Magazin - Wem gehört Zürich?
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ZÜRICH<br />
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WEM GEHÖRT ZÜRICH?<br />
WEM GEHÖRT<br />
ZÜRICH? INHALT<br />
IMPRESSUM<br />
Dieses <strong>Magazin</strong> erscheint im Rahmen der<br />
Demonstration »<strong>Wem</strong> <strong>gehört</strong> <strong>Zürich</strong>?« vom<br />
26. Oktober 2013 | www.wem-gehoert-zuerich.ch<br />
info@wem-gehoert-zuerich.ch<br />
Redaktion und Layout: Smash Publications, <strong>Zürich</strong><br />
Druck: A4 Druck-Kollektiv, <strong>Zürich</strong><br />
www.a4druck.ch<br />
Auflage: 1000<br />
Schrift: Linux Libertine (OFL)<br />
Gedruckt auf Umweltschutzpapier FSC, 100 g/m²<br />
Die in den Beiträgen wiedergegebenen Meinungen<br />
müssen sich nicht mit den Meinungen der Redaktorinnen<br />
und Redaktoren decken.<br />
Gender Gap – Wir verwenden den Gender Gap<br />
(eine durch einen Unterstrich gefüllte Lücke) als<br />
sprachliches Mittel, um alle Geschlechtsidentitäten<br />
ausserhalb von Frau und Mann zu kennzeichnen,<br />
beispielsweise intersexuelle Menschen oder Transgender.<br />
Copyleft – Die Texte in diesem <strong>Magazin</strong> unterstehen<br />
einer CreativeCommons Lizenz. Für nichtkommerzielle<br />
Zwecke können sie mit Quellenangabe<br />
frei verwendet werden.<br />
Abbildungen – Alle Grafiken und Fotos ohne<br />
Quellenangabe sind von den Autor_innen oder<br />
der Redaktion zur Verfügung gestellt.<br />
Solidarisch gedruckt vom<br />
A4 Druck-Kollektiv in <strong>Zürich</strong>.<br />
A4<br />
Druck-Kollektiv<br />
Dienerstrasse 19 | 8004 <strong>Zürich</strong><br />
Tel. 043 539 38 27<br />
info@a4druck.ch | www.a4druck.ch<br />
EDITORIAL<br />
<strong>Zürich</strong> ist attraktiv geworden: Zum Finanzzentrum<br />
mit hoher Lebensqualität und einer<br />
ausgezeichneten Infrastruktur. Ebenso zum<br />
Immodorado für Spekulationshaie und global<br />
agierende Unternehmen. Investor_innen bauen<br />
Eigentumswohnungen und hochpreisige Bürokomplexe,<br />
Hauseigentümer_innen werten ihre<br />
Liegenschaften auf, Stadtverwaltung und Polizei<br />
hübschen den öffentlichen Raum für<br />
potente Steuerzahlende auf. Günstiger Wohnund<br />
Lebensraum ist zum kostbaren Luxusgut<br />
geworden.<br />
Auf der Strecke bleiben genau die Menschen,<br />
welche die Stadt zur Stadt machen – alteingesessene<br />
Senior_innen, Alleinstehende und Familien,<br />
Arbeiter_innen und Migrant_innen, die<br />
<strong>Zürich</strong> täglich nähren, putzen und bauen, Marginalisierte,<br />
denen die Gesellschaft keinen Platz<br />
zugesteht, das (kreative) Kleingewerbe, Studierende,<br />
alternative Strukturen, die sich dem<br />
Verwertungszwang widersetzen. Sie – wie auch<br />
alle andern, die sich <strong>Zürich</strong> zum Wohnen, Leben<br />
und Arbeiten nicht mehr leisten können – werden<br />
an die Ränder geschoben, diffamiert, unterdrückt.<br />
Vielleicht werden sie zunehmend unsichtbar,<br />
aber bestimmt nicht mundtot. Dieses <strong>Magazin</strong><br />
lässt verschiedene Stimmen zu Wort kommen,<br />
die etwas zur Entwicklung <strong>Zürich</strong>s zur »Global<br />
City« zu sagen haben. Kritiker_innen und Betroffene<br />
berichten über Prozesse der Verdrängung,<br />
erläutern Zusammenhänge zwischen Wirtschaft,<br />
Raumverteuerung und demographischen Entwicklungen,<br />
artikulieren unmissverständliche<br />
Forderungen und öffnen den Bedeutungsraum<br />
für Formen des Widerstands.<br />
Damit ist aber längst nicht alles gesagt. Es<br />
bleibt viel zu tun. Denn <strong>Zürich</strong> <strong>gehört</strong> uns Allen.<br />
Eure Redaktion<br />
4 –<br />
6 –<br />
7 –<br />
8 –<br />
10 –<br />
13 –<br />
14 –<br />
15 –<br />
16 –<br />
17 –<br />
18 –<br />
20 –<br />
22 –<br />
23 –<br />
Go West!<br />
Vesna Tomse<br />
Wir Zwangssparer finanzieren die<br />
Seefeldisierung mit<br />
Urs Frey, Quartierverein Riesbach<br />
Kapitalistische Aufwertungslogik<br />
und Verdrängung an der<br />
Weststrasse – die Stadt schaut zu<br />
Rahel Nüssli<br />
Spekulative Bundes-Bahnen? Nein!<br />
Niggi Scherr<br />
Global City <strong>Zürich</strong> – Vermögen<br />
vermehren, Platz beanspruchen<br />
Philipp Klaus<br />
Personenkontrollen, Arbeitsverbote,<br />
Wohnungsnot: Wie <strong>Zürich</strong> illegalisierten<br />
Migrant_innen weggenommen wird<br />
Autonome Schule <strong>Zürich</strong><br />
Dafür sorgen, dass die Mieten sinken<br />
Felicitas Huggenberger,<br />
Mieterinnen- und Mieterverband <strong>Zürich</strong><br />
Wie wohnen ohne Geld?<br />
Cordula Bieri, Caritas <strong>Zürich</strong><br />
Gesundes Wohnen ist ein Menschenrecht<br />
– auch für Armutsbetroffene!<br />
Branka Goldstein, IG Sozialhilfe<br />
Kreativität statt Schockstarre<br />
Kulturintendanz Rosengarten der<br />
Genossenschaft Kalkbreite<br />
Krise, Boom…?<br />
Andreas Hofer<br />
Labitzke (1912-2014?) - Farbfabrik,<br />
kultureller Mikrokosmos und<br />
Gentrifizierungsopfer<br />
Annika Settergren<br />
Lieber nutzen als nur dazwischen<br />
Yves Sablonier, Verein Zitrone<br />
Kulturbesetzungen – das kann doch<br />
nicht alles sein<br />
Mischa Brutschin<br />
25 – Veranstaltungen<br />
26 – Kontake, Links, Medien<br />
2 3
GO WEST!<br />
<strong>Zürich</strong> wird aufgewertet – und<br />
das nicht erst seit gestern. Seit den<br />
Sechzigerjahren walzt sich die Gentrifizierung<br />
die Limmat abwärts<br />
durch ehemalige Arbeiter- und<br />
Handwerker-Quartiere. Der <strong>Zürich</strong>berg<br />
breitet sich seither mit immer<br />
neuen Hochglanz-Siedlungen ins<br />
Seefeld aus, nach Aussersihl und Altstetten.<br />
Auf der Strecke bleiben neben<br />
ärmeren Bewohner_innen auch die<br />
»Kreativen« und das Kleingewerbe.<br />
Heute glaubt man es kaum: Noch<br />
in den 1960er und -70er-Jahren waren<br />
das Seefeld und das »Dörfli«<br />
hip – die Alternativ-, Student_innen-,<br />
Kunst- und Design-Szene<br />
besuchte<br />
im Niederdorf das<br />
Odeon, das »Maröggli«,<br />
die Bodega oder<br />
die Züri Bar und bewohnte die ersten<br />
Wohngemeinschaften – damals<br />
»Kommunen« genannt – im Seefeld<br />
und Hottingen. Im Globus-Provisorium<br />
auf der Bahnhofbrücke fand<br />
1968 jene Vollversammlung statt, die<br />
schlussendlich in die »Globus-Krawalle«<br />
mündete. Auf dem Lindenhof,<br />
wo heute Tourist_innen und Banker<br />
flanieren, entstand 1970 mit der »Autonomen<br />
Republik Bunker« ein Treffpunkt<br />
für die aufmüpfige Jugend.<br />
Wie die Gentrifizierung sich<br />
westwärts walzt<br />
Der Aufbruch im Osten dauerte<br />
nicht lange. Nachdem die Stadtverwaltung<br />
den Strassenstrich anfangs<br />
der 1980er-Jahre endgültig aus dem<br />
Seefeld verbannt hatte, wurde das<br />
Quartier zur Heimat der nun arrivierten<br />
68er-Generation. Die Werber, die<br />
mit dem Finanzplatz reich geworden<br />
In den 1980ern erwarb die arrivierte 68er-Generation<br />
mit ihrer gehobenen Kaufkraft die schön gelegenen<br />
Immobilien im Seefeld und der Altstadt.<br />
waren, bevölkerten das ehemalige<br />
Handwerker-Quartier und erwarben<br />
mit ihrer gehobenen Kaufkraft die<br />
schön gelegenen Immobilien. Auch<br />
das Niederdorf war nach jahrzehntelanger<br />
»Belagerung« durch die Drogenszene<br />
nun bereit für Horden von<br />
Tourist_innen und solvente Alt-68er_<br />
innen, die sich ein Stück der malerischen<br />
Altstadt leisteten.<br />
Die Alternativ-Szene ihrerseits,<br />
der die günstigen Räume abhanden<br />
gekommen waren, setzte zum Sprung<br />
über die Sihl an: Der Stauffacher, das<br />
»Tor zum Aussersihl«, sollte mit spektakulären<br />
Besetzungen in den frühen<br />
1980ern zum Ausgangspunkt eines<br />
dichten Netzes von Wohngemeinschaften,<br />
besetzten Häusern, Kulturräumen<br />
und schliesslich »jungen«<br />
Genossenschaften werden. Das Freie<br />
Radio LoRa zog 1986 vom Seefeld<br />
in den Kreis 4, das Kanzlei und das<br />
Xenix wurden zum<br />
Quartiertreffpunkt.<br />
In besetzten Häusern<br />
wie der »Bäcki«,<br />
der Wohlgroth sowie<br />
zahllosen illegalen Bars kristallisierte<br />
sich das politische und kulturelle<br />
Leben der Alternativ-Szene,<br />
die mit der Hellmi, dem Dreieck, der<br />
Tellstrasse oder dem Karthago auch<br />
eigene Genossenschaften hervorbrachte<br />
– die tiefen Liegenschaftenund<br />
Landpreise und das investitionsunfreundliche<br />
Klima in den vom<br />
Strassenstrich und<br />
der Drogenszene<br />
belasteten ehemaligen<br />
Arbeiterquartieren<br />
4 und 5 schufen den fruchtbaren<br />
Boden für eine Szene, die zwar<br />
reich an kulturellem und sozialem<br />
Kapital, jedoch arm an Finanzkapital<br />
war.<br />
Mit der Räumung der Wohlgroth<br />
1993 wurde die nächste Verschiebung<br />
eingeläutet. Im Zürcher<br />
Industriequartier standen seit den<br />
1980ern riesige Fabrikareale leer, die<br />
sogleich von verschiedenen Szenen<br />
in Beschlag genommen wurden: Im<br />
Escher-Wyss-Areal entstand 1999<br />
der autonome Glacégarten, die Freitag-Taschen<br />
zogen von der Wohlgroth<br />
ins Maag-Areal, an der Gerold-,<br />
Förrlibuck- und Hardturmstrasse siedelten<br />
sich Partyclubs an. Sogar eine<br />
junge Genossenschaft, das Kraftwerk1,<br />
fand hier seine Nische.<br />
Kaum waren die Kreativen in <strong>Zürich</strong> West<br />
angekommen, fing die Investitions- und<br />
Preisspirale zu drehen an.<br />
Wohin nun?<br />
This is the end<br />
Doch kaum waren die Kreativen<br />
in <strong>Zürich</strong> West angekommen, fing<br />
die Investitions- und Preisspirale zu<br />
drehen an – hochpreisige Immobilienprojekte<br />
wie der Prime Tower<br />
und Mobimo Tower oder das Löwenbräu<br />
klebten dem neuen Quartier im<br />
Westen ihr Preisschild auf. Für die armen<br />
»Kreativen« hiess es weiterziehen<br />
– in den Westen nach Altstetten,<br />
wo mittlerweile Industrieareale frei<br />
geworden und der Mietzins bezahlbar<br />
war.<br />
Nun sind sie also in Altstetten:<br />
Die Autonomen im Kulturzentrum<br />
Beauty Salon und im Koch-Areal,<br />
Gross-WGs und migrantische Kulturvereine<br />
auf dem Labitzke-Areal,<br />
die Autonome Schule und die Künstler_innen<br />
in der Zwischennutzung<br />
des Vereins Zitrone an der Badenerstrasse<br />
und in unzähligen Ateliers<br />
rundherum. Doch das kreative Feuerwerk<br />
in Altstetten wird bald verschossen<br />
sein: Alle Areale gehören<br />
längst globalen Playern wie der UBS,<br />
der CS oder der Mobimo. Sie haben<br />
Altstetten, das Quartier am Zürcher<br />
Stadtrand, längst unter sich aufgeteilt.<br />
Für jene, die zwar kein Geld<br />
