Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung
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Dass umgekehrt ihre körperlichen Erkrankungen Wohnungslosigkeit zur Folge haben trifft wiederum in 10% der Fälle zu, etwas stärker bei älteren KlientInnen. Hier wird der Zusammenhang unabhängig vom konkreten Krankheitsbild fast ausschließlich über die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit – Jobverlust, finanzielle Einbußen, Schwierigkeit, mit gesundheitlichen Einschränkungen eine Arbeit zu finden – beschrieben. Exemplarisch meinte etwa ein Klient: „ich konnte durch den Schlaganfall und die bleibenden Schäden nicht mehr arbeiten, dadurch haben wir auch die Wohnung verloren. Meine Frau konnte damit gar nicht umgehen, wir hatten sehr große Probleme und haben uns dann getrennt“ (Int.Nr.89). In zwei Fällen, bei denen es sich um Erkrankungen des Bewegungsapparats handelt, musste die Wohnung aufgrund ihrer (nicht behindertengerechten) Lage aufgegeben werden, ohne Ersatz zu finden. Psychische Erkrankungen 41 sind deutlich häufiger als körperliche als Folge der Wohnungslosigkeit zu sehen. Eine Verstärkung derartiger Beschwerden fand in 60% der Fälle statt. Das heißt, zwei von drei psychischen Problemlagen erfahren durch die Wohnungslosigkeit eine Verschlimmerung. So häufen sich beispielsweise Angst- und Panikattacken durch die unvertraute Umgebung (Int.Nr.81,59), zwei KlientInnen mit Borderline-Syndrom berichten von Selbstmordgedanken aufgrund der instabilen Situation (Int.Nr.188,83), und in den vielen Fällen von Depression kam es zu einer deutlichen Verschlechterung der Situation – beispielsweise aufgrund von „größer werdenden Zukunftssorgen“ (Int.Nr.127) oder Einsamkeit (Int.Nr. 196), von Gefühlen der „Hoffnungslosigkeit“ (Int.Nr.111), der „Aussichtslosigkeit“ (Int.Nr. 129), des fehlenden Schutzes und der Angst (Int.Nr.158), der „Verzweiflung und Hilflosigkeit“ (Int.Nr.62), aufgrund von Stress (Int.Nr.77,80,176) oder auch eines wachsenden „Wurschtigkeitsgefühls“ (Int.Nr.122). Depressionen und andere psychische Erkrankungen werden umgekehrt immerhin auch von 17% als Mit-Verursacher der Wohnungslosigkeit identifiziert. Hier ist vor allem die erlebte „Antriebslosigkeit“ (Int.Nr.103,127), die „Überforderung“ (Int.Nr.122) und die Gleichgültigkeit Dingen wie Mietzahlungen gegenüber (Int.Nr.106) als der Mechanismus beschrieben, der zum Verlust der Wohnmöglichkeit beitrug. Ähnlich wie bei körperlichen Beschwerden kam es auch zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (Int.Nr.92,199), und bei KlientInnen mit manischen Phasen kam es auch zum Verspielen des Geldes (Int.Nr.174). Bei Bestehen einer Alkohol- oder Drogenproblematik zeigt sich die stärkste Wechselwirkung mit der Situation der Wohnungslosigkeit – in beide Richtungen werden hier häufig kausale Zusammenhänge erlebt. In 49% der Fälle wurde ein entsprechendes Suchtverhalten durch die Wohnungslosigkeit verstärkt, und in 62% gilt die Suchtthematik als ein Mit-Grund für die Wohnungslosigkeit. Die beiden in der Entstehungsgeschichte geschilderten zentralen Mechanismen erlangen durch die Wohnungslosigkeit einen zusätzlichen Schub: einerseits Sorgen und Kummer, Einsamkeit (Int.Nr.196), Gefühle von Sinnlosigkeit (Int.Nr.108) und sozialer Degradierung („früher angesehen, jetzt Almosenempfänger“, Int.Nr. 139) und mehrfach das Verdrängen von Problemen. Auch das „Trinken damit die Zeit vergeht“ (Int.Nr.186) spielt eine wesentliche Rolle. Anderseits erlebten einige in der Wohnungslosigkeit auch die Animation durch das Umfeld und den „Gruppenzwang“ (Int.Nr.141). In den Fällen, in denen das Suchtverhalten für die Wohnungslosigkeit mit-verantwortlich gemacht wird, ist das Wort „egal“ bestimmend: es war „alles egal“, man hat sich „für nichts mehr interessiert“ und „um nichts mehr gekümmert“ oder nicht mehr kümmern können und eben die Miete nicht mehr bezahlt. Der „Alltag war nicht mehr bewältigbar“ (Int.Nr.184) und man hatte „keinen Bezug mehr zur Realität“ (Int.Nr. 56) formulierten dies zwei Befragte. Vor 41 Einen guten Überblick über den Diskurs zur Debatte „psychisch krank und obdachlos“ gibt Aigner (2009). 133
