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N° <br />

. . —<br />

. . <br />

WIR HABEN GENUG<br />

Vom Vergnügen, bescheidener zu werden


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WIR HABEN GENUG<br />

EDITORIAL<br />

Es ist, als hätte die Finanzkrise mit ihrem Beginn 2007 Raumwellen losgeschickt, die jetzt,<br />

endlich, bei uns ankommen: in Form vieler zwingender Fragen. Eine der schlichtesten<br />

– wie viel ist genug? – stellen Robert und Edward Skidelsky. Sie möchten, dass wir uns<br />

fragen, ob Wirtschaftswachstum um des reinen Wachstums willen nicht zu einem<br />

Hamsterrad geworden ist, ohne jede Notwendigkeit. Und fordern den Ausstieg aus einem<br />

überhitzten Kapitalismus, der stets «Mehr, Mehr, Mehr!» schreit, obwohl wir in den<br />

Wohlstandsgesellschaften heute gelassen sagen könnten: Genug ist genug.<br />

Man muss nicht schon mal mit einem quengelnden Kind in einer Kassenschlange<br />

gestan den haben, um Zweifel daran zu hegen, ob «Habenwollen», einer der grundlegenden<br />

menschlichen Wesenszüge, dem nicht fundamental entgegenwirkt. Solange der<br />

Mensch davon lebt, sich ständig in Vergleich zu setzen – was hat er; vor allem, was hat er<br />

nicht? –, wird es schwierig sein, sich aus freien Stücken mit dem, was man hat, zufriedenzugeben.<br />

Wäre da nicht eine andere, ebenso menschliche Sehnsucht: danach, ein gutes, ein<br />

reiches Leben zu führen. Reich nicht an materiellen Gütern, sondern an persönlicher<br />

Erfüllung, an glücklichen Momenten – arm nur an Sorgen.<br />

Diese zwei widerstrebenden Motive kennt wohl jeder. Auch Irina Beller und Raphael<br />

Fellmer, die für uns über ihre Auffassungen von einem guten Leben sprachen. Was auf<br />

den ersten Blick den grössten denkbaren Gegensatz bilden mag – Beller, die millionenschwere<br />

Russin, bekannt aus dem Boulevard, und Fellmer, der, beseelt von seinem<br />

Glauben an das Gute im Menschen, sich und seine Familie durchbringt, ohne dafür je<br />

einen Taler in die Hand zu nehmen –, liegt letztlich dicht beieinander: wenn es darum<br />

geht zu sagen, was anständig durchs Leben gehen heisst.<br />

Ein Leben ganz ohne Geld klingt für die meisten nach Utopie – Fellmer lebt sie bereits.<br />

Wie die Trobriander, ein Inselvolk aus Papua-Neuguinea, deren Realität gewordene,<br />

jahrhundertealte Utopie ein hochausgeklügeltes System von Tauschen und Schenken einschliesst.<br />

Warum, könnte man fragen, soll es dann nicht auch möglich werden, dass die<br />

Schweiz ein bedingungsloses Grundeinkommen per Abstimmung annimmt?<br />

Um Fragen stellen zu können, braucht man Luxus: auch den der Musse. Die möchten<br />

Vater und Sohn Skidelsky, ebenso wie Daniel Straub von der Initiative für ein bedingungsloses<br />

Grundeinkommen, in unser aller Alltag zurücktragen, indem wir weniger arbeiten<br />

sollen und mehr leben. Weniger verbrauchen, als wir brauchen (eine Erfahrung, die nicht<br />

nur die Männer und Frauen unserer Fotoserie gemacht haben).<br />

Sie, die Sie nun diese «<strong>Magazin</strong>»-Sonderausgabe (fotografiert von Maurice Haas)<br />

in den Händen halten, leisten sich diesen Luxus der Musse – wir wären froh, wenn Sie mit<br />

uns auf die Fragen, die das Heft aufwirft, nach Antworten suchen. Anuschka Roshani<br />

<br />

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<br />

INHALT<br />

WESHALB AUS ÜBERFLUSS ÜBERDRUSS WURDE: Eine Reihe von Fehlkäufen<br />

WORAUF WIR HOFFEN, WENN WIR KAUFEN: Ein Essay von Philipp Blom<br />

WARUM WIR AUFHÖREN SOLLTEN ZU WACHSEN: Ein Interview von Daniel Binswanger<br />

WIE MAN MIT VIEL ODER OHNE GELD GUT LEBEN KANN: Ein Gespräch von Michèle Roten<br />

WAS DER TROBRIANDER DAVON HAT, WENN ER ALLES HERSCHENKT:<br />

Ein Blick in eine faszinierende Gesellschaft von Sven Behrisch<br />

Titelbild: Christian Boros mit dem Ólafur-Eliasson-Kunstwerk «Eye See You», fotografiert von Maurice Haas<br />

3


MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 1<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 2<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 3<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 4<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 5<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 6<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 7<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 8<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 9<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />

