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Mitteilungen Nr. 52 - Hans Henny Jahnn

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Wiedererweckung von Werten, von denen er hoffte, sie würden Deutschland neu zu<br />

Ehren bringen. Er ging namentlich jenen Quellen nach, die einst in der deutschen<br />

Mystik geflossen waren. Der hier führende Inselverlag gab ihm Gelegenheit, die Reihe<br />

der grossen Bände ‘Bücher des Deutschen Domes’ herauszugeben, und er besorgte<br />

selbst die Auswahl aus den Schriften von Paracelsus und Jacob Böhme. In den<br />

schlimmsten Zeiten der Inflation lebte auch er mit seiner Familie von der Hand in den<br />

Mund; zuweilen machte er in Gaststätten mit seinem Cello Musik. Später schien für<br />

den Mitarbeiter eines grossen Verlages endlich die Existenz gesichert zu sein. Diese<br />

Sicherung indessen gab er auf, was wohl bezeichnend für ihn ist, und er eröffnete eine<br />

eigene Druckerei zur Herausgabe schöner Bücher. Im eigenen Verlag erschien sein<br />

erstes programmatisches Werk ‘Orpheus’, mit dem er die ‘Harmonikale Symbolik des<br />

Altertums’ von Albert von Thimus (Köln 1868 bis 1876) in selbständiger Weise weiterführte.<br />

Die braune Flut<br />

Doch nun brach die braune Flut über ein Saatfeld hinweg. <strong>Hans</strong> Kayser sah rechtzeitig,<br />

dass seine Familie bedroht war. Um Frau und Kinder zu retten, entschloss er<br />

sich schon 1933 zur Emigration: Er wählte die Schweiz. Das war eine Fahrt ins Ungewisse.<br />

Eigentlich blieb sein Weg bis zuletzt von Sorgen umstellt. Doch fand er stets<br />

Freunde, die ihm halfen, das zu schaffen, wozu er sich berufen fühlte. Er hatte sich zu<br />

einer Zeit zur Auswanderung entschlossen, da es ihm noch gestattet war, seine wertvolle<br />

Bibliothek, sein Cello, seinen Flügel, seine Handschriften und auch sein Monochord<br />

mizunehmen. So lebte der seltsame Mann seinem in unsern Zeiten abenteuerlichen<br />

Beruf eines Privatgelehrten nach. Doch ich deutete bereits an, dass Dr. Kayser<br />

sich bemühte, bei uns mit dem einfachsten Menschen in Beziehung zu treten. Freilich<br />

verzichtete er darauf, unsere Umgangssprache zu lernen; aber er las Gotthelf. Zwar<br />

hatte er einige Mühe, sich überall in unsere Verhältnisse zu schicken. So wunderte er<br />

sich über den langwierigen Instanzenweg, als er sich um das schweizerische Bürgerrecht<br />

bewarb. Damals, wie auch nachher vor Abstimmungen begehrte er von mir<br />

immer wieder verfassungskundlichen Unterricht. Es lag aber gewiss nicht an mir, dass<br />

er lebenslang die Dinge durcheinanderwarf, Bundesrat, Regierungsrat, Bundesversammlung<br />

und Grossen Rat, Referendum und Initiative. ‘Ach, so ist es’, konnte er ausrufen;<br />

jedoch schon das nächste Mal oder am Schluss der Lektion, wenn etwa von<br />

den richterlichen Instanzen die Rede war, wirbelte unser lieber Harmoniker wieder alles<br />

chaotisch durcheinander. Mit der Leidenschaft des Herzens, zugleich aber mit scharfem<br />

Blick und mit bestimmten Urteilen verfolgte er die grossen Vorgänge in der Welt.<br />

Ergreifend war es, wie er im stillen Zimmer, wo wir allein einander gegenübersassen,<br />

in echtem, schönem Pathos von ewigen, unveräusserlichen Werten und heiligen Normen<br />

sprach. Mit erhobener Stimme konnte er dann von der ‘satanischen Hybris’ der<br />

Atomspaltung und ihrem ‘Missbrauch zum Massenmord’ reden. Sehr oft stellte er mir<br />

Fragen biblisch-exegetischer Natur, oder er kam auf das weite Feld der allgemeinen<br />

Religionsgeschichte zu sprechen. Dabei stand er auf dem Boden der Romantik, und<br />

er schätzte besonders Creuzers ‘Symbolik und Mythologie der alten Völker’ (1807 bis<br />

1812), aber er hörte willig zu, wenn ich meine Thesen vertrat. Immer hatte er die<br />

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