Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung
Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung Evaluierung Wiener Wohnungslosenhilfe - L&R Sozialforschung
im weit überwiegenden Teil der Fälle in Bezug auf Alkohol, vereinzelt auch auf Heroin, Cannabis und Kokain. Die wenigen Fälle nicht-substanzgebundenen Suchtverhaltens beziehen sich auf Spielsucht, Wetten und Kaufsucht. Im Durchschnitt nannten die befragten KlientInnen 2,15 Krankheitsbilder, das Maximum lag in einem Fall bei sieben Krankheitsbildern. Bemerkenswert ist auf der rein quantitativen Ebene die deutlich höhere durchschnittliche Anzahl von Krankheiten bei Frauen: Sie nennen im Interview im Schnitt 2,5 Krankheiten, Männer im Schnitt 1,9. Inwieweit es sich hier um eine tatsächlich massiv stärkere Betroffenheit handelt, oder (auch) um stärker ausgeprägtes Problembewusstsein bei Frauen oder (auch) um eine größere Bereitschaft, in einem Interviewsetting über Krankheiten zu sprechen, kann im Rahmen dieser Studie letztlich nicht geklärt werden. Jedenfalls zeigten sich Frauen bereits im allgemeinen Interviewteil deutlich stärker von psychisch-seelischen Beschwerdenn betroffen (49% vs. 32%) und nahmen tatsächlich etwas häufiger am zusätzlichen Befragungsblock teil (82% vs. 71%), letztere Differenz ist jedoch nicht in statistischem Sinne signifikant. Im Vergleich der Altersgruppen – und damit auch im Vergleich der Angebotsformen – zeigen sich keine Auffälligkeiten was die Anzahl der genannten Krankheitsbilder betrifft. Allein die Zahl der Krankheitsbilder ist aber auch kein Maß für deren Schwere der Krankheit und misst nicht den Grad der krankheitsbedingten Beeinträchtigung einer „Wohnfähigkeit“. Deshalb kann dieses Maß nichts über Belastungen an sich aussagen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass gesundheitliche Problematiken in allen Teilgruppen von Relevanz sind. 8.5.7.2 Entstehungsgeschichten Die Entstehungsgeschichten der verschiedenen Krankheitsbilder sind so vielfältig wie die genannten Krankheitsbilder selbst und können im Folgenden nur exemplarisch wiedergegeben werden. Es gibt Fälle, in denen die Befragten gewisse Auslöser identifizieren können, in anderen bestehen die gesundheitlichen Beschwerden bereits seit der Kindheit und/oder sind erblich bedingt (beispielsweise bei Diabetes, Asthma, Epilepsie, Migräne, etc.), in wieder anderen treten sie plötzlich auf und „man weiß es nicht“ (Int.Nr.199) was die Ursache darstellt, hat sie sich „irgendwo eingefangen“ (Int.Nr.170) oder versteht sie als „altersbedingt“ (IntNr.76). Als spezielle Auslöser körperlicher Erkrankungen gelten vor allem körperliche Belastungen im beruflichen Bereich. In zahlreichen Fällen führte starke körperliche Anstrengung in der Gastronomie, im Baubereich, als MechanikerIn oder durch Pflegeaufgaben zu Erkrankungen des Bewegungsapparats (vor allem Bandscheiben, aber auch Knie und Hüfte), starke Stressbelastungen im Job zeichnen für Magenprobleme oder Bluthochdruck verantwortlich, und das Arbeiten ohne Gehörschutz führte zu Gehörschäden. Auch punktuelle Unfälle spielen eine wesentliche Rolle (beispielsweise Autounfall oder Verkehrsunfall als FußgängerIn, Schiunfall, Sturz, Schlägerei). Andere sind Folgeerscheinungen anderer körperlicher Beschwerden beziehungsweise deren medikamentöser Behandlung, wie etwa der bei einem Epilepsieanfall erlittene Herzinfarkt (Int.Nr.9) oder die Magenprobleme aufgrund der Medikamente für die Epilepsie (Int.Nr.59). Psychische Belastungen oder eine psychische Bedingtheit von körperlichen Beschwerden ist ebenso gegeben, etwa im Bereich von Migräne oder Verdauungsproblemen („ist psychisch bedingt: ich habe immer alles runtergeschluckt“, Int.Nr.155). Auch werden private Erlebnisse wie die Trennung von dem/der LebenspartnerIn und der Tod von Angehörigen als Ursache des Bluthochdrucks oder der Herzbeschwerden gesehen. Auch der eigene Lebensstil wird für manche Erkrankungen verantwortlich gemacht (etwa viel Rauchen, schlechte Ernährung, Übergewicht, 15 Jahre kein Zahnarztbesuch). Einige Krank- 129
