Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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<strong>ch</strong>e Sozialordnungstheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gelten kann 20 . Au<strong>ch</strong> muß <strong>der</strong> hier<br />
zugrundegelegte Begriff trenns<strong>ch</strong>arf von dem in <strong>der</strong> Jurisprudenz verbreiteten Verständnis<br />
<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als eines von mehreren Elementen <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsidee (Radbru<strong>ch</strong>)<br />
abgegrenzt werden 21 . Die kritis<strong>ch</strong>-analytis<strong>ch</strong>e Arbeit erfor<strong>der</strong>t aber an<strong>der</strong>erseits<br />
ni<strong>ch</strong>t die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem einzig wahren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff. Hier haben<br />
Ethik und Religionslehre, politis<strong>ch</strong>e Philosophie und Re<strong>ch</strong>tstheorie im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e, teils wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wortbedeutungen hervorgebra<strong>ch</strong>t, die jeweils<br />
ihre eigene Bere<strong>ch</strong>tigung haben 22 . In dieser Situation ist es wenig erhellend,<br />
den – ohnehin ständigem Wandel unterlegenen – faktis<strong>ch</strong>en Gebrau<strong>ch</strong> des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats<br />
herauszuarbeiten 23 . Au<strong>ch</strong> kann man von einer spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Begriffsanalyse<br />
24 keinen Beitrag zur normativen Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> erwarten 25 .<br />
Vielmehr gilt es, die Vielfalt <strong>der</strong> Ausprägungen des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs zu akzeptieren.<br />
Die im folgenden entwickelte Definition bestimmt die begriffsnotwendigen<br />
Elemente eines weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs, ohne den zahlrei<strong>ch</strong>en an<strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffen<br />
im einzelnen na<strong>ch</strong>zugehen.<br />
3. Die Gegenstände des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats (Transponierbarkeitsthese)<br />
Die Definition <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dadur<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>wert, daß unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Gegenstände<br />
mit den Prädikaten 'gere<strong>ch</strong>t' o<strong>der</strong> 'ungere<strong>ch</strong>t' zu einem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil<br />
<strong>der</strong> Form 'X ist gere<strong>ch</strong>t' verbunden werden können 26 : einzelne Gesetze, Institutionen<br />
und Verfahren, die Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung insgesamt, einzelne Handlungen<br />
eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> privater Verhaltensweisen, Geri<strong>ch</strong>tsurteile o<strong>der</strong> administrativer Ein-<br />
20 Vgl. zum Begriff <strong>der</strong> Sozialordnung H. Kelsen, Reine Re<strong>ch</strong>tslehre (1960), S. 25: »Eine normative<br />
Ordnung, die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Verhalten insoferne regelt, als es in unmittelbarer o<strong>der</strong> mittelbarer Beziehung<br />
zu an<strong>der</strong>en Mens<strong>ch</strong>en steht, ist eine gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ordnung. Die Moral und das Re<strong>ch</strong>t<br />
sind sol<strong>ch</strong>e gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ordnungen.«<br />
21 Dazu unten S. 63 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff bei Radbru<strong>ch</strong>).<br />
22 Dazu unten S. 62 ff. (einige an<strong>der</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe). Vgl. M. Kriele, Kriterien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1963), S. 35 – zur klassis<strong>ch</strong>en Methode, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> anhand eines Definitionsversu<strong>ch</strong>s zu<br />
erläutern, sowie zu <strong>der</strong> Illusion, dabei glei<strong>ch</strong>zeitig Allgemeinverbindli<strong>ch</strong>keit und inhaltli<strong>ch</strong>e Aussagekraft<br />
zu errei<strong>ch</strong>en.<br />
23 Vgl. die Kritik bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 26; inzwis<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> N. Jansen,<br />
Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 37 ff.<br />
24 Z.B. bei C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 22 ff.<br />
25 Das sieht au<strong>ch</strong> Perelman selbst: C. Perelman, Eine Studie über die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1945), S. 83: »Ganz<br />
offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>öpft dieser Faktor [formelle <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>] ni<strong>ch</strong>t die ganze Bedeutung dieses<br />
Begriffes [<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>]«. Vgl. allgemein J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969), S. 136 ff. – Kritik an <strong>der</strong><br />
Spra<strong>ch</strong>analyse einzelner Begriffe (good, true, know, probably) bei Hare, Strawson, Austin und Toulmin.<br />
Treffend au<strong>ch</strong> O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 62: »Die deskriptive Semantik bestimmt<br />
den Begriff politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; sie legitimiert ihn aber ni<strong>ch</strong>t.« Um so erstaunli<strong>ch</strong>er,<br />
wenn Höffe <strong>der</strong> semantis<strong>ch</strong>en Erörterung von Legitimation und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> später eine erste<br />
Kritik des Utilitarismus zutraut (S. 74 ff., 76). Vgl. dazu die Kritik bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation<br />
(1997), S. 27 ff.<br />
26 Zum Begriff des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteils vgl. H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 358;<br />
sowie R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 96: »Das <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgefühl drückt eine Wertung<br />
aus, die si<strong>ch</strong> in einem Werturteil, genauer: einem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil, als einem Urteil darüber,<br />
was gere<strong>ch</strong>t und ungere<strong>ch</strong>t ist, formulieren läßt.«<br />
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