Ausgabe Nr. 10<br />

IN KOOPERATION MIT<br />

DANIEL<br />

BINSWANGER<br />

OHNE ZORN<br />

KEIN<br />

EPOCHEN-<br />

BRUCH<br />

Die Annahme der Abzocker-Initiative hat<br />

der Schweiz in der internationalen Presse<br />

zu flächendeckender Präsenz verholfen.<br />

Die Deutschen sind wieder mal fasziniert<br />

von den Tugenden der direkten Demokratie.<br />

In London und New York spekuliert<br />

man über den Standortnachteil, der sich für<br />

den Finanzplatz aus der Aktionärsdemokratie<br />

ergeben könnte. Die Signalwirkung<br />

von Thomas Minders Triumph ist enorm.<br />

Aber wie ist dieses Signal zu deuten?<br />

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten.<br />

Es könnte sein, dass die siegreiche<br />

Volksinitiative tatsächlich so etwas wie<br />

einen Epochenbruch markiert. Zum ersten<br />

Mal seit der Finanzkrise wurde erfolgreich<br />

der Versuch unternommen, die Wirtschaftseliten<br />

nicht bloss durch strengere<br />

Regulierungen für ihre Geschäftstätigkeit<br />

zurückzubinden, sondern dort, wo es wirklich<br />

schmerzt: beim eigenen Gehaltscheck.<br />

Zum ersten Mal führte das weitverbreitete<br />

Gefühl der Ungerechtigkeit zu konkreten<br />

gesetzlichen Massnahmen. Plötzlich erscheinen<br />

weiterführende Gesetzesänderungen<br />

zur Begrenzung der Einkommensungleichheit<br />

nicht mehr chancenlos. Eine<br />

Bonussteuer? Ein obligatorischer Mindestlohn?<br />

Die Verteilungsgerechtigkeit wird<br />

auf der politischen Agenda bleiben.<br />

Minders Erfolg ist ein Sieg mit gewaltiger<br />

Symbolkraft. <strong>Das</strong> ist allerdings zugleich<br />

ihre Schwäche. Es besteht eine gewisse<br />

Chance, dass sie lediglich symbolisch<br />

bleiben wird. Es ist völlig offen, ob zwingende<br />

Abstimmungen über die Geschäftsleitungslöhne<br />

de facto zu einem Sinken der<br />

Topvergütungen führen werden. Die meisten<br />

Ökonomen gehen davon aus, dass die<br />

gestärkten Aktionärsrechte am generellen<br />

Lohnniveau nicht viel ändern werden.<br />

Auch das Verbot von «goldenen Fallschirmen»<br />

dürfte bloss eine symbolische Wirkung<br />

haben. Die Abgangsentschädigungen<br />

können durch längerfristige Anstellungsverträge<br />

ersetzt werden – sodass im Falle<br />

einer vorzeitigen Kündigung zwar kein<br />

Fallschirm, aber eine Lohnfortzahlung fällig<br />

wird.<br />

Die Wirksamkeit von Minders Vorlage<br />

wird sich weniger an den Generalversammlungen<br />

von börsenkotierten Konzernen erweisen<br />

als in ihrer Fähigkeit, die öffentliche<br />

Entrüstung über Gehaltsexzesse weiter<br />

wachzuhalten. Die Feinde der Abzocker<br />

sind nicht die Aktionäre. Der Feind ist die<br />

Öffentlichkeit.<br />

Wird die öffentliche Entrüstung über<br />

Millionen-Boni bestehen bleiben? Oder<br />

wird die Initiative am Ende gar eine beschwichtigende<br />

Wirkung haben? An dieser<br />

Frage wird sich die Wirksamkeit der<br />

Abzocker-Initiative entscheiden. Denn es<br />

könnte auch sein, dass die Empörung gegen<br />

die Grossverdiener eher den Verlauf eines<br />

medialen Shitstorms als die Dynamik eines<br />

politischen Aufbruchs annehmen wird.<br />

Man nehme zum Beispiel die seltsame<br />

Vasella-Episode. Natürlich ist es nicht verwunderlich,<br />

dass die Zahlung von 12 Millionen<br />

Franken pro Jahr zur simplen Aufrechterhaltung<br />

eines Konkurrenzverbotes<br />

einen Entrüstungssturm auslöste und der<br />

Minder-Initiative ungeheuren Vorschub<br />

gab. Doch die Zahlung der insgesamt 72<br />

Millionen ist ins Verhältnis zu setzen zu<br />

den 200 bis 300 Millionen, die Vasella als<br />

CEO und Verwaltungsratspräsident von<br />

Novartis verdient haben soll und die kein<br />

bisschen weniger exzessiv erscheinen. Der<br />

öffentliche Druck hat Vasella zwar jetzt<br />

gezwungen, an der Generalversammlung<br />

feierlich den Verzicht auf die Vergoldung<br />

seines Abgangs zu erklären. Gleichzeitig<br />

wurde aber das neue Vergütungsreglement<br />

des Basler Pharmariesen widerstandslos<br />

akzeptiert.<br />

Auch im neuen Reglement nimmt Novartis<br />

das exorbitante Vergütungsniveau<br />

amerikanischer Pharmafirmen zur Benchmark,<br />

während europäische Konkurrenten<br />

keine Rolle spielen. Auch der neue CEO<br />

Joe Jimenez kann bei Erfüllung seiner Leistungsvorgabe<br />

einen Lohn von 20 Millionen<br />

Franken erreichen. Wurde Vasella nur das<br />

zufällige Opfer einer Indiskretion zur Unzeit<br />

und einer unkontrollierbaren Mediendynamik?<br />

Wird auch der künftige Novartis-<br />

CEO Jahr für Jahr 20 Millionen und mehr<br />

nach Hause tragen – ohne dass die «Aktionärsdemokratie»<br />

auch nur daran denken<br />

dürfte, das zu verhindern?<br />

Die Kanalisierung von Empörung ist<br />

ein delikates Geschäft. Am Anfang von<br />

politischen Veränderungen steht immer<br />

der Zorn. Aber gerade der Zorn kann sich<br />

an zufälligen Episoden entfachen, aufflammen<br />

und wirkungslos wieder verpuffen. Es<br />

bleibt zu hoffen, dass dem Zorn gegen die<br />

Abzocker dieses Schicksal erspart bleibt.<br />

Gesichert ist noch gar nichts.<br />

Mehr von Daniel Binswanger auf<br />

blog.dasmagazin.ch<br />

WELTLITERATUR<br />

klassiker kompakt<br />

Unbekannt<br />

Die Erzählungen<br />

aus den Tausendundein<br />

Nächten<br />

In Kooperation mit:<br />

Weltliteratur in Kurzform<br />

WELTLITERATUR<br />

klassiker kompakt<br />

Unbekannt<br />

Nibelungenlied<br />

«Gar nicht übel», sagte er, während<br />

er die schwappigen Austern mit<br />

dem Silbergäbelchen aus den Perlmuttschalen<br />

löste und eine nach<br />

der anderen verschlang.<br />

Aus «Anna Karenina» von Leo Tolstoi<br />

WELTLITERATUR<br />

klassiker kompakt<br />

Schi Nai An<br />

Die Räuber<br />

vom Liang<br />

Schan Moor<br />

WELTLITERATUR<br />

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Jane Austen<br />

Verstand und<br />

Gefühl<br />

WELTLITERATUR<br />

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Victor Hugo<br />

Die Elenden<br />

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Leo Tolstoi<br />

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Marcel Proust<br />

Auf der Suche<br />

nach der verlorenen<br />

Zeit<br />

WELTLITERATUR<br />

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F. Scott Fitzgerald<br />

Der grosse<br />

Gatsby<br />

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Robert Musil<br />

Der Mann ohne<br />

Eigenschaften<br />

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4 DA S M AGA ZIN 10/2013


MAX KÜNG<br />

MEINE KLEINE<br />

PFEIFE<br />

Schon immer wollte ich über meine Pfeife<br />

schreiben. Sie ist recht klein – das ist wohl<br />

mit ein Grund, warum ich bisher nie in Erwägung<br />

gezogen habe, über sie zu schreiben.<br />

Ich dachte immer: Sie ist so unbedeutend,<br />

meine kleine Pfeife, so nichtig, so<br />

bescheiden, so zierlich, verglichen mit der<br />

schieren Grösse dieser Welt, wer soll sich<br />

denn bitte schön für meine Pfeife interessieren?<br />

Niemand, denn sie ist nichts.<br />

Es ist auch gar keine echte Pfeife, sondern<br />

eine Miniatur, nicht länger als sechs<br />

Zentimeter, und hängt an einer feingliedrigen,<br />

goldfarbenen Kette aus nicht zu<br />

hartem Stahl, an deren Ende sich ein verschliessbarer<br />

Ring findet: Sie ist ein Schlüsselanhänger.<br />

Ein ganz gewöhnlicher Schlüsselanhänger.<br />

Allerdings muss ich sagen,<br />

dass sie sehr gut gemacht ist, denn sie sieht<br />

tatsächlich verblüffend nach einer echten,<br />

ernsthaften Tabakspfeife aus. <strong>Das</strong> schwarze<br />

Mundstück ist aus Bakelit gefertigt, der<br />

Kopf aus hartem, hitzeresistenten Bruyère-<br />

Holz. Theoretisch ist meine Pfeife voll<br />

funktionstüchtig, ja, ein Hamster könnte<br />

damit formidabel starken Tobak paffen.<br />

Ich kaufte die Pfeife, die eben keine<br />

Pfeife ist, sondern ein Schlüsselanhänger,<br />

vor einiger Zeit für fünf Franken in einem<br />

Geschäft für alte Dinge mit nostalgischem<br />

Charme. Es war ein ganz und gar unnötiger<br />

Kauf. Ich hätte mit den fünf Franken anderes<br />

kaufen können, hartgekochte Eier beispielsweise,<br />

eine dicke Wurst, zwei Tuben<br />

Mayonnaise. Kein Mensch braucht einen<br />

Schlüsselanhänger in Form einer Pfeife,<br />

schon gar nicht ich, denn ich rauche nicht,<br />

hab es nie getan, bin kein Günter-Grass-<br />

Fan und auch kein Spross einer Pfeifenbauerdynastie<br />

(das könnte ja noch Sinn<br />

machen, dass man seinen Autoschlüssel an<br />

dem Pfeifenschlüsselanhänger baumeln hat<br />

und ihn lässig in der Bar auf den Tresen legt,<br />

worauf zum Beispiel eine Frau sagt: «Wow,<br />

Sie haben aber eine tolle Pfeife!» Und man<br />

könnte sagen: «Nicht ohne Grund, ich<br />

komme aus der berühmten Pfeifenbauerdynastie<br />

Saftsack & Sohn, ich würde Ihnen<br />

das gerne näher erklären, haben Sie ein<br />

Stündchen Zeit, Madame?») Aber deshalb<br />

kaufte ich sie wohl auch: Weil ich sie ganz<br />

und gar nicht brauche; die Absichtslosigkeit<br />

rechtfertigte in meinen Augen die Akquisition.<br />

Was aber braucht der Mensch überhaupt?<br />

Nichts, denn alles ist nichts. Es gibt<br />

nur einen selbst, alles andere ist nicht von<br />

Bedeutung. <strong>Das</strong> wussten schon die Stoiker<br />

wie Seneca, und so sah es auch der britische<br />

Künstler Michael Landy, als er sich<br />

entschloss, die Aktion «Break Down» auszuführen.<br />

In einem ehemaligen C&A-Laden<br />

an der Oxford Street in London baute<br />

er im Jahr 2001 eine Installation auf. Es war<br />

eine industriell gebaute Vernichtungsmaschinerie,<br />

denn er hatte sich vorgenommen,<br />

all seinen Besitz loszuwerden. Gnadenlos<br />

zerstörte er zusammen mit zehn<br />

Helfern innert zweier Wochen alles, was er<br />

zuvor akribisch inventarisiert hatte: 7227<br />

Gegenstände waren es, darunter all seine<br />

Möbel, seine erste selbst gekaufte Schallplatte<br />

von David Bowie, den Videorecorder,<br />

Socken, Fotos, einen Schirm, was man<br />

so besitzt, was sich halt so anhäuft mit den<br />

Jahren. Sein kirschroter Saab 900 musste<br />

daran glauben wie auch Kunstwerke, die<br />

ihm einst seine Freunde geschenkt hatten<br />

(seine Freunde hiessen etwa Tracey Emin<br />

oder Damien Hirst, was wiederum heisst,<br />

dass diese Kunstwerke nicht eben wertlos<br />

waren); einfach alles wurde zerstückelt und<br />

zerfetzt. Sogar den Schaffellmantel seines<br />

Vaters schredderte Landy, obwohl der Mantel<br />

für ihn am meisten Wert hatte, denn er<br />

war mehr Gedenken als Gegenstand (bis<br />

zuletzt hoffte der Künstler, jemand möge<br />

den Mantel stehlen, damit er der Vernichtung<br />

entging, was aber nicht geschah).<br />

Ganz am Ende, als er alles vernichtet<br />

hatte, seinen ganzen Besitz, seinen Plunder,<br />

sein Hab und Gut, da war er dann aber doch<br />

nicht ganz ohne. Etwas blieb ihm: Schulden<br />

nämlich. Denn die Zerstörung seiner<br />

Sachen war leider nicht gratis.<br />

Während der Aktion sei ein grosses<br />

Gefühl von Freiheit über ihn gekommen,<br />

sagte Landy in einem Interview.<br />

Dann aber, nach der grossen Aktion,<br />

da hätten die Sorgen des täglichen Lebens<br />

diese Freiheit erodiert. Landy wurde nicht<br />

zum Heiligen, sondern blieb der, der er<br />

zuvor gewesen war: jemand, der Kleidung<br />

braucht, ein Sofa, einen Fernseher, einen<br />

Kühlschrank – ein normaler Mensch eben.<br />

Ja, liebe kleine Pfeife, dieser Text ist für<br />

dich, du unnützes Ding, ich hab dich gern.<br />

Und er ist für all die anderen unnötigen<br />

Dinge, die nötig sind, auch wenn wir nicht<br />

wissen warum, weshalb, wieso.<br />

Mehr von Max Küng auf blog.dasmagazin.ch<br />

MICHÈLE ROTEN<br />

MEHR ALS NUR EIN BISSCHEN<br />

KARRIERE-FRAU<br />

Wann soll man sich als Frau zufriedengeben? Jedenfalls nicht<br />

mit ein bisschen Karriere, findet Sheryl Sandberg. Sie hat ein Buch<br />

darüber geschrieben, wie es Frauen in Führungspositionen schaffen<br />

können. Dieser Satz nun löst bei mir zwei komplett gegensätzliche<br />

Reaktionen aus. Einerseits: Super, weil wer, wenn nicht<br />

sie? Und: Na super, ausgerechnet sie. Hier sind die Informationen,<br />

die Sie brauchen, damit Sie meine Hin-und-her-Gerissenheit<br />

nachvollziehen können: Sheryl Sandberg, 44, ist die CEO von<br />

Facebook, davor Google. Sie ist unermesslich reich. Sie ist verheiratet<br />

mit einem ebenfalls sehr, sehr reichen Mann. Sie hat zwei<br />

Kinder, einen achtjährigen Sohn und eine sechsjährige Tochter.<br />

Sie ist weiss. Sie kommt aus einer privilegierten Familie. Sie war<br />

in der Schule immer Klassenbeste und beim Studium in Harvard<br />

ebenfalls. Es gab ein Spiel, das sie mit ihren jüngeren Geschwistern<br />

spielte, als sie noch ein Kind war: Sie liefen ihr nach und riefen<br />

«Richtig!», wann immer sie etwas sagte. Sandberg also ist<br />

einerseits die Sorte Frau, bei der es überhaupt nicht überrascht,<br />

dass sie es an die Spitze geschafft hat, und andererseits natürlich<br />

genau die, welche die Situation beurteilen darf und soll.<br />

<strong>Das</strong> Buch nun, das in zwei Tagen erscheint – so viel ist schon<br />

klar –, ist kein Manifest gegen ein diskriminierendes System oder<br />

patriarchale Strukturen, sondern ein Aufruf an Frauen, ambitionierter<br />

zu sein im Arbeitsleben. Eine Art Abstract des Inhalts<br />

dürfte ihr berühmter TED-Talk von 2010 sein. Darin gibt Sandberg<br />

drei Ratschläge für Frauen im Arbeitsleben. (Übrigens ist<br />

im Englischen da ja immer die Rede von der «Workforce». <strong>Das</strong><br />

klingt irgendwie martialisch. Humpta, humpta, ich bin eine Soldatin<br />

in der Workforce, tätärätää.) Nummer eins: «Sitze am Tisch.»<br />

Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Fordere ein, was dir zusteht.<br />

Steh zu deinem Erfolg, auch wenn er dich unbeliebt macht<br />

(denn das tut er). Zwei: «Mach deinen Partner zu einem wahren<br />

Partner.» Mütter, macht nicht weiterhin das Doppelte an Hausarbeit<br />

wie der Vater und gar das Dreifache von allem, was mit<br />

dem Kind zu tun hat. Drei: «Geh erst, wenn du gehst.» Frauen<br />

tendieren anscheinend dazu, sich im Job schon auszuklinken,<br />

wenn sie auch nur darüber nachdenken, eventuell mal Mutter zu<br />

werden. Und das ist viel zu früh. Weil all die Beförderungen, die<br />

einem dadurch entgehen, den Job erst genug interessant gemacht<br />

hätten, um danach mit Kind wieder richtig einsteigen zu wollen.<br />

Sprich: «Lean in», so auch der Titel des Buches. Fuss aufs Gaspedal.<br />

Es wäre Sandberg natürlich noch zu wenig reingelehnt, nur<br />

ein Buch zu schreiben, sie will, dass das Ganze eine Bewegung<br />

wird. Darum starten mit dem Buch-Launch auch «Lean In Circles»,<br />

eine Art Selbsthilfegruppen, wo man instruktive Videos von<br />

Sandberg schaut und Erfahrungen teilt. (Sie finden abends statt.<br />

Was natürlich geht, wenn der Partner ein wahrer Partner ist und<br />

man in der Küche am Tisch sitzt und sich reinlehnt.)<br />

<strong>Das</strong> alles ist schön und interessant. Aber ich habe ein paar<br />

