe beispielsweise explizit Leistungen im Bereich Sozial betreutes Wohnen angeboten, die ehemals durch Pflegeheime, erbracht wurden. Dementsprechend ergänzt eine psychiatrische Diplomkrankenschwester bzw. ein psychiatrischer Diplomkrankenpfleger das Angebot. Dies findet sich etwa in den Häusern Noah und Jona der Caritas und Max Winter des ASBÖ. Dementsprechend findet sich in der Zielgruppenbeschreibung der Hinweis auf ehemalige GeriatriepatientInnen. Erwähnenswert seitens der SOBEWO Angebote ist diesbezüg- 178

finanzieren. Dies manifestiert sich unter anderem auch darin, dass die Zahl der Ansuchen an<br />

die Caritas um Überbrückungshilfe in den letzten Monaten deutlich gestiegen ist. Da den<br />

KlientInnen im Rahmen ihrer Unterbringung im System der WWH in der Regel BetreuerInnen<br />

zur Verfügung stehen, bedeutet dies auch, dass ein Teil der ohnehin begrenzten Betreuungszeit<br />

für die Unterstützung bei der Beantragung der BMS gebunden ist. Diese Kritik betrifft<br />

zunächst einmal die Frage, wie die Lebenssicherung während des Aufenthalts im System<br />

der WWH erreicht werden kann. Noch problematischer muss aber diesbezüglich die<br />

Phase nach dem Abgang eingeschätzt werden, da bei einem großen Teil der WWH-<br />

Angebote (zumindest derzeit) keine strukturierte Nachbetreuung zur Verfügung steht. Nach<br />

einem Abgang in eine Finalwohnung sind die KlientInnen sozusagen mehr oder weniger auf<br />

sich gestellt und müssen das hochschwellige Einreichverfahren auf BMS alleine managen.<br />

Dies betrifft somit das Thema der Nachhaltigkeit der Maßnahmenergebnisse. Abgänge aus<br />

den Angeboten ziehen i.d.R. mit Ausnahme Poolwohnungen häufig eine Veränderung des<br />

Wohnortes nach sich, sind somit tendenziell eine Belastung für die Lebensführung der Klientel<br />

und in diesem Rahmen muss jede weitere Belastung – wie das hochschwellige Beantragungsverfahren<br />

auf BMS – als weiteres Risiko gefasst werden. Insofern ist davon auszugehen,<br />

dass die Nachhaltigkeit der Maßnahmenergebnisse Gefahr läuft, negativ beeinflusst zu<br />

werden.<br />

Freilich haben – zumindest für die Zeit der Unterbringung im System der WWH - die Fachkräfte<br />

der WWH auch nach Alternativen gesucht und sind auch fündig geworden, wenngleich<br />

auch die näheren Begleitumstände zu der Ansicht kommen lassen, dass dies keine längerfristige<br />

Lösung darstellen kann: Im Callcenter der Servicestelle werden prinzipiell keine Zuständigkeiten<br />

und Kontaktdaten der bearbeitenden ReferentInnen weitergegeben. Dennoch<br />

gelang es den Fachkräften auf unterschiedlichem Wege, Kontakte zu recherchieren und<br />

auch in Erfahrung zu bringen, welche ReferentInnen an welchen Tag zur Verfügung stehen.<br />

Der direkte Kontakt mit teils höchst engagierten ReferentInnen hilft zumeist, problematische<br />

Einzelfragen zu klären und lange Bearbeitungswege mit einhergehender zwischenzeitlich<br />

fehlender Lebenssicherung zu vermeiden. Dieses Verfahren ist aber im Grunde genommen<br />

im Graubereich der Instanzenwege zu verorten und deshalb nicht als dauerhaftes Schnittstellenprocedere<br />

tragbar, um strukturelle Defizite auszugleichen.<br />

10.2 Schnittstelle psychiatrische Versorgung<br />

Unter den Fachkräften der WWH besteht ein allgemeiner Konsens bezüglich der Erkenntnis,<br />

dass der Anteil an KlientInnen mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren deutlich<br />

zugenommen hat. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Wechselwirkungen zwischen<br />

Wohnungslosigkeit und psychischen Erkrankungen verwiesen. Demzufolge kann<br />

Wohnungslosigkeit und insbesondere das Leben auf der Straße psychische Krisen induzieren,<br />

andererseits beeinflussen akute psychische Erkrankungen aber auch die Wohnfähigkeit.<br />

Personen mit psychischen Erkrankungen zählen demzufolge zur Klientel der WWH, wenngleich<br />

auch die einzelnen Angebotsformen und Angebote in unterschiedlichem Maße auf<br />

dieses Zielgruppenkriterium eingehen (können). So werden im Rahmen der <strong>Wohnungslosenhilfe</strong><br />

beispielsweise explizit Leistungen im Bereich Sozial betreutes Wohnen angeboten,<br />

die ehemals durch Pflegeheime, erbracht wurden. Dementsprechend ergänzt eine psychiatrische<br />

Diplomkrankenschwester bzw. ein psychiatrischer Diplomkrankenpfleger das Angebot.<br />

Dies findet sich etwa in den Häusern Noah und Jona der Caritas und Max Winter des<br />

ASBÖ. Dementsprechend findet sich in der Zielgruppenbeschreibung der Hinweis auf ehemalige<br />

GeriatriepatientInnen. Erwähnenswert seitens der SOBEWO Angebote ist diesbezüg-<br />

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