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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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is<strong>ch</strong>e Geltung verlangt zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>e Unabhängigkeit. Warum soll, um mit<br />

dem ersten Kriterium zu beginnen, ausgere<strong>ch</strong>net Zwanglosigkeit ein Garant für zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>e<br />

Unabhängkeit sein? Es könnte ja au<strong>ch</strong> die Zwanghaftigkeit den guten<br />

Grund identifizieren. Gute Gründe wären dann diejenigen, die <strong>der</strong> jeweils Stärkere<br />

in Ausnutzung seiner Ma<strong>ch</strong>tstellung dur<strong>ch</strong>zusetzen weiß. Das Problem eines sol<strong>ch</strong>en<br />

Kriteriums liegt in seiner Unbestimmtheit. Ma<strong>ch</strong>t – also die Fähigkeit, Zwang<br />

auszuüben, und dadur<strong>ch</strong> die eigene Position au<strong>ch</strong> gegen Wi<strong>der</strong>stand dur<strong>ch</strong>zusetzen<br />

494 – unterliegt zeitli<strong>ch</strong>-räumli<strong>ch</strong>em Wandel. Der Zwang kann also mal dem einen,<br />

mal dem an<strong>der</strong>en Grund zur Seite stehen. Zwanghaftigkeit ist folgli<strong>ch</strong> undefiniert.<br />

Demgegenüber ist <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Zwanglosigkeit stets definiert. Zwanglosigkeit<br />

unterliegt keinem räumli<strong>ch</strong>-zeitli<strong>ch</strong>en Wandel. Will man räumli<strong>ch</strong>-zeitli<strong>ch</strong>e<br />

Unabhängigkeit si<strong>ch</strong>ern, wie dies für Wahrheit und Ri<strong>ch</strong>tigkeit erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, so<br />

kann darum nur auf die Zwanglosigkeit abgestellt werden. Entspre<strong>ch</strong>end lassen si<strong>ch</strong><br />

die an<strong>der</strong>en Kriterien begründen. Eine personell bes<strong>ch</strong>ränkte Teilnahme ist stets unbestimmt,<br />

denn sie könnte mal den einen, mal den an<strong>der</strong>en Personenkreis berücksi<strong>ch</strong>tigen;<br />

nur eine universelle Teilnahme, also eine Teilnahme aller, ist stets definiert.<br />

Eine Teilnahme mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten ist stets unbestimmt, denn es könnte<br />

mal die eine, mal die an<strong>der</strong>e Gruppe von Personen Son<strong>der</strong>re<strong>ch</strong>te erhalten; nur die<br />

glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigte Teilnahme ist stets definiert. Bereits mit diesem Argument kann<br />

begründet werden, warum ausgere<strong>ch</strong>net Zwanglosigkeit, Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und<br />

Universalität <strong>der</strong> Teilnahme die Kriterien sein müssen, die in einer Argumentation<br />

die guten Gründe identifizieren.<br />

dd) Die Letztbegründung als Variante<br />

Im Rahmen des transzendentalen Arguments ist damit bisher nur die zweite Prämisse<br />

(praemissa minor) dargelegt: Wenn jemand etwas behauptet im Sinne eines starken<br />

Begriffs des Behauptens, so übernimmt er damit notwendig glei<strong>ch</strong>zeitig die Primafacie-Pfli<strong>ch</strong>t,<br />

das Behauptete auf Verlangen in einer Art und Weise zu begründen, die<br />

dur<strong>ch</strong> Zwanglosigkeit, Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung und Universalität <strong>der</strong> Teilnahme gekennzei<strong>ch</strong>net<br />

ist – er argumentiert. Wie aber ist die erste Prämisse des transzendentalen<br />

Arguments (praemissa maior) zu begründen, die besagt, daß Mens<strong>ch</strong>en notwendig<br />

etwas behaupten im Sinne eines starken Begriffs des Behauptens. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Warum soll es überhaupt notwendig sein, daß Mens<strong>ch</strong>en argumentieren?<br />

Die Frage hat in den vers<strong>ch</strong>iedenen Diskurstheorien unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Antworten<br />

gefunden 495 . Je na<strong>ch</strong>dem, ob von einer unbedingten und nur von einer bedingten<br />

Notwendigkeit dieser Prämisse im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leben ausgegangen wird, enthält<br />

das transzendentale Argument einen Letztbegründungsanspru<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> verzi<strong>ch</strong>tet auf<br />

diesen. Die Letztbegründung ist folgli<strong>ch</strong> nur eine von mehreren Varianten des transzendentalen<br />

Arguments in Diskurstheorien.<br />

493 Dazu unten S. 222 ff. (Diskursregeln).<br />

494 Vgl. die Ma<strong>ch</strong>tdefinition bei M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. I, S. 28: »Ma<strong>ch</strong>t bedeutet<br />

jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen au<strong>ch</strong> gegen Wi<strong>der</strong>streben<br />

dur<strong>ch</strong>zusetzen, glei<strong>ch</strong>viel worauf diese Chance beruht.« (Hervorhebung bei Weber).<br />

495 Dazu unten S. 233 ff. (einzelne Diskurstheorien).<br />

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