kleine Bedenken, das grösste davon hat damit zu tun, dass dieses<br />

Buch all jenen männlichen Chefs Futter geben könnte, die ihre<br />

Entscheidungen, einen Mann zu befördern, damit begründen,<br />

dass die Frauen «einfach zu wenig scharf sind auf Karriere». Und<br />

natürlich auch all den erfolgreichen Frauen, die den weniger erfolgreichen<br />

Frauen vorwerfen, sie hättens halt nicht fest genug<br />

gewollt. Wobei ja die grössten Änderungen vielleicht doch in der<br />

Politik und in den Unternehmen passieren sollten und nicht so<br />

sehr bei den einzelnen Frauen. Aber lesen wir doch erst mal das<br />

Buch. Und weil ich weiss, dass Sie mit dem ganzen Reinlehnen<br />

und dem Doppelten und dem Dreifachen zu Hause nicht dazu<br />

kommen, tu ichs für Sie. Hier und auf dem Blog.<br />

Mehr von Michèle Roten auf blog.dasmagazin.ch<br />

6 DA S M AGA ZIN 10/2013


ÜBERFLÜSSIG / ÜBERDRÜSSIG — EINE SERIE VON FEHLKÄUFEN<br />

ANDREAS GESSLER, 53 — HERAUSGEBER DER «SCHWÄBISCHEN ZEITUNG»<br />

OFFIZIERSJEEP DER SCHWEIZER ARMEE, 6 EURO<br />

Ich kann das Ding nur über den Acker fahren, im ersten Gang –<br />

meine Beine sind zu lang. Bremsen kann ich nicht, bloss kuppeln<br />

und Gas geben. Ich habe den Jeep aus einer Laune heraus gekauft,<br />

auch weil er mich an die Serie «Mash» erinnerte. Ich selbst<br />

brauche ihn nicht, aber für meine Gäste ist es nett, im Sommer<br />

damit herumzuheizen. Die kriegen glänzende Augen. Dafür,<br />

dass ich ihn fast nie genutzt habe, wars teuer – 3000 Euro kosteten<br />

mich die Reparaturen. Dabei wirds hoffentlich bleiben.<br />

8 9


EROS GEHT SHOPPEN<br />

Kaufen ist zu unserer neuen Religion geworden: Hoc est corpus Gucci.<br />

Aber woran glauben wir da eigentlich?<br />

Von PHILIPP BLOM<br />

Ich sitze auf einem Flughafen, den Laptop<br />

auf dem Knie, in einer Bar. Ich gebe viele<br />

Vorträge, sehe mehr Flughäfen, als mir lieb<br />

ist. Meine Anwesenheit hier und meinen<br />

Sessel muss ich mir durch kleine Bestellungen<br />

erkaufen, was kein Problem ist, denn<br />

der Pinot noir ist nicht schlecht, und der<br />

Flug wird lang. Wenn man nicht Business<br />

fliegt, sollte man möglichst bewusstlos sein<br />

oder zumindest genug vorgesorgt haben,<br />

dass einen auch eine Jugendmannschaft,<br />

von welchem Sport auch immer, oder ein<br />

Rudel Zweijähriger nicht aus der Fassung<br />

bringen.<br />

Die Weinbar ist eine kleine amerikanische<br />

Toskana. Alle fünf Minuten kommt<br />

die mollige, lächelnde Kellnerin und fragt,<br />

ob ich noch etwas möchte. Nur wenige Tische<br />

sind besetzt, aber sie hat ihre Anweisungen.<br />

An den Wänden hängen abstrakte<br />

Bilder in Erdtönen, die Stimme von Ella<br />

Fitzgerald kommt aus dem Nirgendwo,<br />

unterbrochen von einer Ansage, in der eine<br />

ungeduldige Stimme fordert, Mr. Sun Gee<br />

Hok möge sich schnellstens am Gate 58 einfinden.<br />

Die Ansage stört. Keines der hier<br />

etablierten Geschäfte gibt gern zu, dass es<br />

in einem Flughafen ist: Überall haben Designer<br />

und Innenarchitekten ihr Bestes<br />

getan, um mich zu überzeugen, dass ich irgendwo<br />

anders bin, in einer schöneren,<br />

heileren, cooleren, reicheren Welt. Meine<br />

Kreditkarte verschafft mir Zugang dazu –<br />

vorübergehend.<br />

Flughäfen verdienen wesentlich mehr<br />

an den Dutyfreeshops, Designergeschäften<br />

und Restaurants als durch Flüge. Viele Menschen<br />

haben Zeit totzuschlagen. Einige<br />

Vielflieger, besonders Männer, kaufen die<br />

meisten ihrer Kleider und persönlichen Artikel<br />

in Air-Malls. Flughäfen sollen «Erlebniswelten»<br />

sein und sind zugleich das perfekte<br />

Bild dessen, wohin unser aller Leben<br />

sich bewegt. Fluglinien haben schon lange<br />

keine Passagiere mehr, sondern Kunden.<br />

Hier bin ich weder Bürger noch Autor; ich<br />

bin Konsument. Ich nehme noch einen<br />

Schluck Pinot. Ein enorm fetter Mann, der<br />

aussieht wie ein blonder Robbie Coltrane,<br />

setzt sich an einen Tisch mir gegenüber, bestellt<br />

einen Rotwein und spielt mit seinem<br />

Handy.<br />

Man kommt hierher, um von A nach<br />

B transportiert zu werden, aber tatsächlich<br />

wird das Fliegen fast zur Nebensache. Es<br />

könnte kaum besser arrangiert sein: Nach<br />

dem Schlangestehen und dem halben Striptease<br />

in der Security, inmitten von Langeweile,<br />

Lärm und Gedränge, habe ich geradezu<br />

das Bedürfnis, mir was Gutes zu tun.<br />

Nach Stunden auf einem Flughafen, könnte<br />

ich an der eigenen Spezies verzweifeln.<br />

Die Leute, die diese Geschäfte entworfen<br />

haben, kennen mich. Sie wissen, was<br />

ich will. Was ich will, was wir alle wollen,<br />

ist Transzendenz.<br />

Kein Entkommen<br />

Kein Mensch lebt ohne Begehren, ohne<br />

Hoffnungen, und seien sie noch so klein.<br />

Aber die meisten dieser Hoffnungen werden<br />

frustriert, plötzlich zunichte gemacht<br />

oder langsam zerrüttet. Es gibt kein Entkommen.<br />

Die Umstände sind gegen uns,<br />

wir werden älter, sind nicht so begabt, wie<br />

wir wollten, bekommen die berühmte<br />

Chance nicht. Wir sind Tiere, die tagträumen.<br />

Wir wollen etwas, wollen mehr, das<br />

macht uns menschlich. <strong>Das</strong> heisst auch:<br />

Wir versagen, verlieren, verzweifeln.<br />

Wir wären längst vom Planeten verschwunden,<br />

wenn dies das Ende der Geschichte<br />

wäre. Wir haben Strategien gefunden,<br />

mit unserem Verlust umzugehen. Wir<br />

erobern uns den Sinn des Lebens neu, den<br />

das Leben selbst unter unseren Füssen wegzieht.<br />

Wir erzählen Geschichten.<br />

Im griechischen Mythos, mit der Bibel,<br />

dem Anfang aller Geschichten, die wir<br />

schriftlich geerbt haben, klingt das so:<br />

Eros, Sohn der Liebesgöttin Aphrodite, ist<br />

Anarchist. Mutwillig schiesst er seine Pfeile,<br />

um unmögliche Situationen zu schaffen,<br />

weckt Begehren da, wo die Götter es nicht<br />

erlauben und verhindern und bestrafen. In<br />

manchen Versionen ist er der Bruder des<br />

Urgottes Chaos. Seine Präsenz findet sich<br />

nicht nur in Skulpturen von nackten, geflügelten<br />

Knaben, sondern in der Form<br />

der griechischen Tragödie: Eine in sich ruhende<br />

Situation wird durch Begehrlichkeiten<br />

aller Art gestört (Krisis), eskaliert in<br />

Gewalt und Schrecken (Katastrophe) und<br />

wird endlich wieder schmerzhaft ins Lot<br />

gebracht (Katharsis).<br />

Klassische Geschichten haben Anfang,<br />

Mitte und Ende. Laster wird bestraft und<br />

Tugend belohnt. Besonders das ist wichtig,<br />

noch heute, in Hollywood. Wenn man<br />

etwas wirklich will, mit ganzem Herzen,<br />

dann verdient man es einfach und wird es<br />

bekommen, auch wenn der Preis hoch ist.<br />

Amor vincit omnia. Geschichten gehören<br />

zu unserer kulturellen DNA, vielleicht sogar<br />

zu unserer biologischen.<br />

Geschichten sind überlebenswichtig<br />

für uns, gerade weil sie unserem Leben<br />

nicht entsprechen. Weil sie Sinn, Struktur<br />

und Regeln dort hineinprojizieren, wo<br />

sie eigentlich nicht bestehen. Dadurch,<br />

durch den Akt des Erzählens, schaffen sie<br />

neue Möglichkeiten, neue Realitäten. Kein<br />

Mensch, der sich verliebt, konsultiert Statistiken<br />

über sexuelle Störungen oder Scheidungsraten;<br />

er/sie würde sofort aufgeben.<br />

Stattdessen erzählt sie/erzählt er sich eine<br />

Geschichte von ewigem Glück: Und wenn<br />

sie nicht gestorben sind… Nur dadurch<br />

haben wir den Mut, uns neuen Risiken auszusetzen,<br />

und nur dadurch wird es möglich,<br />

dass manche Geschichten tatsächlich<br />

gut ausgehen.<br />

Nicht nur Individuen erzählen sich<br />

Geschichten, auch Kulturen, Gesellschaften.<br />

Unsere Geschichte waren Animismus<br />

und Christentum, dann Kommunismus<br />

und Faschismus, die grossen Religionen<br />

des 20. Jahrhunderts. Sie alle gaben dem<br />

Leben und der Zeit eine Richtung, einen<br />

Sinn, ein Ziel, aber die Realitäten, die sie<br />

schufen, waren so wenig mit der Fiktion zu<br />

vereinbaren, dass sie schliesslich unter dem<br />

Gewicht der eigenen Ansprüche auf Transzendenz<br />

zusammenbrachen.<br />

Nach 1945 und dann noch einmal nach<br />

1989 brauchte unsere Sehnsucht nach Transzendenz<br />

ein neues Drehbuch. Diesmal<br />

sollte es keine Metaphysik sein, kein Gott<br />

und kein Paradies der Arier oder der Bauern<br />

und Arbeiter. Diesmal brauchten wir Metaphern,<br />

die unserer eigenen Zeit entsprachen,<br />

die nicht von Augustinus oder Hegel<br />

oder Lenin stammten, sondern aus der<br />

Wissenschaft: Darwin, Freud und Hayek.<br />

Drei Jahrzehnte lang haben wir gemeint,<br />

die Welt unideologisch zu betrachten.<br />

<strong>Das</strong> verdichtete sich in einem triumphalen<br />

Lehrsatz: Der einzig objektive Mechanismus<br />

menschlicher Gesellschaften<br />

ist der Markt. Wenn wir ihn nur machen<br />

lassen, reguliert er sich selbst, schafft Gerechtigkeit,<br />

Frieden und Wohlstand.<br />

An diesem Punkt schlich sich die Transzendenz<br />

wieder in die Geschichte ein. Der<br />

Markt ist längst das beherrschende Narrativ<br />

unserer Gesellschaft geworden. An Gottes<br />

statt wird er zum Handelnden, der über<br />

unsere Leben herrscht. Jede Nachrichtensendung<br />

verbreitet diese frohe Botschaft in<br />

ihrer polytheistischen Version: Die Märkte<br />

sind nervös, voller Erwartung, enttäuscht,<br />

panisch. Dann müssen wir ihnen opfern,<br />

indem wir Geld oder Jobs auf ihrem Altar<br />

verbrennen und uns selbst vorenthalten.<br />

Der Flughafen, auf dem ich sitze, ist<br />

dieser Religion geweiht. Die Konsumwelt<br />

bringt Transzendenz in unsere deprimierend<br />

diesseitigen Leben, in die serielle Enttäuschung<br />

unseres Alltags. Dabei haben die<br />

Aufklärung und zweihundert Jahre säkularer<br />

Ideologien nicht viel ausgerichtet. Tief<br />

unten sind wir noch immer Christen, nur<br />

das Vokabular und die Bilder haben wir ausgetauscht.<br />

Wir beten nicht mehr vor Heiligenstatuen,<br />

aber in der Werbung verehren<br />

wir die Idole unserer neuen Religion. Wenn<br />

wir shoppen, feiern wir Kommunion. Wir<br />

gehören zur grossen Ordnung der Dinge,<br />

haben unseren Platz gefunden. Hoc est<br />

corpus Gucci.<br />

Neue Ideologien sind immer nur dann<br />

erfolgreich, wenn sie das, was vorher da<br />

war, absorbieren und auch plagiieren. <strong>Das</strong><br />

Christentum machte das etwa, indem es<br />

Dionysos zum Christus erhob, inklusive<br />

Jungferngeburt, Wanderdasein, Jüngerschar<br />

und heiligem Wein. Im 20. Jahrhundert<br />

wurde in Russland der Kommunismus<br />

zum neuen Zarentum, in China ersetzten<br />

Parteikader die Mandarine, und die Sohnespflicht<br />

des Konfuzianismus galt der Partei.<br />

Trotzdem noch mal<br />

Auch die Aufklärung von Kant & Co. hat<br />

christliche Strukturen übernommen, indem<br />

sie an die Stelle der Seele die Vernunft<br />

setzte, mit den gleichen Konsequenzen wie<br />

im Christentum, denn in beiden ist der<br />

Körper der Störfaktor, der Vernunft/Seele<br />

daran hindert, sich zu reinigen und aufzusteigen.<br />

Deshalb muss das Begehren bekämpft,<br />

kontrolliert, unterdrückt, bestenfalls<br />

sublimiert werden.<br />

Die Aufklärung ist längst aus der Mode<br />

geraten. Wir bekämpfen das Begehren nicht<br />

mehr, wir benutzen es. Wir kanalisieren es<br />

in Produkte, die uns Persönlichkeit und Status<br />

geben. Natürlich wissen wir, dass das<br />

nicht möglich ist, denn wir sind auch hier<br />

zu oft enttäuscht worden. Die Euphorie<br />

des Kaufs verfliegt, das reale Objekt wird<br />

bald banal und hält nicht, was der Traum<br />

versprach. Aber eine kleine, hartnäckige<br />

Stimme drängt uns dazu, es trotzdem noch<br />

mal zu versuchen.<br />

Dem Versprechen einer ideologiefreien<br />

Transzendenz folgend, sind wir zutiefst<br />

ideologisch geworden. Wir denken<br />

in religiösen Strukturen, ohne es zu sehen.<br />

Als kommunizierende Shopper dürfen wir<br />

wieder glauben.<br />

Die Religion von Bulle und Bär wird<br />

uns in jeder Nachrichtensendung vorgebetet,<br />

die Erfolg und Versagen von Gesellschaften<br />

nach Bruttoinlandsprodukt berechnet<br />

und am Ende die Börsenkurse gibt,<br />

als wäre das nicht völlig redundante Information:<br />

viel zu spät für Anleger, die sie in<br />

Realtime brauchen, irrelevant für Menschen,<br />

deren Lebensgefühl sich nicht danach<br />

richtet, dass der FTSE 76 Punkte gestiegen<br />

ist. Es zementiert die Geschichte,<br />

die wir uns erzählen.<br />

Diese Geschichte des objektiven Marktes<br />

hat eine direkte religiöse Inspiration,<br />

besonders in ihrer US-Version, die sich allmählich<br />

in den Köpfen festsetzt. Es mag<br />

nicht unmittelbar einleuchtend klingen,<br />

aber wir leben alle nach der Theologie von<br />

Johannes Calvin, der 1564 in Genf gestorben<br />

ist.<br />

Gott kann nicht dazu gezwungen werden,<br />

seine Gnade zu verleihen, auch nicht<br />

durch Tugend, predigte Calvin, denn das<br />

würde seine Allmacht einschränken. Er gibt<br />

seine Gnade frei und unabhängig von guten<br />

Taten. Wem er sie verleiht, den segnet er<br />

mit Gütern. Wem er sie nicht verleiht, der<br />

ist verdammt und ausgestossen aus Gottes<br />

Herrlichkeit. Kein Beten und kein Büssen<br />

können das ändern. Nur die Gottgefälligen<br />

leben gut.<br />

Ins scheinbar säkulare Heute übersetzt<br />

heisst das: Wir haben verdient, was wir verdienen.<br />

Wer reich ist, ist auch moralisch<br />

überlegen, und die Armen, die Faulen, die<br />

Schwachen, die Glücklosen dürfen nichts<br />

anderes erwarten. Ihnen zu helfen, wäre<br />

gegen die Natur.<br />

Es ist ein mitleidloses Evangelium, das<br />

unsere Gesellschaften zerrüttet hat. Auch<br />

in reichen Ländern hat es eine wachsende,<br />

chancenlose und bildungsferne Unterklasse<br />

geschaffen, Jobs und Lebenspläne unsicherer<br />

gemacht, während an der Spitze das<br />

grosse Fressen ausgebrochen ist. Wir konsumieren<br />

uns einfach darüber hinweg,<br />

nichts ist wichtiger als unsere Kommunion,<br />

und die droht uns immer mehr entrissen<br />

zu werden, denn wer keinen Job<br />

mehr hat und damit keinen Kredit mehr,<br />

der ist exkommuniziert. Ängstlich kaufen<br />

wir weiter, solange es geht.<br />

Die jüdisch-christliche Tradition kontrolliert<br />

ihre Schäfchen durch Schuld. Auch<br />

die haben wir säkularisiert. Früher schuldete<br />

man dem Herrn, den Eltern und dem<br />

Vaterland – heute haben wir Schulden.<br />

Wir sind Institutionen gegenüber in der<br />

Schuld, das absolviert vom Zwischenmenschlichen.<br />

Warum wir so eifrig an diesem Altar<br />

beten? Weil wir an irgendeinem Altar beten<br />

wollen, weil es unsere Sehnsucht nach Transzendenz<br />

befriedigt. Nichts macht mehr<br />

Angst, als keinen Altar mehr zu haben, und<br />

so haben wir dem christlichen Denken<br />

einen neuen Look verpasst und frischen<br />

ihn jede Saison auf. Accessorize, accessorize,<br />

accessorize.<br />

Mein Flug wird aufgerufen. Ich nehme<br />

einen vorletzten Schluck Pinot und rufe<br />

die pummelige Kellnerin. Sie lächelt mir zu<br />

und kommt sofort. Sie hat einen kleinen<br />

Apparat in der Hand. Ich gebe ihr meine<br />

Kreditkarte. Der letzte Schluck Wein ist<br />

eine kleine Kommunion. •<br />

PHILIPP BLOM ist Historiker und Schriftsteller<br />

und lebt in Wien. Zuletzt erschien von<br />

ihm «Böse Philosophen» im Hanser-Verlag.<br />

redaktion@dasmagazin.ch<br />

10 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

11


WIE VIEL IST GENUG?<br />

Robert und Edward Skidelsky, Vater und Sohn, haben eine Kritik der Unersättlichkeit<br />

geschrieben. Sie plädieren dafür, das Monster wieder an die Kette zu legen.<br />

Gespräch DANIEL BINSWANGER<br />

Illustration JÖRN KASPUHL<br />

Wie viel ist genug? Wann wäre ein Wohlstandsniveau erreicht, das<br />

es der Menschheit erlauben würde zu beschliessen: Jetzt müssen<br />

wir nicht weiterwachsen. Jetzt müssen wir nicht noch reicher<br />

werden. Ab jetzt werden wir die Steigerung unserer Leistungsfähigkeit<br />

nicht mehr dafür verwenden, noch mehr zu produzieren,<br />

sondern dafür, weniger zu arbeiten und das Leben zu geniessen.<br />

Gibt es diesen Punkt überhaupt? Oder wird die Menschheit<br />

zwanghaft immer weiterwachsen wollen, immer noch mehr Güter<br />

anhäufen, immer noch wohlhabender werden? Diesen Fragen<br />

geht Lord Skidelsky, Wirtschaftshistoriker und Mitglied des britischen<br />

Oberhauses, in seinem neuen Buch «Wie viel ist genug?»<br />

nach, das er gemeinsam mit seinem Sohn Edward, einem Philosophen,<br />

geschrieben hat.<br />

Wie immer wandelt Skidelsky dabei auf den Spuren von Keynes,<br />

der bereits Anfang der Dreissigerjahre vorausgesagt hatte,<br />

dass die kontinuierliche Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

zu einer kontinuierlichen Abnahme der Arbeitszeit<br />

führen würde. Keynes befürwortete diese Entwicklung. Eine<br />

Menschheit, die einer sinnvolleren Beschäftigung nachgehen<br />

kann als dem Broterwerb, erschien dem britischen Dandy und<br />

Ästheten als segensreiche Vision.<br />

Allerdings ist Keynes’ Voraussage nur zur Hälfte eingetroffen.<br />

Die Arbeitszeit ist seit den Dreissigerjahren zwar gesunken,<br />

aber weniger, als er vermutete. Die Wohlstandsmehrung bleibt<br />

bis heute wichtiger. Die Skidelskys bedauern das. Sie stellen deshalb<br />

erneut die Frage, wann man reich genug ist für ein anständiges<br />

Leben – und sich «mehr» nicht wünschen sollte.<br />

DAS MAGAZIN — Sie haben ein Plädoyer dafür veröffentlicht,<br />

dass wir nicht nach immer noch grösserem Reichtum streben,<br />

sondern lieber weniger arbeiten sollten. Warum gerade jetzt?<br />

EDWARD SKIDELSKY — Robert gab den Anstoss. Wir haben<br />

uns schon länger mit dem Thema befasst und festgestellt, dass<br />

unsere Ideen übereinstimmen. Ich habe mich mit Fragen des<br />

guten Lebens und der guten Wirtschaftsführung befasst, weil ich<br />

mich mit Aristoteles’ Ethik und mit seiner ökonomischen Theorie<br />

auseinandergesetzt habe. Robert entwickelte seine Ideen –<br />

wie meistens – ausgehend von seiner Keynes­Lektüre. Der konkrete<br />

Anstoss war aber sicher die Finanzkrise. Wir hatten den Eindruck,<br />

dass es wieder ein Bedürfnis gibt zu diskutieren, wie eine<br />

sinnvolle Wirtschaftsordnung eigentlich aussehen sollte.<br />

ROBERT SKIDELSKY — Ich bin schon lange von dem Keynes­<br />

Aufsatz «Ökonomischer Wohlstand für unsere Enkel» fasziniert,<br />

in dem er voraussagt, dass die Arbeitszeit massiv kürzer werden<br />

wird und dass die Menschen immer dringender die Frage stellen<br />

müssen, was sie sonst noch machen wollen in ihrem Leben, als<br />

arbeiten. Aber ich habe mich früher nie ernsthaft mit dem Problem<br />

befasst, weshalb die ökonomischen Entwicklungschancen,<br />

die Keynes in dem Essay skizziert, nicht verwirklicht wurden.<br />

Heute scheint es mir aktueller denn je.<br />

DAS MAGAZIN — Sie haben eine gemeinsame Ausgangshypothese:<br />

Sowohl Keynes als auch Aristoteles verstanden die Ökonomie<br />

als moralische Wissenschaft. Ökonomie muss demnach<br />

auf einem Begriff vom guten Leben beruhen, sonst läuft sie ins<br />

Leere. Die heutige Ökonomie aber ignoriert diesen Aspekt.<br />

RS — Die heutigen Ökonomen betrachten ihre Disziplin als eine<br />

rein technische Angelegenheit. Noch vor wenigen Jahrzehnten<br />

war das anders. Keynes, und noch stärker die Generation seiner<br />

Lehrer, hatte einen intensiven Bezug zur Moralwissenschaft.<br />

Ökonomie war kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum guten<br />

Zweck. Deshalb stellte sich immer die Frage: Was ist der gute<br />

Zweck? Welche Wirtschaftsordnung dient dem guten Leben?<br />

Erst als dieser Horizont verloren ging, wurde die Wirtschaftswissenschaft<br />

zu einer «wertfreien» Wissenschaft, wie sich der Nutzen<br />

knapper Güter maximieren lässt.<br />

DAS MAGAZIN — Was ist falsch daran, knappe Güter mit maximalem<br />

Nutzen verwenden zu wollen?<br />

RS — Gar nichts. Natürlich, der Gebrauch knapper Ressourcen<br />

muss möglichst effizient organisiert werden. <strong>Das</strong> Problem liegt<br />

lediglich darin, dass dieser Aspekt zum einzigen Forschungsinteresse<br />

der Ökonomie geworden ist. <strong>Das</strong> wurde bereits manifest<br />

bei Lionel Robbins, einem Ökonomen der Zwischenkriegszeit.<br />

Er definierte Ökonomie als die Wissenschaft der Maximierung.<br />

<strong>Das</strong> führte dazu, dass der Endzweck dieser Nutzenmaximierung<br />

heute gar kein Thema mehr ist. Die Steigerung an sich ist das Ziel.<br />

DAS MAGAZIN — Sie schliessen sich Keynes an, der forderte,<br />

dass die Menschheit ihre immer bessere Nutzenmaximierung, also<br />

die stetig steigende Produktivität, weniger dafür aufwenden sollte,<br />

immer noch mehr zu produzieren und noch reicher zu werden,<br />

lieber dafür, immer mehr Freizeit zu haben. Freizeit sei ein besserer<br />

Endzweck als Reichtum. Unterschätzen Sie nicht die Tatsache,<br />

dass Wohlstandswünsche nie gänzlich befriedigt werden können?<br />

<strong>Das</strong>s die Menschen immer noch reicher werden wollen?<br />

RS — Es ist interessant, die heutige Ökonomie mit dem Denken<br />

von Aristoteles, der antiken, oder auch der mittelalterlichen Philosophie,<br />

zu konfrontieren. Keynes dachte, dass die Menschen<br />

bei steigender Prosperität ganz von selber das Gefühl bekämen,<br />

ihre Bedürfnisse seien abgedeckt, und dass ihnen dann eine Steigerung<br />

ihres Wohlstandsniveaus nicht mehr vorrangig erscheint.<br />

Die antiken Philosophen waren weitsichtiger. Sie wussten, dass<br />

es keine natürlichen Grenzen gibt für das menschliche Begehren.<br />

Sie wussten, dass dieses Begehren kontrolliert werden muss<br />

durch Moralgrundsätze, durch einen ethischen Begriff vom<br />

guten Leben. Deshalb hat Keynes sich das Problem einer Zügelung<br />

des Prosperitätsbedürfnisses gar nicht ge stellt. Er dachte,<br />

es würde sich von selber legen, sobald die Produktivität so weit<br />

ist, dass für alle mehr als genug produziert werden kann.<br />

DAS MAGAZIN — Dieser Punkt ist in den Industrieländern längst<br />

erreicht. Trotzdem ist das Bedürfnis nach weiterer Wohlstandssteigerung<br />

nicht gestillt.<br />

RS — Richtig. Wenn Keynes an ein Leben im Wohlstand dachte,<br />

dann machte er sich davon eine Vorstellung, die dem Lebensniveau<br />

der Upperclass seiner Zeit entsprach. Keynes selbst war<br />

für damalige Verhältnisse reich, aber gemessen an heutigen Standards,<br />

lebte er immer noch relativ bescheiden. Er jettete nicht in<br />

der Welt herum und besass keine Jacht. Es gab zwar schon damals<br />

eine Konsumkultur, aber sie war viel weniger entwickelt als heute.<br />

Auch das ist ein Grund, weshalb Keynes glaubte, es müsste möglich<br />

sein, alle Menschen auf ein Level zu bringen, auf dem sie zufrieden<br />

sind und auf dem sie zusätzlichen Wohlstandsgewinn in<br />

Form von Freizeit geniessen wollen.<br />

DAS MAGAZIN — Die Entwicklung verlief aber anders. Bis in<br />

die Siebzigerjahre sank die durchschnittliche Arbeitszeit kontinuierlich<br />

in den Industrieländern, so wie von Keynes vorausgesagt.<br />

Seit den Achtzigerjahren steigt sie jedoch wieder an.<br />

RS — Die Siebzigerjahre waren die Wasserscheide. Plötzlich<br />

wurde offensichtlich, dass der damalige Management­Kapitalismus<br />

– oder wie man in Europa sagen würde, das sozialdemokratische<br />

Modell – nicht länger funktionieren würde und durch<br />

einen Kapitalismus der Innovation ersetzt werden musste. Auf<br />

der einen Seite sanken die Profite, auf der anderen Seite wurden<br />

die Gewerkschaften zu mächtig. Dagegen gab es einen Backlash:<br />

Die Gewerkschaften wurden entmachtet, die Kapitalrenditen<br />

stiegen wieder, und die Investoren erlangten wieder mehr Macht<br />

über den Arbeitsmarkt, wodurch sie die Arbeitsbedingungen und<br />

die Arbeitszeiten erneut diktieren konnten.<br />

DAS MAGAZIN — Die Arbeitszeiten verlängerten sich also wieder,<br />

weil die Produktivitätsgewinne vermehrt an die Kapitalgeber<br />

weitergegeben wurden und nicht an die Lohnempfänger. Würden<br />

Sie dafür plädieren, dass man das wieder umdreht, also die<br />

Löhne erhöht, damit es sich die Arbeitnehmer auch tatsächlich<br />

leisten können, weniger zu arbeiten, so wie das in den «goldenen<br />

Jahren» des Kapitalismus der Fall war?<br />

RS — Wir leben nicht mehr in den Sechzigerjahren. Wir können<br />

nicht dahin zurück. Heute wird die Produktion von Wissen, von<br />

symbolischen, immateriellen Gütern immer wichtiger, die Produktion<br />

von Waren wird an Schwellenländer ausgelagert. Um Wissen<br />

zu produzieren, braucht es nicht so viele Menschen, wie um<br />

Dinge zu produzieren.<br />

DAS MAGAZIN — Wie sollen dann die Arbeitsstunden sinken?<br />

RS — <strong>Das</strong> ist eine Frage der Verteilung von Arbeit und Freizeit.<br />

