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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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über die die Betroffenen in einem hypothetis<strong>ch</strong>en Diskurs eine Einigung erzielen<br />

könnten.<br />

Die kantis<strong>ch</strong>e Grundposition ist die einzige, die das (argumentative) Rationalitätskonzept<br />

'Diskurs' wie<strong>der</strong>gibt. Die Diskursbedingungen sind geradezu prototypis<strong>ch</strong><br />

für eine Situation, in <strong>der</strong> eigene Interessen und Ziele nur no<strong>ch</strong> als Teil von universellen,<br />

auf alle bezogenen Überlegungen auftreten.<br />

ee) Zur Ungeeignetheit <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien als <strong>Theorien</strong>klasse (Indifferenzeinwand)<br />

Darstellungsmittel eignen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t als Anknüpfungspunkt für die grundlegende<br />

Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien (Indifferenzeinwand). Das erweist si<strong>ch</strong> in<br />

<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien, in <strong>der</strong> eine sehr uneinheitli<strong>ch</strong>e Vielfalt von<br />

theoretis<strong>ch</strong>en Ansätzen vereint ist 287 . Neben neohobbesianis<strong>ch</strong>en 288 und kantis<strong>ch</strong>en<br />

Sozialvertragstheorien 289 gibt es beispielsweise au<strong>ch</strong> sozialvertragli<strong>ch</strong>e Rekonstruktionen<br />

des Utilitarismus 290 . Die einzelnen <strong>Theorien</strong> nutzen das Darstellungsmittel<br />

des Sozialvertrags dabei in so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise, daß eine Ähnli<strong>ch</strong>keit nur<br />

no<strong>ch</strong> oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> besteht 291 . Denn <strong>der</strong> Kontraktualismus führt ein Leben aus zweiter<br />

Hand, bei dem die Geltung <strong>der</strong> vertragstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung von <strong>der</strong> Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Ausgangssituation abhängt (Relativität <strong>der</strong> Vertragsrationalität) 292 . Es<br />

kommt ents<strong>ch</strong>eidend darauf an, wie die Parteien ihre Position in <strong>der</strong> Verhandlung<br />

sehen (Interessengewißheit/-ungewißheit), wel<strong>ch</strong>e Strategie sie verfolgen (Risikobereits<strong>ch</strong>aft/Risikos<strong>ch</strong>eu),<br />

inwieweit Sanktionen jenseits <strong>der</strong> Verhandlungssituation<br />

mögli<strong>ch</strong> sind (Drohung/Gewaltfreiheit). Stehen diese Parameter fest, dann ist <strong>der</strong><br />

hypothetis<strong>ch</strong>e Vertragss<strong>ch</strong>luß nur no<strong>ch</strong> eine automatis<strong>ch</strong>e Folge, glei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Konklusion,<br />

die im Syllogismus die logis<strong>ch</strong>e Konsequenz <strong>der</strong> den Inhalt tragenden Prämissen<br />

ist 293 . Längst ni<strong>ch</strong>t alle Vertragstheorien orientieren si<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong><br />

Ausgangsposition an reiner Vertragsrationalität (Divergenzthese) 294 ; die Vertragstheorie<br />

von Rawls ist dafür ein Beispiel 295 . Würden sol<strong>ch</strong>e untypis<strong>ch</strong>en Modelle mit<br />

287 So au<strong>ch</strong> U. Steinvorth, Über die Rolle von Vertrag und Konsens in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Theorie (1986),<br />

S. 21 – 'Vieldeutigkeit'; H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 66 ff. (67) – Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

von individualistis<strong>ch</strong>en (Hobbes, Gauthier) und universalistis<strong>ch</strong>en (Kant, Rawls) Vertragstheorien.<br />

288 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

289 Dazu unten S. 199 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />

290 Beispielsweise R.M. Hare, Rawls' Theory of Justice (1973), S. 90 f.; R.B. Brandt, The Concept of Rationality<br />

in Ethical and Political Theory (1977), S. 278: »[T]he equilibrium system that will be <strong>ch</strong>osen<br />

is one that on the evidence appears to maximize expectable utility.« In Abgrenzung zu Rawls<br />

au<strong>ch</strong> bei J. Narveson, Rawls and Utilitarianism (1982), S. 133 ff. – 'utilitarian defense of Rawls's two<br />

principles'. Vgl. unten S. 154 (Zuordnung des Utilitarismus zur aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

291 Entspre<strong>ch</strong>ende Kritik au<strong>ch</strong> bei V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 1.<br />

292 W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 33; <strong>der</strong>s., Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation<br />

(1997), S. 51.<br />

293 Treffen<strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong> bei W. Kersting, Herrs<strong>ch</strong>aftslegitimation (1997), S. 51.<br />

294 Dazu oben S. 97 (Divergenzthese).<br />

295 Vgl. oben S. 98 (Vertrag).<br />

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