haben, aber die Stadt täglich herstellen,<br />
bleibt die Frage: Wohin nun?<br />
Vesna Tomse<br />
Stadtsoziologin<br />
Phase 1: »Abwertung«<br />
Phase 2: Pionier_innen<br />
Phase 3: Behördlich forcierte Gentrifizierung und Kleininvestoren<br />
Phase 4: Institutionelle Grossinvestoren<br />
4 5
Wir<br />
Zwangssparer<br />
finanzieren die<br />
Seefeldisierung<br />
mit<br />
Gentrifizierung! Ein Begriff, der<br />
vor kurzem noch zum exklusiven<br />
Fachjargon von Soziologinnen<br />
und Urbanisten <strong>gehört</strong>e, ist heute<br />
in den grossen Städten Europas<br />
in aller Munde: Einst ärmere oder<br />
mittelständische Innenstadtquartiere<br />
werden aufgrund ihrer attraktiven,<br />
zentralen Lage von gutbetuchten<br />
Leuten neu entdeckt und von findigen<br />
Immobilienfirmen erschlossen.<br />
Was diese als Sanierung und Aufwertung<br />
propagieren, erleben die<br />
Leute vor Ort als Vertreibung aus<br />
dem liebgewonnenen Wohnparadies.<br />
Oft trifft es Alteingesessene und Familien<br />
mit bescheidenen Budgets.<br />
Auf <strong>Zürich</strong>deutsch heisst dieses<br />
Phänomen Seefeldisierung. Und im<br />
Seefeld selbst trägt es den Namen<br />
von Urs Ledermann. Zielstrebig und<br />
hartnäckig sammelt dieser seit den<br />
1980er-Jahren Haus um Haus im<br />
Quartier. Die<br />
Verkäufer sind<br />
oft ältere Leute<br />
und Erbende<br />
mit der Aussicht<br />
darauf, nicht nur eine grosse<br />
Stange Geld zu lösen, sondern gleich<br />
auch die Mühsal rund um Unterhalt,<br />
Verwaltung und Mieterwechsel<br />
los zu sein. Etwa 0.63 Mia. Franken<br />
ist Ledermanns Sammlung mittlerweile<br />
wert. Und rund 40 Objekte mit<br />
zehnmal soviel Wohnungen umfasst<br />
sie allein im Seefeld. In zwei Fällen<br />
sind Gruppen von Häusern Luxusüberbauungen<br />
gewichen und haben<br />
der Seefeldisierung ein erkennbares<br />
Gesicht gegeben.<br />
Doch diese Offensichtlichkeit<br />
lenkt ab von den anderen Akteuren<br />
im Quartier. 400 Wohnungen, das<br />
sind nur 5.4 Prozent des Bestands<br />
im flachen Teil von Riesbach. Den<br />
grossen Rest teilen sich natürliche<br />
Personen (ca. 60 Prozent) und Gesellschaften<br />
(ca. 35 Prozent), während<br />
der gemeinnützige Wohnungsbau<br />
mit ca. 6.5 Prozent weit unter dem<br />
städtischen Mittel (26 Prozent) liegt.<br />
Von den natürlichen Personen steht<br />
ein erheblicher Teil aus demographischen<br />
Gründen davor, ihren Besitz<br />
zu vererben (geschätzte 40 000<br />
Wohnungen dürften es in dieser Kategorie<br />
in ganz <strong>Zürich</strong> sein). Verkäufe<br />
wegen Erbteilung sind also eine tickende<br />
Bombe.<br />
Institutionelle Anleger als versteckte<br />
Antreiber<br />
Besondere Beachtung verdient<br />
aber auch die Rubrik »Gesellschaften«,<br />
hinter der sich mehrheitlich Pensionskassen<br />
und Versicherer verbergen. Sie<br />
pflegen das brave Image der besonnenen<br />
Verwalter, welche unser Rentenkapital<br />
mündelsicher anlegen. Wohin<br />
das führen kann, zeigt das Beispiel<br />
der <strong>Zürich</strong> Lebensversicherungs-Gesellschaft<br />
AG, die im Geviert von<br />
Dufour-, Färber- und Florastrasse<br />
eine grosse Überbauung aus dem<br />
Jahre 1911 besitzt. Allen 88 Partien<br />
wurde in diesem Frühling gekündigt.<br />
Abriss und Totalneubau stehen an.<br />
Geplant sind zwar drei Wohnungen<br />
mehr als zuvor. Doch vor dem Hintergrund<br />
der Seefeldisierung muss man<br />
annehmen, dass hier ein Befreiungsschlag<br />
geplant ist, um dereinst<br />
mittels Marktmieten eine Maximalrendite<br />
zu erzielen.<br />
Es ist nicht anzunehmen, dass<br />
viele von den bisherigen Mieter_innen<br />
sich eine der »attraktiven«, zeitgemässen<br />
Wohnungen werden leisten<br />
können. Wahrscheinlich ist vielmehr,<br />
dass die neuen Grundrisse weniger,<br />
aber geräumigere Zimmer vorsehen,<br />
so dass schliesslich auf demselben<br />
Raum weniger Menschen leben<br />
werden. (Nota bene: der Kreis 8 hatte<br />
1941 25’000 Einwohner_innen; 2010<br />
waren es noch 15’500!). Unser fragwürdiges,<br />
auf Kapitalbildung angelegtes<br />
Vorsorgesystem reproduziert<br />
also das Paradox, dass wir mit unserem<br />
Pensionsgeld<br />
die eigene<br />
Wohnung verteuern.<br />
Wenn<br />
wir dieses System<br />
auch nicht von einem Tag auf<br />
den anderen aushebeln können, dann<br />
müssten wir zumindest darauf pochen,<br />
dass die institutionellen Anleger<br />
in den bedrängten Stadtquartieren<br />
einen Teil der Wohnungen für Leute<br />
mit kleinem Budget zur Kostenmiete<br />
anbieten.<br />
Das Phänomen der Gentrifizierung heisst auf<br />
<strong>Zürich</strong>deutsch Seefeldisierung. Und im Seefeld<br />
selbst trägt es den Namen von Urs Ledermann.<br />
Unser auf Kapitalbildung angelegtes Vorsorgesystem<br />
reproduziert das Paradox, dass wir mit unserem<br />
Pensionsgeld die eigene Wohnung verteuern.<br />
Durchmischungsziel einlösen<br />
Der Quartierverein Riesbach und<br />
mit ihm viele andere Vereine in anderen<br />
Stadtkreisen unter Gentrifizierungsdruck<br />
haben in den letzten<br />
Jahren mit Kundgebungen und<br />
Vorstössen auf die Gefahr dro-<br />
hender Entmischung hingewiesen.<br />
Der gute soziale Mix<br />
ist zwar auch deklariertes Ziel<br />
der Stadtregierung. Doch wir<br />
wollen nicht einfach einen<br />
statistischen Wert für <strong>Zürich</strong> insgesamt,<br />
sondern dass die Vielfalt in den<br />
einzelnen Quartieren erhalten bleibt.<br />
Das ist die Lebensqualität, die wir<br />
fordern; nicht nur fürs Seefeld, sondern<br />
für die ganze Stadt. Und damit<br />
sich da etwas bewegt, braucht es den<br />
steten Gegendruck aus allen Teilen<br />
der Zivilgesellschaft.<br />
Urs Frey<br />
Präsident Quartierverein Riesbach<br />
Häuser-Demo gegen die Verdrängung an der Weststrasse im Rahmen der Eröffnung des<br />
neu gestalteten Brupbacherplatzes (Mai 2012).<br />
Kapitalistische Aufwertungslogik<br />
und Verdrängung an der<br />
Weststrasse – die Stadt schaut zu<br />
<strong>Zürich</strong>s ehemals »hässlichste<br />
Strasse« verwandelt sich in eine Luxusmeile<br />
– in einer Heftigkeit und<br />
Geschwindigkeit, die kaum zu überbieten<br />
ist. Die Transformation hat<br />
ihren Ursprung in der Verkehrsplanung<br />
der 1960er-Jahre, in der<br />
die Weststrasse als Teil der Westtangente<br />
als ein weiteres Provisorium<br />
angedacht wurde.<br />
Bald drängten sich pro Stunde<br />
1000 Personenwagen und 100<br />
Lastwagen durch die schmale<br />
Quartierstrasse und die Lärmund<br />
Luftbelastung überschritt die<br />
Immissionsgrenzwerte. Als ehemalige<br />
Anwohnerin weiss ich, wie es<br />
sich anfühlt, wenn vor dem Stubenfenster<br />
im ersten Stock die Lastwagendächer<br />
vorbeibrausen, lüften auf<br />
die Strasse kaum möglich ist, sich der<br />
schwarze Abgasstaub täglich auf den<br />
weissen Badzimmerplättli ansammelt<br />
und einem der Autolärm in<br />
der Wohnung ständig begleitet: verdammt<br />
unangenehm. Diese oder<br />
ähnliche Erfahrungen teilte ich bis<br />
2010 mit 1200 anderen Menschen,<br />
die direkt an der Weststrasse wohnten.<br />
Diese Menschen haben mehrheitlich<br />
keinen Schweizer Pass und verdienen<br />
deutlich weniger Geld als der<br />
städtische Durchschnitt – gar am<br />
wenigsten entlang der ganzen Westtangente.<br />
Sie wohnen nicht da, weil<br />
die Weststrasse so schön ist, sondern<br />
weil sie keinen höheren Mietzins<br />
Die Menschen wohnten nicht an der<br />
Weststrasse, weil diese so schön<br />
war, sondern weil sie keinen<br />
höheren Mietzins zahlen konnten.<br />
zahlen können. Mit der Eröffnung<br />
der Westumfahrung und des Uetlibergtunnels<br />
im Jahr 2009 wird der<br />
Verkehr verschoben und die Weststrasse<br />
ab 2010 saniert. Aber nicht<br />
nur die Strasse, auch die allermeisten<br />
Häuser, die zuvor kaum gepflegt<br />
wurden, werden nun totalsaniert<br />
oder abgerissen und neu gebaut. 2011<br />
wurde bereits jeder zweiten Mieterin<br />
gekündigt. In einem Fernsehbeitrag¹)<br />
aus demselben Jahr sagt ein Investor,<br />
der an der Weststrasse umbaut,<br />
dass sich eine normale Familie die<br />
Gegend nicht mehr leisten kann. Diejenigen,<br />
die Lärm und Abgase meist<br />
jahrelang erdulden mussten, müssen<br />
gehen. Auch ich wohne – wie wohl<br />
viele andere – lieber an einer Quartierstrasse<br />
als an einer Autobahn,<br />
aber der Fall Weststrasse hinterlässt<br />
bei mir viele Fragen. Denn die städtischen<br />
Behörden schauen der Verdrängung<br />
zu, monitoren ein bisschen.<br />
Sie laden die Grundeigentümer_innen<br />
2006 für einen »Austausch über ihre<br />
Absichten« ein. Erst als die Verdrängung<br />
offensichtlich wird, bittet die<br />
Stadtentwicklung <strong>Zürich</strong> die Hauseigentümer_innen<br />
2011 in einem Brief<br />
um eine »möglichst sozialverträgliche<br />
Gestaltung der Kündigung«.<br />
Sozialverträgliche Kündigung?<br />
Ist das Einzige, was den städtischen<br />
Behörden noch einfällt, eine<br />
Bitte für »sozialverträgliche Kündigung«?<br />
Ansonsten flüchten sich<br />
die Vertreter_innen in die Ausrede,<br />
die Stadt könne nichts machen, weil<br />
sie kein Land besitzt. Das stimmt<br />
aber nicht, denn es wären zahlreiche<br />
Möglichkeiten vorhanden. Wieso<br />
verlangt sie von den Eigentümer_innen<br />
keinerlei Zugeständnisse? Wieso<br />
bietet sie nicht Hand für solidarische<br />
Projekte? Wieso versucht sie<br />
nicht, Liegenschaften zu kaufen? Wieso<br />
wird nicht von bestehenden<br />
Paragraphen betreffend der Gebietssanierung<br />
im Raumplanungsgesetz<br />
Gebrauch gemacht, die ein<br />
Eingreifen ermöglichen würden?<br />
Und wenn die Stadt offenbar so unwillig<br />
ist, den Grundeigentümer_innen<br />
irgendwelche zusätzliche Auflagen<br />
zu machen, dann frage ich mich:<br />
Was können wir tun, damit sich die<br />
pure kapitalistische Stadtentwicklung<br />
und die damit einhergehende<br />
Verdrängung wie an der Weststrasse<br />
nicht nochmals wiederholt?<br />
Rahel Nüssli | Ehemalige, langjährige<br />
Anwohnerin der Weststrasse<br />
1) http://www.srf.ch/player/tv/schweiz-ak-<br />
tuell/video/weststrasse?id=7a960266-9558-<br />
460f-882f-db7c572aa28e<br />
6 7
Spekulative Bundes-Bahnen?<br />
Nein!<br />
Die Europaallee und ihre spekulative<br />
Verwertung durch die SBB AG<br />
hat eine interessante Vorgeschichte.<br />
Um 1900, als die Privatbahnen verstaatlicht<br />
und in die SBB überführt<br />
wurden, kam es zum offenen Streit<br />
zwischen Stadt und Kanton <strong>Zürich</strong>,<br />
