Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Satz zur Begründung erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist ('Die Todesstrafe ist verboten, weil kein Mens<strong>ch</strong><br />
über das Lebensre<strong>ch</strong>t eines an<strong>der</strong>en urteilen darf.' u.s.w.) entsteht das Mün<strong>ch</strong>hausen-<br />
Trilemma bei <strong>der</strong> Begründung je<strong>der</strong> Norm, insbeson<strong>der</strong>e au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />
6 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptiker ma<strong>ch</strong>en deshalb geltend, daß es niemals<br />
mögli<strong>ch</strong> ist, eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm zu begründen, indem man ihre praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />
zeigt 7 . Für sol<strong>ch</strong>e 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit', wie für jede Erkenntnis, gelte: »Alle Si<strong>ch</strong>erheiten<br />
in <strong>der</strong> Erkenntnis sind selbstfabriziert und damit für die Erfassung <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />
wertlos.« 8<br />
Was ist nun gegen dieses Grundargument des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus einzuwenden?<br />
Ein naheliegen<strong>der</strong> Ausweg aus dem Trilemma besteht darin, auf eine<br />
prozedurale statt auf eine materiale Begründung zu setzen, also die Regeln einer rationalen<br />
Begründung von Normen zu formulieren statt konkrete Gründe für einzelne<br />
Normen anzugeben 9 . Bei <strong>der</strong> Begründung sol<strong>ch</strong>er Regeln stellt si<strong>ch</strong> das Trilemma<br />
indes auf einer übergeordneten Ebene erneut, denn au<strong>ch</strong> Regeln für rationale Argumentation<br />
sind Normen 10 . Es sind vers<strong>ch</strong>iedene Argumentationswege vorges<strong>ch</strong>lagen<br />
worden, die aus diesem Trilemma auf <strong>der</strong> Metaebene herausführen sollen 11 .<br />
Hier soll ein an<strong>der</strong>er Einwand gegen das Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma erhoben werden,<br />
<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t die epistemologis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit, son<strong>der</strong>n die argumentative Rei<strong>ch</strong>weite<br />
des Trilemmas in Frage stellt. Das Trilemma gilt, so <strong>der</strong> Einwand, nur für<br />
Letztbegründung. Diese wird aber ni<strong>ch</strong>t von allen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bean-<br />
G.E. Moore, Principia Ethica (1903), S. 10 ff. – naturalistic fallacy; J.R. Searle, Spee<strong>ch</strong> Acts (1969),<br />
S. 132 ff., 175 ff. – zur Relativierung des Grundsatzes (naturalistic fallacy fallacy). Polemis<strong>ch</strong> wird<br />
gelegentli<strong>ch</strong> von 'Verblendung' o<strong>der</strong> 'transzendentaler Illusion' gespro<strong>ch</strong>en; J.-F. Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit<br />
(1983), S. 185. Die Di<strong>ch</strong>otomie von Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen und Werturteilen findet ihren<br />
philosophis<strong>ch</strong>en Nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lag in <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von theoretis<strong>ch</strong>er und praktis<strong>ch</strong>er Philosophie;<br />
vgl. oben S. 27 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft). Sie hat re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />
etwa für die Konkretisierung <strong>der</strong> Meinungsäußerungsfreiheit und bei bestimmten Äußerungs-<br />
und Täus<strong>ch</strong>ungsdelikten; vgl. aus <strong>der</strong> neueren Literatur B. Timm, Tatsa<strong>ch</strong>enbehauptungen<br />
und Meinungsäußerungen (1996), S. 29 ff.; E. Hilgendorf, Tatsa<strong>ch</strong>enaussagen und Werturteile<br />
(1998), S. 13 ff., 43 ff.<br />
6 Dazu oben S. 72 (D NG – die Verbindung eines deontis<strong>ch</strong>en Operators mit einer sozialbezogenen<br />
Handlungsweise; Gebot, Verbot, Erlaubnis).<br />
7 Vgl. etwa die auf Albert gestützte Kritik an Diskurstheorien bei H. Keuth, Erkenntnis o<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
(1993), S. 203 ff., 260 ff., 351: »[D]as diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Verfahren taugt ni<strong>ch</strong>t dazu,<br />
Normen und Gebote auf eine Weise zu begründen, die sie als in einem wahrheitsanalogen Sinne<br />
ri<strong>ch</strong>tig auswiese.«<br />
8 H. Albert, Traktat über kritis<strong>ch</strong>e Vernunft (1991), S. 36 (bei Albert hervorgehoben).<br />
9 Vgl. dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 223 ff.<br />
10 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 225.<br />
11 Alexy s<strong>ch</strong>lägt (ni<strong>ch</strong>t abs<strong>ch</strong>ließend) vier Begründungsweisen vor (te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>, empiris<strong>ch</strong>, definitoris<strong>ch</strong>,<br />
universalpragmatis<strong>ch</strong>), die in einem 'diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Diskurs' über die Begründung<br />
<strong>der</strong> Diskursregeln kombiniert werden könnten; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />
(1978), S. 225 ff. (233). Jansen weist die unerfüllbaren epistemologis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen des kritis<strong>ch</strong>en<br />
Rationalismus mit einem 'Inakzeptabilitätsargument' zurück; N. Jansen, Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1998), S. 193 f. Strangas versu<strong>ch</strong>t die logis<strong>ch</strong>e Wi<strong>der</strong>legung des Trilemmas; J. Strangas,<br />
Bemerkungen zum Problem <strong>der</strong> Letztbegründung (1984), S. 476 ff.<br />
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