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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Worten: Wer ni<strong>ch</strong>t als 'einsamer Wolf' lebt, wird irgendeiner nahestehenden Person<br />

gegenüber irgendwann einmal irgendein eigenes Handeln re<strong>ch</strong>tfertigen. Re<strong>ch</strong>tfertigung<br />

aber ist Ausdruck dafür, daß implizit die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns behauptet<br />

wird, und zwar im Sinne eines starken Begriffs des Behauptens, <strong>der</strong> dann in diesen Situationen<br />

unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zur Argumentation und damit zur Anerkennung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />

führt.<br />

bb) Nutzenmaximierung und Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

Mit <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Prämisse sind <strong>der</strong> Anerkennungsgeltung <strong>der</strong> Diskursregeln aber<br />

no<strong>ch</strong> enge Grenzen gesetzt. Erstens vermag sie für die wenigen Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> völlige Isolation o<strong>der</strong> ungewöhnli<strong>ch</strong>e mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Distanz <strong>der</strong> allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en eben ni<strong>ch</strong>t einfügen, keine Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln zu<br />

begründen. Einem Tyrannen, <strong>der</strong> ungehemmt dur<strong>ch</strong> Freunde o<strong>der</strong> Familie sein Leben<br />

allein als Ausdruck ni<strong>ch</strong>t begründungsbedürftiger Ma<strong>ch</strong>tausübung versteht, ist<br />

mit <strong>der</strong> bisherigen Begründung ni<strong>ch</strong>ts entgegenzuhalten. Nur wer in wenigstens einer<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t das eigene Handeln gegenüber an<strong>der</strong>en für begründungsbedürftig hält,<br />

setzt si<strong>ch</strong> damit notwendig den normativen Ansprü<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Diskurstheorie aus: Er<br />

kann die akzeptierte Begründungsbedürftigkeit nur einlösen, wenn er au<strong>ch</strong> die Diskursregeln<br />

anerkennt. Zweitens gilt die viel gewi<strong>ch</strong>tigere Eins<strong>ch</strong>ränkung, daß Mens<strong>ch</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t verpfli<strong>ch</strong>tet sind, in jedem Interessenkonflikt die Diskursregeln anzuerkennen.<br />

Denn daraus, daß jemand die grundsätzli<strong>ch</strong>e Fähigkeit und au<strong>ch</strong> eine tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e,<br />

wenn au<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t nur rudimentäre praktis<strong>ch</strong>e Erfahrung damit hat, den Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

seiner Behauptungen dur<strong>ch</strong> Argumentation zu stützen, folgt no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t, daß er von dieser Fähigkeit in jedem Fall Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en muß 619 . Man kann<br />

sehr wohl, ohne si<strong>ch</strong> selbst zu wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en, das eigene Handeln gegenüber Freunden<br />

und Familie argumentativ begründen, gegenüber Dritten aber allein auf Interesse<br />

und Ma<strong>ch</strong>t setzen, statt die Ri<strong>ch</strong>tigkeit zu su<strong>ch</strong>en. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wer im<br />

Familienkreis moralis<strong>ch</strong> handelt, kann dur<strong>ch</strong>aus in jedem an<strong>der</strong>en Zusammenhang<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong> handeln. Die bloße Mögli<strong>ch</strong>keit moralis<strong>ch</strong>en Handelns<br />

trägt no<strong>ch</strong> keine Notwendigkeit in si<strong>ch</strong>.<br />

Alexy führt darum ergänzend an, daß alle Mens<strong>ch</strong>en, selbst Tyrannen, Diktatoren<br />

und Despoten, ein objektives Interesse an Ri<strong>ch</strong>tigkeit haben, weil ihnen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

nützt: Eine allein auf Gewalt gegründete Ordnung ist instabil, riskant<br />

und teuer, so daß es si<strong>ch</strong> in jedem Fall lohnt, für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Ordnung Gründe<br />

anzuführen, selbst wenn dies nur die vorges<strong>ch</strong>obenen Gründe einer Terrorpropaganda<br />

sein sollten 620 . Auf die Motive des Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong>s komme es dabei<br />

619 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 141. Das übersieht P. Gril, Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis (1998), S. 140 ff., bei seinem originellen Versu<strong>ch</strong>, die Argumentation Alexys<br />

dadur<strong>ch</strong> ad absurdum zu führen, daß er ni<strong>ch</strong>t-verständigungsorientierte Spre<strong>ch</strong>akte (Manipulation,<br />

Täus<strong>ch</strong>ung und Lügen) in <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en betont. Alexys Begründungsmodell<br />

leugnet sol<strong>ch</strong>e Formen <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t-verständigungsorientierten Kommunikation keinesfalls.<br />

Der ents<strong>ch</strong>eidende Unters<strong>ch</strong>ied besteht jedo<strong>ch</strong> darin, daß sie von den Kommunikationsteilnehmern<br />

selbst ni<strong>ch</strong>t als Begründungsakte angesehen werden.<br />

620 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142 f.<br />

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