der privaten, von Escher gegründeten<br />
Nordostbahn (NOB) und dem<br />
Heute verwertet die SBB AG ihre Ländereien<br />
wie eine beliebige Spekulantin.<br />
Bundesrat. Die NOB wollte das acht<br />
Hektaren grosse Areal der heutigen<br />
Europaallee, das nach der Verlegung<br />
des Güterbahnhofs nicht mehr bahnbetrieblich<br />
genutzt wurde, von der<br />
Verstaatlichung ausnehmen und für<br />
private Spekulationszwecke nutzen.<br />
Mit einer Beschwerde an den<br />
Bundesrat und die Bundesversammlung<br />
gaben Stadt- und Regierungsrat<br />
Gegensteuer. Am 31. Oktober<br />
1900 reisten drei Stadt- und drei<br />
Regierungsräte nach Bern, um bei<br />
Bundesrat Zemp vorzusprechen. Mit<br />
vollem Erfolg:<br />
Sie setzten die<br />
volle Verstaat-<br />
Der enorme Mehrwert auf den<br />
Filetstücken der SBB<br />
ist nur dank Grossinvestitionen<br />
und viel Goodwill der<br />
öffentlichen Hand entstanden.<br />
lichung aller<br />
NOB–Areale<br />
auf Stadtgebiet<br />
durch und verpflichteten<br />
die NOB/SBB zudem auf<br />
Erstellung einer Verbindungsstrasse<br />
im Bereich der heutigen Lagerstrasse.<br />
Ohne diese Verstaatlichung wäre die<br />
Sihlpost nie gebaut worden. Und bei<br />
ihrem Bau 1926 trat die SBB das Land<br />
für die Verlängerung der Kasernenstrasse<br />
unentgeltlich ab und finanzierte<br />
die Hälfte der Baukosten der<br />
Postbrücke.<br />
Der Wohnanteil-Bschiss<br />
Das war früher. Heute verwertet<br />
die SBB AG ihre Ländereien wie<br />
eine beliebige Spekulantin – ein Szenario,<br />
von dem die private NOB 1900<br />
vergeblich träumte. Mit dem 2006<br />
trotz Referendum angenommenen<br />
Gestaltungsplan »Stadtraum HB«<br />
wurde eine massive Aufzonung bewilligt.<br />
Auf den einzelnen<br />
Baufeldern ist eine<br />
bauliche Ausnützung<br />
von über 550 Prozent<br />
erlaubt – ein stadtweiter Rekordwert.<br />
Um Grüne und SP ins Boot zu holen,<br />
wurde der Wohnanteil im hinteren<br />
Arealteil von 20 auf 40 Prozent<br />
heraufgesetzt. »Rund 500 Wohnungen<br />
entstehen im Stadtraum HB <strong>Zürich</strong>«,<br />
schrieb der Stadtrat im September<br />
2006 in der Abstimmungszeitung.<br />
»Mehr als ein paar teure Luxus-<br />
Lofts liegen nicht drin«, konterten<br />
damals die Gegner_innen. Jetzt, wo<br />
alle Wettbewerbe abgeschlossen sind,<br />
zeigt sich die vernichtende Bilanz,<br />
die uns Gegner_innen recht gibt. Ins-<br />
gesamt entstehen<br />
bloss 373<br />
statt 500 Woh-<br />
nungen, der<br />
restliche Wohnanteil<br />
wird in<br />
Form von Hotelzimmern<br />
im 25hours Design Hotel<br />
Ecke Lagerstrasse/Langstrasse »realisiert«…<br />
Exorbitante Bodenpreise<br />
Der Wohnungsmix sieht 115 luxuriöse<br />
Eigentumswohnungen, 72<br />
Appartments in einer Seniorenresidenz<br />
»für gehobene Ansprüche« sowie<br />
186 Mietwohnungen vor. Die 3.5-<br />
und 4.5-Zimmer-Mietwohnungen auf<br />
Baufeld E sind für schlappe 4’900 bis<br />
5’900 Franken zu haben. Die 46 Eigentumswohnungen<br />
mit 2.5 bis 4.5 Zimmern<br />
auf Baufeld G wurden anfangs<br />
2013 zu Mindestpreisen zwischen<br />
1.5 und 2.7 Millionen Franken an<br />
die Meistbietenden versteigert. Daraus<br />
errechnet sich ein Bodenpreis<br />
von sagenhaften 71’000.- pro m². Bereits<br />
2010 hat die SBB in der Europaallee<br />
für 26’931.- pro m² eine Baulandparzelle<br />
an die UBS verkauft und<br />
200 Millionen kassiert.<br />
Private Aneignung von<br />
Mehrwert stoppen<br />
Dieser enorme Mehrwert auf<br />
den zentralen Filetstücken der SBB<br />
ist nur dank Grossinvestitionen und<br />
viel Goodwill der öffentlichen Hand<br />
entstanden. So finanziert der Kanton<br />
<strong>Zürich</strong> mit 677 Millionen Franken<br />
ein Drittel der Kosten der Durchmesserlinie<br />
und des Bahnhofs Löwenstrasse.<br />
Diese private Aneignung von<br />
mit öffentlichen Mitteln generiertem<br />
Mehrwert muss korrigiert werden.<br />
Statt jetzt noch Millionen für die<br />
Landabtretung zum Ausbau der Lagerstrasse<br />
zu fordern, schuldet uns<br />
die SBB eine Gegenleistung.<br />
P.S. Die Stadt <strong>Zürich</strong> verkaufte 1858 und<br />
1861 4’700 m² Land an die NOB für 4.04<br />
respektive 12.22 Franken pro m².<br />
Niggi Scherr | AL-Gemeinderat | War bis<br />
zu seiner Pensionierung 2009 während<br />
über zwanzig Jahren für den Zürcher Mieterinnen-<br />
und Mieterverband tätig.<br />
Unten: Der Hauptbahnhof <strong>Zürich</strong>, 1907<br />
(Foto: Edgar Spelterini)<br />
8 9
Global City <strong>Zürich</strong> –<br />
Vermögen vermehren,<br />
Platz beanspruchen.<br />
Die Global-Cities-These ist bekannt<br />
geworden durch die Soziologin<br />
Saskia Sassen und ihr 1991 erschienenes<br />
Buch »Global Cities«. Und,<br />
Sassen spricht immer noch über die<br />
Global Cities. Erst Anfang Oktober<br />
2013 hat sie in <strong>Zürich</strong> auf Einladung<br />
von Uni und Stadt <strong>Zürich</strong> zum Thema<br />
»The Global City: Today’s Frontier<br />
Zone« gesprochen. Das Thema ist aktuell<br />
wie 1991, hat sich sogar akzentuiert,<br />
wie von Sassen zu hören war.<br />
Global Cities sind die Entscheidungs-<br />
und Steuerungszentralen der<br />
globalen Ökonomie. Global operierende<br />
Unternehmen haben ihre<br />
Hauptsitze in den Global Cities, ins-<br />
besondere, weil sie<br />
hier die Spezialist_<br />
innen vorfinden, die<br />
sie für ihre Strategien<br />
und Produkte<br />
benötigen: Anwaltskanzleien, Steuerund<br />
Unternehmensberatungsfirmen,<br />
IT-Spezialisten, Immobilien- und<br />
Werbefirmen, Medienkonglomerate,<br />
um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen<br />
gegenüber Konkurrenten<br />
und die besten Rahmenbedingungen<br />
vom Staat. Von diesen unternehmensorientierten<br />
Dienstleistern sind viele<br />
selber globalisiert, was in erster Linie<br />
eine weltweite Vernetzung mit Niederlassungen<br />
rund um den Globus<br />
bedeutet, auch dies ein entscheidender<br />
Wettbewerbsvorteil.<br />
Sozialer Graben<br />
Die Global-City-These zeichnet<br />
aber nicht nur die geballte Glitzerwelt<br />
und Machtkonzentration der<br />
Weltwirtschaft nach, sondern auch<br />
den tiefen Graben (Frontier) zu all<br />
jenen, die das »normale« Leben auf-<br />
recht erhalten – die Putzkolonnen,<br />
Kinderbetreuer_innen, Handwerker_innen,<br />
Kunstschaffende, Serviceund<br />
Barpersonal, Bauarbeitende<br />
etc., die für ihre Mühen sowohl einen<br />
schlechten Lohn erhalten als<br />
auch sonst weniger Zugang zu Lebenschancen<br />
haben. Hinzu kommen<br />
Strassenverkäufer_innen, Arbeitslose,<br />
Obdachlose, Rechtlose.<br />
<strong>Zürich</strong> ist eine Global City. Diesen<br />
Titel verdankt sie in erster Linie dem<br />
Finanzsektor und dabei an allererster<br />
Stelle der Tatsache, dass die Zürcher<br />
Banken Vermögen von Personen aus<br />
der ganzen Welt verwalten und vermehren.<br />
Die UBS ist 2013 die grösste<br />
Global Cities, wo weltweit operierende Unternehmen<br />
ihre Hauptsitze haben, sind die Entscheidungsund<br />
Steuerungszentralen der globalen Ökonomie.<br />
Vermögensverwalterin der Welt, die<br />
CS ist auf dem 5. Platz, auf Rang 10<br />
folgt die Genfer Pictet-Bank, Rang 16<br />
belegt die Zürcher Bank Julius Bär,<br />
Rang 19 die Genfer Lombard Odier.<br />
Zusammen verwalten sie 3’260 Mia<br />
USD oder 30 Prozent der Vermögen,<br />
die die 20 grössten Banken dieser<br />
Sparte verwalten.<br />
Wir sprechen seit Jahrzehnten<br />
vom Klumpenrisiko für die Stadt.<br />
Bis 2008 kamen 30 bis 40 Prozent der<br />
Steuereinnahmen in der Stadt <strong>Zürich</strong><br />
von den Banken. Dann hat sich dies<br />
geändert, die UBS zahlt immer noch<br />
keine Steuern. Gleichzeitig nehmen<br />
die Banken Einfluss auf das städtische<br />
politische Leben. So engagierte<br />
sich die Bank Bär finanziell im<br />
Zürcher Parkplatzstreit oder in der<br />
Kampagne für die Steuergesetzrevision<br />
oder gegen die Abzockerinitiative.<br />
In den letzten 20 Jahren des Neoliberalismus<br />
vermehrten sich unglaubliche<br />
Vermögen, währenddem<br />
permanent auf den Staat und den<br />
Abbau seiner Leistungen im Gesundheits-,<br />
Sozial-, Erziehungswesen und<br />
der Kultur gezielt wurde, um Gesetze<br />
abzubauen und Steuern zu<br />
senken, wovon die eh schon Wohlhabenden<br />
profitierten.<br />
Standortkonkurrenz –<br />
innerstädtische Folgen<br />
Die Städte sind seit den 1980er-<br />
Jahren mit knapper werdenden Mitteln<br />
in Konkurrenz zueinander<br />
getreten um hochqualifizierte Arbeitskräfte,<br />
Tourist_innen, Investitionen<br />
und Vermögende. Unter<br />
Konkurrenzdruck sind die Städte<br />
für die Wohlhabenden<br />
und Privilegierten<br />
aufgerüstet worden.<br />
Auch <strong>Zürich</strong>.<br />
Zunächst Villenquartiere<br />
und Terrassensiedlungen<br />
in den steuergünstigen Orten an<br />
der Goldküste, dann im noch günstigeren<br />
Kanton Schwyz, in Freienbach<br />
und Wollerau, wo sich auch<br />
eines der grössten Hedgefonds-Zentren<br />
der Welt befindet. Und seit einigen<br />
Jahren wird auch in innerstädtischen<br />
Gebieten, im Seefeld oder in<br />
den ehemaligen Industriearealen wie<br />
in <strong>Zürich</strong> West heftig investiert. In<br />
diesen Immobilien werden Gelder angelegt,<br />
seien diese von Pensionskassen,<br />
Versicherungen oder Privaten in<br />
Fonds. Es wird Vermögen parkiert, es<br />
werden Zweitwohnungen erworben,<br />
auch Dritt- und Viertwohnsitze. Die<br />
Wohnungen sind äusserst grosszügig<br />
dimensioniert. In einer Drei- oder<br />
Vierzimmerwohnung wohnen kaum<br />
mehr als eine oder zwei Personen.<br />
Und die Arroganz in der Vereinnahmung<br />
von Quartieren hat zugenommen.<br />
So wirbt die börsenkotierte PSP<br />
(Sitz in Zug und <strong>Zürich</strong>) für den Kauf<br />
von Wohnungen im Löwenbräuareal<br />
(Kreis 5): »Wenn Sie nicht nur mittendrin,<br />
sondern auch darüber wohnen<br />
wollen.« Symptomatisch: über uns anderen<br />
Bewohner_innen des Kreis 5.<br />
Die Wohlhabenden nehmen sich<br />
den Platz, den sie bekommen, nicht<br />
nur in den Wohnungen; auch auf den<br />
Strassen und Parkplätzen sind immer<br />
grössere Autos, für die Velos gibt es<br />
In den letzten 20 Jahren des Neoliberalismus<br />
vermehrten sich unglaubliche Vermögen,<br />
währenddem permanent auf den Staat und den<br />
Abbau seiner Leistungen gezielt wurde.<br />
immer weniger Raum. Die Kreativen<br />
werden aus den Industriearealen vertrieben.<br />
Die Mieten sind stark gestiegen.<br />
Häuser zu kaufen für Kollektive,<br />
für Genossenschaften ist mit seltenen<br />
