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Wer wird behindert? Verhaltensstörungen mit langdauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten Mittelschwere Hämophilie mit mehrfach jährlich ausgeprägten Blutungen Gebrauchsunfähigkeit eines Beines 100 I.Q. unter 60, hochgradiger Mangel an Selbstständigkeit, Beschäftigung nur in WfB möglich Autistische Syndrome Häufige große oder komplexfokale epileptische Anfälle Angeborene oder bis zum 7. Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit Vom 8.-18. Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit schweren Sprachstörungen Herzkrankheiten mit Leistungsbeeinträchtigungen bereits in Ruhe Verlust eines Armes oder Beines Akute Leukämie bis zum Ende der Therapie Quelle: BMGS (2004, 37-128); eigene Darstellung; sofern nichts Abweichendes angegeben ist, wurde bei Ermessensspielräumen der zurechenbare Höchstwert aufgenommen. Das Anerkennungsverfahren wird durch die Anwendung der „GdB/MdE-Tabelle“ nicht nur in erheblichem Maße standardisiert. Auch wird unterstellt, dass das Ausmaß der sozialen Teilhabe eines Menschen durch Rückgriff auf eine medizinische Diagnose hinreichend genau zu bestimmen sei. Einer Migräne mittelgradiger Verlaufsform wird in der amtlichen Klassifikation ein um zehn Punkte höherer Grad der Behinderung zugeordnet als einer schweren Akne, und die soziale Teilhabe Erwachsener mit 120-130 cm Körpergröße ist in demselben Maße eingeschränkt wie die von Jugendlichen, die auf Grund von „Verhaltensstörungen“ keine allgemeine Schule besuchen dürfen. Wer eine chronische Mittelohrentzündung mit beidseitiger Sekretion aufweist, dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist um einen Grad von 20 beeinträchtigt, und wer alkoholabhängig ist erreicht einen Grad von 50. Mit BENDEL und ROHRMANN (2003, 2) kann festgehalten werden, dass im Anerkennungsverfahren „die sozialrechtlich eigentlich geforderte Bewertung der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft […] kausal auf den körperlichen, geistigen oder - 13 - Heilpädagogik online 04/ 04
Wer wird behindert? seelischen Zustand einer Person reduziert, die soziale Umwelt im Sinne notwendiger Voraussetzungen zu einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe hingegen ausgeblendet [wird].“ Gleichzeitig, so die Autoren, „überschreitet die Beurteilung der sozialen Auswirkungen eines medizinisch diagnostizierten Zustandes offenkundig die Horizonte medizinischen Wissens, ohne dass dies im Rahmen des Verfahrens ein Problem darstellt.“ (ebd.) Das Netz von potenziell die Feststellung einer Behinderung im Sinne des SGB IX auslösenden medizinischen Diagnosen ist offenbar wesentlich enger geknüpft als es verbreitete Vorstellungen vom prototypischen „behinderten Menschen“ oder von der prototypischen „Behinderung“ erwarten lassen. Dass schon „leichtere psychovegetative Störungen“ die Zuerkennung des Behindertenstatus auslösen können, bestätigt die oben geäußerte Vermutung, die Zone der nicht-typischen Zustände beginne in unmittelbarer Nähe zur Mitte der drei vom Gesetzgeber vorgegebenen Skalen. In bestimmten Fällen erkennt der Gesetzgeber auch Diagnosen, welche von pädagogischen Professionellen ausgehen, als hinreichend für die Zuerkennung einer Behinderung an, so etwa, wenn „Verhaltensstörungen“ einer Schülerin oder eines Schülers nicht länger den Besuch einer allgemeinen Schule erlauben, oder wenn Auszubildende die Prüfung für einen Ausbildungsberuf nur unter Nutzung der Sonderregelungen für behinderte Menschen nach dem Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung absolvieren können. Eine mit dem „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ vom 4. Mai 2004 verabschiedete Änderung des SGB IX stellt behinderte Jugendliche während der betrieblichen Berufsausbildung sogar schwerbehinderten Menschen gleich, ohne dass eine - 14 - Heilpädagogik online 04/ 04
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