Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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folg <strong>der</strong> eigenen Handlungsweise maßgebli<strong>ch</strong> vom Verhalten an<strong>der</strong>er abhängt. (Im<br />
bereits besetzten Unterstand ma<strong>ch</strong>t niemand Platz.) Dann kann nur no<strong>ch</strong> <strong>der</strong>jenige<br />
klug agieren, <strong>der</strong> die Aktionen und Reaktionen an<strong>der</strong>er in die eigenen Ents<strong>ch</strong>eidungen<br />
einbezieht, nötigenfalls unter Bea<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> jeweiligen Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keiten für<br />
einzelne Handlungsalternativen: das pragmatis<strong>ch</strong>e wird zum strategis<strong>ch</strong>en Handeln<br />
251 . Die Absi<strong>ch</strong>t des klugen Verhaltens stößt dadur<strong>ch</strong> bei je<strong>der</strong> sozialen Interaktion<br />
auf ein Dicki<strong>ch</strong>t von we<strong>ch</strong>selseitig beeinflußten Handlungsalternativen und<br />
Handlungsstrategien. <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens (rational <strong>ch</strong>oice theories) 252<br />
widmen si<strong>ch</strong> den s<strong>ch</strong>wierigen Vorteilsbere<strong>ch</strong>nungen, wie sie vor allem bei <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
über ri<strong>ch</strong>tiges Marktverhalten erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> sind.<br />
Pragmatis<strong>ch</strong>e Konflikte entstehen dadur<strong>ch</strong>, daß mehrere Personen dieselbe Sa<strong>ch</strong>e<br />
begehren o<strong>der</strong> einan<strong>der</strong> als Mittel für eigene Zwecke gebrau<strong>ch</strong>en wollen 253 . Diese<br />
Konflikte komplizieren si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Bedürfnisse, Fähigkeiten, Neigungen<br />
und Interessen erhebli<strong>ch</strong>. Die Lösung pragmatis<strong>ch</strong>er Konflikte liegt im situativen<br />
Kompromiß, d.h. in einem von Fall zu Fall si<strong>ch</strong> einstellenden Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t, das<br />
auf gegenseitigem, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t notwendig glei<strong>ch</strong> weitgehendem Verzi<strong>ch</strong>t beruht<br />
254 . Freiwilligkeit ist zwar keine notwendige Voraussetzung des Kompromisses,<br />
denn die Unvereinbarkeit <strong>der</strong> Verhaltensweise läßt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Zwang effektiv<br />
beseitigen. Aber ein gewisses Maß an Freiwilligkeit hat si<strong>ch</strong> als stabilitätsför<strong>der</strong>nd<br />
erwiesen, verhin<strong>der</strong>t also den baldigen Rückfall in einen ungelösten Konflikt. Inbegriff<br />
des freiwilligen Kompromisses ist <strong>der</strong> Vertrag. Optimierungsbedingung vertragli<strong>ch</strong>er<br />
Kooperation ist <strong>der</strong> Markt. Dadur<strong>ch</strong> bilden Vertrag und Markt die Grundbegriffe<br />
aller <strong>Theorien</strong> über den pragmatis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 255 .<br />
Unter den Grundpositionen <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie ist die hobbesianis<strong>ch</strong>e diejenige,<br />
die pragmatis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> am stärksten betont, stellt sie do<strong>ch</strong> für<br />
die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns allein auf die Perspektive eines egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers<br />
ab, <strong>der</strong> einer individuellen Vorteilskalkulation folgt, um sein Verhalten<br />
zu bestimmen. Damit ist indes ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, daß au<strong>ch</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en<br />
und kantis<strong>ch</strong>en Grundposition einen pragmatis<strong>ch</strong>en Vernunftgebrau<strong>ch</strong> zu-<br />
251 Vgl. J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 127.<br />
252 Dazu unten S. 167 ff. (<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />
253 Konflikt ist hier s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t als Imkompatibilität von Zielvorstellungen gemeint. Zu diesem Konfliktbegriff<br />
vgl. B. Barry, Political Argument (1965), S. 84: »Conflict, on my definition, arises wherever<br />
two or more actors have incompatible desires (including publicly-oriented wants for this<br />
purpose) concerning the future state of the world, and try to do something about it.« Als Verfahren<br />
zur Konfliktlösung nennt Barry, ebd., S. 84 ff.: S<strong>ch</strong>lagabtaus<strong>ch</strong> (combat), Verhandlung (bargaining),<br />
Diskurs (»Discussion on Merits. As an 'ideal type' this involves the complete absence of<br />
threats and inducements; the parties to the dispute set out ... to rea<strong>ch</strong> an agreement on what is the<br />
morally right division«), Wahl o<strong>der</strong> Abstimmung (voting), Los (<strong>ch</strong>ance), Wettkampf (contest) und<br />
autoritative Ents<strong>ch</strong>eidung (authoritative determination).<br />
254 Zur Notwendigkeit von Kompromissen als Ergebnis pragmatis<strong>ch</strong>er Diskurse siehe J. Habermas,<br />
Vom pragmatis<strong>ch</strong>en, ethis<strong>ch</strong>en und moralis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft (1988),<br />
S. 117. – Ein Kompromiß beinhaltet immer einen bei<strong>der</strong>seitigen Verzi<strong>ch</strong>t, denn s<strong>ch</strong>on im Begriff des<br />
Konflikts liegt begründet, daß keine Seite die eigenen Interessen freiwillig und vollständig aufgibt;<br />
folgli<strong>ch</strong> 'verzi<strong>ch</strong>tet' die obsiegende Partei zumindest auf den Vorteil einer zwanglosen Dur<strong>ch</strong>setzung<br />
<strong>der</strong> eigenen Position.<br />
255 Vgl. unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />
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