Ausnahmen ein Ding der Unmöglichkeit<br />
geworden. Es ist eng geworden in<br />
der Global City.<br />
Philipp Klaus<br />
Wirtschafts- und Sozialgeograph | Mitbegründer<br />
des INURA <strong>Zürich</strong> Instituts<br />
10 11
PERSONENKONTROLLEN, ARBEITSVERBOTE,<br />
WOHNUNGSNOT: WIE ZÜRICH ILLEGALISIERTEN<br />
MIGRANT_INNEN WEGGENOMMEN WIRD<br />
Oben: Blockade der Hohlstrasse, Juni 1979, auf der Höhe der Bäckeranlage (Foto: Hannes Lindenmeyer)<br />
Unten: Wohnungsnotbewegung, Frühling 1989, Wohnnotstand während einer Woche am Stauffacher<br />
Wer kann in <strong>Zürich</strong> auf die Strasse<br />
gehen, ohne kontrolliert zu werden?<br />
Wer darf in <strong>Zürich</strong> arbeiten und wer<br />
arbeitet in welchem Sektor? Wer kann<br />
sich in <strong>Zürich</strong> eine Wohnung leisten?<br />
Und welche Rolle spielen, nebst<br />
dem Portemonnaie, die Hautfarbe<br />
und der Pass für alle diese Fragen?<br />
Überlegungen zur Stadtentwicklung<br />
aus dem Blickwinkel der Autonomen<br />
Schule <strong>Zürich</strong> (ASZ).<br />
Wer kann sich in <strong>Zürich</strong> frei<br />
bewegen?<br />
Schätzungen zufolge leben allein<br />
im Kanton <strong>Zürich</strong> 20’000 Sans-Papiers,<br />
das heisst Menschen ohne geregelten<br />
Aufenthaltsstatus. Anderen<br />
Schätzungen zufolge sind es noch viel<br />
mehr.¹) Diese Menschen sind – wie<br />
auch Asylsuchende im Verfahren –<br />
ständig von Personenkontrollen bedroht.<br />
Personenkontrollen finden überall<br />
statt. Im öffentlichen Verkehr, in<br />
Pärken, auf der Strasse. Für Kontrollierte,<br />
die sich »illegal« in der Schweiz<br />
aufhalten, sind sie einschneidend:<br />
Für abgewiesene Asylsuchende und<br />
Sans-Papiers sind Haftstrafen von<br />
mehreren Monaten, Ausschaffungen,<br />
Ausreisebefehle und Einreiseverbote<br />
die Folgen. Asylsuchende im<br />
Verfahren können mit Zonenverbot<br />
davonkommen. Wo sich Ausländer_<br />
innen häufig aufhalten, wird noch<br />
mehr als sonst kontrolliert. Beispiele<br />
dafür sind die Kontrollen im Februar<br />
2011 am Güterbahnhof (ehemaliger<br />
Standort der ASZ) und von den letzten<br />
Monaten an der Badenerstrasse<br />
(aktueller Standort der ASZ).<br />
Um eine Wohnung zu finden, spielen nebst dem<br />
Portemonnaie auch die Hautfarbe und der Pass eine Rolle.<br />
Wer arbeitet in <strong>Zürich</strong>?<br />
Die Zürcher Wirtschaft benötigt<br />
im Billiglohnsektor Sans-Papiers.<br />
Rund 8000 Sans-Papiers-Frauen sind<br />
allein in Zürcher Haushalten beschäftigt.<br />
Zürcher_innen brauchen<br />
billige Arbeitskräfte unter anderem<br />
im Haushalt oder im Pflegebereich,<br />
wo die Löhne aus systeminternen<br />
Gründen niedrig gehalten werden.<br />
Werden Sans-Papiers kontrolliert und<br />
ausgewiesen, rücken neue nach: Es<br />
braucht sich also niemand Sorgen zu<br />
machen, dass es bald an billigen und<br />
willigen Arbeitskräften fehlt. So ist<br />
die »Verwendung« illegalisiert Arbeitender<br />
kompatibel mit einer Politik,<br />
die Arbeitsverbote für (abgewiesene)<br />
Asylsuchende und den Ausschluss<br />
von Illegalisierten aus Sozialversicherungen<br />
stetig verschärft. Dies<br />
wird als Sparmassnahme und als<br />
Schutz der Schweizer Arbeitnehmer_<br />
innen verkauft. Und hat den günstigen<br />
Nebeneffekt, dass die Betroffenen<br />
sozial isoliert werden. Kostspielige<br />
Ausschaffungen mögen unökonomisch<br />
erscheinen, politisch<br />
sind sie aber von Bedeutung: Sie erscheinen<br />
als griffige Massnahme gegen<br />
die aktiv verbreitete Angst, dass<br />
Ausländer_innen auf dem Arbeitsmarkt<br />
und in den Sozialversicherungen<br />
den Schweizer Lebensstandard gefährden.<br />
Wer kann in <strong>Zürich</strong> eine<br />
Wohnung haben?<br />
In <strong>Zürich</strong> eine Wohnung zu mieten,<br />
ist nicht einfach und ohne<br />
reguläres Einkommen und Unterstützung<br />
von Sozialversicherungen<br />
unmöglich. Wer ein niedriges Einkommen<br />
hat und zudem auch noch<br />
»ausländisch« aussieht oder einen<br />
»ausländischen« Namen hat, muss<br />
alternative Wege gehen, um überhaupt<br />
eine Wohnung, in der<br />
Agglomeration oder am Stadtrand,<br />
zu finden: Oft mieten beispielsweise<br />
Freund_innen und Bekannte stellvertretend<br />
eine Wohnung.<br />
Anders ist es für Ausländer_innen,<br />
die in erfolgreichen Kaderpositionen<br />
in der Schweiz tätig sind. Hier<br />
ist es kein Problem, wenn sie nicht<br />
Deutsch sprechen oder sich vorwiegend<br />
mit Leuten treffen, die früher im<br />
selben Land wohnten – da spielt das<br />
»Kultur-Argument«, welches das »Rasse-Argument«<br />
in der Öffentlichkeit ersetzt<br />
hat, keine Rolle. Der Rassismus<br />
ist ans Portemonnaie gebunden.<br />
<strong>Wem</strong> die Stadt nicht <strong>gehört</strong><br />
Die Stadt <strong>gehört</strong> nicht jenen, die<br />
dort leben wollen. Die ASZ ist in<br />
dieser Stadt ein Raum, in den verschiedenste<br />
Menschen, die kommen<br />
wollen, kommen können und wo sie<br />
– trotz Arbeitsverbot – sich engagieren,<br />
lernen, entspannen. Sie tun das,<br />
was von populären Schweizer Medien<br />
als »wohlverdienter Genuss nach<br />
anstrengenden Leistungen«, »lebenslanges<br />
Lernen« oder »Freiwilligenarbeit«<br />
hochgejubelt wird. Dennoch<br />
werden sie inhaftiert und ausgeschafft.<br />
Die Migrationspolitik hat,<br />
anders als es propagiert wird, nichts<br />
damit zu tun, weshalb Menschen in<br />
die Schweiz kommen. Es geht um die<br />
Aufrechterhaltung bestehender städtischer,<br />
nationaler und internationaler<br />
Machtstrukturen.<br />
Autonome Schule <strong>Zürich</strong><br />
www.bildung-fuer-alle.ch | www.schuel.ch<br />
12 1) Vgl., wie auch für folgende Zahlen, http://www.haelfte.ch/newsletter-reader/items/Wisch_und_weg.html<br />
13
DAFÜR SORGEN, DASS DIE MIETEN SINKEN<br />
In <strong>Zürich</strong> herrscht Goldgräberstimmung.<br />
Mit Immobilien kann<br />
man richtig viel Geld verdienen.<br />
Die Mieten steigen, dies obwohl der<br />
Referenzzins seit Jahren sinkt. Es<br />
herrscht Wohnungsnot. Eine bezahlbare<br />
Wohnung zu finden, gleicht der<br />
Suche einer Nadel im Heuhaufen.<br />
Und so sind viele Mieterinnen und<br />
Mieter froh, wenn sie überhaupt eine<br />
Bleibe haben. Sie akzeptieren die vorgeschlagene<br />
Miete, ohne sich genauer<br />
über ihre Rechte zu informieren.<br />
Mietzinssenkung verlangen<br />
Referenzzins auf das Rekordtief<br />
von zwei Prozent gesunken: Eine<br />
gute Nachricht für alle Mieterinnen<br />
und Mieter, würde man meinen. Weit<br />
gefehlt. Vermieter_innen überbieten<br />
sich mit Begründungen, weshalb im<br />
konkreten Fall eben keine Senkung<br />
gewährt werden kann.<br />
Die häufigsten Argumente sind<br />
ein angeblich zu tiefer Mietzins.<br />
Die Miete entspreche<br />
nicht der ortsüblichen Miete<br />
oder die Rendite sei mangelhaft.<br />
Die Miete sei bereits<br />
jetzt sehr günstig. Dies sagen sie auch<br />
bei einer Miete von 3000 Franken.<br />
Alles Argumente, um die Mietenden<br />
abzuschrecken. Denn wirklich begründet<br />
wird die Ablehnung nie. Die<br />
einschlägigen Erfahrungen des MV<br />
<strong>Zürich</strong> mit vorgeschobenen Begründungen<br />
zeigen – in den wenigsten<br />
Fällen sind sie zutreffend. Gerade das<br />
häufige Argument der nicht ortsüblichen<br />
Miete hält einer genauen Prüfung<br />
nie stand. Deshalb gilt bei solchen<br />
Argumenten nur eins: nicht<br />
klein beigeben und den Gang an die<br />
Schlichtungsbehörde wagen. Sobald<br />
die Vermieter_innen sehen, dass es<br />
den Mietenden ernst ist, lenken sie<br />
meist noch vor der Schlichtungsverhandlung<br />
ein.<br />
Sehr häufig ist im Moment aber<br />
auch die Begründung: Abwarten<br />
auf die nächste Publikation des Referenzzinssatzes<br />
im Dezember 2013.<br />
Viele Mieterinnen und Mieter in<br />
<strong>Zürich</strong> haben noch die ortsüblichen<br />
Kündigungstermine März und September,<br />
deshalb muss der Vermieter<br />
die Miete erst auf Ende März 2014<br />
senken. Da der Referenzzins am 2. De-<br />
Sobald die Vermieter_innen sehen, dass es<br />
den Mietenden ernst ist, lenken sie meist<br />
noch vor einer Schlichtungsverhandlung ein.<br />
zember 2013 ein weiteres Mal publiziert<br />
wird, spielen viele Vermieter_<br />
innen auf Zeit und vertrösten die<br />
Mietenden auf Dezember.<br />
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />
besser. Auch wenn der Vermieter<br />
ankündigt, dass er den Mietzins erst<br />
im Dezember senken wird, darf man<br />
nicht auf diese Aussage vertrauen.<br />
Senkt der Vermieter die Miete nicht<br />
von sich aus bis Mitte Dezember,<br />
muss unbedingt noch im Dezember<br />
ein zweiter Senkungsbrief abgeschickt<br />
werden.<br />
Anfangsmietzins prüfen<br />
Am 1. November 2013 tritt im<br />
Kanton <strong>Zürich</strong> die Formularpflicht<br />
wieder in Kraft. Dies nachdem das<br />
Stimmvolk im November 2012 die<br />
Volksinitiative des MV <strong>Zürich</strong><br />
»Transparente Mieten, Offenlegung<br />
von Anpassungen bei Neuvermietungen«<br />
angenommen hat.<br />
Ab dem 1. November sind<br />
Wohnungsvermieter_innen also verpflichtet,<br />
beim Abschluss eines Mietvertrages<br />
den Mietzins des Vormieters<br />
auf einem amtlichen Formular bekannt<br />
zu geben. Auch wenn das<br />
Formular eine präventive<br />
Wirkung hat, so wird es<br />
doch Zeit, dass sich auch<br />
Neumieterinnen und -mieter<br />
wehren und nicht jede<br />
Abzocke akzeptieren. Jene Mieterinnen<br />
und Mieter, welche den<br />
Schritt gewagt und die Anfangsmiete<br />
angefochten haben, waren erfolgreich<br />
und konnten meist noch vor der<br />
Schlichtungsverhandlung eine tiefere<br />
Anfangsmiete aushandeln.<br />
Damit Mieterinnen und Mieter<br />
nicht weiter schamlos abgezockt<br />
werden und die Vermietenden Traumrenditen<br />
einstreichen, müssen die Mieten<br />
gesenkt werden. Druck kann nur<br />
dann aufgebaut werden, wenn alle<br />
Mietenden ihre Rechte einfordern,<br />
eine Mietzinssenkung verlangen<br />
oder den Anfangsmietzins anfechten.<br />
Felicitas Huggenberger<br />
Geschäftsleiterin Mieterinnen- und<br />
Mieterverband <strong>Zürich</strong><br />
WIE WOHNEN OHNE GELD?<br />
Frau C. wohnt mit ihrer Tochter in einer<br />
kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in <strong>Zürich</strong>.<br />
Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine, der Platz<br />
für ein Pult, um Hausaufgaben zu machen,<br />
fehlt. Die intensive Suche nach einer grösseren<br />