Wir bewegen uns ohnehin – ob wir das wollen oder nicht – auf<br />

eine Gesellschaft zu, in der immer mehr Arbeitskräfte nicht länger<br />

benötigt werden.<br />

DAS MAGAZIN — Aber die Löhne müssten steigen, damit die<br />

Arbeitszeit verkürzt werden kann?<br />

ES — Sicher. Ungleichheit ist ein entscheidendes Problem. Je ungleicher<br />

die Einkommensverteilung in einer Gesellschaft, desto<br />

mehr wird gearbeitet. Bei starkem Einkommensgefälle müssen die<br />

Unter­ und die Mittelschicht viel arbeiten, um von ihrem Gehalt<br />

leben zu können und um sich bestmöglich gegen Abstiegsrisiken<br />

zu schützen. Deshalb ist eine sinnvolle Einkommensverteilung<br />

ein zentrales Element in einer Ökonomie des «guten Lebens».<br />

RS — <strong>Das</strong> Problem ist allerdings, dass aufgrund der Veränderungen<br />

des Produktionsprozesses ein beträchtlicher Teil der Mensch­<br />

12 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

13


heit ohnehin überflüssig, beziehungsweise im Produktionsprozess<br />

nicht mehr von Nutzen sein wird. Wir sind konfrontiert mit<br />

einem kontinuierlichen Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit.<br />

Auch das hat Keynes schon in den Dreissigern vorausgesehen.<br />

Er nannte es die «technologische Arbeitslosigkeit». Diese<br />

hat sich in den letzten zwanzig Jahren mächtig beschleunigt. Eine<br />

gewisse Zeit lang haben die Leute ihre Jobs trotzdem behalten.<br />

Auch wenn man sie eigentlich nicht mehr brauchte, gab es etwa<br />

im Industriesektor starke Überbelegungen. Dann er zwang die<br />

Globalisierung die Restrukturierungen der Arbeitsmärkte, und<br />

seither sind die Industrieländer nie mehr zurückgekommen auf<br />

die Beschäftigungsniveaus der Fünfziger­ und Sechzigerjahre.<br />

DAS MAGAZIN — Als Keynesianer könnten Sie auch sagen: <strong>Das</strong><br />

ist primär ein Problem des Nachfragemangels. Wenn wir es<br />

schafften, das Lohnniveau höher zu halten und mehr Nachfrage<br />

zu kreieren, dann könnten auch mehr Jobs geschaffen werden.<br />

ES — Arbeitslosigkeit müsste gar nicht zum Problem werden,<br />

wenn die heutige Gesellschaft mit der zwangsläufig knapper<br />

werdenden Beschäftigung richtig umgehen würde. Es könnte<br />

auch eine Hoffnung sein: Wir lösen all die ökonomischen<br />

Grundprobleme und verschaffen gleichzeitig den Menschen<br />

mehr Freizeit.<br />

RS — Es geht primär darum,<br />

die verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten<br />

richtig zu verteilen.<br />

Beispielsweise zwischen den<br />

Ge nerationen. Ältere Menschen<br />

können Freiwilligenarbeit<br />

leisten, sie müssen nicht<br />

bis zuletzt im Arbeitsprozess<br />

bleiben. Natürlich ist die heutige<br />

schwache Nachfrage ein<br />

Problem. Sie treibt die Arbeitslosigkeit<br />

zusätzlich nach oben.<br />

Aber auch Keynes schrieb seinen<br />

Aufsatz in den Dreissigerjahren,<br />

mitten in der Weltwirtschaftskrise.<br />

Seine Analyse lautete:<br />

Auch über diese Krise hin aus wird das Gesamtarbeitsvolumen<br />

unweigerlich abnehmen. Deshalb müssen wir diese Entwicklung<br />

als Chance erkennen.<br />

DAS MAGAZIN — <strong>Das</strong> heisst also, Freizeit, Musse sollen wieder<br />

zu einem fundamentalen Wert werden.<br />

RS — Die Produktivitätsfortschritte können gewährleisten, dass<br />

alle ein ausreichendes Wohlstandsniveau haben – unabhängig<br />

davon, ob sie arbeiten oder nicht. <strong>Das</strong> ist ein reines Verteilungsproblem.<br />

Es stellt sich aber noch eine andere Frage: Was machen<br />

die Leute mit der Freizeit, die ihnen zur Verfügung steht? Es gibt<br />

die pessimistische Antwort: Sie werden vor allem sinnlos Alkohol<br />

trinken und Trash­TV schauen. Es gibt aber auch eine optimistische<br />

Antwort darauf: Mehr Freizeit müsste den Menschen<br />

ein erfüllteres Leben ermöglichen.<br />

DAS MAGAZIN — Was verstehen Sie darunter?<br />

ES — Ein erfülltes Leben ist möglich, wenn die Befriedigung von<br />

sieben menschlichen Grundbedürfnissen gegeben ist: Gesundheit,<br />

Sicherheit, Respekt, Einklang mit der Natur, Freundschaft,<br />

persönliche Entfaltung und Musse.<br />

DAS MAGAZIN — Wir leben in Gesellschaften, in denen sich die<br />

Menschen über ihre Berufe definieren. Selbst wenn wir an die<br />

Fähigkeit zu sinnvoller Musse glauben, wäre es dennoch eine dramatische<br />

gesellschaftliche Veränderung, wenn man sich plötzlich<br />

über das, was man in der Freizeit tut, sozial definieren müsste.<br />

ES — Die Leute würden in unserer Zukunftsvision ja immer noch<br />

arbeiten, nur eben deutlich weniger. Ich glaube nicht, dass gesellschaftliche<br />

Anerkennung zwingend davon abhängig sein muss,<br />

dass man einen Achtstundentag vorzuweisen hat.<br />

RS — Oder sechzig Stunden pro Woche. Es wäre ohnehin eine<br />

graduelle Veränderung. Man könnte immer noch Arzt oder Anwalt<br />

sein, aber man würde einfach nur noch halb so viel arbeiten<br />

– und nebenbei noch etwas anderes betreiben, was nicht vom<br />

Beruf bestimmt wäre. Schon heute gibt es ja eine grosse Amateurkultur<br />

– Amateurmaler, Amateurschauspieler, Amateursportler.<br />

All das findet schon heute am Rande des Berufslebens statt.<br />

Es wäre nicht so, dass die Menschen ganz plötzlich ihre professionell<br />

bestimmte Identität verlören.<br />

ES — Zudem ist die Vorstellung, dass die Arbeit der Sinn des<br />

Lebens sei, historisch betrachtet, sehr jung. Sie zählt zu den<br />

Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft. Während des<br />

grössten Teils der europäischen Geschichte galt sie nicht.<br />

DAS MAGAZIN — Sie sagen, diese Vorstellung kam mit der protestantischen<br />

Revolution im 16. Jahrhundert auf.<br />

ES — Die traditionellen europäischen<br />

Eliten, also die Aristokratie,<br />

haben sich bis ins<br />

20. Jahrhundert hinein nicht<br />

über Ar beit definiert. Ganz zu<br />

schweigen von der antiken<br />

Ideenwelt, in der Arbeit im<br />

Sinne der Er werbsarbeit eigentlich<br />

immer den Sklaven vorbehalten<br />

war. Es wäre denkbar,<br />

dass die alles bestimmende<br />

Funktion des Berufslebens in<br />

der bürgerlichen Gesellschaft<br />

nur eine historische Parenthese<br />

ist – und der Beruf wieder an<br />

Wichtigkeit verliert.<br />

DAS MAGAZIN — An Ihrem<br />

Buch überrascht, dass Sie grosse Hoffnungen auf den Katholizismus<br />

setzen. Sie vertreten die These, dass die katholische Theologie<br />

die hauptsächliche geistige Macht sei, die heute auf der aristotelischen<br />

Tugend des Masshaltens insistiert. Wo bleibt da die<br />

historische Bedeutung des Christentums – ganz besonders des<br />

Protestantismus, der laut Max Weber den unendlichen, unersättlichen<br />

Reichtumswünschen erst ihre moderne Legitimität verschafft<br />

hat?<br />

ES — Der Gedanke, dass die Liebe zum Geld nie gesättigt werden<br />

kann, geht in vorchristliche Zeit zurück. Er war schon den<br />

alten Griechen geläufig. <strong>Das</strong> Christentum, insbesondere der Protestantismus<br />

hat dieser Unersättlichkeit aber eine Art von Legitimität<br />

verschafft, die sie vorher nie hatte. In diesem Sinn hat das<br />

Christentum tatsächlich dazu beigetragen, die Gier respektabel<br />

zu machen. Aber das ist nicht ihre Quelle. Unersättliches Begehren<br />

ist etwas sehr Archaisches. Sobald ein Wirtschaftssystem auf<br />

Geldwirtschaft beruht, entwickelt sich auch eine nicht zu stillende<br />

Gier nach Geld. Im Protestantismus wird dann zwar die Akkumulation<br />

von Reichtum zu einer ethischen Pflicht, jedoch nicht<br />

der Konsum von Reichtum. <strong>Das</strong> ist ein fundamentaler Unterschied.<br />

Der Protestantismus hasst die Verschwendung, den exzessiven<br />

Konsum und in diesem Zusammenhang auch die Gier.<br />

RS — Heute erscheint das Christentum als eine der wenigen<br />

Kräfte des Widerstands gegen rein utilitaristischen Hedonismus.<br />

DAS MAGAZIN — Aber das Ideal der unendlichen Akkumulation<br />

ist doch auch eine wichtige Quelle des modernen Berufsethos,<br />

für den moralischen Imperativ zu arbeiten.<br />

ES — <strong>Das</strong> glaube ich nicht. In vielen Berufen sucht man die Anerkennung<br />

seiner Kreise und nicht unendlichen Reichtum. In<br />

akademischen Berufen etwa geht es nicht um Akkumulation.<br />

DAS MAGAZIN — Akademiker arbeiten nicht wegen des Geldes.<br />

Sie beide sind Akademiker, und ich bin mir sicher, dass Sie mindestens<br />

sechzig Stunden pro Woche arbeiten und sehr unglücklich<br />

wären, nur noch dreissig Stunden zu arbeiten.<br />

ES — Wahrscheinlich. Aber dem Wissenschaftler geht es um ein<br />

Erkenntnisideal, und auch wenn dieses auf potenziell unendliche<br />

Akkumulation von Wissen ausgerichtet ist, unterscheidet es<br />

sich vom Streben nach unendlichem Reichtum. Erkenntnis beruht<br />

nicht auf Konkurrenz. Ein Forscher erweitert das allgemeine<br />

Wissen. Er nimmt niemandem etwas weg. Wissen ist ein öffentliches<br />

Gut. <strong>Das</strong> ist ein Unterschied.<br />

DAS MAGAZIN — Sie kritisieren den heutigen Zwang zur unbegrenzten<br />

Güterakkumulation. Sie plädieren für ein Ethos der sinnvollen<br />

Zwecksetzungen, der geordneten<br />

Formen, der Überschaubarkeit.<br />

Ist das nicht<br />

schrecklich antimodern? Lassen<br />

sich solche Forderungen überhaupt<br />

verwirklichen?<br />

ES — Ja, in einem gewissen Sinn<br />

ist unsere Forderung nach<br />

Ethik antimodern. Wir setzen<br />

eine aristotelische Metaphysik<br />

der sinnvollen Zwecke voraus,<br />

an die die meisten Menschen<br />

heute nicht mehr glauben. Ich<br />

versuche, in dem Buch den<br />

Standpunkt darzulegen, dass<br />

eine solche Metaphysik auch<br />

heute noch plausibler ist, als<br />

viele Menschen denken. Sie ist meiner Überzeugung nach auch<br />

mit der modernen Wissenschaft vereinbar.<br />

RS — Ohne Bezug auf letztlich metaphysische Grundsätze kann<br />

man die Frage gar nicht diskutieren, wohin die Menschheit<br />

unterwegs ist. Die heutige Wirtschaftsentwicklung funktioniert<br />

ein bisschen wie die Schuhleidenschaft von Imelda Marcos.<br />

Man kauft zehn Paar Schuhe, dann kauft man wieder einige<br />

Hundert Paar, schliesslich endet man mit Tausenden von Schuhpaaren,<br />

aber niemand weiss, wozu das noch gut sein soll. <strong>Das</strong><br />

macht die Menschheit nicht glücklicher. Die menschliche Spezies<br />

dürfte die Erde noch Tausende, vielleicht noch Millionen<br />

von Jahren bevölkern. Es sieht nicht danach aus, als ob wir mit<br />

der Expansion des Konsums einfach immer weitermachen<br />

könnten. Wenn Sie ein Pessimist sind, dann sagen Sie: Okay, die<br />

menschliche Spezies wird recht bald zu existieren aufhören, weil<br />

sie sich auf einem selbstzerstörerischen Entwicklungspfad befindet.<br />

Danach kommt dann vielleicht die nächste Spezies. So pessimistisch<br />

möchten wir nicht sein. Dann aber stellt sich die<br />

Frage: Welche sinnvollen Ziele gibt es, die über die Steigerung<br />

der Prosperität hinausgehen?<br />

DAS MAGAZIN — Sie fordern eine neue Wertedebatte. Und Sie<br />

werfen der heutigen Politik vor, dass niemand mehr es wagt,<br />

Werte zu verteidigen, weil Werte schliesslich eine Privatangelegenheit<br />

sein sollen und nur noch der Markt der Meinungen entscheidet,<br />

welche Werte öffentliche Gültigkeit haben.<br />

RS — <strong>Das</strong> ist ein Problem. Die liberale politische Philosophie hat<br />

sich gewissermassen selber aufgegeben: Sie begnügt sich damit,<br />

die individuelle Vorliebe zur Basis ihres Wertepluralismus zu<br />

machen – und versucht krampfhaft die Frage zu vermeiden, welches<br />

die richtigen Präferenzen wären.<br />

DAS MAGAZIN — Sie wünschen sich, dass sich die Gesellschaft<br />

wieder einen verbindlichen, öffentlichen Begriff von Tugenden<br />

und Werten macht.<br />

RS — Ich bin kein Feind von der Vorstellung eines Marktplatzes,<br />

auf dem die verschiedensten Ideen und individuellen Lebensentwürfe<br />

Platz haben. Es ist grundsätzlich richtig, es den Bürgern<br />

selber zu überlassen, wie sie leben wollen. Oder besser: Es<br />

wäre schön, wenn ein solcher Markt existieren würde – aber er<br />

existiert nicht. Der heutige Marktplatz der individuellen Wertvorstellungen<br />

ist vollkommen verzerrt zugunsten bestimmter<br />

Präferenzen. Es sind die Präferenzen der Konsumgesellschaft.<br />

Werbung etwa beeinflusst diese massgeblich. <strong>Das</strong> ganze Wirtschaftssystem<br />

ist darauf ausgerichtet, den Konsum immer weiter<br />

anzuheizen. Hier liegt das<br />

Problem: Wir haben eben ge ­<br />

rade keinen echten Markt voller<br />

unterschiedlicher Lebensentwürfe.<br />

Sonst würden die<br />

Menschen unbefriedigt darauf<br />

re agieren, was ihnen die Konsumgesellschaft<br />

bietet.<br />

ES — Auch der Philosoph Michael<br />

Sandel thematisiert dieses<br />

Problem in seinem Buch<br />

«Was man für Geld nicht kaufen<br />

kann». Nach Sandel ist es<br />

eine Illusion zu glauben, dass<br />

der Markt ein Mechanismus<br />

ist, der sich darauf beschränkt,<br />

knappe Güter zu verteilen. Sobald<br />

ein Gut auf dem Markt gehandelt wird, verändert es seinen<br />

Charakter. Es gibt ja eine ganze Reihe von Gütern wie<br />

etwa Liebe, die nicht vermarktet werden können, ohne dass sie<br />

pervertiert werden. <strong>Das</strong>s heisst, der Markt als solcher ist eine<br />

ethische Wahl, die den Menschen gerade nicht die Möglichkeit<br />

gibt zu wählen, was immer sie wollen.<br />

DAS MAGAZIN — Sie wollen also, dass nicht so getan wird, als<br />

stünde die Gesellschaft allen Lebensentwürfen und Werten neutral<br />

gegenüber. Stattdessen plädieren Sie für einen toleranten<br />

Paternalismus, das heisst für eine öffentliche Debatte über Wertvorstellungen,<br />

die eine Gesellschaft gutheissen sollte. Dabei berufen<br />

Sie sich auf den katholischen Glauben. <strong>Das</strong> überrascht mich.<br />