heitsbilder ergeben sich als Folge von Alkohol- und Drogenmissbrauch, beispielsweise chronische Entzündungen (Hepatitis, Gastritis, Nasenschleimhaut) etwa aufgrund von Alkoholismus oder Kokainkonsum. Zwei HIV-PatientInnen erzählen, sich über Nadeln infiziert zu haben. Auch die Wohnungslosigkeit wird als (Mit-)Verursacherin identifiziert, etwa von Herzbeschwerden, Asthma oder Infektionen aufgrund schlechter Wundversorgung (Int.Nr.201). Bei den psychischen Krankheitsbildern – bei denen sich im überwiegenden Teil um Depressionen handelt – werden in erster Linie verschiedene persönliche Erlebnisse in der Entstehungsgeschichte geschildert. Sehr häufig werden traumatische Erfahrungen einerseits in sozialen Beziehungen benannt (Tod von nahen Angehörigen und FreundInnen, Trennung und Scheidung, in zahlreichen Fällen auch physische und psychische Gewalt durch PartnerIn oder Eltern), andererseits gilt oft die prekäre Wohnsituation oder der Wohnungsverlust als Ursache der Depressionen (s. u.). Neben diesen beiden sehr häufigen Konstellationen und einer eher allgemeinen Disposition und langfristigen Betroffenheit („von Jugend an“, Int.Nr.122) kommen noch zahlreiche andere konkrete Auslöser zur Sprache. Eine Person etwa stürzte in eine Depression als ihr ihre Kinder weggenommen wurden (Int.Nr.106), eine andere durch die Überforderung durch die Kinder (Int.Nr.7), wieder eine andere aufgrund von Geldsorgen und Versorgungsängsten (Int.Nr.148), mehrere durch den Jobverlust (Int.Nr.73,52), usw. In wenigen Fällen stellen sich Depressionen auch als Folge körperlicher Beschwerden oder deren Behandlung dar, beispielsweise aufgrund der Medikation einer Hepatitis (Int.Nr.77) oder der Krebserkrankung (Int.Nr.16). Andere psychische Beschwerden wie Angst- und Panikattacken beruhen zumeist auf massiven Traumatisierungen, etwa durch Vergewaltigungen (Int.Nr. 24,158) oder in einem Fall auch durch eine Geiselnahme (Int.Nr.120). Für die Entstehungsgeschichte von Alkoholismus und Drogenmissbrauch lassen sich ebenfalls einerseits konkrete Ursachen identifizieren, andererseits entsteht das Konsumverhalten oftmals in kleinen Schritten und ohne besondere Umstände. Konkrete Anlässe sind vor allem mit Kummer und Schmerz verbunden. Zum einen geht es häufig um Trennungen oder den Tod von PartnerInnen und FreundInnen und das Verdrängen von Problemen („Probleme mit den Eltern verdrängen und in eine andere Welt flüchten“, Int.Nr.77, „Nach der Zwangsheirat mit 17 und Problemen in der Ehe hab ich mit 18 zu trinken begonnen“ (Int.Nr.132)), zum anderen um Frustration etwa aufgrund von Jobverlust, dem damit verbundenen Gefühl „unnütz für die Gesellschaft zu sein (Int.Nr.108), um Einsamkeit (Int.Nr.196) und mehrfach auch um Langeweile („ich habe zu viel Zeit“, Int.Nr.141). Auf der anderen Seite wird sehr oft das soziale Umfeld als Auslöser für Alkohol- und Drogenkonsum erlebt. So erzählt etwa ein/e KlientIn, dass es „in der Arbeit gang und gäbe ist, zu trinken nach der Schicht“ (Int.Nr.135), mehrere berichten von einem Freundeskreis, in dem Alkohol, Marihuana oder härtere Drogen „normal“ (Int.Nr.78) sind und Probleme damit werden oftmals auch nicht als Krankheit eingestuft. Gerade der Konsum von Kokain und Heroin ist auch mit Neugier (Int.Nr.72) verbunden. Zwei Männer erwähnen das Bundesheer als wesentlichen Kontext ihres Alkoholkonsums. Zwei Personen erzählen, dass ihr/e WohnungspartnerIn AlkoholikerIn gewesen ist und er/sie deshalb auch zu trinken begonnen haben, eine weitere lernte das Trinken bereits im Elternhaus: „schon als Baby habe ich von den Eltern Alkohol zum Schlafen eingeflößt bekommen, richtig angefangen habe ich dann mit 10 Jahren“ (Int.Nr.166). Nicht-substanzgebundenes Suchtverhalten betrifft eine relativ kleine Gruppe der KlientInnen, die Entstehungsgeschichten ähneln jenen von Alkohol- und Drogensucht: Einsamkeit und die Animation durch Freunde werden hier genannt. Die häufige Betroffenheit durch mehrere Krankheitsbilder (Durchschnitt von 2,15 Krankheitsbildern) und die Verzahnung verschiedener Problemfelder führt häufig zu sehr komplexen 130
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im weit überwiegenden Teil der Fälle in Bezug auf Alkohol, vereinzelt auch auf Heroin, Cannabis<br />
