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Wer wird behindert? eben auf hier und jetzt behinderte Menschen, gerichtete aufgefasst. Wenn etwa PRIESTLEY (2003, 32) feststellt, Zielsetzung der Disability Studies sei „nicht die Erforschung behinderter Menschen, sondern die Erforschung von ‚Behinderung’ als eine Form der sozialen Ausgrenzung“, so erscheint hier Behinderung als eine spezifische, empirisch nachweisbare und nicht auf alle Menschen gerichtete Form der sozialen Ausgrenzung. Gäbe es Behinderungen nicht, wäre der Kontext ein radikal anderer, nicht-behindernder, so ließe sich ergänzen, dann wäre es auch nicht mehr notwendig, von „behinderten Menschen“ zu sprechen. Wer aber sind diese Personen, die unter den hier und heute gegebenen Umständen behindert werden? Zeichnen sie sich nur durch die Erfahrung sozialer Ausgrenzung aus? Im Folgenden sollen zunächst zwei bedeutsame Vorschläge aus dem aktuellen politischen Diskurs, das Phänomen „Behinderung“ begrifflich präzise zu fassen und zugleich Auskunft über den Umfang des Begriffs „behinderter Mensch“ zu geben, dargestellt und diskutiert werden. Beide verstehen sich als Versuch einer Abkehr von einem als überkommen angesehenen Behinderungsmodell. Medizinische Diagnosen als Indikatoren sozialer Teilhabe: „Behinderte Menschen“ nach deutschem Recht Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 des im Juli 2001 in Kraft getretenen Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX), welches das einschlägige deutsche Sozialrecht zusammenfassen und vereinheitlichen sollte, sind Menschen behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige - 5 - Heilpädagogik online 04/ 04

Wer wird behindert? Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“. Diese Definition wurde auch in das „Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen“ (BGG) vom 27. April 2002 übernommen. Im Arbeitsförderungsrecht (SGB III) ist der Begriff in § 19 etwas enger definiert: „Behinderte Menschen“ sind dort lediglich „Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art und Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 des Neunten Buches nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen [...]“. Von besonderem Interesse ist aber die jüngst erfolgte Hinzunahme des folgenden Teilsatzes „einschließlich lernbehinderter Menschen“. Hiermit wird eine Personengruppe, die im Alter der Vollzeitschulpflicht fast 3% eines Jahrganges umfasst, erstmals eindeutig zu behinderten Menschen im Sinne eines Bundesgesetzes erklärt. Obwohl der einschlägige Paragraph im SGB IX den Titel „Behinderung“ trägt, wird in dem zitierten Satz der Begriff „behinderter Mensch“ definiert. In Satz 2 wird festgehalten, Menschen seien „von Behinderung bedroht“, wenn die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erwarten sei (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Mit „Behinderung“ wird hier offenbar nicht der als anhaltend und altersuntypisch diagnostizierte körperliche, geistige oder seelische Zustand eines Menschen bezeichnet, sondern die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, die sich durch externe Einflüsse, allerdings in Folge dieses Zustandes, einstellen kann. Als Grundlage für den Behinderungsbegriff des - 6 - Heilpädagogik online 04/ 04

Wer wird behindert?<br />

eben auf hier <strong>und</strong> jetzt behinderte Menschen, gerichtete aufgefasst.<br />

Wenn etwa PRIESTLEY (2003, 32) feststellt, Zielsetzung der<br />

Disability Studies sei „nicht die Erforschung behinderter Menschen,<br />

sondern die Erforschung von ‚Behinderung’ als eine Form der<br />

sozialen Ausgrenzung“, so erscheint hier Behinderung als eine<br />

spezifische, empirisch nachweisbare <strong>und</strong> nicht auf alle Menschen<br />

gerichtete Form der sozialen Ausgrenzung. Gäbe es Behinderungen<br />

nicht, wäre der Kontext ein radikal anderer, nicht-behindernder, so<br />

ließe sich ergänzen, dann wäre es auch nicht mehr notwendig, von<br />

„behinderten Menschen“ zu sprechen.<br />

Wer aber sind diese Personen, die unter den hier <strong>und</strong> heute<br />

gegebenen Umständen behindert werden? Zeichnen sie sich nur<br />

durch die Erfahrung sozialer Ausgrenzung aus?<br />

Im Folgenden sollen zunächst zwei bedeutsame Vorschläge aus<br />

dem aktuellen politischen Diskurs, das Phänomen „Behinderung“<br />

begrifflich präzise zu fassen <strong>und</strong> zugleich Auskunft über den<br />

Umfang des Begriffs „behinderter Mensch“ zu geben, dargestellt<br />

<strong>und</strong> diskutiert werden. Beide verstehen sich als Versuch einer<br />

Abkehr von einem als überkommen angesehenen Behinderungsmodell.<br />

Medizinische Diagnosen als Indikatoren sozialer<br />

Teilhabe: „Behinderte Menschen“ nach deutschem<br />

Recht<br />

Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 des im Juli 2001 in Kraft getretenen<br />

Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX), welches das einschlägige<br />

deutsche Sozialrecht zusammenfassen <strong>und</strong> vereinheitlichen sollte,<br />

sind Menschen behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige<br />

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