ES — Wir berufen uns nicht nur auf den Katholizismus. In vielen<br />

europäischen Ländern gibt es ja auch eine starke Tradition<br />

eines bürgerlichen Tugendbegriffs, etwa in der Tradition der<br />

Aufklärung. Auch der gibt einen starken Begriff der öffentlichen<br />

Tugend vor.<br />

RS — <strong>Das</strong> Grundproblem ist, wie man auf der Basis einer modernen,<br />

säkularen Philosophie einen öffentlichen Begriff von Tugend<br />

entwickeln kann. Die einzige nichtreligiöse Weltanschauung, die<br />

eine klare Ethik entwickelt hat, war der Sozialismus. Sozialismus<br />

ist im Grunde eine säkularisierte Form des Christentums.<br />

14 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

15


16 17<br />

DAS MAGAZIN — Der Sozialismus hat jedenfalls einen starken<br />

Begriff vom guten Leben.<br />

RS — Ja, einen starken Begriff vom guten Leben – und auch einen<br />

starken Begriff davon, wie dieses gute Leben verwirklicht werden<br />

soll. Aber das ist alles obsolet, weil niemand mehr bereit ist,<br />

das sozialistische Experiment noch einmal durchzuziehen. Sollen<br />

wir sagen: Vergessen wir die Sowjetunion? Vergessen wir Osteuropa?<br />

Vielleicht gab es Aspekte des Sozialismus, die nicht fundamental<br />

falsch waren und deren Scheitern nicht notwendig<br />

gewesen wäre. Aber das ist heute ziemlich irrelevant.<br />

ES — Wir würden unsere Position als liberal bezeichnen. Allerdings<br />

versuchen wir, die heutigen Liberalen daran zu erinnern,<br />

dass der Liberalismus sehr viel älter und vielschichtiger ist als das,<br />

wozu er im modernen Denken geworden ist. Liberalismus sagt<br />

lediglich, dass man Konkurrenten mit Respekt behandeln soll,<br />

nicht dass man es als ihre Privatangelegenheit betrachtet, was sie<br />

für Werte haben.<br />

DAS MAGAZIN — Die Ungleichheit bleibt ein wichtiges Thema.<br />

Ohne ausgewogene Verteilung des steigenden Wohlstands, schreiben<br />

Sie, kann die Reduktion der Arbeitszeit nicht gelingen.<br />

RS — <strong>Das</strong> richtige Mass an Umverteilung ist zentral. Eine progressive<br />

Konsumsteuer könnte einen Beitrag leisten, um dieses Ziel<br />

zu realisieren, sowie ganz generell der Abbau der Konsumkultur.<br />

<strong>Das</strong> Steuersystem muss so gestaltet sein, dass es die Ungleichheit<br />

und den exzessiven Konsum gleichzeitig kleiner macht. Auch<br />

hohe Steuern auf Werbung, auch auf Werbung in den neuen<br />

Medien, könnten ein wichtiger Anstoss sein. Ich bin überzeugt,<br />

dass alle diese Massnahmen auf die Agenda der nächsten Jahre<br />

kommen werden.<br />

Die britischen Aristokraten Robert und Edward Skidelsky<br />

DAS MAGAZIN — Sie schlagen in Ihrem Buch Elemente einer<br />

Theorie des guten Lebens vor, aber Sie sind sehr kritisch gegenüber<br />

der heute florierenden Glücksökonomie, also den ökonomischen<br />

Theorien, die sich mit der Optimierung des Glücklichseins<br />

befassen. Sie halten diese Disziplin für nutzlos.<br />

ES — Wir haben zwei fundamentale Kritikpunkte. Erstens stellt<br />

sich die Frage, inwieweit sich Glück messen lässt. Da sind wir sehr<br />

skeptisch. Der zweite Punkt ist: Selbst wenn sich Glück irgendwie<br />

objektivieren und messen lässt, macht es keinen Sinn, Glück<br />

als knappes Gut zu behandeln und maximieren zu wollen. Wir<br />

denken, dass ein sinnvoller Glücksbegriff nicht auf dem subjektiven<br />

Glücksgefühl basieren kann, sondern dass der einzig legitime<br />

Grund dafür, sich als glücklich zu bezeichnen, darin liegt,<br />

dass man einen realen Grund hat, glücklich zu sein. Glück setzt<br />

voraus, dass es eine objektive Vorstellung davon gibt, was ein<br />

gutes Leben meint.<br />

DAS MAGAZIN — <strong>Das</strong> bringt Sie zum Schluss, dass ein glückliches<br />

Leben nicht notwendigerweise ein Leben sein muss, in dem<br />

man sich auch glücklich fühlt?<br />

ES — Wir sind überzeugt, dass das gute Leben viel mehr davon<br />

bestimmt wird, was man erreichen kann, als davon, dass man sich<br />

gut fühlt. Ein gutes Leben ist ein Leben, in dem man sinnvolle<br />

Dinge verwirklichen kann, auch wenn das vielleicht sehr schwierig<br />

und entbehrungsreich ist.<br />

RS — Ein gutes Leben heisst nicht unbedingt, dass man sich stets<br />

glücklich fühlt. Die ganze Glücksökonomie ist eine moderne Version<br />

des Utilitarismus von Bentham: Es geht nur um hedonistische<br />

Nutzenmaximierung. Es ist kein Zufall, dass gerade heute<br />

die Glücksforschung in der Ökonomie so populär ist. Andere utilitaristische<br />

Maximierungskriterien wie das Produktivitäts­ oder<br />

das Wirtschaftswachstum wurden durch die Krise geschwächt,<br />

aber weil man vom Grundmodell der Nutzenmaximierung nicht<br />

lassen will, versucht man, das Glücksgefühl insgesamt zu steigern.<br />

Ich bin überzeugt, dass die Grundhypothese des Utilitarismus<br />

falsch ist. <strong>Das</strong> Leben findet seinen Sinn nicht darin, sich selbst<br />

permanent zu steigern – ganz egal ob den wirtschaftlichen Reichtum,<br />

das Glücksgefühl oder sonstwas. Deshalb ist möglichst grosses<br />

Glücksempfinden auch kein sinnvolles Lebensziel.<br />

ES — Es gibt hier eine seltsame Trennung zwischen den Disziplinen.<br />

Die meisten Philosophen sind der Überzeugung, dass der<br />

hedonistische Utilitarismus haltlos ist. In der Philosophie wird<br />

Glücksökonomie gar nicht diskutiert. Sie wird als unsinnig<br />

betrachtet. In der Ökonomie hingegen ist sie sehr populär.<br />

DAS MAGAZIN — Sie vertreten eigentlich einen ganz klassischen<br />

Begriff vom guten Leben: Es soll ein tugendhaftes sein. Würden<br />

Sie sich als religiös bezeichnen?<br />

ES — Ich bin gläubiger, anglikanischer Christ. Aber wir argumentieren<br />

nicht auf der Basis theologischer Voraussetzungen. Wir<br />

gründen unser Argument nicht auf Glaubensinhalte.<br />

RS — Die europäische Ideengeschichte nährt sich stark aus religiösen<br />

Quellen. Es wäre absurd, so zu tun, als ob wir sie aus unserer<br />

Weltsicht tilgen könnten. Für mich ist Religion vor allem deshalb<br />

wichtig, weil sie ein zwingendes Motiv dafür liefert, sich<br />

ethisch zu verhalten. Religion ist vor allem eine motivierende<br />

Kraft. Nur aufgrund rein philosophischer Überzeugungen hat<br />

man nicht unbedingt ein Motiv, auch in Übereinstimmung mit<br />

seinen Überzeugungen zu handeln. Religionen sind da fordernder.<br />

<strong>Das</strong> macht ihr Erbe auch heute unverzichtbar. •<br />

Robert & Edward Skidelsky, «Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn<br />

zu einer Ökonomie des guten Lebens», Verlag Antje Kunstmann<br />

DANIEL BINSWANGER ist «<strong>Magazin</strong>»-Redaktor.<br />

daniel.binswanger@dasmagazin.ch<br />

Der Illustrator JÖRN KASPUHL lebt in Hamburg.<br />

www.kaspuhl.com<br />

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DANIELA KARAGI, 42 — MODEUNTERNEHMERIN<br />

FUCHSPELZ VON ANNA SUI, FRANKEN<br />

BEAT SCHLAGENHAUF, 60 — FINANZBERATER<br />

MANSCHETTENKNÖPFE VON CARTIER, FRANKEN<br />

Ich hasse Pelz. Aber in der Saison war Pelz gross in Mode. Es<br />

hatte eine totale Eigendynamik: Ich sah ihn, dann war die Kreditkarte<br />

schon durch und das Teil wie von selbst im Sack. Schon<br />

beim Auspacken bereute ich es. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen,<br />

dass ich ihn ein einziges Mal trug. Ich bin seit 25 Jahren<br />

Vegetarierin. Verrückt, plötzlich beeinflussen einen Trends so<br />

stark, dass man all seine Prinzipien über Bord wirft. Dabei habe<br />

ich als Modefrau Distanz. Jetzt vergammelt er am Bügel.<br />

Ich sass nach Weihnachten frustriert in meiner Engadiner Wohnung,<br />

frustriert darüber, dass der Bundesrat für unseren Finanzplatz<br />

nicht kämpft. Dann rief mich noch ein verärgerter Kunde<br />

an – und meine Katze starb. Im Cartier Store in St. Moritz sah<br />

ich dann diese Manschettenknöpfe, eine «limited special edition»,<br />

die wollte ich. Zu Hause dachte ich: Scheisse. Ich war<br />

hässig über mich. Meinen Frust muss ich besser in den Griff<br />

kriegen. Ich hatte ja nicht mal Hemden mit Manschetten da.<br />

18 19


CHRISTIAN BOROS, 47 — UNTERNEHMER UND KUNSTSAMMLER<br />

ZU HÖCHSTPREISEN GEHANDELTES ÓLAFUR-ELIASSON-KUNSTWERK<br />

CARMEN GREUTMANN, 57 — DESIGNERIN<br />

VELO VON TRANSA, FRANKEN<br />

Ich kaufte eine acht Meter hohe Eliasson-Skulptur, «Crystal<br />

Growth 4», die gleich danach ins Lager kam. Trotzdem ist es<br />

kein überflüssiger Kauf: Ich will Kunst «verinnerlichen». Dafür<br />

muss ich sie besitzen. Dieses Eliasson-Werk hier, das in meiner<br />

Wohnung steht, erinnert mich an all die anderen Arbeiten von<br />

ihm, die ich habe, aber nicht sehen kann. Wenn ich ein Werk<br />

nicht stellen kann, spielt das keine Rolle. Ich habe meine Kunst<br />

immer bei mir, auch wenn sie nicht sichtbar ist.<br />

Ich kaufte es nach dem Studium an der Kunsti in den Neunzigern,<br />

als Velokuriere die Helden des Alltags waren, Freitag-Taschen<br />

aufkamen und jeder um mich herum ein Transa-Velo<br />

hatte. Ich fand, ich brauche auch eins – obwohl ich gar nicht<br />

Velo fahren kann! Mir war klar, ich gebe mein Geld für nichts<br />

aus: Es hat 21 Gänge, und ich kann nicht mal treten. Im Fotostudio<br />

wars auch sehr schwierig. An Partys erwähnte ich früher<br />

stolz mein Velo. Verschwieg aber, nie damit zu fahren.<br />

20 21


DANIEL HEER, 34 — SATTLER<br />

COMME-DES-GARÇON-HEMD, EURO MIT FREUNDSCHAFTSRABATT<br />

Ich habe für meine neue Werkstatt ein schlichtes, schwarzes<br />

Arbeitshemd gesucht, das auf die Tradition des Sattlers verweist<br />

– auf gute Handarbeit. Aber für die Herstellung von Rosshaarmatratzen<br />

ist es völlig unpraktisch: keine Taschen für Scheren,<br />

zu tiefe Knopfleiste. <strong>Das</strong> ging mir spätestens auf, als mein Vater<br />

aus Luzern zum Arbeiten nach Berlin kam. Als Sattler, also<br />

echter Handwerker, war das für ihn purer Luxus. Stattdessen<br />

griff er zum weissen Kittel – das Hemd kam in den Schrank.<br />

22 23


RAPHAEL FELLMER, 29,<br />

LEBT EIN GUTES LEBEN OHNE EINEN RAPPEN<br />

IRINA BELLER, 40,<br />

LEBT EIN GUTES LEBEN MIT ETLICHEN MILLIONEN<br />

Raphael Fellmer war schon einmal im<br />

«<strong>Magazin</strong>» (Nr. 46/2012, «Ein Tag im Leben<br />

von Europa»), und der Bericht hat<br />

viel Interesse ausgelöst. Es ist ja auch ein<br />

Paradoxon – da spricht man so viel darüber,<br />

wie schwierig ein Leben mit wenig<br />

Geld ist in unserer Gesellschaft, und dann<br />

kommt dieser Mann und zeigt, dass auch<br />

ein Leben ganz ohne Geld möglich ist,<br />

ein gutes Leben gar, ohne viel Verzicht.<br />

Raphael Fellmer hat sich vor drei Jahren<br />

zum Geldstreik entschlossen, aus Protest<br />

gegen das kapitalistische System und die<br />

Überflussgesellschaft. Er lebt mit seiner<br />

Frau Nieves und seiner eineinhalbjährigen<br />

Tochter Alma Lucia in einer Wohnung,<br />

für die sie keine Miete zahlen – dafür besorgen<br />

sie den Garten und erledigen Arbeiten<br />

im Haus. Sie essen das, was Bioläden<br />

in Berlin wegschmeissen würden, obwohl<br />

die Produkte noch einwandfrei sind<br />

– Brot, Gemüse, Früchte vom Vortag, Waren<br />

mit leicht beschädigter Verpackung;<br />

wenn zu viel eingekauft wurde oder das<br />

Ablaufdatum in Sichtweite rückt. Kleider<br />

gibt es in diversen Umsonstläden in Berlin,<br />

oder man nimmt auch hier, was weggeworfen<br />

würde. Die Frauenärztin hat<br />

Nieves umsonst untersucht während der<br />

Schwangerschaft, Raphael hat dafür ihre<br />

Wohnung geputzt, gebeizt, gestrichen und<br />

ihre Wäsche gebügelt. Wenn die Familie<br />

reist, dann per Anhalter, im Auto, auf Schiffen,<br />

geschlafen wird bei Freunden oder<br />

Fremden.<br />

Raphael Fellmer ist ein Mensch, der so<br />

viel Positivität und Liebe ausstrahlt, dass<br />

man sich nicht vorstellen kann, dass er jemals<br />

auch nur einen bösen Gedanken<br />

hatte. Als er und Irina Beller aufeinandertreffen,<br />

passiert das, was passieren muss:<br />

Sie umarmen sich. Es ist keine Bussibussi-<br />

Umarmung, sondern eine richtige. Welten<br />

mögen aufeinanderprallen, die Menschen<br />

drücken sich.<br />

Es ist nicht ganz leicht nachzuzeichnen,<br />

wie Irina Beller zur öffentlichen Person<br />

wurde. Sie tut ja nichts, ausser sich als Frau<br />

des reichen Bauunternehmers Walter Beller<br />

in der High Society zu bewegen, und<br />

das macht die Ukrainerin schon seit vielen<br />

Jahren. Ins Bewusstsein der Schweiz trat<br />

sie wahrscheinlich erstmals mit der «Reporter»-Sendung<br />

vom April letzten Jahres. In<br />

diesem Beitrag macht sie das, was sie am<br />

besten kann: zeigen, was sie hat. Von der<br />

barocken Wohnungseinrichtung über den<br />

Porsche bis hin zu etlichen Pelzjacken, die<br />

sie gleich im halben Dutzend kauft. Genauso<br />

freizügig ist sie in ihren Äusserungen:<br />

«Da war ich ziemlich gezielt, ich wollte<br />

einen Mann mit Geld», sagt sie über die<br />

Partnerwahl, und das Wort, um das sich ihr<br />

Leben dreht, klingt aus ihrem Mund so:<br />

«Ghjeld». Freizügig im buchstäblichen<br />

Sinne ist sie sowieso, bei jeder sich auch nur<br />

halb bietenden Gelegenheit zeigt sie ihren<br />

straffen Körper.<br />

Die Transparenz von Irina Beller ist ein<br />

echter Schocker für die Zwingli-Schweiz.<br />

Für die Schweiz, die Eitelkeit nur im Badezimmerspiegel<br />

duldet. Für die «Über Geld<br />

spricht man nicht, man hat es»-Schweiz.<br />

Und für den Rest, der das Geld nicht hat,<br />

aber umso mehr darüber spricht.<br />

Gleichzeitig wird auch ziemlich schnell<br />

klar, dass Irina Beller, die Tochter eines russischen<br />

Diplomaten, eine solide Bildung<br />

hat und alles andere als dumm ist. Im schäbig-schicken<br />

Zürcher Szenelokal wirkt sie<br />

selbstbewusst deplatziert mit ihrer Pelzjacke,<br />

den Leggings und dem durchsichtigen<br />

Spitzen-Rolli, man merkt, dass ihr der Auftritt<br />

Spass macht, unabhängig von Bühne<br />

oder Publikum.<br />

24 25


WIR HABEN DIE BEIDEN AN EINEN TISCH GEBRACHT,<br />

UM ZU ERFAHREN, WAS DAS FÜR SIE BEDEUTET: EIN GUTES LEBEN.<br />

UND STAUNTEN DARÜBER, WIE VORBEHALTLOS<br />

SICH ZWEI SO UNTERSCHIEDLICHE MENSCHEN BEGEGNETEN.<br />

Gespräch MICHÈLE ROTEN<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, Herr Fellmer, wie leben Sie?<br />