allem im Kontext mit härteren Drogen werden auch die Kosten der Sucht zum Mit-Grund für den Verlust der Wohnmöglichkeit. Der finanzielle Aspekt spielt vor allem auch in den Fällen nicht-substanzgebundenen Suchtverhaltens eine Rolle. Da es sich hierbei in erster Linie um Spielsucht handelt, haben die Betroffenen häufig große Summen für ihre Sucht verbraucht und darüber die Wohnmöglichkeit verloren. 8.5.7.4 Behandlung Zuletzt interessierte, wie die KlientInnen mit ihren Erkrankungen umgehen, insbesondere ob sie professionelle ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Doch auch die entsprechenden Verhaltensänderungen oder -anpassungen im Alltag (Vermeidung gesundheitsschädlichen Verhaltens und unterstützende Maßnahmen) sollten als positive Gesundheitsbeitrag erfasst werden. Derartige Verhaltensänderungen im Alltag gibt gut jede/r zweite Befragte an – sowohl körperliche, psychische und suchtbezogene Erkrankungen betreffend (zwischen 50% und 67%, siehe Abbildung 45). Die verschiedenen Angebotsformen ermöglichen oder unterstützen diese Verhaltensanpassungen in gleicher Weise, das heißt es bestehen diesbezüglich keine bedeutsamen Differenzen zwischen ihnen (siehe Tabelle 314ff). Zu diesen Verhaltensänderungen gehören bei KlientInnen mit körperlichen Erkrankungen im Wesentlichen zwei Handlungsfelder. Zum einen erzählen sie von Umstellungen im Lebensstil in Richtung gesünderer Ernährung und mehr Bewegung (beispielsweise „ich gehe mehr spazieren“ bei Wirbelsäulenproblemen, Int.Nr.160 oder „ich ernähre mich gesünder“ bei Gastritis, Int.Nr.93, „Ernährung umgestellt und viel abgenommen“ nach Schlaganfall, Int.Nr.89, usw.). Zur gezielten Bewegung gehört auch das Absolvieren von „Übungen“ nach einem Schlaganfall (Int.Nr.12). Ein für viele zentraler Bestandteil in der ernährungstechnischen Lebensumstellung ist der Verzicht oder die Einschränkung des Alkoholkonsums, des Nikotinkonsums oder des Konsums anderer Drogen. Zum zweiten ist für einige die strengere Kontrolle und die medizinische Überwachung ihres Gesundheitszustands ein Thema. Hierbei geht es um die konsequente Einnahme von Medikamenten (beispielsweise bei Hepatitis, Int.Nr.77, Diabetes, Int.Nr.157,201 oder einem Tumor, Int.Nr.143) oder eine regelmäßige Blutdruckkontrolle bei Bluthochdruck (Int.Nr.86). Generell kommt bei mehreren Befragten eine gesteigerte Sensibilität für ihre körperlichen Bedürfnisse zum Ausdruck, eine höhere Achtsamkeit, „ich bin vorsichtiger geworden“ meint etwa ein Klient mit Wirbelsäulenproblemen (Int.Nr.180), „ich versuche, mir mehr Zeit für mich zu nehmen und zu entspannen“ eine Bewohnerin mit Migräne (Int.Nr.7) oder „ich passe mehr auf auf mich“ erzählt eine HIV- Patientin (Int.Nr.161). Für den Umgang mit psychischen Erkrankungen im Alltag, insbesondere bei KlientInnen mit Depressionen, wurden je nach den Bedarfen unterschiedliche Strategien entwickelt. Diese reichen von der Gestaltung eines regelmäßigen Tagesablaufs (Int.Nr.103) und der bewussten Planung des Alltags (Int.Nr.127) über Musik hören (Int.Nr.176) und lesen, Büchereibenutzung (Int.Nr.163) bis zu täglichen Spaziergängen mit dem Hund (Int.Nr.73). Auch die bewusste Auseinandersetzung mit sich selbst (Int.Nr.174) wird von einem Klienten mit manisch-depressivem Krankheitsbild als Umgangsform mit der Erkrankung angesprochen. Eine Klientin mit Angstattacken achtet darauf, nicht allein das Haus zu verlassen sondern jemanden dabei zu haben (Int.Nr.59). Was den Bereich der Alkohol- und Drogenthematik betrifft – in dem zwei Drittel eine Veränderung in ihrem Alltagshandeln angeben – handelt es sich um die Einschränkung des Konsums. Diese reicht von „weniger trinken“ (Int.Nr.79) über „fast nichts mehr trinken“ (Int.Nr.108) bis zu „keinen Tropfen Alkohol mehr trinken“ (Int.Nr.83). Und 134
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allem im Kontext mit härteren Drogen werden auch die Kosten der Sucht zum Mit-Grund für<br />