bezahlbaren Wohnung blieb bisher erfolglos.<br />
Wer in der Stadt wohnt und kürzlich eine<br />
neue Wohnung gesucht hat, weiss, wie schwierig<br />
es ist, eine passende zu finden. Besonders<br />
Eine Wohnung ist mehr als nur<br />
ein Dach über dem Kopf – im<br />
besten Fall ein Zuhause.<br />
schwierig ist es für<br />
diejenigen, die auf<br />
dem Wohnungsmarkt<br />
benachteiligt sind:<br />
Diskriminiert werden<br />
vor allem Menschen mit kleinem Einkommen,<br />
Schulden, geringen Deutschkenntnissen,<br />
Migrationshintergrund, dunkler Hautfarbe<br />
und Familien mit mehr als zwei Kindern.<br />
Viele Zürcherinnen und Zürcher finden sich in<br />
dieser Situation.<br />
Prekäre Wohnverhältnisse<br />
Wie Frau C. wohnen in der Stadt <strong>Zürich</strong><br />
zahlreiche Menschen in prekären Wohnverhältnissen.<br />
Prekär heisst in diesem Zusammenhang,<br />
dass einer oder mehrere der folgenden<br />
Aspekte auf die Wohnsituation zutrifft: Die<br />
Wohnung ist zu teuer (die Miete beträgt mehr<br />
als einen Drittel des Budgets), die Wohnung<br />
ist in einem gesundheitsgefährdenden Zustand<br />
(Schimmel und fehlende Isolation), die<br />
Wohnung ist viel zu klein oder befindet sich in<br />
einem vernachlässigten Quartier.<br />
Prekäre Wohnverhältnisse erschweren die<br />
Integration der betroffenen Menschen erheblich.<br />
Hohe Mieten führen zu Verschuldung<br />
und in die Sozialhilfe-Abhängigkeit. Enge<br />
Platzverhältnisse verschärfen familiäre Konflikte<br />
und können die Entwicklung der Kinder<br />
beeinträchtigen. Wo sich eine Wohnung befindet,<br />
entscheidet darüber,<br />
wie weit der<br />
Arbeitsweg ist, ob es<br />
günstige Bildungs- und<br />
Erholungsangebote in<br />
der Nähe gibt. Eine Wohnung ist mehr als nur<br />
ein Dach über dem Kopf – im besten Fall ein Zuhause.<br />
Fehlt dieses Zuhause, wirkt sich das auf<br />
alle anderen Lebensbereiche aus. Deshalb ist<br />
eine funktionierende Wohnintegration äusserst<br />
wichtig.<br />
Die Stadt muss handeln<br />
Die Stadt <strong>Zürich</strong> ist aufgefordert, Armutsbetroffenen<br />
bei der Suche nach einer geeigneten<br />
Wohnung zu helfen – nicht erst, wenn sie auf der<br />
Strasse stehen. Statt gewinnorientierte Aufwertungsmassnahmen<br />
zu unterstützen und so die<br />
Zürcherinnen und Zürcher aus ihrem Zuhause<br />
zu verdrängen, müssen benachteiligte Quartiere<br />
nachhaltig und partizipativ aufgewertet werden.<br />
Und zu guter Letzt braucht es zwingend mehr bezahlbaren<br />
Wohnraum, den sich auch Armutsbetroffene<br />
und Working Poor leisten können.<br />
Cordula Bieri<br />
Caritas <strong>Zürich</strong> | www.caritas-zuerich.ch<br />
Die Stadt <strong>Zürich</strong> ist aufgefordert,<br />
Armutsbetroffenen bei der Suche nach<br />
einer Wohnung zu helfen – nicht<br />
erst, wenn sie auf der Strasse stehen.<br />
14<br />
15
GESUNDES WOHNEN IST EIN<br />
MENSCHENRECHT –<br />
AUCH FÜR ARMUTSBETROFFENE!<br />
Seit dem Aufkommen des Neoliberalismus<br />
erleben Metropolen wie <strong>Zürich</strong> eine grosse<br />
Veränderung. Eine Liegenschaft <strong>gehört</strong> nicht<br />
mehr einem Mensch oder einer regionalen<br />
Immobilienfirma, sondern immer häufiger internationalen<br />
Finanzinstituten, wie Banken, Versicherungen<br />
oder Investmentgesellschaften. Diese<br />
Firmen besitzen in der Regel viele Liegenschaften<br />
an Standorten auf der ganzen Welt. Wohnungen<br />
werden zum Spekulationsgut an der Börse. Der<br />
grosse Konkurrenzdruck um Rendite wirkt sich<br />
auf die Mieten aus.<br />
Es wird in Stadtteile investiert, in denen »Aufwertungen«<br />
im Gange sind, in <strong>Zürich</strong> beispielsweise<br />
in den ehemaligen Arbeiterquartieren der<br />
Stadtkreise 4 und 5. Häuser werden gekauft und<br />
totalsaniert. Luxuswohnungen und »Trendquartiere«<br />
entstehen: Die ursprüngliche Mieter_innenschaft<br />
mit bescheidenem Einkommen und alle<br />
Armutsbetroffenen, Alleinstehenden sowie Familien<br />
werden verdrängt.<br />
Wohl gibt es in <strong>Zürich</strong> – auch als Errungenschaft<br />
der früheren Arbeiterbewegung – einige<br />
Genossenschaften, die günstigen Wohnraum vermieten,<br />
weil sie keine Gewinne anstreben. Doch<br />
sind es viel zu wenige: Die Wartelisten sind unendlich,<br />
es wird abgewimmelt, oft ist es schwierig<br />
als Mietbewerber_in den vielen Kriterien zu<br />
entsprechen. Zudem sind viele Genossenschaften<br />
daran, verdichtet zu bauen. Die alten Häuser<br />
werden abgerissen, neue Wohnungen entstehen.<br />
Doch oft sind diese Mieten sehr viel höher als die<br />
bisherigen und können von den früheren Mieter_<br />
innen nicht mehr bezahlt werden. Wer gezwungen<br />
ist, mit dem Existenzminimum zu leben, mit<br />
oder ohne Sozialhilfe, kann<br />
monatlich höchstens ca.<br />
Fr. 800-1200.– Miete (inkl.)<br />
bezahlen. Eine armutsbetroffene<br />
Familie kann für<br />
ihre Familienwohnung nur ca. Fr. 1200-1400.–<br />
ausgeben. Wo findet man diese Wohnungen heute<br />
in <strong>Zürich</strong>? Keine Chancen für Armutsbetroffene!<br />
16<br />
Die Forderungen der IG Sozialhilfe nach<br />
menschenwürdigem Wohnen:<br />
→ Die Wohnungsgrösse muss der Anzahl der Bewohner_innen<br />
plus ein Zimmer entsprechen.<br />
→ Die Wohnungsmiete darf höchstens ein Drittel<br />
des Einkommens betragen, ansonsten braucht es<br />
staatliche Mietzuschüsse.<br />
→ Die Sozialhilfe und das Amt für Zusatzleistungen<br />
müssen die budgetierten Mieten den<br />
realen Marktpreisen anpassen, damit ein menschenwürdiges<br />
Wohnen möglich ist.<br />
→ Die öffentliche Hand soll keine Wohnliegenschaften<br />
mehr verkaufen, sondern ist zu verpflichten,<br />
weitere Objekte anzukaufen, um damit<br />
Immobilien der Spekulation zu entziehen.<br />
→ Mietzinsdepot und Anteilscheine von Armutsbetroffenen<br />
müssen die Ämter durch Bezahlung<br />
übernehmen, statt viel zu tiefe Kostengutsprachen<br />
mit »Wenn und aber«-Klauseln<br />
abzugeben. Mit diesen Kostengutsprachen,<br />
statt Bezahlung haben armutsbetroffene Mietinteressent_innen<br />
kaum Chancen.<br />
→ Bei städtischen »sozialen« Wohnprojekten<br />
muss der Wohnraum den gesundheitlichen Erfordernissen<br />
entsprechen. Es ist untragbar, dass<br />
(kranke) Armutsbetroffene gezwungen sind, in<br />
kalten, feuchten und schimmligen »Löchern« zu<br />
wohnen, wo kaum etwas repariert wird. Auch<br />
in »Bewo-Wohnungen« des Sozialdepartements<br />
oder in Wohnungen des Finanzdepartementes für<br />
kinderreiche Familien muss ein gesundes, menschenwürdiges<br />
Leben möglich sein!<br />
Branka Goldstein<br />
Präsidentin IG Sozialhilfe | www.ig-sozialhilfe.ch<br />
Wer gezwungen ist, mit dem Existenzminimum zu leben,<br />
mit oder ohne Sozialhilfe, kann monatlich höchstens<br />
ca. Fr. 800-1200.– Miete (inkl.) bezahlen.<br />
KREATIVITÄT STATT<br />
SCHOCKSTARRE<br />
In zeitgenössischen Diskussionen<br />
von der Balkonparty bis zur<br />
ernsthafteren Podiumsveranstaltung<br />
ist das Stichwort von der Gentrifizierung<br />
zu hören. Also: Der<br />
niedere Adel – von »Gents«, wenn<br />
man das Wort auf den Ursprung zurückführt<br />
– verdrängt die einfachen<br />
Leute in den Quartieren. Die bisherige<br />
Situation war angenehm, jetzt<br />
wird’s unangenehm. So etwa wird der<br />
Antagonismus konstruiert. Abgesehen<br />
davon, dass schon der bisherige<br />
Zustand in städtischen Gebieten oft<br />
ein Ergebnis von Gentrifizierung<br />
war – nur<br />
wurde das nicht so<br />
genannt, wenn besser-<br />
verdienende Neuzuzüger_innen<br />
bisher ansässige Ärmere<br />
ablösten –, bewirkt die Diskussion eines:<br />
Ausweglosigkeit. Schockstarre.<br />
Das Alte kann nicht erhalten werden,<br />
und das Neue ist schlecht.<br />
Wozu also sich engagieren?<br />
Sich engagieren, ohne an<br />
Veränderung zu glauben, ist Amok.<br />
Sinnvoller ist es, von einer gespreizteren<br />
Palette möglicher Entwicklungen<br />
auszugehen. Nicht einer Art<br />
Geschichtsdeterminismus zu huldigen,<br />
wonach Entwicklungen unvermeidlich<br />
seien. Gerade wenn wir die<br />
Macht der Ökonomie richtig einsetzen,<br />
zeigen sich Handlungsfelder.<br />
In der Stadt <strong>Zürich</strong> sind alte und<br />
neue Genossenschaften verhältnismässig<br />
stark. Die Gentrifizierung<br />
erfasst auch die einstigen Arbeitergenossenschaften.<br />
Mittelstandsfamilien<br />
und Paare des gehobenen Mittelstands<br />
beziehen dort Wohnraum. Das<br />
erhöht die soziale Durchmischung,<br />
Sich engagieren, ohne<br />
an Veränderung<br />
zu glauben, ist Amok.<br />
aber verdrängt. Die Genossenschaften<br />
müssen sich der Diskussion<br />
ihrer gesellschaftlichen Verantwortung<br />
– und der Wahrnehmung ihrer<br />
Verantwortung – offen stellen und<br />
ihren sozialen Verpflichtungen stärker<br />
nachleben.<br />
Der Anteil der gemeinnützigen<br />
Wohnungen in der Stadt soll von<br />
rund 25 Prozent auf ein Drittel der<br />
Mietwohnungen erhöht<br />
werden, bestimmte<br />
eine Volksabstimmung<br />
2011. Solche<br />
Rahmenbedingungen<br />
erlauben, an neuen<br />
Wohn- und Gewerbeangeboten zu<br />
arbeiten und sie zu fördern. Der ungezügelte<br />
Liberalismus wird damit<br />
schon einmal geschwächt. Denn Politik<br />
ist auch ein materieller<br />
Faktor. Ein<br />
Machtfaktor. Hier ist<br />
der Hebel anzusetzen.<br />
Hier spielen die<br />
Genossenschaften mit ihrer wirtschaftlichen<br />
Macht eine wichtige<br />
Rolle.<br />
Die Genossenschaften müssen sich<br />
der Diskussion ihrer gesellschaftlichen<br />
Verantwortung offen stellen und ihren<br />
sozialen Verpflichtungen stärker nachleben.<br />
Das Thema ist lanciert. Ein relativ<br />
enges Korsett von Vorgaben für<br />
bauliche Erneuerungen verhindert<br />
zwar nicht sozial problematische<br />
Entwicklungen – etwa die Entdichtung,<br />
welche die Schaffung grösserer<br />
Wohnungen für weniger Personen<br />
meint. Bei geschicktem Agieren erlauben<br />
die politischen und legalen<br />
Rahmenbedingungen aber kreative<br />
Projekte. Genossenschaftlicher Siedlungsbau<br />
kann auch gebaute Vision<br />
sein: Kleinteilige, horizontale und<br />
vertikale Durchmischung von verschiedenen<br />
Wohnformen, Gewerbe,<br />
Dienstleistung, Aussen- und Freiräumen.<br />
Pluralistisch, multikulturell,<br />
sozial durchmischt, partizipativ und<br />
nachhaltig. Nicht an jedem Ort und<br />
für jeden Preis – aber gemeinsam und<br />
in Abstimmung mit den Bewohner_<br />
innen und Nutzer_innen des Quartiers<br />
entwickelt.<br />
Kulturintendanz Rosengarten der Genossenschaft<br />
Kalkbreite<br />