BELLER — Ich lebe sehr angenehm. Normalerweise sind meine<br />

Tage eine Mischung aus Börsenkurse checken, Fitness, Shopping,<br />

Kaffee trinken, Maniküre, Pediküre, whatever. Aber jetzt<br />

gerade schreibe ich ein Buch (Arbeitstitel «Wie angle ich mir<br />

einen Millionär?», Anm. der Red.), und alles ist durcheinander.<br />

Manchmal stehe ich um acht auf und höre um acht abends auf<br />

und vergesse sogar, mir die Zähne zu putzen oder einen Kaffee<br />

zu trinken. Aber das finde ich nicht gut, das darf keine längere<br />

Phase sein, ich will ja noch das Leben geniessen. <strong>Das</strong> ist das<br />

Wichtigste.<br />

DAS MAGAZIN — Ihr Lebensmotto.<br />

BELLER — Ja, ich komme aus einem sozialistischen Land. Ich<br />

habe genug Schlimmes gesehen, genug Sorgen gehabt. Jetzt will<br />

ich nur noch das Beste, jeden Tag geniessen.<br />

DAS MAGAZIN — Klingt doch gut oder, Herr Fellmer?<br />

FELLMER — Sehr!<br />

DAS MAGAZIN — Und wie leben Sie?<br />

FELLMER — Ich wuchs sehr privilegiert auf, hatte Eltern, die<br />

dreimal am Tag mit uns assen, die uns in den Arm nahmen und<br />

uns sagten, dass sie uns lieben, die uns mit allem versorgten. Ich<br />

hatte immer ein gutes Leben. Aber irgendwann wurde es mir ein<br />

Bedürfnis, nicht nur für mein eigenes Glück zu schauen, sondern<br />

auch zu überlegen, wie ich das Leben von weniger Privilegierten<br />

verbessern kann.<br />

DAS MAGAZIN — Und das machen Sie, indem Sie seit drei Jahren<br />

ohne Geld leben.<br />

FELLMER — Ja, es ist ein Protest gegen die ungerechte Verteilung<br />

der Güter auf dieser Welt und die Überflussgesellschaft und<br />

gegen die Tatsache, dass eine Milliarde Menschen hungert, während<br />

wir die Hälfte aller Nahrungsmittel wegschmeissen.<br />

BELLER — Wo ist da die Hilfe? Protest ist keine Hilfe.<br />

FELLMER — Nein, aber ich glaube daran, dass alles im Bewusstsein<br />

beginnt. Und indem ich zeige, dass ich mit den Sachen, die<br />

die Supermärkte eigentlich wegschmeissen würden, nicht nur<br />

mich und meine Familie ernähren, sondern noch Bedürftige und<br />

Freunde und Nachbarn versorgen kann, bringe ich vielleicht ein<br />

paar Menschen zum Nachdenken. Inzwischen bin ich Nachhaltigkeitsberater<br />

von Bioläden, und wir haben zum Beispiel eingerichtet,<br />

dass rund 150 Menschen in Berlin diese unverkäuflichen<br />

Lebensmittel abholen und via der Lebensmittelverschenkplattform<br />

www.foodsharing.de verteilen. Man muss also nicht mehr<br />

in Container steigen.<br />

DAS MAGAZIN — <strong>Das</strong> alles könnten Sie ja auch tun, ohne ganz<br />

auf Geld zu verzichten.<br />

FELLMER — <strong>Das</strong> Finanzwesen gehört ganz eng zu dieser Überflussgesellschaft.<br />

Eigentlich sollte Geld ja mal unser Leben einfacher<br />

machen, aber inzwischen herrscht es über uns. Die Menschen<br />

sind dem Mammon verfallen, sie rennen irgendwelchen<br />

Abläufen hinterher, Arbeiten, Rechnungen zahlen, Steuern zahlen,<br />

so dass sie gar nicht mehr die Ruhe haben, sich zu überlegen,<br />

was sie wirklich tun möchten.<br />

BELLER — Du hast vollkommen recht, und genau deswegen<br />

habe ich dieses Leben gewählt, weil ich nie in der Situation sein<br />

wollte, irgendwas zu tun, was ich nicht mag, nur um die Rechnungen<br />

zu bezahlen.<br />

DAS MAGAZIN — Aber Herr Fellmer will ja, dass es allen besser<br />

geht, nicht nur dem Einzelnen.<br />

BELLER — Ich finde super, was Raphael macht, aber ich glaube,<br />

am besten kann man Menschen mit Geld helfen. Ich bewirke<br />

mehr als du, indem ich einfach einen Check unterschreibe. Was<br />

du machst, funktioniert in privilegierten Ländern wie der Schweiz<br />

und Deutschland. Hier verhungert niemand. Aber in meiner Heimat,<br />

der Ukraine, schon. Indem ich ihnen Geld schicke, verbessere<br />

ich etwas. Man kann viel Gutes tun mit Geld.<br />

DAS MAGAZIN — Empfinden Sie das auch als Verpflichtung, weil<br />

Sie reich sind?<br />

BELLER — Ja, schon. Ich spende also einerseits ganz direkt, ich<br />

schicke Geld an Menschen in der Ukraine, die ich kenne, aber<br />

ich finde zum Beispiel auch Charity-Anlässe ganz wunderbar.<br />

Man amüsiert sich, zum Beispiel an einem schönen Ball, man<br />

pflegt das Netzwerk und hilft dabei noch Menschen.<br />

DAS MAGAZIN — Und das gibt auch ein gutes Gewissen.<br />

BELLER — Ja! Raphael lebt so, wie er leben will, und das erfüllt<br />

ihn – bei mir ist es genau das Gleiche. Einfach auf einem anderen<br />

Weg.<br />

DAS MAGAZIN — Lustigerweise verbindet Sie ja einiges, obwohl<br />

die Lebensentwürfe nicht unterschiedlicher sein könnten.<br />

Zum Beispiel sind Sie beide abhängig. Sie, Frau Beller, von Ihrem<br />

Mann, und Sie, Herr Fellmer, vom Goodwill anderer.<br />

BELLER — Überhaupt nicht! Ich habe keinen Ehevertrag. Ich<br />

kann mich morgen von meinem Mann scheiden lassen, ich bin<br />

eine reiche Frau, mit ihm oder ohne ihn.<br />

FELLMER — Die Leute sagen oft, Geld bedeute Freiheit, aber<br />

mit Geld sind immer auch Ängste verbunden.<br />

BELLER — Da hat er völlig recht! Um Geld muss man sich ja auch<br />

kümmern, das vergessen viele. Die Kunst ist es heute, das Geld<br />

zu behalten! <strong>Das</strong> überlasse ich aber meinem Mann, ich gebe es<br />

nur aus. Aber mit wirklich richtig viel Geld hat man eigentlich<br />

nur Sorgen. Da muss man sich auch immer fürchten vor Kidnapping<br />

und solchen Sachen. Und alles verstecken. So möchte ich<br />

nicht leben. Wir haben ja Gott sei Dank nicht sooo viel. Wir sind<br />

durchschnittliche Millionäre mit unserem Vermögen im zweistelligen<br />

Millionenbereich, da ist es noch angenehm.<br />

DAS MAGAZIN — Sie kennen diese Angst also nicht, all das Geld<br />

zu verlieren?<br />

BELLER — Nein, dafür sind wir wirklich zu wenig reich.<br />

DAS MAGAZIN — Die Wirtschaftskrise macht Ihnen keine Sorgen?<br />

<strong>Das</strong>s alles plötzlich nichts mehr wert ist?<br />

BELLER — Na, so schlimm wird es nicht werden. Eine Inflation,<br />

ja, aber … das ist ja auch wieder ein anderes Thema. Ich glaube<br />

DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

27


28 29<br />

auch nicht an die EU. <strong>Das</strong> hatten wir in der Sowjetunion ja<br />

schon, ich kenne das, es funktioniert nicht. Alle diese kommunistischen<br />

und sozialistischen Ideen funktionieren nicht. Wie<br />

denn auch? Wenn ich hart arbeite und gleich viel habe wie Ivan,<br />

der den ganzen Tag Wodka trinkt? Dann mach ich doch auch<br />

nix mehr.<br />

DAS MAGAZIN — Aber Sie, Herr Fellmer, würden sich ja doch<br />

wünschen, dass alle gleich viel haben, dass es allen gleich gut geht.<br />

Und nicht wenigen sehr gut und vielen sehr schlecht.<br />

FELLMER — Ich finde, allen Menschen auf der Erde steht es<br />

zu, Essen zu haben, ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung,<br />

keinen Krieg. Und was du vorhin gefragt hast, was ich<br />

denn tue für die Menschen in der Ukraine oder in Rumänien oder<br />

sonstwo – wenn jemand, den ich kenne, in so ein Land fährt,<br />

dann gebe ich haltbares Essen mit. Aber der Witz ist doch: Wenn<br />

wir in Deutschland weniger wegschmeissen würden, bräuchten<br />

wir weniger zu importieren, was wiederum besser wäre für die<br />

Umwelt und die Menschen, die unter steigenden Nahrungsmittelpreisen<br />

Hunger leiden.<br />

DAS MAGAZIN — Aber das sind auch Arbeitsplätze, die dann<br />

ge strichen würden.<br />

FELLMER — Aber ein Arbeitsplatz ist ja auch nicht alles. Deshalb<br />

bin ich unter anderem Veganer – weil ich keinem zumuten<br />

möchte, von Berufs wegen täglich zig Tiere zu töten! Der hat<br />

zwar einen Job, aber vielleicht geht er seelisch daran kaputt. Wir<br />

reden immer davon, wie wichtig es ist, dass jeder einen Arbeitsplatz<br />

hat, aber darüber, was ein zumutbarer Job ist und was<br />

nicht, leider sehr selten. Ein Job ist nicht bloss ein Job, sondern<br />

er soll einem Menschen auch das Gefühl geben, an der Gesellschaft<br />

teilzunehmen, etwas Wichtiges zu tun. Und in einem weiteren<br />

Schritt sollte eigentlich jeder Mensch das tun können, was<br />

seinen Talenten entspricht, und nicht irgendwas, weil er muss.<br />

BELLER — <strong>Das</strong> ist doch eine Utopie.<br />

FELLMER — Schau mal, das Frauenstimmrecht wurde in der<br />

Schweiz 1971 eingeführt. Noch 1871 war es eine absolute Utopie,<br />

dass Frauen überhaupt je wählen würden! Veränderung braucht<br />

manchmal lange, aber sie geschieht.<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, wie gefällt Ihnen Frau Bellers<br />

Pelzjacke?<br />

BELLER — Moment, da muss ich erst was sagen. Er ist Veganer,<br />

deshalb nehme ich Vorwürfe von ihm ernst und akzeptiere sie.<br />

Was ich dagegen nicht ernst nehmen kann, sind Leute, die eine<br />

Wurst essen und mit dem Finger der anderen Hand auf mich zeigen,<br />

weil ich Pelz trage. Da geht es dann nur noch um Neid.<br />

FELLMER — Aber ich will doch gar keine Vorwürfe machen.<br />

BELLER — Es ist ja so: Ich könnte sofort aufhören, mir Pelze<br />

zu kaufen, aber was würde es bringen? Sie sind da. Und ich bin<br />

Superegoistin, ich sage mir nicht gern Nein. <strong>Das</strong> Leben ist zu kurz.<br />

Es gefällt mir, es steht mir, es ist nicht verboten. Wenn morgen<br />

keine Pelze mehr produziert werden, werde ich sie mir nicht auf<br />

dem Schwarzmarkt besorgen. Aber ich bin nicht so mutig wie<br />

Raphael. Was würde es bringen, wenn ich keine Pelze mehr tragen<br />

würde? Dann würden sie andere tragen.<br />

FELLMER — Ich will dich gar nicht angreifen, ich will nur informieren.<br />

Die Entscheidung, keinen Pelz mehr zu tragen oder vegan<br />

zu werden, kann nur aus dir selber kommen, nicht wie in einem<br />

kommunistischen System von oben verordnet. <strong>Das</strong> bewegt nichts.<br />

Es bewegt sich nur was, wenn du selber entscheidest, zum Beispiel:<br />

Hey, ich hab diese Pelze, ich trag sie noch, aber ich kauf mir halt<br />

keine neuen mehr. Und gerade, wenn man wie du ein öffentlicher<br />

Mensch ist, dann nehmen das die Leute wahr. Ich bin hundertprozentig<br />

sicher, dass du Menschen positiv beeinflussen kannst.<br />

BELLER — Ja, aber schau, da, wo ich herkomme, ist es minus<br />

vierzig, minus fünfzig Grad kalt im Winter. Da trägt jeder Pelz!<br />

Es geht nicht anders. Wir Russen haben da eine andere Kultur.<br />

Dafür esse ich kein Schweinefleisch, denn zu Schweinen habe<br />

ich eine Beziehung, Schweine sind meine Lieblingstiere, herzig<br />

und klug. Und ausserdem sind Daunenjacken auch Tierquälerei.<br />

Ich finde, jeder muss für sich selbst entscheiden. Und gekauft<br />

werden diese Sachen sowieso.<br />

FELLMER — Aber es wurde noch einiges irgendwann mal gekauft<br />

und dann nicht mehr, weil sich ein Bewusstsein durchsetzte. Aber<br />

es geht nicht darum anzuklagen, auf keinen Fall.<br />

BELLER — Genau. Und manchmal esse ich auch gern ein Rindsfilet.<br />

DAS MAGAZIN — Sie sind einfach egoistisch.<br />

BELLER — Es gibt nur Egoisten und Superegoisten auf dieser<br />

Welt.<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, sind Sie letztlich auch einfach<br />

egoistisch?<br />

FELLMER — Na klar. Natürlich lebe ich so aus Liebe zur Natur,<br />

aus Liebe zu den Menschen und auch aus Liebe zu meinem Körper,<br />

aber letztlich geht es mir ja um das Überleben der Spezies<br />

Mensch, also ist das durchaus egoistisch.<br />

DAS MAGAZIN — Fühlen Sie sich manchmal besser als andere?<br />

FELLMER — Im Sinne von wertvoller? Nein. Warum denn?<br />

DAS MAGAZIN — Weil Sie der Welt viel weniger schaden als andere.<br />

FELLMER — Jeder tut das, was er kann. Und ich mache auch<br />

immer noch nicht genug.<br />

DAS MAGAZIN — Aber sehr viel mehr als der Durchschnittsmensch.<br />

Wenn Sie ständig so deutlich sehen, was schiefläuft auf<br />

der Welt – wie schaffen Sie es eigentlich, nicht depressiv zu sein?<br />

FELLMER — Ganz einfach, weil es Lösungen gibt für alle Probleme.<br />

Wenn man zum Beispiel die Zusammenhänge versteht<br />

zwischen Klimawandel und Fleischkonsum, dann kann man<br />

sich entscheiden, Vegetarier zu werden. Oder nur noch lokal einzukaufen.<br />

Wenn ich was entdecke, was ich besser machen kann,<br />

dann freu ich mich.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, überlegen Sie sich manchmal, ob<br />

Sie ein guter Mensch sind?<br />

BELLER — Ich glaube nicht an diese Unterscheidung guter<br />

Mensch/schlechter Mensch.<br />

FELLMER — Ganz genau. <strong>Das</strong> ist so wertend.<br />

BELLER — <strong>Das</strong> beweist sich ja erst in Extremsituationen, ob jemand<br />

gut oder schlecht ist.<br />

DAS MAGAZIN — Ich wollte eigentlich wissen, ob Sie darüber<br />

nachdenken, wie Sie die Welt verbessern können.<br />

BELLER — Ich glaube, es ist wichtiger, dass Menschen Ziele<br />

und Visionen haben und diese verfolgen, so wie Raphael und ich.<br />

Menschen ohne Überzeugungen sind depressiv. Raphael und ich<br />

sind glücklich, weil wir Ideen haben.<br />

DAS MAGAZIN — Auch etwas, was Sie verbindet, ist, dass Sie<br />

beide sich total frei gemacht haben von der Meinung anderer.<br />

Frau Beller, Sie ecken ständig an.<br />

BELLER — Ja, und es interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin<br />

ein Skandal in der Schweiz. Wegen der Art, wie ich mich anziehe,<br />

und wegen dem, was ich sage. Obwohl viele genau das Gleiche<br />

denken wie ich, aber sie verstellen sich, sie spielen eine Rolle. Der<br />

Unterschied ist natürlich: Ich kann es mir leisten. Ich bin nicht<br />

abhängig von einem Arbeitgeber oder Ähnlichem. Ich kann mir<br />

also den Luxus leisten, ich selber zu sein. Genau wie Raphael.<br />

DAS MAGAZIN — Geld macht demnach nur frei, wenn es entweder<br />

im Überfluss da ist oder gar nicht, alles dazwischen ist<br />

Knechtschaft. Herr Fellmer, werden Sie den Geldstreik bis zum<br />

Ende Ihres Lebens durchziehen?<br />

FELLMER — Nein. Ich bin davon überzeugt, dass es in ein paar<br />

Jahren kein Geld mehr geben wird. Einfach, weil ich glaube, dass<br />

wir es nicht mehr brauchen werden. Wir sind so eine intelligente<br />

Spezies, unsere Evolution ist so unglaublich, und doch haben wir<br />

es als Einzige nicht geschafft, Harmonie und Frieden herzustellen.<br />

Und dem steht das Geld im Weg.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, wie fühlt sich die Vorstellung einer<br />

Welt ohne Geld an?<br />

BELLER — (lacht) <strong>Das</strong> wird nicht passieren. Du träumst, Raphael.<br />

