Download | PDF - Kultur Vor Ort e.V.
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Es geht um eine Art community building, den Aufbau also nicht (nur) die der Schule, sondern die der gesamten<br />
zeitgemäßer zivilgesellschaftlicher Strukturen, in denen Lebenswelt von jungen und erwachsenen Menschen – und<br />
Schulen und ganz allgemein Bildung eine zentrale Rolle das setzt entscheidende Koordinaten für die Kooperationen<br />
spielen kann und sollte.<br />
vor <strong>Ort</strong>.<br />
Wie lassen sich solche Kooperationsstrukturen aufbauen? Aus dem Fokus Stadtteil entstehen gemeinsame Horizonte<br />
Welche <strong>Kultur</strong> der Kooperation ist dafür notwendig? Im für die Zusammenarbeit: Wie ist die Geschichte und<br />
Folgenden soll versucht werden, anhand von 5 Stichworten Gegenwart des Stadtteils? In welchen sozialen, kulturellen,<br />
die Überlegungen zu zeigen, die maßgeblich für unsere räumlichen Verhältnissen leben die SchülerInnen und deren<br />
Arbeit im Bereich der kulturellen Bildung sind.<br />
Eltern? Welche Konflikte bestimmen die Lebenswelt der<br />
Bewohner? Wie kann die Zukunft des Stadtteils aussehen?<br />
1. Fokus Stadtteil<br />
Was kann jede Institution dafür tun?<br />
Die Kooperationsstrukturen in Gröpelingen haben einen Hintergrund ist die Erfahrung aller Einrichtungen vor <strong>Ort</strong>,<br />
gemeinsamen Fokus: den Stadtteil. Unsere Perspektive ist aufgrund der schwierigen sozialen Lage im Stadtteil vor<br />
a_b_c_gröpelingen: Eine Lokale Bildungslandschaft<br />
Bremer Volkshochschule West, Stadtbibliothek West, Bürgerhaus Konzepte von Lernen im Lebenslauf müssen an die Bedürfnisse und<br />
Oslebshausen und <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> arbeiten an Konzepten, wie sie Gegebenheiten vor <strong>Ort</strong> angepasst werden, damit Weiterbildung<br />
ihre Kompetenzen in eine lokale Bildungslandschaft einbringen kein Luxusgut für Bessergestellte bleibt. Die Bremer Volkshochschule<br />
West und die Stadtbibliothek West gehen deshalb seit ge-<br />
können.<br />
Schon vor zwei Jahren waren mit Quartiersakademie und der raumer Zeit neue Wege und orientieren ihre Einrichtungen konsequent<br />
sozialräumlich aus.<br />
Tagung „<strong>Kultur</strong> macht Bildung“ alle lokalen Einrichtungen eingeladen,<br />
mit zu diskutieren und mit zu arbeiten. Seitdem haben sich die 6. In der kulturellen und interkulturellen Bildung ist schon lange<br />
Kontakte zu Schulen und KiTas, zum WiN-Management und vielen bekannt, welche neuen Wege zur Bildung sich über diese Methoden<br />
ergeben. Eine Enquette-Kommission der Bundesregierung hat<br />
anderen Institutionen intensiviert und die Idee einer lokalen Bildungslandschaft<br />
nimmt Gestalt an.<br />
kürzlich wieder einmal gefordert, kulturelle Bildung systematisch<br />
in Bildungsstrukturen zu verankern. Davon ist Gröpelingen noch<br />
Was macht eine solche lokale Bildungslandschaft aus?<br />
weit entfernt. Mit dem Kinder- und Jugendatelier im Roten Hahn<br />
1. Zunächst wird unter Bildung nicht nur formales Lernen, sondern und den offenen Angeboten im Stadtteil hat <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> die<br />
auch kulturelles und informelles Lernen verstanden. Deshalb arbeiten<br />
in solchen Bildungslandschaft Schulen, KiTas, <strong>Kultur</strong>träger, schaffen. Einzelne Module konnten erarbeitet werden – es fehlt an<br />
Grundlagen für eine verlässliche Struktur für kulturelle Bildung ge-<br />
Weiterbildungsträger, soziale Träger und Initiativen der Gesundheit,<br />
lokale NGOs, Migrantenverbände, Stadtplanung, <strong>Ort</strong>samt, Curricula zu konzipieren. Auch werden dringend Mittel benötigt,<br />
Ressourcen, diese systematisch zu erweitern, zu evaluieren und<br />
Beirat, Marketing etc. zusammen, weil sie alle gemeinsam verantwortlich<br />
für die Bildungssituation im Stadtteil sind.<br />
und belastungsfähige Teams aufzubauen.<br />
um hochqualifizierte und erfahrene MitarbeiterInnen zu binden<br />