Vision: Verbindung Wohnen-Arbeiten-Kultur, soziale Durchmischung –<br />
Partizipation in Projekt und Betrieb (Bild: GK)<br />
17
KRISE, BOOM…?<br />
1992<br />
erlebte<br />
<strong>Zürich</strong><br />
die letzte schwerwiegende<br />
Immobilienkrise.<br />
Dieses Jahr markierte einen<br />
Wendepunkt, nach dem sich die<br />
Stadt neu erfand. Ein konfliktreicher<br />
Immobilienboom und Demonstrationen<br />
gegen seine Folgen fanden<br />
ein Ende. Das Elend am Platzspitz<br />
verwandelte sich in ein weniger<br />
sichtbares, durch Sozialarbeit und<br />
Drogenabgabe gemildertes Suchtproblem.<br />
Ein kreativer Pragmatismus<br />
löste die Yuppie-Exzesse der 1980er-<br />
Jahre ab. Auf den Industriearealen<br />
in <strong>Zürich</strong> West und <strong>Zürich</strong> Nord entwickelte<br />
sich die Stadt zuerst zögerlich<br />
und gegen Ende des Jahrzehnts<br />
zunehmend stürmisch weiter.<br />
Experimente, welche die Zukuft des<br />
städtischen Lebens und Wohnens erprobten,<br />
konnten Nischen besetzen:<br />
Dreieck, Karthago, Kraftwerk1. Im<br />
neuen Jahrtausend verbreiteten sich<br />
die Ideen der Pionier_innen und<br />
belebten die traditionelle Genossenschaftsbewegung.<br />
Überwältigende<br />
Mehrheiten unterstützten<br />
in den<br />
letzten Jahren in<br />
Volksabstimmungen<br />
kommunale und genossenschaftliche<br />
Wohnprojekte, verlangten eine<br />
Erhöhung des Anteils gemeinnütziger<br />
Wohnungen und eine Ökologisierung<br />
der Stadt, mit dem Ziel<br />
eine global gerechte 2000-Watt-<br />
Gesellschaft zu werden. Die nach wie<br />
vor reiche und in ihrer ökonomischen<br />
Basis widersprüchliche Stadt hat an<br />
kultureller Kraft, Übermut und Lebensfreude<br />
gewonnen. <strong>Zürich</strong> wächst<br />
nach Jahrzehnten sinkender Bevölkerungszahlen<br />
wieder. Ist alles gut<br />
geworden?<br />
Schnittstellen zwischen Alternativkultur<br />
und Kommerz<br />
Parallel zur Aufbruchstimmung<br />
Ende der 1990er-Jahre verlor der<br />
politische Diskurs über die Stadtentwicklung<br />
den Faden. Die traditionell<br />
wachstumskritische Linke wandelte<br />
sich. Der sozialdemokratische Bauvorstand<br />
und spätere Stadtpräsident<br />
Parallel zur Aufbruchstimmung Ende der 90er-Jahre verlor<br />
der politische Diskurs über die Stadtentwicklung den Faden.<br />
Elmar Ledergerber versuchte aus den<br />
Traumata der frühen 1990er-Jahre<br />
mit einem Metropolenprogramm<br />
auszubrechen und lancierte einen<br />
Wettbewerb um das schönste Kongresshaus,<br />
das höchste Hochhaus und<br />
das spektakulärste Stadion. Wenig<br />
davon gelang.<br />
Die in <strong>Zürich</strong> erfolgreichen Projekte<br />
haben einen anderen Massstab<br />
und sie verknüpfen sich auf anderen<br />
Ebenen mit internationalen Entwicklungen.<br />
Die Kunst- und Galerienszene<br />
hat Weltformat – seit kurzem mit der<br />
umgebauten Löwenbräu-Brauerei ein<br />
eindrückliches Zentrum – und bald<br />
eine bedeutende Erweiterung des<br />
Kunsthauses. Das Theater blüht neben<br />
dem Stammhaus am Heimplatz<br />
im Schiffbau, in der Gessnerallee und<br />
am mittlerweile etablierten Theaterspektakel.<br />
Daneben bespielt eine lebendige<br />
Szene mit Theater und Kunst<br />
zahlreiche Off-Spaces. Stadionbrache<br />
und Frau Gerolds Garten pflegen das<br />
Urban Gardening, erstere mit partizipativer<br />
und letztere mit kommerzieller<br />
Färbung. Die Freitagbrüder<br />
bauen in Neu-Oerlikon eine Fabrik<br />
mit Kreativcluster. Vieles changiert<br />
an den Schnittstellen zwischen Alter-<br />
nativkultur, Trend<br />
und Kommerz. So<br />
erleben die einen,<br />
das von der Stiftung<br />
zur Erhaltung von preisgünstigen<br />
Wohn- und Gewerberäumen<br />
(PWG) umgebaute und an lokale<br />
Modelabels, Gastrounternehmen<br />
oder Startups vermietete Eisenbahnviadukt<br />
im Industriequartier als<br />
wertvolle Bereicherung und Stärkung<br />
des Quartiers, die anderen<br />
hingegen als bösartige Speerspitze<br />
einer Verdrängungs- und Aufwertungsstrategie.<br />
Höchste Zeit für<br />
Genossenschaften<br />
Keinen Interpretationsspielraum<br />
gibt es bei der Wohnungsfrage. Die<br />
Preise steigen und das Angebot ist<br />
knapp. Tiefe Hypozinsen, explodierende<br />
Land- und hohe Neubaukosten<br />
führen zu einem Boom des Stockwerkeigentums.<br />
Die Ende der 1990er-<br />
Jahre zur wirtschaftlichen Ankurbelung<br />
zugestandenen extrem hohen<br />
baulichen Dichten in den sogenannten<br />
»Stadtentwicklungsgebieten« liessen<br />
einen neuen Bautyp entstehen:<br />
Das Wohnhochhaus mit einem Luxushotel<br />
im Sockel. Wohnungsmangel,<br />
Mietpreissteigerungen und Verdrängung<br />
von sozial Schwächeren an den<br />
Rand der Stadt sind nicht nur in<br />
<strong>Zürich</strong>, sondern in vielen erfolgreichen<br />
Städten wie Genf, München,<br />
Hamburg aber auch New York scheinbar<br />
der Preis für die Renaissance der<br />
Stadt.<br />
In dieser Situation spielen die<br />
Genossenschaften eine ausserordentlich<br />
wichtige Rolle. Der über<br />
Jahrzehnte aufgebaute Bestand von<br />
heute einem Viertel an kommunalem<br />
und genossenschaftlichem Wohnungsbau,<br />
wirkt auf dem Wohnungsmarkt<br />
moderierend und stabilisiert<br />
die soziale Durchmischung. Die aktive<br />
Rolle, welche die Genossenschaften<br />
mit Neubauten, Renovationen<br />
und Ersatzneubauten in den letzten<br />
Jahren spielen, führt zwar in Einzelfällen<br />
auch zum Verlust sehr günstiger<br />
Wohnungen, weitet aber mittelfristig<br />
das Angebot aus. Die inhaltliche<br />
Neuausrichtung und Erweiterung<br />
der Genossenschaftsbewegung<br />
kommt zur richtigen Zeit. Die Kalkbreite<br />
bietet mitten in der Stadt<br />
langfristig günstigen Raum für unterschiedlichste<br />
Wohn- und Lebensstile<br />
und das Quartiergewerbe, die<br />
Genossenschaften »mehr als wohnen«<br />
und Kraftwerk1 erschliessen mit<br />
dichten, urbanen Projekten periphere,<br />
städtebauliche Leerstellen und thematisieren<br />
dort Nachhaltigkeit, Quartierqualität<br />
und die Kombination von<br />
Wohnen und Arbeiten.<br />
Die Zeichen mehren sich, dass<br />
ein ökonomischer Wachstumszyklus<br />
sich dem Ende nähert.<br />
Was auf uns zukommt, könnte<br />
eine fundamentale Transformation<br />
von Werten sein.<br />
Diese Konzepte könnten in den<br />
nächsten Jahren über den offensichtlichen<br />
Beitrag von günstigem Wohnraum<br />
hinaus, noch eine völlig neue<br />
Bedeutung erlangen. Niemand weiss<br />
genau wann und wie, aber die Zeichen<br />
mehren sich, dass ein ökonomischer<br />
Wachstumszyklus sich dem<br />
Ende nähert und dass das, was auf<br />
uns zukommt, eine fundamentale<br />
Transformation von Werten sein<br />
könnte. Dass sich in einer der wohl<br />
am stärksten im globalen Finanzkasino<br />
exponierten Städte, mit<br />
den Genossenschaften gleichzeitig<br />
eine starke Kultur der gegenseitigen<br />
Hilfe und langfristigen Wertschöpfung<br />
befindet, könnte die Auswirkungen<br />
einer Krise dämpfen<br />
und zu einem wichtigen Ausgangspunkt<br />
für die Weiterentwicklung<br />
der städtischen Gesellschaft werden.<br />
Andreas Hofer<br />
Architekt | Mitbegründer der Genossenschaft<br />
Kraftwerk1 | Projektkoordinator der<br />
Genossenschaft »mehr als wohnen« | Partner<br />
im Planungs- und Architekturbüro<br />
Archipel in <strong>Zürich</strong>.<br />
Linke Seite: Luxuskarossen<br />
vor dem Schiffbau<br />
Rechte Seite: Das Karthago<br />
an der Zentralstrasse<br />
18 19
LABITZKE (1912-2014?)<br />
FARBFABRIK, KULTURELLER MIKROKOSMOS<br />
UND GENTRIFIZIERUNGSOPFER<br />
Das Labitzke-Areal, gegen Ende<br />
des 19. Jahrhunderts auf<br />
einem Stück Wiese zwischen<br />
Stadt <strong>Zürich</strong> und dem Dorfkern Altstettens<br />
erbaut, liegt<br />
heute zwischen Letzipark<br />
und Bahnhof Altstetten,<br />
inmitten des<br />
von Gentrifizierung betroffenen<br />
<strong>Zürich</strong>-Altstetten. Die neue<br />
Eigentümerin Mobimo AG hat der<br />
gesamten Mieter_innenschaft zum<br />
Ende des Jahres gekündigt und plant<br />
den Abriss der Gebäude für Anfang<br />
2014. Eine Baubewilligung gibt es<br />
noch nicht.<br />
Bis Ende der 1980er-Jahre unter<br />
dem Namen Labitzke Farben AG<br />
zur Herstellung von Druckfarben<br />
und Industrielacken genutzt, ist die<br />
»Labitzke« in den 1990ern massgeb-<br />
Die Mobimo AG plant den Abriss der alten Fabrikgebäude<br />
für Anfang 2014. Eine Baubewilligung<br />
für das neue Projekt gibt es noch nicht.<br />
chert, eine Besetzung, die zusätzlichen<br />
Raum für Kultur bietet:<br />
Konzerte, Kino und Diskussionsveranstaltungen<br />
sowie öffentlich zu-<br />
gängliche Werkstätten<br />
und Proberäume. Der<br />
Name ABS nimmt Bezug<br />
auf ein Gebäude<br />
mit der Aufschrift »Auto<br />
Beauty Salon«, das bis 2012 dem<br />
ABS gegenüber stand. Das Labitzke-<br />
Areal beherbergt heute rund 50 Bewohner_innen,<br />
weitere 100, die hier<br />
arbeiten und geschätzte 2000 Menschen,<br />
die das Gelände regelmässig<br />
besuchen.<br />
Kunst und Immobilienmarketing<br />
Anfang 2011 verkaufte Fredy<br />
Schönholzer die Labitzke für geschätzte<br />
35 Millionen Franken an die<br />
Mobimo Holding AG. Sie <strong>gehört</strong><br />
zu den grössten Immobiliengesellschaften<br />
der Schweiz und mit dem<br />
»Mobimo Tower« und der Pfingstweidpark-Überbauung<br />
zu den Hauptakteur_innen<br />
in <strong>Zürich</strong> West.<br />
Der für das Labitzke-Areal vorgesehene<br />
Neubau lasse »die Erinnerung<br />
an die einstige Nutzung neu<br />
aufleben«¹), heisst es in der Beurteilung<br />
des Projektplans. Die Farbgebung<br />
der alten Fabrikgebäude wird<br />
tatsächlich imitiert. Mit dem Neubau<br />
verdrängt die Mobimo jedoch eine<br />
Nachbarschaft, die aus den einstigen<br />
kahlen Fabrikgebäuden ein belebtes<br />
Kunstobjekt geschaffen hat, und ersetzt<br />
sie durch einen anonymen Bau<br />
mit einer künstlich geschaffenen Be-<br />
Mobimo: »Die jetzige Mieter_innenschaft<br />
kann sich die Mieten nach der Inwertsetzung<br />
des Areals vermutlich nicht mehr leisten.«<br />
lebtheit. Dass sich die jetzige Mieter_<br />
innenschaft die Mieten nach der Inwertsetzung<br />
des Areals »ver mut l ich<br />
lich durch ihre Technoclubs bekannt<br />
geworden. In den letzten 15 Jahren<br />
hat sie sich als Ort für selbstbestimmtes<br />
Wohnen, freie Kunst, Kultur,<br />
Politik und Feste einen Namen<br />
gemacht. Die heutige Mieter_innenschaft<br />
reicht von Reifenwerkstatt,<br />
Architekturbüro und Fotostudio<br />
über Bordell und Nachtclub bis zu<br />
Moschee, albanischem Kulturverein,<br />