Vielleicht wird es den Euro nicht mehr geben, aber kein Geld,<br />

das ist unrealistisch. <strong>Das</strong> wäre ja zurück in die Steinzeit.<br />

FELLMER — Nein, im Gegenteil: Es wäre ein Fortschritt, ein<br />

weiterer Schritt in der Evolution. Und es würde allen Menschen<br />

besser gehen als heute, auch dir, Irina. Eine Welt ohne Geld ist<br />

eine Welt ohne Besitz, ohne Gesetze, ohne Militär …<br />

BELLER — Aber dann gibt es doch wieder Kriege! Wenn du spazieren<br />

gehst, und dann kommst du nach Hause, und da liegt jemand<br />

in deinem Bett und sagt, na ja, gehört ja niemandem …<br />

FELLMER — Wir haben jetzt schon ein paar Jahre Geld auf dieser<br />

Welt, und so langsam müssen wir uns eingestehen, dass es einfach<br />

sehr ungerecht verteilt ist.<br />

BELLER — Aber es ist nicht nur schlecht! Es regelt doch auch<br />

vieles!<br />

FELLMER — Ein Siebtel der Weltbevölkerung leidet Hunger, täglich<br />

sterben Zehntausende – ich würde sagen, da wird nicht viel<br />

geregelt. Und auch abgesehen vom Hunger auf der Welt, hat uns<br />

die Gier nach Geld an einen Punkt gebracht, ökologisch, wo wir<br />

schlicht mal festhalten müssen, dass wir gerade unser eigenes Grab<br />

schaufeln. Wir zerstören Flora und Fauna unseres Planeten.<br />

BELLER — Da geb ich dir absolut recht. <strong>Das</strong> wird sich rächen.<br />

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DAS MAGAZIN — Was tun Sie, Frau Beller, für die Umwelt?<br />

BELLER — Was kann ich denn tun? Ich kann nur spenden, sonst<br />

nichts. Na ja, ich schaue, dass ich das Wasser nicht stundenlang<br />

laufen lasse und so. Kleinigkeiten. <strong>Das</strong> ändert nichts.<br />

DAS MAGAZIN — Kaufen Sie zum Beispiel Biofleisch?<br />

BELLER — Ja, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich<br />

mache es für die Umwelt. <strong>Das</strong> hat mehr mit meiner Gesundheit<br />

zu tun.<br />

FELLMER — <strong>Das</strong> ist ein ganz wichtiger Punkt, den du grad angesprochen<br />

hast, dass sich viele Menschen machtlos fühlen. Aber<br />

es ist nicht nur das Ausstecken der Geräte zu Hause und das<br />

Wassersparen. Hast du schon mal von grauer Energie und virtuellem<br />

Wasser gehört?<br />

BELLER — Erzähl noch mal.<br />

FELLMER — Du verbrauchst nicht nur das Wasser, was du siehst,<br />

also diese 150 Liter pro Tag für Duschen, Trinken, Zähneputzen.<br />

Der grösste Teil steckt in dem, was du konsumierst: ein Kilo<br />

Baumwolle herzustellen, braucht über 12 000 Liter Wasser. Ein<br />

Kilo Rindfleisch über 16 000 Liter. Für dein iPhone wurden dreissig<br />

Liter Erdöl verbraucht. Für ein neues Auto wurde die Energie<br />

benötigt, die ein Vierpersonenhaushalt hier in der Schweiz in<br />

zehn, fünfzehn Jahren verbraucht. Sprich: Am meisten kannst du<br />

tun, wenn du deinen Konsum einschränkst.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, Sie konsumieren ja nun gern.<br />

BELLER — <strong>Das</strong> ist doch eine Sackgasse. Je weniger du konsumierst,<br />

desto schlechter geht es der Wirtschaft.<br />

DAS MAGAZIN — Aber Sie konsumieren nicht primär, um Arbeitsplätze<br />

zu schaffen, sondern weils Ihnen Spass macht, oder?<br />

BELLER — Doch, ich denke oft daran, dass ich damit die Wirtschaft<br />

ankurble, weil dann hab ich ein besseres Gewissen dabei,<br />

Geld auszugeben.<br />

FELLMER — Ich habe früher ganz genauso gedacht wie du, Irina.<br />

Aber dann ist mir aufgegangen, dass sehr viele Menschen diese<br />

Arbeit, die sie machen, gar nicht tun wollen, sondern müssen.<br />

Weil es nicht anders geht. Die Minenarbeiter in China oder Afrika,<br />

die würden sich auch was anderes wünschen. Und noch etwas<br />

Wichtiges: Wir leben in einer Wachstumsgesellschaft. Wir glauben,<br />

die Wirtschaft könne immer weiterwachsen.<br />

BELLER — Na, in Europa ist es relativ bescheiden.<br />

FELLMER — Stimmt, im Vergleich zu Asien ist es fast Stagnation,<br />

aber doch schaffen wir noch ein bis zwei Prozent, es geht<br />

immer noch nach oben. Und wenn alle Menschen so konsumieren<br />

würden wie wir in den westlichen Ländern, dann bräuchten<br />

wir vier Erden. Ein unendliches Wachstum auf einem endlichen<br />

Planeten, das geht nicht! Wir müssen umdenken. Und das hängt<br />

an uns in den privilegierten Ländern, denn wir haben die Informationen,<br />

wir müssen da vorausgehen und sagen: Achtung, Moment,<br />

das ist alles etwas aus dem Ruder gelaufen. Denn die Chinesen,<br />

die jetzt in die Städte strömen, weil sie ihren ersten Fernseher<br />

wollen und ihr erstes Auto und all das – das ist total verständlich,<br />

die sind an einem anderen Punkt, die kommen jetzt nicht auf<br />

diese Idee.<br />

BELLER — Da bin ich ganz deiner Meinung. So kanns nicht<br />

weitergehen. Mehr, mehr, mehr, und wenn die Firma nur null<br />

Komma irgendwas Prozent zugelegt hat, ist es schon ein Riesendrama.<br />

FELLMER — Deswegen gibt es jetzt Bewegungen wie Co-Consumption.<br />

Also Menschen, die nicht komplett ihren Lebensstandard<br />

ändern wollen, aber festgestellt haben, dass man vieles<br />

teilen kann: Auto, Waschmaschine und so weiter. Und dieses Jahr<br />

wird auch das erste Fairtrade-Handy auf den Markt kommen, was<br />

Sinn macht, weil man sich schon fragen muss, warum es einem<br />

einleuchtet, Fairtrade-Kaffee zu kaufen, man aber gleichzeitig ein<br />

Handy hat, von dem man weiss, dass es unter unschönen Arbeitsbedingungen<br />

entstanden ist.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, was machen Sie mit den Kleidern,<br />

die Ihnen nicht mehr gefallen?<br />

BELLER — Verschenken. An Verwandte, Angestellte und so<br />

weiter.<br />

DAS MAGAZIN — Ist die Freude beim Kauf des zehnten Pelzmantels<br />

eigentlich noch genauso gross wie beim ersten?<br />

BELLER — Sehen Sie, ich stehe in der Öffentlichkeit. Und wenn<br />

ich zwei Mal mit dem gleichen Kleid an einem Ball auftauche,<br />

dann gibt es ein Riesengeschrei! Und ich will ja nicht als Geizkragen<br />

dastehen. Ich selber würde also gar nicht so viel kaufen,<br />

ich werde zum Konsum gezwungen. Und, natürlich gefällt es mir<br />

auch, und der Verkäufer hat Freude, und wenn ich es weiterschenke,<br />

hat noch jemand Freude. Also, es ist okay.<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, was ist das Letzte, was Sie sich<br />

gekauft haben?<br />

FELLMER — Hm … ein Solarrucksack für die Reise von Deutschland<br />

nach Brasilien ohne Geld, dem Ursprung meines Geldstreiks.<br />

DAS MAGAZIN — Gibt es Gegenstände, an denen Sie hängen?<br />

Was würden Sie aus dem brennenden Haus retten?<br />

FELLMER — Fotoalben, Festplatten, Tagebücher.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller?<br />

BELLER — Genau das Gleiche wie Raphael.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, wie teuer ist Ihr heutiges Outfit,<br />

inklusive Schmuck?<br />

BELLER — <strong>Das</strong> fragt man doch nicht!<br />

DAS MAGAZIN — Nur so ungefähr.<br />

BELLER — Hm … etwa 150 000.<br />

DAS MAGAZIN — Und bei Ihnen, Herr Fellmer?<br />

FELLMER — Null? Aber ich glaube, auch Irina ist ihre innere<br />

Integrität mehr wert als das Äussere.<br />

BELLER — Ja! Absolut!<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, wenn Sie gleich durch Zürich<br />

spazieren und plötzlich Hunger kriegen, was machen Sie?<br />

FELLMER — Also erstens sollte es eigentlich nicht passieren,<br />

weil ich darauf achte, dass ich genug gegessen habe, wenn ich rausgehe.<br />

Aber wenn ich auf einer Reise wäre, dann würde ich …<br />

BELLER — Irina Beller anrufen!<br />

FELLMER — Ha, nein, ich würde in ein Restaurant oder eine<br />

Bäckerei gehen und sagen: Entschuldigung, ich lebe im Geldstreik<br />

aus einer ökologischen und ethischen Motivation heraus,<br />

gibt es etwas, was ihr nicht mehr verkaufen könnt, aber noch geniessbar<br />

ist? Und dann kriegt man meistens mehr als genug.<br />

DAS MAGAZIN — Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern?<br />

FELLMER — Ja, in arabischen Ländern zum Beispiel geht es<br />

mehr als gut. Da muss man gar nichts fragen oder erklären, die<br />

sagen einfach, komm rein, willst du essen, willst du trinken, willst<br />

du schlafen, da hast du, bedien dich. Die Schweiz ist ähnlich wie<br />

Deutschland: Die Menschen sind vorsichtiger, und oft klingt da<br />

etwas mit im Sinne von: Warum soll ich dir etwas schenken, ich<br />

krieg ja auch nichts umsonst. Dieser Neidfaktor ist ganz stark in<br />

unserer Gesellschaft verankert.<br />

BELLER — <strong>Das</strong> deckt sich mit meiner Erfahrung mit den Schweizern,<br />

eiskalt. Als ich in die Schweiz kam, war ich ja noch nicht<br />

reich, und niemand half mir. <strong>Das</strong> war ein Schock für mich. In<br />

Russland ist es ganz anders, da gibt es diesen Glauben, dass, wenn<br />

du jemandem hilfst, das später dann zurückkommen wird, dann<br />

wird deinen Kindern oder Kindeskindern geholfen.<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, gibt es Unterschiede in der<br />

Grosszügigkeit zwischen Arm und Reich?<br />

FELLMER — Oft ist es so, dass die reicheren Menschen sehr auf<br />

ihr Geld achten, aber die Ärmsten teilen ihr letztes Stück Brot<br />

mit dir. Aber auch die, die zuerst skeptisch sind und dann doch<br />

etwas geben, merken, dass es etwas vom Schönsten ist, was man<br />

machen kann. Dieses Geben aus freien Stücken, ohne Erwartungshaltung,<br />

ohne etwas dafür bekommen zu wollen, das ist<br />

pure Freiheit und pures Glück.<br />

DAS MAGAZIN — Herr Fellmer, wie werden Sie Ihrer eineinhalbjährigen<br />

Tochter bald erklären, dass Sie ihr nichts kaufen im<br />

Spielwarenladen?<br />

FELLMER — Zuerst mal wird diese Phase kommen, wo sie eh<br />

alles haben will, was andere gerade in der Hand haben, aber das<br />

hat nichts mit Konsum zu tun. Ausserdem planen wir in den<br />

nächsten paar Jahren mit ein paar anderen, die in Harmonie mit<br />

Menschen und Natur leben wollen, aufs Land zu ziehen, und<br />

dort ist dann eh nicht mehr so dieses «Meins – Deins». Und wenn<br />

sie älter ist und trotz all unserer Aufklärung findet, sie brauche<br />

jetzt unbedingt ein iPhone 20, dann muss sie halt dieses Geld selber<br />

organisieren. Eben, falls es dann noch Geld gibt.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, lesen Sie Bücher?<br />

BELLER — Ja, momentan gerade «Gerron» von Charles Lewinsky.<br />

«Melnitz» von ihm ist das beste Buch, das ich bisher von einem<br />

Schweizer Autor gelesen habe.<br />

DAS MAGAZIN — Haben Sie Freunde, deren Lebensauffassung<br />

ganz anders ist als Ihre? Frau Beller, haben Sie «arme» Freunde?<br />

BELLER — Ich glaube nicht wirklich an Freundschaft. Ich glaube<br />

an Bekannte, die einen während bestimmter Phasen begleiten.<br />

Aber ich suche immer das Neue, Unbekannte, wo ich etwas erfahre<br />

und lerne, ich muss immer weiter. Für das andere habe ich<br />

Familie.<br />

DAS MAGAZIN — Mögen Sie die Menschen der High Society?<br />

BELLER — Ich mag interessante Menschen, und die findet man<br />

selten da oben. Da ist es oft verdorben, oberflächlich und falsch.<br />

DAS MAGAZIN — Sie mögen diese Gesellschaft gar nicht?<br />

BELLER — Doch, doch, es macht Spass! Dosiert.<br />

DAS MAGAZIN — Und Sie, Herr Fellmer, haben Sie reiche<br />

Freunde?<br />

FELLMER — Ja. Ich suche mir meine Freunde ja nicht nach irgendwelchen<br />

Etiketten aus. Für mich spielts keine Rolle, ob jemand<br />

viel Geld auf dem Konto hat oder nicht, ich könnte mir<br />

auch vorstellen, mit Irina befreundet zu sein.<br />

BELLER — Es ist ja auch langweilig, wenn man sich zu ähnlich<br />

ist. Die Auseinandersetzung macht ja Spass.<br />

FELLMER — Reibung erzeugt Wärme.<br />

DAS MAGAZIN — Frau Beller, bücken Sie sich für zehn Franken?<br />

BELLER — Ja. Ich bücke mich auch für fünf Rappen. Nicht, weil<br />

ich sie brauche, aber in Russland gibt es diesen Brauch: Wenn<br />

du Geld findest, dann musst du es entweder über die Schulter<br />

werfen oder einem Bettler geben, sonst bringt es Unglück.<br />

DAS MAGAZIN — Ich habe mal gehört, dass Russinnen so auf<br />

ostentativen Prunk stehen, weil es keine Regelung zum Schutz<br />

der Frau gibt im Falle einer Scheidung. Wenn der Mann weg ist,<br />

ist er weg, und die Frau hat nur, was sie auf dem Körper trägt.<br />

Stimmt das?<br />

BELLER — Ja, es gilt: Nimm, so viel du kannst, denn du weisst<br />

nicht, wann eine Jüngere oder eine Schönere dich ersetzt.<br />

DAS MAGAZIN — Könnten Sie sich vorstellen, einen Tag lang<br />

Ihre Leben zu tauschen?<br />

BELLER — Kein Problem.<br />

DAS MAGAZIN — Sie müssten dann in Containern wühlen, um<br />

etwas zu Essen zu haben.<br />

BELLER — Ich weiss, wie es ist, kein Geld zu haben, ich kann<br />

dir vielleicht sogar ein paar Tipps geben, Raphael. Als ich in die<br />

Schweiz kam, hatte ich nichts, es gab Tage, an denen ich nicht<br />

wusste, wo ich schlafen werde.<br />

DAS MAGAZIN — Und wo haben Sie dann übernachtet?<br />

BELLER — Bleiben wir beim Thema. Jedenfalls weiss ich, wie es<br />

ist, kein Geld zu haben. Ich könnte das, aber ich will es nicht.<br />

DAS MAGAZIN — Und Sie, Herr Fellmer?<br />

FELLMER — Ich könnt mir das schon vorstellen …<br />

DAS MAGAZIN — Sie müssten Geld ausgeben!<br />

FELLMER — Nein, das würde ich nicht machen. Aber ich würde<br />

im Restaurant mitessen, etwas Veganes, ich würde auch dein Auto<br />

fahren, ich würde vielleicht auch in den Laden gehen, wo du deine<br />

Pelzmäntel kaufst und mich mit dem Verkäufer unterhalten. Ich<br />

würde eintauchen, ohne direkt zu konsumieren.<br />

BELLER — Aaaah, du müsstest an einen Event, wo alle diese aufgeblasenen<br />

Leute sind, das wär so lustig! Aber du bräuchtest einen<br />

Smoking.<br />

FELLMER — Den kann man sich ausleihen, das würde ich sogar<br />

für den Tag dann ausnahmsweise machen.<br />

•<br />

MICHÈLE ROTEN ist Redaktorin des «<strong>Magazin</strong>s».<br />

michele.roten@dasmagazin.ch<br />

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Jedes Mal, wenn ich einen schönen Stoff sehe, kaufe ich ihn, obwohl<br />

ich in meiner Wohnung kein Fenster mehr ohne Vorhang<br />

habe. Beim Kauf weiss ich schon, ich brauchs nicht, begehre es<br />

nur. Ich verfalle dem. Es ist ein Liebesakt. In dem Moment<br />

steht alles für mich still, ich muss es haben. Dann bekommt der<br />

Stoff einen prominenten Platz, bis ich drüber stolpere und ihn<br />

in den Keller trage. Ich habe eine emotionale Bindung dazu:<br />

Stoff ist so weich, warm und lebendig.<br />

Ich kaufe immer bewusst. Auch mal Überflüssiges, was nicht unüberlegt<br />

heisst. Die Tasche ist handgearbeitet und stammt aus<br />

einer kleinen Manufaktur in Italien. Sie repräsentiert alle Werte<br />

von Ethical Fashion: Sie ist das Gegenteil überbordender Massenproduktion<br />

unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ich<br />

habe sie seit zehn Jahren, bloss ist ihr Leder so schön, dass ich<br />

sie nicht auf meine Reisen nach Afrika und Asien mitnehme.<br />

Würde ich sie über Flughäfen schleifen, wäre sie längst kaputt.<br />

32 33


NIMM NOCH EINE<br />

YAMSWURZEL<br />

Auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neuguinea beschenken sich<br />

