Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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tung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> für das Re<strong>ch</strong>t aufzuzeigen. Es gibt mindestens drei Gründe,<br />
aus denen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen im Re<strong>ch</strong>t relevant werden können 30 : den Legitimationsbedarf<br />
<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung insgesamt (I), den Orientierungsbedarf interpretieren<strong>der</strong><br />
Re<strong>ch</strong>tsanwendung (II) und den Umsetzungsbedarf re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> festgelegter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>svorstellungen<br />
(III). Sol<strong>ch</strong>e Gründe illustrieren die Bedeutung, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />
im positiven Re<strong>ch</strong>t tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und regelmäßig zukommt. Dieser Befund<br />
führt zu <strong>der</strong> Frage, ob <strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong> umrissene normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgehalt des<br />
Re<strong>ch</strong>ts bloß kontingent, o<strong>der</strong> ob er notwendig ist (IV).<br />
I. Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung (Legitimationsbedarf)<br />
Eine Re<strong>ch</strong>tsordnung brau<strong>ch</strong>t mehr als die bloße tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Anerkennung ihrer Geltungsansprü<strong>ch</strong>e<br />
dur<strong>ch</strong> verbreiteten Re<strong>ch</strong>tsgehorsam. Sie ist eine Zwangsordnung<br />
und bedarf, um auf Dauer bestehen zu können, <strong>der</strong> Legitimation. Legitimation bedeutet,<br />
daß si<strong>ch</strong> unabhängig von historis<strong>ch</strong> kontingenten Überzeugungen gute Gründe<br />
dafür finden lassen, die Ordnung <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> so und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s zu<br />
gestalten 31 . Herrs<strong>ch</strong>aft muß auf praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis, ni<strong>ch</strong>t auf einem bloßen Bekenntnis<br />
beruhen. Um einen sol<strong>ch</strong>en Legitimationsbedarf <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung festzustellen,<br />
müssen keine vorgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te bes<strong>ch</strong>woren werden.<br />
S<strong>ch</strong>on die erfolgrei<strong>ch</strong>e Selbsterhaltung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsordnung als Zwangsordnung<br />
ma<strong>ch</strong>t ihre Legitimation erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>. Denn Zwang besteht dauerhaft nur dort, wo<br />
Gründe gelten, die Gehorsam immer neu hervorzubringen geeignet sind, wo also<br />
Re<strong>ch</strong>tsgehorsam dur<strong>ch</strong> freiwillige Einsi<strong>ch</strong>t in die Notwendigkeit erzeugt wird.<br />
Juristen verweisen zur Legitimation ihrer Ents<strong>ch</strong>eidungen in <strong>der</strong> Regel auf höherrangige<br />
Re<strong>ch</strong>tsnormen. Das ist sinnvoll, um die Komplexität in <strong>der</strong> alltägli<strong>ch</strong>en<br />
Re<strong>ch</strong>tsfindung zu reduzieren. Es entbindet aber ni<strong>ch</strong>t von <strong>der</strong> Pfli<strong>ch</strong>t, gute Gründe<br />
au<strong>ch</strong> für die Geltung hö<strong>ch</strong>ster Re<strong>ch</strong>tsnormen (verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Grundents<strong>ch</strong>eidungen)<br />
geben zu können 32 . Warum sind Glei<strong>ch</strong>heit, Freiheit und Eigentum so<br />
und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s Bestandteil <strong>der</strong> Verfassung? Gerade die Verfassungsre<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung<br />
ist dieser Legitimationsproblematik ausgesetzt. Zumindest in mo<strong>der</strong>nen Staaten<br />
wird die Legitimation zur Re<strong>ch</strong>tsfrage 33 .<br />
<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien antworten auf die mit dem Legitimationsbedarf<br />
aufgeworfene Begründungslast mit mehr als einem politis<strong>ch</strong>en Bekenntnis zum<br />
Ergebnis. Sie stützen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sanspru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aftsordnung auf<br />
mögli<strong>ch</strong>st s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e materiale Grundannahmen kombiniert mit mögli<strong>ch</strong>st starken<br />
30 Die Gründe sind ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ließend gemeint; umfassen<strong>der</strong> etwa D. v.d. Pfordten, Re<strong>ch</strong>tsethik<br />
(1996), S. 210 ff. – insgesamt se<strong>ch</strong>s 'mögli<strong>ch</strong>e Relationstypen' zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral.<br />
31 Zu diesem Legitimationsbegriff im Gegensatz zu dem (vielfa<strong>ch</strong> kritisierten) reduzierten Legitimationsbegriff<br />
von Luhmann siehe unten S. 148 ff. (Theorie <strong>der</strong> sozialen Systeme).<br />
32 H. Hofmann, Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 11: Legitimation verlange »die Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />
staatli<strong>ch</strong>er Hoheitsakte und darüber hinaus die Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Herrs<strong>ch</strong>aftsordnung<br />
im ganzen aus einem einzigen, letzten und – jedenfalls dem Anspru<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> – allgemeinverbindli<strong>ch</strong>en<br />
Prinzip.«<br />
33 H. Hofmann, Legitimität und Re<strong>ch</strong>tsgeltung (1977), S. 13, 18. Vgl. zur spezifis<strong>ch</strong>en Legitimationsbedürftigkeit<br />
mo<strong>der</strong>ner Re<strong>ch</strong>tsordnungen M. Morlok, Was ist und zu wel<strong>ch</strong>em Ende studiert man<br />
Verfassungstheorie? (1988), S. 124 ff. – »Gewißheitsverluste«.<br />
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