2. Die lokalen Akteure tauschen sich intensiv mit der Verwaltung 7. Wie die kulturelle Bildung müsste für Gröpelingen eine zeitgemäße<br />
interkulturelle Bildung eine zentrale Rolle spielen: Es sind ja<br />
aus, da nur im Wechselspiel zwischen Landesregierung und lokalen<br />
Akteuren ernsthafte Veränderungen entwickelt werden können. vornehmlich die muslimischen Einwanderer und deren Kinder und<br />
3. Die lokalen Akteure entwickeln ein gemeinsames Leitbild: Welche Enkelkinder, die im aktuellen Bildungssystem sprichwörtlich unter -<br />
Rolle soll Bildung im Stadtteil spielen? Welche spezifischen Probleme<br />
gibt es und welche spezifischen Antworten geben wir? Wo VHS initiierte Sprachcafé sind wichtige Meilensteine auf dem Weg<br />
gehen. Die Integrationskurse der VHS oder das von <strong>Ort</strong>samt und<br />
wollen wir in fünf oder zehn Jahren sein?<br />
in eine interkulturell qualifizierte Bildungslandschaft.<br />
4. Die Übergänge zwischen einzelnen Bildungsphasen müssen 8. Schließlich geht es auch um eine fortwährende Qualifizierung<br />
überdacht, verbessert werden. Wie gelangen Kinder gut von der der Akteure im Stadtteil. Ob LehrerInnen, ErzieherInnen, KünstlerInnen<br />
– sie alle bringen fachliche Qualifikationen mit, aber die spe-<br />
KiTa in die Grundschule und von dort in eine weiterführende Schule?<br />
Wie gelingen Übergänge in berufliche Bildung und in die Hochschule?<br />
Wie können Eltern besser eingebunden werden?<br />
bildung kaum berührt. Gröpelingen braucht Plattformen, auf<br />
zifischen Probleme dieses Stadtteils werden in der normalen Aus-<br />
denen Erfahrungen ausgetauscht und fachlich begleitet ausgewertet<br />
werden und notwendige strukturelle Konsequenzen gezogen<br />
5. Erwachsenenbildung, Weiterbildung, Life Long Learning sind für<br />
das Bildungsbürgertum längst etablierte Lebenskonzepte. Für die<br />
und umgesetzt werden können.<br />
meisten Menschen in Gröpelingen sind das böhmische Dörfer.<br />
ähnlichen Problemen zu stehen. Ob im Kinderkunstatelier,<br />
in der Bibliothek, der Grundschule, im Sportverein oder der<br />
Volkshochschule – überall werden wir mit schwierigen<br />
Integrationsprozessen, Armut, bei Kindern manchmal auch<br />
mit emotionaler und sozialer Verwahrlosung konfrontiert,<br />
mit überforderten Eltern und überforderten Nachbarschaften,<br />
mit Gewalterfahrung und Perspektivlosigkeit.<br />
Der Stadtteil ist dabei nicht eine zufällige Kulisse, sondern<br />
der sozialräumliche Kontext, in dem die individuellen<br />
Konfliktlagen heranwachsen. In den deutschen Großstädten<br />
wird seit einiger Zeit die zunehmende soziale Desintegration<br />
unter dem Stichwort „soziale Spaltung der Stadt“<br />
diskutiert. Es geht nicht mehr nur um individuelle Situationen,<br />
sondern um eine stadträumlich bedingte und verstärkte<br />
Benachteiligung von Bewohnern bestimmter Stadtteile.<br />
Übrigens in beide Richtungen: Während in großstädtischen<br />
Armutsquartieren vor allem Jugendliche in besonderem<br />
Maße von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind,<br />
erleben SchülerInnen privilegierter Stadt teile nur noch<br />
relativ homogene soziale Welten und haben es vor dem<br />
Hintergrund dieses Diversivitätsdefizits schwerer, bestimmte<br />
soziale Kompetenzen auszubilden.<br />
Fokus Stadtteil bedeutet für die meisten Einrichtungen ein<br />
radikales Umdenken: In Gröpelingen haben Stadtbibliothek<br />
und Volkshochschule mit einer systematischen sozialräumlichen<br />
Ausrichtung ihrer Zweigstellen begon nen und<br />
Stichwort: Sechsjährige Grundschule<br />
Mit dem Bremer Schulkonsens vom Sommer 2009 wurde auch die<br />
Grundschulzeit verbindlich auf vier Jahre festgeschrieben. Bisher gab es<br />
in Bremen einige sechsjährige Grundschulen wie beispielsweise die<br />
Schule an der Fischerhuderstraße. Da aber allen Eltern gleichzeitig ermöglicht<br />
wurde, nach dem vierten Schuljahr eine weiterführende Schule<br />