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eine Rolle. Da es sich hierbei in erster Linie um Spielsucht handelt, haben die<br />
Betroffenen häufig große Summen für ihre Sucht verbraucht und darüber die Wohnmöglichkeit<br />
verloren.<br />
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Zuletzt interessierte, wie die KlientInnen mit ihren Erkrankungen umgehen, insbesondere ob<br />
sie professionelle ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Doch auch die entsprechenden Verhaltensänderungen<br />
oder -anpassungen im Alltag (Vermeidung gesundheitsschädlichen Verhaltens<br />
und unterstützende Maßnahmen) sollten als positive Gesundheitsbeitrag erfasst<br />
werden.<br />
Derartige Verhaltensänderungen im Alltag gibt gut jede/r zweite Befragte an – sowohl körperliche,<br />
psychische und suchtbezogene Erkrankungen betreffend (zwischen 50% und 67%,<br />
siehe Abbildung 45). Die verschiedenen Angebotsformen ermöglichen oder unterstützen<br />
diese Verhaltensanpassungen in gleicher Weise, das heißt es bestehen diesbezüglich keine<br />
bedeutsamen Differenzen zwischen ihnen (siehe Tabelle 314ff).<br />
Zu diesen Verhaltensänderungen gehören bei KlientInnen mit körperlichen Erkrankungen im<br />
Wesentlichen zwei Handlungsfelder. Zum einen erzählen sie von Umstellungen im Lebensstil<br />
in Richtung gesünderer Ernährung und mehr Bewegung (beispielsweise „ich gehe mehr spazieren“<br />
bei Wirbelsäulenproblemen, Int.Nr.160 oder „ich ernähre mich gesünder“ bei Gastritis,<br />
Int.Nr.93, „Ernährung umgestellt und viel abgenommen“ nach Schlaganfall, Int.Nr.89,<br />
usw.). Zur gezielten Bewegung gehört auch das Absolvieren von „Übungen“ nach einem<br />
Schlaganfall (Int.Nr.12). Ein für viele zentraler Bestandteil in der ernährungstechnischen Lebensumstellung<br />
ist der Verzicht oder die Einschränkung des Alkoholkonsums, des Nikotinkonsums<br />
oder des Konsums anderer Drogen. Zum zweiten ist für einige die strengere Kontrolle<br />
und die medizinische Überwachung ihres Gesundheitszustands ein Thema. Hierbei<br />
geht es um die konsequente Einnahme von Medikamenten (beispielsweise bei Hepatitis,<br />
Int.Nr.77, Diabetes, Int.Nr.157,201 oder einem Tumor, Int.Nr.143) oder eine regelmäßige<br />
Blutdruckkontrolle bei Bluthochdruck (Int.Nr.86). Generell kommt bei mehreren Befragten<br />
eine gesteigerte Sensibilität für ihre körperlichen Bedürfnisse zum Ausdruck, eine höhere<br />
Achtsamkeit, „ich bin vorsichtiger geworden“ meint etwa ein Klient mit Wirbelsäulenproblemen<br />
(Int.Nr.180), „ich versuche, mir mehr Zeit für mich zu nehmen und zu entspannen“ eine<br />
Bewohnerin mit Migräne (Int.Nr.7) oder „ich passe mehr auf auf mich“ erzählt eine HIV-<br />
Patientin (Int.Nr.161).<br />
Für den Umgang mit psychischen Erkrankungen im Alltag, insbesondere bei KlientInnen mit<br />
Depressionen, wurden je nach den Bedarfen unterschiedliche Strategien entwickelt. Diese<br />
reichen von der Gestaltung eines regelmäßigen Tagesablaufs (Int.Nr.103) und der bewussten<br />
Planung des Alltags (Int.Nr.127) über Musik hören (Int.Nr.176) und lesen, Büchereibenutzung<br />
(Int.Nr.163) bis zu täglichen Spaziergängen mit dem Hund (Int.Nr.73). Auch die bewusste<br />
Auseinandersetzung mit sich selbst (Int.Nr.174) wird von einem Klienten mit manisch-depressivem<br />
Krankheitsbild als Umgangsform mit der Erkrankung angesprochen. Eine<br />
Klientin mit Angstattacken achtet darauf, nicht allein das Haus zu verlassen sondern jemanden<br />
dabei zu haben (Int.Nr.59). Was den Bereich der Alkohol- und Drogenthematik betrifft –<br />
in dem zwei Drittel eine Veränderung in ihrem Alltagshandeln angeben – handelt es sich um<br />
die Einschränkung des Konsums. Diese reicht von „weniger trinken“ (Int.Nr.79) über „fast<br />
nichts mehr trinken“ (Int.Nr.108) bis zu „keinen Tropfen Alkohol mehr trinken“ (Int.Nr.83). Und<br />
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