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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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view), die für unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e umfassende Wertvorstellungen offen sein soll 404 . Diese<br />

Aufgabe einer Selbstbes<strong>ch</strong>eidung sei dann erfüllt, wenn die freistehende Konzeption<br />

zum Gegenstand eines übergreifenden Konsenses (overlapping consensus) wird 405 .<br />

Dadur<strong>ch</strong> also, daß die Ergebnisse <strong>der</strong> Theorie nur no<strong>ch</strong> einen kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner enthalten, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster religiöser, philosophis<strong>ch</strong>er<br />

und moralis<strong>ch</strong>er Ans<strong>ch</strong>auungen unterstützt werden kann, sollen die Mängel <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie überwunden werden. Während früher <strong>der</strong> Einwand bere<strong>ch</strong>tigt war,<br />

daß nur diejenigen, die ohnehin egalitär-liberalen Moralvorstellungen anhingen,<br />

au<strong>ch</strong> eine Bestätigung in den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien finden konnten (reflective equilibrium),<br />

gilt na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> neuen Theorie, daß sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Moraltraditionen jeweils<br />

aus ihrer Perspektive den politis<strong>ch</strong>en Minimalkonsens <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie<br />

mitzutragen vermögen. Die ursprüngli<strong>ch</strong> nordamerikanis<strong>ch</strong> geprägte Theorie gibt<br />

si<strong>ch</strong> multikulturell.<br />

c) Die neuen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (N 1 ' N 2 ')<br />

Seit <strong>der</strong> Publikation <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en Theorie im Jahr 1971 hat Rawls ni<strong>ch</strong>t nur den<br />

S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung na<strong>ch</strong>haltig vers<strong>ch</strong>oben, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> das greifbare<br />

Ergebnis seiner Theorie, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätze, mehrfa<strong>ch</strong> verän<strong>der</strong>t. Beginnend<br />

mit den Tanner-Lectures im Jahre 1981 wurden die Teilgrundsätze des zweiten<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzips in ihrer Reihenfolge vertaus<strong>ch</strong>t, so daß das umstrittene Differenzprinzip<br />

ganz an den S<strong>ch</strong>luß rückt, was vor allem unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt des<br />

'Vorrangs <strong>der</strong> Grundfreiheiten' bedeutsam ist 406 . In <strong>der</strong> konsolidierten Fassung betont<br />

Rawls seit 1993, daß es au<strong>ch</strong> bei den Grundfreiheiten des ersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsatzes<br />

ni<strong>ch</strong>t nur auf die formale Glei<strong>ch</strong>heit, son<strong>der</strong>n auf einen 'fairen Wert' im<br />

Sinne eines substantiellen Mindestgehalts ankommt 407 . Auffällig ist s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>, daß<br />

im ersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsatz ni<strong>ch</strong>t länger von dem 'umfangrei<strong>ch</strong>sten', son<strong>der</strong>n<br />

nunmehr von einem 'vollständig angemessenen' System von Freiheiten die Rede<br />

ist 408 . Die vollständige Neuformulierung lautet in wörtli<strong>ch</strong>er Übersetzung 409 :<br />

404 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 10 f.: »Political liberalism, then, aims for a political conception<br />

of justice as a freestanding view. It offers no specific metaphysical or epistemological doctrine<br />

beyond what is implied by the political conception itself.«<br />

405 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 133-172, 10: »Thus, political liberalism looks for a political<br />

conception of justice that we hope can gain the support of an overlapping consensus of reasonable<br />

religious, philosophical, and moral doctrines in a society regulated by it.« Zustimmend N. Jansen,<br />

Validity of Public Morality (1998), S. 5 ff.; <strong>der</strong>s., Struktur <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1998), S. 33 f., 267 ff.<br />

406 J. Rawls, Vorrang <strong>der</strong> Grundfreiheiten (1982), S. 160; dazu ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, John Rawls' Theorie<br />

<strong>der</strong> Grundfreiheiten (1997), S. 272 ff.<br />

407 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 6; ausführli<strong>ch</strong>er <strong>der</strong>s., Vorrang <strong>der</strong> Grundfreiheiten (1982),<br />

S. 161 ff., 207 ff.<br />

408 Zu <strong>der</strong> mit dieser Umstellung und ihrer Illustration verbundenen Zuwendung zu einem spezifis<strong>ch</strong><br />

amerikanis<strong>ch</strong>en Verständnis von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten siehe P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie<br />

<strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 155.<br />

409 Vgl. das Original bei J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 5 f.: »a. Ea<strong>ch</strong> person has an equal claim<br />

to a fully adequate s<strong>ch</strong>eme of equal basic rights and liberties, whi<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eme is compatible with the<br />

same s<strong>ch</strong>eme for all; and in this s<strong>ch</strong>eme the equal political liberties, and only those liberties, are to<br />

be guaranteed their fair value. | b. Social and economic inequalities are to satisfy two conditions:<br />

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