anzuwählen, kam es mit dem 5. Schuljahr zu einer verheerenden sozialen<br />
Auslese. Diejenigen Eltern, die das komplizierte Bremer Schulsystem<br />
verstanden hatten und in der Lage waren, ihre Kinder intensiv zu fördern,<br />
wählten eine weiterführende Schule an. Zurück blieben die Kinder,<br />
deren Eltern mit der Entscheidung überfordert waren oder die eine Überforderung<br />
ihrer Kinder in der weiterführenden Schule befürchteten. So<br />
wurden die sechsjährigen Grundschulen zu Restschulen, die vor allem<br />
von Kindern aus problematischen sozialen Strukturen oder von Kindern<br />
mit Migrationshintergrund besucht wurden. Die Schulabgänger erreichten<br />
zu fast 100% nur einen Hauptschulabschluss.<br />
Doch der Misserfolg dieses Schultyps hängt einzig und allein mit der<br />
Wahlmöglichkeit ab dem 4. Schuljahr zusammen. Bildungsforscher sind<br />
sich einig, dass die soziale Auslese des deutschen Schulsystems vor allem<br />
mit der viel zu frühen Aufteilung der Kinder in verschiedene Schulformen<br />
zu tun habe. Bildungsforscher empfehlen deshalb eine möglichst<br />
lange gemeinsame Schulzeit für alle Kinder, mindestens sechs Jahre,<br />
besser noch neun Jahre.<br />
damit für diese traditionell zentralistisch organisierten<br />
Einrichtungen Neuland betreten. Die beiden Einrichtungen<br />
haben sich mit <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V. und dem Bürgerhaus<br />
Oslebshausen zusammengetan, um gemeinsam Ziele und<br />
Programme abzustimmen und weiter zu entwickeln, und<br />
sie organisieren gemeinsam Workshops, Tagungen und <strong>Vor</strong>tragsreihen<br />
für alle Institutionen und Einrichtungen im<br />
Stadtteil. Es geht also um die Überwindung eines Institutionsegoismus<br />
zugunsten integrierter Arbeits- und Handlungsansätze.<br />
2. Schule im Stadtteil<br />
Für die Schulen ist es schwer, sich dem Stadtteil zu öffnen,<br />
weil ihre Binnenstruktur autark ist und machtvolle vertikale<br />
Strukturen zur Schulaufsicht, bzw. zu den Bildungsministerien<br />
bestehen. Schulen „denken“ systemisch vertikal und<br />
haben oft zu wenig Ressourcen, horizontal vor <strong>Ort</strong> zu<br />
agieren. Meist liegt es am Engagement einzelner Lehrerinnen<br />
oder Lehrer, die in unbezahlten Überstunden an<br />
Stadtteilkonferenzen teilnehmen oder sich in Workshops<br />
oder Fachgesprächen mit Akteuren aus <strong>Kultur</strong>, Sport oder<br />
lokaler Ökonomie zusammen setzen und dabei das<br />
Schulgelände auch verlassen.<br />
Der Aufbau einer kooperativen Bildungslandschaft bedeutet<br />
anzuerkennen, dass der gesamte Stadtteil, die gesamte<br />
Stadt eine Bildungslandschaft für junge Leute ist: Das<br />
Kunstatelier in der alten Feuerwache, die Galerie in der<br />
Seitenstraße, der informelle Treff im Grünstreifen, die Teestube<br />
in der Moschee, die großen Sportanlagen am<br />
Stadtrand, das Shopping-Center, das zeitgenössische<br />
Off-Theater in der alten Industriebrache, der Altentreff in<br />
der Gemeinde und so weiter. Für die Schule bedeutet eine<br />
solche Sichtweise auch einen Gewinn an Lernorten<br />
außerhalb der Schule.<br />
Wenn es um den Aufbau kooperativer Bildungsstrukturen<br />
im Stadtteil geht, treffen die unterschiedlichsten Akteure<br />
aufeinander: Stabile, mächtige Strukturen auf flexible und<br />
weniger mächtige, formale auf informelle, professionelle<br />
auf semiprofessionelle u.s.w. Eine solche Zusammenarbeit<br />
hat deshalb ihre Risiken: Im Kinokassenschlager „Findet<br />
Nemo“ treten drei Haie auf, die sich unter dem Motto<br />
„Fische sind Freunde, kein Futter“ geschworen haben,<br />
Vegetarier zu werden. Und tatsächlich, durch den Perspektivwechsel<br />
auf die sie umgebende Fischwelt werden die<br />
drei Haie zu kollegialen Partnern im Fischuniversum.<br />
Auch in der Zusammenarbeit zwischen Schulen und<br />
anderen Akteuren müssen institutionell starke Partner der<br />
Verlockung widerstehen, den anderen einfach zu schlucken<br />
und ins eigene System einzuverleiben. >