portugiesischem Fussballtreff, Musik-/Kulturwerkstatt<br />
sowie mehreren<br />
Wohngemeinschaften und Ateliers.<br />
Seit September 2011 wird das<br />
Gelände zusätzlich durch den Autonomen<br />
Beauty Salon (ABS) bereinicht<br />
mehr leisten« kann, räumt auch<br />
die Mobimo-Geschäftsleitung ein.²)<br />
Als Hauptsponsor der Kunstausstellung<br />
»Art and the City« im<br />
Sommer 2012, für die Künstler_innen<br />
und Kunstwerke aus aller Welt<br />
eingeflogen wurden, unterstützte<br />
die Mobimo die künstliche Aufwertung<br />
des Stadtteils <strong>Zürich</strong>-West und<br />
warb zusätzlich mit den »Kreativen«,<br />
die in den 1990er-Jahren »in leeren<br />
Fabrikhallen ihre Studios und Ausstellungsräume<br />
eingerichtet« haben.³)<br />
Für die Vermarktung der »Marke<br />
Labitzke« fällt der Mobimo die künst-<br />
lerische und politische<br />
Betätigung der bisherigen<br />
Labitzke-Nutzer_<br />
innen in die Hände.<br />
In der Ausschreibung<br />
des Architekturwettbewerbs warb<br />
sie nicht nur mit dem Fabrikcharakter<br />
des Abrissobjektes, sondern auch<br />
explizit mit dem ABS: die Labitzke<br />
sei »nicht zuletzt durch die Besetzung<br />
der Liegenschaften an der Hohlstrasse<br />
in der Stadt <strong>Zürich</strong> bekannt«.⁴)<br />
Geräumt werden, noch<br />
bevor eine Baubewilligung vorliegt,<br />
soll der Autonome Beauty Salon<br />
trotzdem – mitsamt seiner Nachbarschaft,<br />
als Abriss auf Vorrat für<br />
einen Neubau, der eventuell in den<br />
kommenden Jahren entstehen wird.⁵)<br />
Annika Settergren (Pseudonym)<br />
Seit 2010 Mieterin eines gemeinschaftlichen<br />
Wohnateliers auf dem Labitzke-Areal<br />
Foto links: Die Labitzke von heute<br />
Foto rechts: Die Fassadenbemalung<br />
des Autonomen Beauty Salons<br />
nimmt die nahe Zukunft vorweg<br />
Foto oben rechts: Der geplante Neubau⁶)<br />
1) http://www.competitiononline.com/de/<br />
beitraege/69971<br />
2) Peter Grossenbacher in »Kultur am<br />
Rand. Das Labitzke-Areal in <strong>Zürich</strong>-Altstetten«,<br />
Radiofeature 2012, http://www.<br />
srf.ch/sendungen/srf-4-aktuell/spannendes-miteinander-der-kulturen<br />
3) »Art and the City. Das Festival für<br />
Kunst im öffentlichen Raum«, Sonderbeilage<br />
des Tagesanzeigers vom 8. Juni 2012<br />
4) http://www.competitiononline.com/de/<br />
wettbewerbe/143315<br />
5) Eine Langversion dieses Artikels ist am<br />
19. 10. 2013 in der Labitzke-Arealzeitung<br />
erschienen.<br />
6) http://www.srf.ch/sendungen/srf-4-aktu3http://www.luechingermeyer.ch/it<br />
20 21
Die Zitrone gibt ein alternatives<br />
Fussballmagazin heraus<br />
und druckt Plakate in der<br />
Hausdruckerei. Die Zitrone repariert<br />
Flipperkästen und baut einen Lastwagen<br />
um. Die Zitrone entwirft Bühnenbilder,<br />
sie schweisst, zimmert, hämmert<br />
und trinkt viel Kaffee. Die Zitrone<br />
stellt aus und macht Musik, sie<br />
nimmt im Tonstudio auf und sie verkauft<br />
frisch genähte Kleider. Die Zitrone<br />
malt, pinselt und lässt Bäuche<br />
tanzen, sie feiert, spielt und schaut<br />
Filme. Sie klettert<br />
die Wände hoch<br />
und baut Velos zu<br />
Gitarren um. Die<br />
LIEBER<br />
NUTZEN<br />
Zitrone studiert<br />
Rollen ein und probt sich frei, sie lagert<br />
Gemüse von einem Stadtacker<br />
und unterrichtet Sans-Papiers.<br />
Erfolgreich im Kollektiv<br />
Wir sind Handwerkerinnen, Tänzer,<br />
Schreiner, Schauspielerinnen,<br />
Reparateure, Musikerinnen, Theaterleute,<br />
Köche, Mechanikerinnen,<br />
Lehrer, Malerinnen, Schneider, Druckerinnen<br />
und vieles mehr. Auch<br />
wir sind <strong>Zürich</strong>. Viele von uns<br />
wohnen im Quartier oder in angren-<br />
Der Markt spielt also nicht<br />
für uns, und kassiert<br />
heimlich doch den Zins.<br />
zenden Stadtteilen. Die Zitrone sind<br />
150 Menschen in Altstetten, die sich<br />
auf eine kurzfristige Zwischennutzung<br />
eines alten Gewerbebaus<br />
eingelassen haben, mit einer selbstzerstörerischen<br />
Perspektive von vorerst<br />
nur sechs Monaten. Wir haben<br />
das scheintote Haus im Vorabriss<br />
entdeckt, selber mit der<br />
Besitzerin verhandelt und verwalten,<br />
putzen und un-<br />
terhalten das Gebäude<br />
seither<br />
erfolgreich im<br />
Kollektiv. Es wird wohl bald abgerissen,<br />
aber wir könnten es noch Jahre<br />
pflegen.<br />
Wir brachten unser Leben nach Altstetten<br />
in das Bildschirmbüro-Getümmel.<br />
Wir fühlen uns seltsam privilegiert,<br />
wir sind glücklich mit der<br />
Zwischennutzung,<br />
aber wir würden<br />
gerne das »Zwi-<br />
schen« weglassen<br />
und nur noch von<br />
»Nutzung« reden. Wir wollen hier<br />
bleiben und ein fester Teil von<br />
Altstetten sein. Als Zwischennutzer_innen<br />
werden wir unfreiwillig<br />
zu Gentrifiziererinnen, Aufwerter<br />
– und damit Teil eines Plans, der gar<br />
nicht unserer ist. Wir sind der Überzeugung,<br />
dass diese Stadt uns braucht<br />
und wir sie brauchen. Die Stadt schafft<br />
es kaum, hier selber solche Angebote<br />
zu schaffen oder solchen Raum freizuhalten,<br />
und der schnelle Aufwertungsmarkt<br />
spielt in die Taschen von<br />
Fotos: Yael Textor<br />
wenigen. Der Markt spielt also nicht<br />
für uns und kassiert heimlich doch<br />
den Zins.<br />
In vollem Gang<br />
In <strong>Zürich</strong> sind auch in den letzten<br />
Monaten Dinge zusammengekracht.<br />
Es ist abgerissen, neu bebaut<br />
und zum Verschwinden gebracht<br />
worden. Wir haben mit viel<br />
Glück zufällig<br />
Wir wollen hier bleiben und ein<br />
fester Teil von Altstetten sein.<br />
ALS NUR<br />
DAZWISCHEN<br />
Raum gefunden,<br />
und diesen<br />
geöffnet für andere,<br />
soviel wir konnten. Doch die<br />
Nachfrage übersteigt die Möglichkeiten,<br />
und rundherum werden<br />
Zwischennutzungen bald börsenkotiert.<br />
Damit wird versucht, Besetzungen<br />
zu verhindern. Das zeigt<br />
den ganzen Zynismus der Aufwertung.<br />
Die Gentrifizierung ist – wie<br />
schon seit Jahren befürchtet – in vollem<br />
Gang, es werden weitere Freiräume<br />
verschwinden.<br />
Wir wollen niemandem Raum<br />
wegnehmen in <strong>Zürich</strong>, nein, wir wollen<br />
sichtbarer Teil sein dieser Stadt,<br />
möglichst mitten in allen Quartieren.<br />
Wir wollen frei leben und arbeiten<br />
nach unseren eigenen Vorstellungen.<br />
Wir wollen die Dinge tun,<br />
die uns wichtig sind. Wir stecken den<br />
Zins davon aber nicht in den eigenen<br />
Sack, sondern geben ihn weiter an<br />
das Quartier, an diese Stadt.<br />
Yves Sablonier<br />
Verein Zitrone<br />
KU L TURBESE TZ UNGEN<br />
DAS KANN DO CH NICHT ALLES SEIN<br />
Kultur und Besetzung lassen<br />
sich in <strong>Zürich</strong> seit den ersten<br />
Hausbesetzungen nicht voneinander<br />
trennen. An der Plattenstrasse<br />
27 schufen sich junge Leute<br />
im Winter 1967/68 einen selbstverwalteten<br />
Treffpunkt, wo zahlreiche<br />
Veranstaltungen stattfanden. Sie verlangten<br />
kein AJZ, sie schufen es sich.<br />
Mit der steigenden Wohnungsnot ab<br />
Ende der 1970er-Jahre nahmen die<br />
Hausbesetzungen zu. Sie waren aber<br />
meistens von kurzer Dauer, ein paar<br />
Stunden, ein Wochenende, viel mehr<br />
lag nicht drin.<br />
Dass es den Besetzer_innen um mehr als<br />
Billig-Bier, Konzerte und verrückte<br />
Alltagskunst geht, wissen die Wenigsten.<br />
Das Genfer Modell<br />
Als Reaktion auf die Wohnungsnot-Bewegung<br />
des Frühlings 1989<br />
übernahm der noch bürgerlich dominierte<br />
Stadtrat im Juli 1989 das Genfer<br />
Modell. Das heisst: Keine Räumungen<br />
mehr auf Vorrat. Eine Folge<br />
dieser Praxisänderung war, dass es<br />
nun möglich war, eine gewisse Zeit<br />
in besetzten Häusern zu leben, meistens<br />
geduldet oder sogar mit einem<br />
Gebrauchsleihvertrag legalisiert. Dafür<br />
verliessen die Besetzer_innen die<br />
Häuser in den allermeisten Fällen<br />
vor dem Bau- oder Abbruchtermin.<br />
So entstand eine eigentliche Besetzungs-Kultur,<br />
Lebensraum für mehrere<br />
hundert Personen. Seither gibt<br />
es in <strong>Zürich</strong> meist ein oder mehrere<br />
Dutzend besetzte Häuser – vom kleinen<br />
Einfamilienhaus bis zum grossen<br />
Bürogebäude oder zur Fabrik.<br />
Das Wort Kulturbesetzung tauchte<br />
zum ersten Mal im Frühling 2001<br />
bei der Besetzung des EgoCity an der<br />
Badenerstrasse auf. Dabei ging es<br />
vor allem darum, untereinander verständlich<br />
zu machen, dass es keine<br />
Wohnbesetzung sein soll, sondern<br />
dass wir wieder mal einen Ort für<br />
unsere Veranstaltungen haben. Seit<br />
der Besetzung des Glacégarten an<br />
der Heinrichstrasse (Okt.–Nov. 1999)<br />
hatte ein entsprechender Ort gefehlt.<br />
Mehr als nur Konzerte<br />
Kulturbesetzungen sind das, was<br />
die breite Öffentlichkeit heute an besetzten<br />
Orten kennt. Dass es den Besetzer_innen<br />
um mehr als Billig-Bier,<br />
Konzerte und verrückte Alltagskunst<br />
geht, wissen die Wenigsten. Woher<br />
denn auch? Wir freuen uns sehr,<br />
wenn wir von Aussenstehenden besucht<br />
werden, doch unser Revier verlassen<br />
wir selber nur sehr ungern.<br />
Nur wissen wir leider nicht, wie<br />
wir an die Leute rankommen. Wir<br />
können nicht erwarten, dass die<br />
Leute, die wir erreichen wollen, unsere<br />
Ideen einfach bereitwillig übernehmen.<br />
Das Leben in den besetzten Häusern<br />
spricht – mit Ausnahmen – Menschen<br />
an, die nicht älter als 35 Jahre<br />
sind. Dass die Älteren<br />
fehlen, liegt nicht nur<br />
daran, dass diese sich<br />
halt vom System kaufen<br />
und ihre Utopien<br />
fallen liessen. Ein wichtiger<br />
Grund liegt auch darin, dass<br />
die Szene sich kaum weiterentwickelt.<br />
Die Erfahrungen und<br />
Gedanken der ehemaligen Akti-<br />
vist_innen, auch ihre nach wie<br />
vor vorhandene Energie, könnten<br />
in einem gegenseitigen Austausch<br />
die Basis dafür legen, dass längerfristige<br />
Perspektiven entwickelt werden,<br />
eine Sprache gefunden wird,<br />
die nicht nur von Szenen-Insider_innen<br />
verstanden wird und nicht<br />
nur auf Eh-Klarheiten beruht.<br />
Vernetzung als Herausforderung<br />
So stellt auch diese breit abgestützte<br />
Demonstration eine Herausforderung<br />
dar: Bleibt es beim<br />
Knüpfen der dafür notwendigen Kontakte<br />
oder lassen wir uns auch auf die<br />
alltägliche Kleinarbeit ein, die eine<br />
solche Vernetzung eigentlich mit sich<br />
bringt?<br />
Folgen den schönen Aufrufen<br />
keine Taten ist der Begriff »Kulturbesetzung«<br />
Ausdruck unserer Kapitulation:<br />
Von gelegentlichen Protestaktionen<br />
