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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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dur<strong>ch</strong> eine Beson<strong>der</strong>heit aus; es wird »radikal abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t«, indem es auf die Teilnahme<br />

»an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en« 613 bes<strong>ch</strong>ränkt wird (aa).<br />

aa) Teilnahme an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en (T L )<br />

Das transzendentale Argument besagt nur, daß jede Person, die einen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsanspru<strong>ch</strong><br />

einlösen will, dazu die Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln anerkennen muß – sie<br />

muß argumentieren. Das transzendentale Argument selbst kann hingegen keine Interessen<br />

o<strong>der</strong> Motivationen erzeugen, aus denen heraus Mens<strong>ch</strong>en überhaupt beginnen,<br />

si<strong>ch</strong> auf Argumentation einzulassen 614 . Zur Ausfüllung <strong>der</strong> praemissa maior des<br />

transzendentalen Arguments 615 führt Alexy die empiris<strong>ch</strong>e Prämisse ein, daß Mens<strong>ch</strong>en<br />

in aller Regel argumentieren, weil es ihrer allgemeinsten Lebensform entspri<strong>ch</strong>t<br />

616 :<br />

T L :<br />

»Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung [im<br />

starken Sinne] aufstellt und keine Begründung [unter<br />

Anerkennung von Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung, Zwanglosigkeit<br />

und Universalität] gibt, nimmt ni<strong>ch</strong>t an <strong>der</strong> allgemeinsten<br />

Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en teil.«<br />

Dur<strong>ch</strong> die nur bedingte Notwendigkeit dieser Prämisse wird auf die Letztbegründung<br />

verzi<strong>ch</strong>tet und das transzendentale Argument »radikal abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t« 617 . Die Prämisse<br />

lautet ni<strong>ch</strong>t: 'Je<strong>der</strong> wird notwendig etwas behaupten im Sinne eines starken<br />

Begriffs des Behauptens', son<strong>der</strong>n sie lautet 'Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform<br />

des Mens<strong>ch</strong>en teilnimmt, wird notwendig etwas behaupten im Sinne eines starken Begriffs<br />

des Behauptens'. Damit ist gesagt, daß abgesehen von exotis<strong>ch</strong>en Personen, die<br />

si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> allgemeinsten mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Lebensform wirksam entziehen (<strong>der</strong> Eremit in<br />

<strong>der</strong> Einsamkeit einer Wüste, <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>iffbrü<strong>ch</strong>ige auf einer Insel, <strong>der</strong> Tyrann ohne Angehörige<br />

und Freunde), je<strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> an <strong>der</strong> Lebensform (und damit Spra<strong>ch</strong>konvention<br />

618 ) teilnimmt, die in dem Sinne 'allgemein' genannt werden kann, daß jedenfalls<br />

in <strong>der</strong> Beziehung zu einzelnen Mitmens<strong>ch</strong>en das eigene Handeln dur<strong>ch</strong> Argumentation<br />

begründet wird. Ein absolutistis<strong>ch</strong>er Herrs<strong>ch</strong>er mag sein Handeln ganz überwiegend<br />

dur<strong>ch</strong> Befehl und Gehorsam gestalten, ohne si<strong>ch</strong> dafür je zu re<strong>ch</strong>tfertigen; aber<br />

wenn er nur gegenüber einem einzigen Mitmens<strong>ch</strong>en, etwa einem Familienangehörigen<br />

o<strong>der</strong> Freund, das eigene Handeln dur<strong>ch</strong> Argumentation re<strong>ch</strong>tfertigt,<br />

nimmt er s<strong>ch</strong>on an <strong>der</strong> allgemeinsten Lebensform des Mens<strong>ch</strong>en teil. Mit an<strong>der</strong>en<br />

613 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139.<br />

614 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 142.<br />

615 Dazu oben S. 225 (transzendentales Argument).<br />

616 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139. Zum Begriff <strong>der</strong> 'Lebensform' bei<br />

Wittgenstein vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74: »die den einzelnen<br />

Spra<strong>ch</strong>spielen zugrunde liegende, dur<strong>ch</strong> bestimmte Grundüberzeugungen und Regeln geprägte<br />

gemeinsame Lebenspraxis.« Wi<strong>ch</strong>tige Konsequenz: ein rationaler Diskurs ist nur innerhalb <strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> eine bestimmte Lebensform gesetzten Grenzen mögli<strong>ch</strong>; A. Aarnio/R. Alexy/A. Peczenik,<br />

Grundlagen <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1983), S. 81.<br />

617 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 139.<br />

618 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 74 – Lebensform und Spra<strong>ch</strong>spiel.<br />

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