Mitteilungen Nr. 52 - Hans Henny Jahnn
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Die Harmonik der Welt<br />
Eine Einführung (aus Tattva Viveka <strong>Nr</strong>. 20)<br />
von Prof. Dr. Rudolf Haase und Prof. Dr. Werner Schulze<br />
Dieser Grundsatzartikel von Rudolf Haase, aktualisiert und überarbeitet von seinem<br />
Nachfolger Werner Schulze (am Internationalen Harmonikzentrum an der Universität<br />
für Musik und darstellende Kunst Wien) gibt einen Überblick über die Entstehung der<br />
Harmonik bei PYTHAGORAS, ihre Weiterentwicklung durch JOHANNES KEPLER, ALBERT VON<br />
THIMUS, HANS KAYSER u.a. sowie die inhaltlichen Facetten der harmonikalen Naturgesetze,<br />
insbesondere Gehör, Musik und Architektur bis hin zur Bedeutung des<br />
harmonikalen Denkens, das eine neue Sinnebene in die entseelten Wissenschaften<br />
der Neuzeit einzubringen vermag.<br />
Die Geschichte des harmonikalen Denkens<br />
In zahlreichen alten Hochkulturen war die Vorstellung verbreitet, dass die Welt aus<br />
Klängen entstanden ist oder aus solchen besteht; in Mythen und mit Symbolen wurde<br />
dies dargestellt. Als sich in der griechischen Antike die Wandlung «von der Mythologie<br />
zur Philosophie», «vom Mythos zum Logos» vollzog, wurde auch der Gedanke eines<br />
harmonikalen Schöpfungsmythos nicht vergessen und fand in den Lehrmeinungen<br />
des Pythagoreismus seinen Niederschlag. Man dachte in Zahlen, Proportionen, Harmonien<br />
und Analogien (harmonia = Fügung). Die Vorstellung eines aus Klängen bestehenden<br />
Kosmos könnte damals etwa so gedacht worden sein: Es gibt analoge<br />
Gesetze in der Natur, im Menschen und in der Musik. (Diesen zentralen Gedanken<br />
könnte man das «Goldene Dreieck» der Harmonik nennen.) Zahlen und Proportionen<br />
liegen den Rhythmen und Intervallen der Musik zugrunde, und diese Gesetzmässigkeiten<br />
haben ihre Entsprechung in Naturgesetzen und in einer seelischen Veranlagung<br />
des Menschen.<br />
Ob das harmonikale Denken der griechischen Antike von Anfang an als abgerundete<br />
philosophische Lehre auftrat, ist zu bezweifeln, da die von PYTHAGORAS im 6. vorchristlichen<br />
Jahrhundert gegründete Schule offenbar nur wenig Schriftliches hinterlassen<br />
hat. Etwa hundert Jahre später gibt es bruchstückhaft erhaltene Quellen, aber grössere<br />
Zusammenhänge werden erst bei PLATON deutlich, vor allem in seinen Dialogen<br />
Timaios und Politeia. Über ein halbes Jahrtausend danach, in den ersten nachchristlichen<br />
Jahrhunderten, tauchen erneut pythagoreische Schriften auf, die mit Sicherheit<br />
auf Quellen hohen Alters aufbauen, da eine kontinuierliche Tradierung über die Jahrhunderte<br />
hinweig angenommen werden kann. NIKOMACHOS aus Gerasa, IAMBLICHOS<br />
aus Chahlis und THEON aus Smyrna sind die herausragenden Persönlichkeiten dieses<br />
Neupythagoreismus, und von ihnen gelangten einzelne Gedanken ins Mittelalter.<br />
Abgesehen von der mathematischen Musiktheorie kann aber im Mittelalter von keiner<br />
lückenlosen Tradierung pythagoreischen Denkens die Rede sein. Erst in der Renaissancezeit<br />
kommt es durch die Humanisten zu einer umfassenden Neubelebung harmonikalen<br />
Denkens. Den Gelehrten war bis in die Barockzeit hinein der Gedanke einer<br />
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