abgesehen, fügen wir uns in<br />
unser Schicksal, geniessen die Zeit,<br />
die uns bleibt und lassen uns langsam<br />
von der Gentrifizierung nach<br />
Westen schieben. Irgendwo wird es<br />
ja schon noch Räume geben, die wir<br />
zwischennutzen oder besetzen können<br />
– und wenn wir schliesslich in<br />
Marseille landen.<br />
Mischa Brutschin<br />
Autor der umfangreichen Film-Doku<br />
»ALLEIN MACHEN SIE DICH EIN«<br />
www.zureich.ch<br />
Annaburg, November 1987<br />
22 23
Stauffacher, Januar 1984<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
Aktueller Veranstaltungskalender<br />
unter www.wem-gehoert-zuerich.ch<br />
Dienstag, 29. Oktober 2013<br />
Film – Genossenschaftliches<br />
<strong>Zürich</strong> – ein unbekannter Dokumentarfilm<br />
von 1928<br />
Eine Trouvaille aus dem Sozialarchiv:<br />
19 Zürcher Genossenschaften beauftragten<br />
1928 die angesehene Präsens-Film,<br />
einen Werbefilm für die Genossenschaftsbewegung<br />
zu machen.<br />
Ort: Provisorium im Neubau<br />
Kalkbreite | Kalkbreitestrasse 2 |<br />
8003 <strong>Zürich</strong> | Mit Bar!<br />
Zeit: 20.00-21.30 Uhr<br />
Dienstag, 29. Oktober 2013<br />
Diskussionsveranstaltung -<br />
Quo vadis <strong>Zürich</strong>?<br />
Die Stadt <strong>Zürich</strong> wandelt sich rasant.<br />
Günstige Wohnungen sind immer<br />
rarer in der Stadt <strong>Zürich</strong>. Auch<br />
nicht-kommerzielle Orte für Menschen<br />
jeden Alters werden Mangelware.<br />
In was für eine Stadt soll<br />
sich <strong>Zürich</strong> wandeln, in eine Stadt<br />
für Wen? Für alle oder nur für «gute<br />
Steuerzahler_innen»? Eine Veranstaltung<br />
der Partei der Arbeit <strong>Zürich</strong>.<br />
Ort: Mozaik | Stauffacherstrasse 101a<br />
(Hofgebäude neben dem Jamarico) |<br />
8003 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 19.30-21.30 Uhr<br />
Mittwoch, 30. Oktober 2013<br />
Film – Home<br />
Unkonventionelles psychologisches<br />
Drama über die etwas andere Hausbesetzung<br />
einer Familie neben einer<br />
stillgelegten Autobahn.<br />
Regie: Ursula Meier (F/B/CH 2008)<br />
Ort: Autonomer Beauty Salon (ABS) |<br />
Hohlstrasse 481 | 8048 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 20 Uhr<br />
Mittwoch, 30. Oktober 2013<br />
Diskussion – »Rechtsberatungsstellen<br />
für Sozialhilfebeziehende –<br />
Weshalb?«<br />
Wir laden herzlich ein, an der ersten<br />
öffentlichen Diskussion der UFS teilzunehmen.<br />
Ort: Quartierhaus Kreis 5 |<br />
Sihlquai 115 | 8005 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 19.30 Uhr<br />
Donnerstag, 31. Oktober 2013<br />
Vortrag - »<strong>Wem</strong> gehören die<br />
Plakatwände?«<br />
Wer im öffentlichen Raum legal<br />
etwas kundtun möchte, ist auf Plakatwändeangewiesen.<br />
Doch wem gehören<br />
die Plakatwände? Und wem<br />
gehörendiejenigen, denen die Plakatwände<br />
gehören? Woher kommt das<br />
Geld und in wessen Taschen fliesst es?<br />
Wie viel Steuern bezahlen die Plakatgesellschaften<br />
in der Stadt <strong>Zürich</strong>?<br />
Welche Gesetze regeln Plakatwerbung?<br />
Wie steht die Stadt dazu?<br />
Vortrag von Christian Hänggi.<br />
Ort: Corner College | Kochstrasse 1 |<br />
8004 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 20 Uhr<br />
Montag, 18. November 2013<br />
Gespräch – Destination Kultur<br />
Was soll man davon halten, wenn<br />
der globale Kunsttross in <strong>Zürich</strong><br />
halt macht? Was verbirgt sich hinter<br />
dem Brand „Kunststadt <strong>Zürich</strong>“?<br />
Wie werden die Rollen im Global Art<br />
Game verteilt und wer legt bei diesem<br />
Spiel (zu)meist oben drauf? Und<br />
was hat das überhaupt mit <strong>Zürich</strong><br />
Altstetten und der sogenannten Aufwertung<br />
zu tun? Gespräch mit Peter<br />
Spillmann, Andrea Thal, Stefan Wagner<br />
und allen Anwesenden.<br />
Ort: Corner College | Kochstrasse 1 |<br />
8004 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 20 Uhr<br />
Sonntag, 8. Dezember 2013<br />
Diskussion – »Urban gardening«:<br />
Von wem und für wen?<br />
Verschiedene Projekte haben die Idee<br />
der Stadtgärten in <strong>Zürich</strong> bereits realisiert.<br />
Doch wer steht hinter diesen<br />
Projekten? Und vor allem: Wer ist ihr<br />
Zielpublikum? Diskussion mit Aktivist_innen<br />
der Stadtgarten-Bewegung<br />
Lissabons, Ortoloco, Dunkelhölzli,<br />
Stadion-Brache, Frau Gerolds Garten.<br />
Ort: Autonomer Beauty Salon (ABS) |<br />
Hohlstrasse 481 | 8048 <strong>Zürich</strong><br />
Zeit: 16 Uhr | 19 Uhr vegane Volksküche<br />
25. Januar, 1.+8. Februar 2014<br />
Workshop – Schreibwerkstatt für<br />
Armutsbetroffene<br />
Unter dem Titel »Wie wohnen<br />
ohne Geld?« veranstaltet Caritas<br />
<strong>Zürich</strong> an drei Samstagen eine<br />
Schreibwerkstatt für Menschen mit<br />
kleinem Budget.<br />
Ort: Beckenhofstrasse 16 | 8006 <strong>Zürich</strong><br />
Informationen und Anmeldung auf:<br />
www.caritas-zuerich.ch/schreibwerkstatt<br />
Ab Frühjahr 2014 (Daten noch offen)<br />
Podiumsdiskussionen –<br />
»Zwischennutzungen«<br />
Was genau sind Zwischennutzungen?<br />
Wie wirken sie sich auf den Wert der<br />
Liegenschaft, die städtische Raumnot<br />
oder das demographische Umfeld<br />
aus? Über diese und andere Fragen<br />
wird in einer Reihe von Podiumsdiskussionen<br />
debattiert. Organisiert von<br />
der IG ZeitRaum.<br />
Ort: Zwischennutzung Verein Zitrone<br />
(ehemalige AMAG-Garage) | Badenerstrasse<br />
565 | 8048 <strong>Zürich</strong><br />
Informationen auf:<br />
www.wem-gehoert-zuerich.ch<br />
Ganzer Mai 2014<br />
Veranstaltungsreihe – Wohnraum<br />
Unter dem Titel »Wohnraum« plant<br />
die Offene Kirche St. Jakob im Mai an<br />
verschiedenen Orten Veranstaltungen<br />
zum Thema Wohnraum.<br />
Informationen auf:<br />
http://www.offener-st-jakob.ch<br />
24 25
Kontakte<br />
Autonome Schule <strong>Zürich</strong><br />
www.bildung-fuer-alle.ch<br />
www.schuel.ch<br />
Caritas <strong>Zürich</strong><br />
Beckenhofstrasse 16 | Postfach |<br />
8021 <strong>Zürich</strong><br />
Tel: 044 366 68 68 | Fax: 044 366 68 66<br />
www.caritas-zuerich.ch<br />
info@caritas-zuerich.ch<br />
Postkonto: 80-12569-0<br />
IG Sozialhilfe<br />
Postfach 1566 | 8032 <strong>Zürich</strong><br />
Tel: 079 343 66 43 | Fax: 044 261 23 69<br />
www.ig-sozialhilfe.ch<br />
info@ig-sozialhilfe.ch<br />
Postkonto: 80-47672-7<br />
Genossenschaftlicher Wohnungsbau<br />
der Stadt <strong>Zürich</strong><br />
Adressliste der gemeinnützigen<br />
Wohnbauträgerin der Stadt <strong>Zürich</strong><br />
einsehbar unter:<br />
Website der Stadt <strong>Zürich</strong> → Finanzdepartement<br />
→ Wohnbaupolitik →<br />
Beratung und Wohnungssuche<br />
http://www.stadt-zuerich.ch/content/<br />
fd/de/index/wohnbaupolitik/beratung_und_wohnungssuche.html<br />
U<br />
F S<br />
Unabhängige Fachstelle<br />
für Sozialhilferecht<br />
Beratung • Begleitung • Vertretung<br />
Die UFS setzt sich gemeinsam mit Armutsbetroffenen<br />
für Ihre Grund- und Menschenrechte<br />
ein. Wir beraten, begleiten und vertreten<br />
Frauen, Männer und Familien. Wir geben ihnen<br />
eine öffentliche Stimme im Umgang mit den<br />
Behörden und vor Gericht.<br />
Wohnungsnot, steigende Mietpreise, Stigmatisierungen,<br />
staatliche Sparmassnahmen und<br />
restriktive Vorgaben der Sozialämter schaffen<br />
prekäre Lebenssituationen. Wir setzen uns solidarisch<br />
und mit rechtlichen Mitteln dafür ein,<br />
dass die Stadt allen <strong>gehört</strong>.<br />
Genossenschaftlicher Wohnungsbau<br />
des Kantons <strong>Zürich</strong><br />
Mitgliederliste der gemeinnützigen<br />
Wohnbauträger im Kanton <strong>Zürich</strong><br />
einsehbar unter:<br />
Wohnbaugenossenschaften Schweiz,<br />
Regionalverband <strong>Zürich</strong><br />
www.wbg-zh.ch<br />
www.wbg-zh.ch/mitglieder/die-mitglieder/<br />
Kulturintendanz Rosengarten der<br />
Genossenschaft Kalkbreite<br />
Kalkbreitestrasse 2 | 8003 <strong>Zürich</strong><br />
intendanz@kalkbreite.net<br />
www.kalkbreite.net/rosengarten<br />
Mieterinnen- und Mieterverband<br />
<strong>Zürich</strong><br />
Kernstr. 57 | Postfach 1949 |<br />
8026 <strong>Zürich</strong><br />
Tel: 044 296 90 20 | Fax: 044 296 90 26<br />
www.mieterverband.ch/zh<br />
info@mvzh.ch (Keine Rechtsauskunft)<br />
Labitzke Areal<br />
Zwischen Hohl- und Albulastrasse<br />
8048 <strong>Zürich</strong>-Altstetten<br />
Autonomer Beauty Salon<br />
autonomerbeautysalon.wordpress.com<br />
Die UFS ist ein gemeinütziger<br />
Verein und finanziert<br />
sich ausschliesslich über<br />
privaten Spenden. Jeder Beitrag<br />
unterstützt uns bei<br />
unserer Arbeit:<br />
Postkonto 60-73033-5.<br />
Danke!<br />
Unabhängige Fachstelle für<br />
Sozialhilferecht<br />
Pflanzschulstrasse 56<br />
8004 <strong>Zürich</strong><br />
Tel. 043 540 50 41<br />
info@sozialhilfeberatung<br />
www.sozialhilfeberatung.ch<br />
Oben: Hüttisstrasse, Winter 1989/90<br />
Unten: Navid Tschopp, RESISTANCE/RENAISSANCE, <strong>Zürich</strong> 2012<br />
Thema<br />
INURA<br />
International Network for Urban Research<br />
and Action | www.inura.org<br />
Neustart Schweiz<br />
Verein für eine markante Verbesserung<br />
der Lebensqualität für alle<br />
www.neustartschweiz.ch<br />
Recht auf Stadt!<br />
Gentrifizierungs-kritisches Aktionsnetzwerk<br />
| www.rechtaufstadt.ch<br />
stadt.labor<br />
Plattform zur kritischen Stadtentwicklung<br />
| www.stadtlabor.ch<br />
Medien<br />
Buch – WO-WO-WONIGE!<br />
Stadt- und wohnpolitische Bewegungen<br />
in <strong>Zürich</strong> nach 1968.<br />
Autor: Thomas Stahel | Pranaoia City<br />
Verlag <strong>Zürich</strong> 2006 | www.wonige.ch<br />
Film – ALLEIN MACHEN SIE<br />
DICH EIN. Die Zürcher Häuserbewegung<br />
1979-94.<br />
Eine filmische Dokumentation in 8<br />
Teilen von Mischa Brutschin | Erhältlich<br />
auf DVD | www.zureich.ch<br />
Radio – Kultur am Rand. Das Labitzke-Areal<br />
in <strong>Zürich</strong>-Altstetten.<br />
Radioreportage von Francesca<br />
Nussio und Thomas Niederberger |<br />
56 Min | deutsch | 2012 | Beitrag hören<br />
auf http://www.freie-radios.net<br />
Studie – Immo Dorado<br />
<strong>Zürich</strong> West – Bilanz 2013.<br />
Autor: Philipp Klaus | INURA <strong>Zürich</strong><br />
Institut Studie im Auftrag des Mieterinnen-<br />
und Mieterverbands <strong>Zürich</strong><br />
über die finanz- und wohnpolitischen<br />
Entwicklungen in <strong>Zürich</strong><br />
West.<br />
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UNS<br />
ALLEN.<br />
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