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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Mit juristis<strong>ch</strong>en Überlegungen zur Umsetzung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t ist die<br />

Domäne <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik errei<strong>ch</strong>t. Hier übers<strong>ch</strong>neiden si<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

mit Re<strong>ch</strong>tslehren, insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Staatsre<strong>ch</strong>tslehre. Wer die Frage na<strong>ch</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t beantworten will, darf deshalb ni<strong>ch</strong>t bei <strong>der</strong> Begründung<br />

oberster Prinzipien verharren, son<strong>der</strong>n muß zeigen, wie si<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Prinzipien im<br />

Re<strong>ch</strong>t umsetzen lassen, inwieweit sie beispielsweise Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tsgarantien erfor<strong>der</strong>n,<br />

Demokratie gebieten o<strong>der</strong> Verfahrensregeln erzeugen. Aus juristis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

werden dabei diejenigen Aussagen in prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien beson<strong>der</strong>s<br />

wi<strong>ch</strong>tig, na<strong>ch</strong> denen ein prozedurales Verständnis au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Umsetzung von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> eine 'rationalitätssi<strong>ch</strong>ernde Prozedur' zu for<strong>der</strong>n ist 73 .<br />

Das Re<strong>ch</strong>tssystem wird dann ni<strong>ch</strong>t bloß als Normensystem, son<strong>der</strong>n außerdem als<br />

mehrstufiges System von Prozeduren verstanden 74 . Insofern kann neben Regel- und<br />

Prinzipienebene von einer weiteren Ebene, <strong>der</strong> Prozedurebene, eines jeden Re<strong>ch</strong>tssystems<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden 75 .<br />

III. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus juristis<strong>ch</strong>er Perspektive<br />

Vor <strong>der</strong> Aufgabe des Re<strong>ch</strong>ts ers<strong>ch</strong>einen die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien in einem neuen<br />

Li<strong>ch</strong>t. Sie sind ni<strong>ch</strong>t länger nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründungs-, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorien<br />

76 . Das Programm einer bis in die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Umsetzung<br />

hineinrei<strong>ch</strong>enden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist keine Neuheit. S<strong>ch</strong>on Rawls hat von einer<br />

vierstufigen Konkretisierung seiner 'Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' über das Verfassungsre<strong>ch</strong>t<br />

und das einfa<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t bis hin zur Re<strong>ch</strong>tsanwendung gespro<strong>ch</strong>en 77 . Ursprüngli<strong>ch</strong><br />

wollte au<strong>ch</strong> Barry sein dreibändiges Werk über <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in einer Exposition<br />

<strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit im konkreten Steuerre<strong>ch</strong>t gipfeln lassen,<br />

glei<strong>ch</strong>sam als Beleg für die Praxistaugli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> allgemeineren theoretis<strong>ch</strong>en Überlegungen.<br />

Höffe widmet seine Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausdrückli<strong>ch</strong><br />

den Problemen einer Legitimation des positiven Re<strong>ch</strong>ts und des Staates und damit<br />

einer stärkeren Anwendungsorientierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 78 . Und s<strong>ch</strong>ließ-<br />

73 Vgl. R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1987), S. 416.<br />

74 R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1987), S. 416 ff.; <strong>der</strong>s., Idee und Struktur eines<br />

vernünftigen Re<strong>ch</strong>tssystems (1991), S. 36 ff. – Denkbar sei beispielsweise ein vierstufiges Modell,<br />

bei dem auf die Prozedur des allgemeinen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses (1) diejenige <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tssetzung (2), darauf diejenige des juristis<strong>ch</strong>en Diskurses (3) und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> diejenige des geri<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Prozesses (4) folge.<br />

75 Zu diesem Drei-Ebenen-Modell siehe ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, Re<strong>ch</strong>tssystem und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft<br />

(1987), S. 407 ff.<br />

76 Zu dieser auf R. Dreier zurückgehenden Unters<strong>ch</strong>eidung unten S. 88 ff.<br />

77 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (four-stage sequence); zustimmend P. Koller, Mo<strong>der</strong>ne<br />

Vertragstheorie und Grundgesetz (1996), S. 380 ff. (382). Von vier Stufen <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

spri<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 233 ff., allerdings in einem an<strong>der</strong>en<br />

Sinne. Bei ihm liegt auf <strong>der</strong> ersten Stufe einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie die argumentative Überwindung<br />

<strong>der</strong> Anar<strong>ch</strong>ie dur<strong>ch</strong> Begründung einer Friedensordnung, auf <strong>der</strong> zweiten Stufe etabliert si<strong>ch</strong><br />

das Gesetz als S<strong>ch</strong>utzinstrument gegen Willkür, auf <strong>der</strong> dritten die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te als Integritätss<strong>ch</strong>utz<br />

und auf <strong>der</strong> vierten die politis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>tverteilung, idealer- aber ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise<br />

in Form einer Demokratie.<br />

78 Zu diesem Programm O. Höffe, Erwi<strong>der</strong>ung (1997), S. 335.<br />

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