Mitteilungen Nr. 52 - Hans Henny Jahnn
Mitteilungen Nr. 52 - Hans Henny Jahnn
Mitteilungen Nr. 52 - Hans Henny Jahnn
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
schöne dreibändige Übersetzung von Platons sämtlichen Werken in greifbarer Nähe.<br />
Seine Witwe schenkte sie mir als wertvolles Andenken an den Gatten. Die Bücher sind<br />
mir auch darum lieb, weil Bleistiftstriche an den Rändern zeigen, was ihn besonders<br />
bei der Lektüre beschäftigte und anregte. Oft sagte Kayser, dass Plato, aber besonders<br />
Pythagoras über ein nur im engsten Kreise geäussertes Wissen verfügten, das<br />
uns rohen Haptikern und blossen Augenmenschen verloren gegangen sei. Darunter<br />
verstand er das geheime Wissen um die ‘Harmonie der Welt’, das sich besonders in<br />
der Musik und in den Worten grosser Denker und Dichter aller Zeiten offenbare. Immer<br />
neu kam er zurück auf seine Überzeugung, dass wir hier Qualitäten erfassen, dass in<br />
Klang und Ton mit dem Ohr das Äusserliche, das bloss messbare Quantitative der<br />
Erscheinungswelt durchbrochen werde und wir das Wesenhafte unmittelbar erfahren.<br />
Wenn ich selbstverständlich zugab, dass in alten Philosophenkreisen esoterisches<br />
Wissen gepflegt und nur mündlich überliefert wurde, so blieb es mir gerade bei den<br />
Fragmenten des Pythagoras immer problematisch, dieses geheime Wissen zu entdecken,<br />
wie mir auch der Überschlag von quantitativem Erkennen durch das Tasten<br />
und Sehen zu Qualitäten im Hören nicht durchaus einleuchtete. Doch weil ich spürte,<br />
dass mein Freund daran sozusagen mit religiöser Inbrunst hing, habe ich ihn nicht mit<br />
dauerndem Widerspruch verletzen und damit verlieren wollen. Den diesen für ihn<br />
gewissen Geheimnissen ging er nach, und es gab kaum ein Gebiet, in dem er nicht<br />
nach einer Bestätigung seiner Vision geforscht hätte. Mathematik, Mineralogie,<br />
Botanik (‘Harmonia plantarum’), der Aufbau von Atom und Molekül, der Makrokosmos,<br />
die Abstände der Planeten und die sieben Töne der Oktave, Architektur (die<br />
Tempel von Paestum), Dichtung: überall ging er den Spuren der harmonia aphanees<br />
nach. Wie weitgespannt seine Belesenheit war, zeigt auch seine Anthologie «Bevor die<br />
Engel sangen». Er überreichte mir das von den Upanishaden bis auf Musil reichende<br />
Büchlein mit der Widmung von Gottfried Keller: ‘Also streicht die alte Geige Pan der<br />
Alte laut und leise.’<br />
Teilnehmender Beurteiler<br />
Erst in den letzten Jahren beschäftigte er sich eingehender mit Geschichte; mit steigendem<br />
Interesse las er namentlich den grossen Historiker Leopold von Ranke.<br />
Nochmals muss ich gestehen, dass ich mich mehr und mehr hütete, mit ihm über<br />
seine Harmonik zu sprechen. Ich las auch sein Buch ‘Vom Klang der Welt’ nicht zu<br />
Ende, geschweige denn, dass ich mich in sein «Lehrbuch der Harmonik» vertiefte.<br />
Vielleicht bin ich ausserstande, seinem spekulativen Tiefsinn zu folgen. <strong>Hans</strong> Kayser<br />
nahm stets freundlich Anteil an dem, was mir in meinem engern Kreis widerfuhr, und<br />
er war ein teilnehmender Beurteiler meiner kleinen Bemühungen. So liess er mich<br />
immer auch Anteil nehmen an dem, was er in seinem grössern Raume erfuhr und<br />
erstrebte. Da war die Freude über den Ruf zu Vorträgen, etwa bei Architekten, das<br />
Echo, das er aus Amerika für seine Arbeit vernahm, die Genugtuung, dass er in seine<br />
schwäbische Heimat gerufen wurde, um einen Kunstpreis entgegenzunehmen, der<br />
Besuch von Verehrern. Eines Abends wies ich sogar einem Enkel des italienischen<br />
Königs den Weg zu Dr. Kayser, erst andern Tages erfahrend, wer der Herr im Lodenmantel<br />
und mit Tirolerhütchen gewesen war. Als <strong>Hans</strong> Kayser angefragt wurde, ob er<br />
12