und Kokain. Die wenigen Fälle nicht-substanzgebundenen Suchtverhaltens beziehen<br />
sich auf Spielsucht, Wetten und Kaufsucht.<br />
Im Durchschnitt nannten die befragten KlientInnen 2,15 Krankheitsbilder, das Maximum lag<br />
in einem Fall bei sieben Krankheitsbildern. Bemerkenswert ist auf der rein quantitativen Ebene<br />
die deutlich höhere durchschnittliche Anzahl von Krankheiten bei Frauen: Sie nennen im<br />
Interview im Schnitt 2,5 Krankheiten, Männer im Schnitt 1,9. Inwieweit es sich hier um eine<br />
tatsächlich massiv stärkere Betroffenheit handelt, oder (auch) um stärker ausgeprägtes Problembewusstsein<br />
bei Frauen oder (auch) um eine größere Bereitschaft, in einem Interviewsetting<br />
über Krankheiten zu sprechen, kann im Rahmen dieser Studie letztlich nicht geklärt<br />
werden. Jedenfalls zeigten sich Frauen bereits im allgemeinen Interviewteil deutlich<br />
stärker von psychisch-seelischen Beschwerdenn betroffen (49% vs. 32%) und nahmen tatsächlich<br />
etwas häufiger am zusätzlichen Befragungsblock teil (82% vs. 71%), letztere Differenz<br />
ist jedoch nicht in statistischem Sinne signifikant. Im Vergleich der Altersgruppen – und<br />
damit auch im Vergleich der Angebotsformen – zeigen sich keine Auffälligkeiten was die Anzahl<br />
der genannten Krankheitsbilder betrifft. Allein die Zahl der Krankheitsbilder ist aber auch<br />
kein Maß für deren Schwere der Krankheit und misst nicht den Grad der krankheitsbedingten<br />
Beeinträchtigung einer „Wohnfähigkeit“. Deshalb kann dieses Maß nichts über Belastungen<br />
an sich aussagen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass gesundheitliche Problematiken in allen<br />
Teilgruppen von Relevanz sind.<br />
8.5.7.2 Entstehungsgeschichten<br />
Die Entstehungsgeschichten der verschiedenen Krankheitsbilder sind so vielfältig wie die<br />
genannten Krankheitsbilder selbst und können im Folgenden nur exemplarisch wiedergegeben<br />
werden. Es gibt Fälle, in denen die Befragten gewisse Auslöser identifizieren können, in<br />
anderen bestehen die gesundheitlichen Beschwerden bereits seit der Kindheit und/oder sind<br />
erblich bedingt (beispielsweise bei Diabetes, Asthma, Epilepsie, Migräne, etc.), in wieder<br />
anderen treten sie plötzlich auf und „man weiß es nicht“ (Int.Nr.199) was die Ursache darstellt,<br />
hat sie sich „irgendwo eingefangen“ (Int.Nr.170) oder versteht sie als „altersbedingt“<br />
(IntNr.76).<br />
Als spezielle Auslöser körperlicher Erkrankungen gelten vor allem körperliche Belastungen<br />
im beruflichen Bereich. In zahlreichen Fällen führte starke körperliche Anstrengung in der<br />
Gastronomie, im Baubereich, als MechanikerIn oder durch Pflegeaufgaben zu Erkrankungen<br />
des Bewegungsapparats (vor allem Bandscheiben, aber auch Knie und Hüfte), starke<br />
Stressbelastungen im Job zeichnen für Magenprobleme oder Bluthochdruck verantwortlich,<br />
und das Arbeiten ohne Gehörschutz führte zu Gehörschäden. Auch punktuelle Unfälle spielen<br />
eine wesentliche Rolle (beispielsweise Autounfall oder Verkehrsunfall als FußgängerIn,<br />
Schiunfall, Sturz, Schlägerei).<br />
Andere sind Folgeerscheinungen anderer körperlicher Beschwerden beziehungsweise deren<br />
medikamentöser Behandlung, wie etwa der bei einem Epilepsieanfall erlittene Herzinfarkt<br />
(Int.Nr.9) oder die Magenprobleme aufgrund der Medikamente für die Epilepsie (Int.Nr.59).<br />
Psychische Belastungen oder eine psychische Bedingtheit von körperlichen Beschwerden ist<br />
ebenso gegeben, etwa im Bereich von Migräne oder Verdauungsproblemen („ist psychisch<br />
bedingt: ich habe immer alles runtergeschluckt“, Int.Nr.155). Auch werden private Erlebnisse<br />
wie die Trennung von dem/der LebenspartnerIn und der Tod von Angehörigen als Ursache<br />
des Bluthochdrucks oder der Herzbeschwerden gesehen.<br />
Auch der eigene Lebensstil wird für manche Erkrankungen verantwortlich gemacht (etwa viel<br />
Rauchen, schlechte Ernährung, Übergewicht, 15 Jahre kein Zahnarztbesuch). Einige Krank-<br />
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