die Menschen ihr Leben lang, sogar, wenn sie tot sind.<br />

Text SVEN BEHRISCH<br />

Illustration JÖRN KASPUHL<br />

Als Bronislaw Malinowski im Jahr 1914 in die Inselwelt Melanesiens<br />

segelte, da wusste er nur wenig über das, was ihn erwarten<br />

würde. Zwar war er nicht der erste Europäer, der sich in diese<br />

Weltgegend in der Salomonensee aufmachte; ein paar Entdecker<br />

und Eroberer waren auch schon dort, ausserdem seit knapp zwanzig<br />

Jahren die Missionare. Malinowski aber machte sich nicht auf<br />

die beschwerliche Reise von Polen über Indien in die Südsee, um<br />

Herrschaft zu erlangen oder seinen Glauben zu verbreiten, sondern<br />

um zu sehen und zu lernen. Die Bewohner der Trobriand-<br />

Inseln, hatte er gehört, seien herausragende Seefahrer, die Inselwelt<br />

atemberaubend und die Frauen schön, begehrlich und willig.<br />

«Keuschheit», schreibt Malinowski erfahrungsgesättigt nach<br />

seiner Rückkehr, «ist unter diesen Eingeborenen eine unbekannte<br />

Tugend.» Die Todsünde dagegen, auch das sollte er erfahren,<br />

heisst Sparsamkeit.<br />

Nach diversen Zwischenstopps, bei denen er schlechte Erfahrungen<br />

mit einigen unfreundlichen Inselbewohnern machte,<br />

scheint die Zielgegend, der er sich nun nähert, noch weniger<br />

vielversprechend: «Wir gelangen jetzt in ein trübes, grünliches<br />

Meer, dessen Monotonie nur von einigen Sandbänken unterbrochen<br />

wird, die teils unbewachsen und vom Wasser überspült, teils<br />

mit ein paar Schraubenbäumen bewachsen sind, die sich mit<br />

ihren Luftwurzeln im Sand festklammern (…) Wenn wir, den<br />

schwierigen Passagen zwischen den Sandbänken folgend, über<br />

die Lagune segeln und uns dem Festland nähern, bricht der dicht<br />

verfilzte, niedrige Dschungel über einem Strand hier und dort<br />

auf und lässt uns in einen Palmenhain blicken wie in einen von<br />

Pfeilern getragenen Innenraum. <strong>Das</strong> deutet auf ein Dorf hin.<br />

Wir betreten den Küstenstreifen, der wie üblich von Abfall und<br />

Schmutz bedeckt ist und auf dem die hochgezogenen Kanus<br />

trockenliegen, und betreten, die Baumgruppe durchquerend, das<br />

Dorf selbst.»<br />

Die Trobriand-Inseln gehören zu einer Gruppe von dicht bewaldeten<br />

Koralleninseln in der Milne Bay Area im östlichen Papua-<br />

Neuguinea. Ihre kulturelle Unabhängigkeit, ihr hoher Organisationsgrad,<br />

vor allem aber die Kuriositäten ihres Gemeinwesens<br />

ziehen bis heute Heerscharen von Anthropologen und Ethnologen<br />

an. 1793 segelte der Franzose Denis de Trobriand durch das<br />

Gebiet, hinterliess dort aber, abgesehen von seinem Namen,<br />

keine bleibenden Spuren. Rund hundert Jahre später kamen die<br />

Missionare und blieben bis zum heutigen Tag. Obwohl die Einwohner<br />

dem Wunder der unbefleckten Empfängnis wenig Göttliches<br />

abgewinnen konnten, haben Christen über die Jahrzehnte<br />

die Gesellschaft, wie Malinowski sie vorfand, stark verändert.<br />

Nicht jedoch den Kern des trobriandischen Lebens, eine Mischung<br />

aus krassem Materialismus und totaler Umverteilung, die<br />

sie von allen anderen Völkern der Welt unterscheidet – nicht zuletzt<br />

von den Verhältnissen auf der Hauptinsel des eigenen Staates<br />

Papua-Neuguinea, einem der gefährlichsten wie auch korruptesten<br />

Länder der Welt.<br />

Wer viel hat, gilt wenig<br />

Vier Jahre lang wird Malinowski auf Kiriwina, der Hauptinsel,<br />

bleiben. Die Ergebnisse seiner Untersuchung, die er in dem Buch<br />

«Die Argonauten des westlichen Pazifik» bündelte, gehören<br />

heute zu den Hauptwerken der Ethnologie. Malinowski war vor<br />

allem fasziniert vom Tauschsystem der Trobriander oder besser:<br />

den Tauschsystemen.<br />

Grob gesagt, gibt es zwei Arten von Tausch: Im dem einen,<br />

klassischen Fall versucht man, möglichst mit Gewinn zu tauschen;<br />

dieser ist jedoch weniger wichtig. Entscheidend ist ein<br />

anderer Tausch, der in die entgegengesetzte Richtung zielt: die<br />

Dinge, die man hat, loszuwerden. Denn ein Trobriander, der viel<br />

hat, gilt nichts. Status, Anerkennung dagegen gewinnt nur der,<br />

der gibt.<br />

Die schlechten Erfahrungen, die der Ethnologe auf einigen<br />

der Nachbarinseln machen musste, wiederholen sich hier nicht.<br />

Diese Eingeborenen, sollte Malinowski bewundernd feststellen,<br />

waren keine Wilden; sie waren klug, kunstfertig, sprachgewandt,<br />

spöttisch – und anders als manche andere Inselbewohner trachteten<br />

sie nicht nach Malinowskis Leben, erst recht nicht aber nach<br />

seinem Eigentum.<br />

Lobend bemerkt er: «Sie haben in der Tat ausgezeichnete<br />

Umgangsformen, in der vollen Bedeutung dieses Wortes.» Er<br />

wird gastlich empfangen, und «bald sitzen wir auf einer der Terrassen<br />

vor einem Yamshaus, dessen überhängendes Dach uns<br />

beschattet. Die runden grauen Holzblöcke, geglättet von den<br />

nackten Füssen und Körpern, der festgetretene Boden der Dorfstrasse,<br />

die braune Haut der Eingeborenen, die den Besucher<br />

sofort in grossen Gruppen umringen – all dies schafft eine Farbpalette<br />

von Bronze und Grau, die keiner, der wie ich unter diesen<br />

Menschen gelebt hat, vergessen kann.»<br />

Noch mehr als das Farbenspiel hat sich ihm aber ein Umstand<br />

eingeprägt, der alle bisherigen Annahmen über das Leben indigener<br />

Völker über den Haufen warf. Denn obwohl die Inselwelt<br />

nicht gerade reich an Ressourcen war und die kalkigen Böden karg<br />

sind, «erzeugen die Eingeborenen (…) mehr, als sie benötigen,<br />

und in einem durchschnittlichen Jahr ernten sie vielleicht mehr<br />

als das Zweifache dessen, was sie verzehren können». Angebaut<br />

wird vor allem Yams, ein Wurzelgewächs, ausserdem Taroknollen,<br />

Pitpit, Süsskartoffeln und Zuckerrohr, die neben Schweinefleisch,<br />

Fisch und Hummer die Hauptnahrung der Trobriander<br />

bilden. Sehr beliebt ist auch die Betelnuss, die einen guten Atem<br />

macht und eine gehobene Stimmung, allerdings auch ziemlich<br />

süchtig.<br />

Yams hat eine herausgehobene Stellung, was man unter anderem<br />

daran erkennt, dass es in speziellen Häusern ausgestellt wird.<br />

Malinowski schreibt: «In der Mitte umschliesst ein Ring von Yamshäusern<br />

einen grossen, kreisrunden Platz. Die Yamshäuser sind<br />

auf Pfählen errichtet und bieten eine schöne, schmucke Vorderseite<br />

mit Wänden aus grossen, runden Baumstämmen, die kreuzweise<br />

aufeinanderliegen und so grosse Zwischenräume freilassen,<br />

durch die die gelagerten Yamswurzeln zu sehen sind.»<br />

Jeder Trobriander, inklusive dem Häuptling, ist Gärtner. Je<br />

reicher sein Ertrag, je fleissiger seine Pflege der Setzlinge, je ordentlicher<br />

auch sein Beet und je gelungener dessen geschmückte<br />

Um fassung, desto mehr steigt sein Ansehen – nicht weil Tüchtigkeit<br />

eine Tugend für sich darstellt, sondern weil er mit der Menge<br />

an Yamsknollen seine Fähigkeit zur Schau stellt, diese an andere<br />

zu verteilen.<br />

Nach dieser Erfahrung nimmt sich Malinowski vor, «die Vorstellung<br />

vom imaginären, primitiven Menschen oder Wilden» zu<br />

widerlegen, «der in allen seinen Handlungen von einer rationalistischen<br />

Idee des Eigennutzes getrieben wird und seine Ziele<br />

direkt und mit dem geringsten Aufwand erreicht». Offenbar<br />

ohne sich bewusst zu sein, dass er damit die Grundlage der kapitalistischen<br />

Doktrin der westlichen, vermeintlich aufgeklärten<br />

Länder beschreibt, fährt er fort: «Schon ein einziges gut gewähltes<br />

Beispiel wird beweisen können, wie widersinnig die Unterstellung<br />

ist, dass der Mensch, insbesondere der auf einer niedrigeren<br />

Stufe der kulturellen Entwicklung stehende, sich von den<br />

rein ökonomischen Motiven eines aufgeklärten Eigennutzes leiten<br />

liesse.»<br />

Immer weiterschenken<br />

Ein gutes Beispiel für diese Praxis ist die Yamsernte, wie sie die<br />

Schweizer Ethnologin Ingrid Bell-Krannhals in monatelangen<br />

Feldforschungen untersuchte. Wie schon Malinowski bemerkte<br />

sie, dass die Trobriander viel zu viel produzieren; was sie aber<br />

noch mehr erstaunte, war der Umstand, dass sie auch praktisch<br />

den gesamten Ertrag an eine andere Person weitergeben, zunächst<br />

ohne ersichtliche Gegengabe und ohne dass für einen Aussenstehenden<br />

ersichtlich wäre, warum jemandem diese Gabe zuteil<br />

wird. Ganz abgesehen davon erscheint es auch unsinnig, den<br />

Ertrag des eigenen Gartens an eine Person zu geben, die ähnlich<br />

viel vom Gleichen produziert hat. Bell-Krannhals fand heraus,<br />

dass die Beschenkten – meist ihre Verwandten – die geschenkten<br />

Knollen ihrerseits zu einem grossen Teil weiterschenkten, wie<br />

auch wiederum diese Beschenkten. Am Ende eines hochkomplizierten<br />

gegenseitigen Tauschprozesses steht das Ergebnis, dass<br />

sich die Ernte auf alle Dorfbewohner – und sogar zwischen den<br />

Dörfern – auf eine Weise verteilt, die sicherstellt, dass niemand,<br />

der wenig oder keine Ernte einfuhr, Hunger leiden muss. Damit<br />

die Überversorgung gewährleistet bleibt, wetteifern Magier<br />

darum, mit den besten Zaubersprüchen einzelne Gärten besonders<br />

mit Regen zu segnen, ausserdem werden regelmässig Ernte-<br />

Wettbewerbe veranstaltet.<br />

<strong>Das</strong> Gesellschaftssystem der Trobriander beruht auf einem<br />

vermeintlichen Paradox: Einerseits baut es essentiell auf Leistung,<br />

die Ansammlung von Gütern und Wettbewerb auf. Andererseits<br />

bemisst sich der Status der Bewohner nicht an deren Eigentum,<br />

sondern daran, was sie damit machen, nämlich, dass sie es wie-<br />

34 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

35


10CFWMIQ7DMBAEX3TW7vnWdmpYhUUBUfiRqrj_R5XLCobNzHFMFfx47ue9X5NghFXKPSa5oUjNp_coWyMn3OlgfWCIgob-EosYLiCXY3BzZjfBODIUvTUm65rkGqCVz-v9BVBrVSiGAAAA<br />

10CAsNsjY0MDQx0TU2NDUyMgEACjWOgg8AAAA=<br />

36 37<br />

der verteilen. <strong>Das</strong> Prinzip hinter dem Tausch besteht darin, dass<br />

das soziale Ansehen desjenigen steigt, der besonders viel hergeben<br />

kann (und das auch tut), und andersherum wenig oder gar<br />

nichts gilt, wenn er entweder nichts hat oder nichts gibt. Der Sinn<br />

des Tausches dagegen ist zweierlei: Zum einen führt das Weiterschenken<br />

von Gütern dazu, dass niemand leer ausgeht; zum<br />

anderen bindet es die Gemeinschaft zusammen. Wer von einem<br />

anderen beschenkt wurde, hat wenig Interesse an Konflikten.<br />

Und da sich auf den Trobriand-Inseln alle Bewohner permanent<br />

beschenken, geht es dort sehr friedlich zu – zumindest solange es<br />

genügend gibt, was verteilt werden kann. <strong>Das</strong>s sich dies in den<br />

letzten Jahren geändert hat, weil die Lehren der Missionare die<br />

Verhütung (durch einen Kräutertrank) eingedämmt und damit<br />

eine Bevölkerungsexplosion bewirkt haben, steht auf einem<br />

anderen Blatt.<br />

Offiziell für Luft erklärt<br />

Was passiert, wenn sich jemand nicht an das Gebe-Gebot hält,<br />

erlebte der Sprachforscher Gunter Senft. 1982 kam er zum ersten<br />

Mal auf die Trobriand-Inseln, verbrachte dort bis heute insgesamt<br />

über vierzig Monate und bewahrte mit einer Grammatik<br />

sowie mehreren Wörterbüchern die Sprache für die Nachwelt.<br />

Ein ihm bekannter Trobriander, der sich als Touristenführer verdingte<br />

und dabei eine Menge Waren und auch Geld bei sich<br />

anhäufte, wurde in einem Ratschluss unter Leitung des Häuptlings<br />

offiziell für Luft erklärt. Dieser Beschluss war wörtlich gemeint.<br />

Niemand sprach mehr, niemand handelte mehr mit ihm,<br />

er musste sogar zur Seite springen, weil ihn die anderen Dorfbewohner<br />

sonst niedergetrampelt hätten. Schliesslich ging er.<br />

Wie tief das Prinzip des Gebenmüssens reicht, zeigt auch ein<br />

anderes Beispiel von Senft. Ein Australier, der eine trobriandische<br />

Frau geheiratet hatte, kam auf die Idee, einen Laden zu eröffnen.<br />

Er ging pleite, denn die Leute bedienten sich einfach am Sortiment,<br />

ohne zu bezahlen. Immerhin verfügte der Ladeninhaber<br />

über so viele Waren, dass sich seine Pflicht, sie unter den Bewohnern<br />

zu verteilen, von selbst verstehen musste.<br />

Wer wem wann und warum etwas gibt, beziehungsweise<br />

geben muss, gibt Forschern bis heute zuweilen Rätsel auf. Man<br />

zählt über achtzig verschiedene Formen der Gabe unter den<br />

Trobriandern, für die sie jeweils eigene Bezeichnungen verwenden.<br />

Manche ähneln eher einem Lohn, andere einem Tausch,<br />

wieder andere einem Geschenk, doch die Grenzen sind fliessend.<br />

Darunter sind Geschenke als Komplimente, Bittpräsente, um<br />

jemanden gewogen zu stimmen, Dank für Gemeinschaftsarbeit,<br />

Aner kennung für private Handwerksarbeit, Lohngeschenke für<br />

Totengräber, die sich wiederum unterscheiden von den Lohngeschenken<br />

für die Totenwächter und so weiter.<br />

Mit praktisch jeder Tauschbeziehung geht eine andere Form<br />

von Verbindlichkeit einher. Für Gemeinschaftsarbeit, etwa das<br />

Roden eines Gartens, müssen die Helfer zum Essen eingeladen<br />

werden. Für private Handwerksarbeit muss das ganze Dorf eingeladen<br />

werden, und zwar dreimal. Die Bittgeschenke kann man<br />

geben, muss man aber nicht, andere, wie etwa das Brautgeschenk,<br />

darf man nur dann geben, wenn man als Eltern die Heirat auch<br />

will. Denn, wenig verwunderlich für Trobriand, das Geschenk<br />

ist die Hochzeit.<br />

Die Verlobung erfolgt ähnlich pragmatisch. Kommt eine<br />

junge Frau eines Nachts nicht zurück ins Haus der Eltern, so hat<br />

sie sich für jemanden entschieden. Kürzere Liebesabenteuer vor<br />

der Ehe sind allerdings gängig. Vor allem um das Erntefest herum,<br />

wenn an den Abenden Musik gemacht, gegessen und reichlich<br />

Betelnuss gekaut wird, berichtet Malinowski, herrsche eine ausgesprochen<br />

lüsterne Atmosphäre. Damit auch jene ihren Gefühlen<br />

freien Lauf lassen können, die kein eigenes Haus haben oder<br />

sich jeweils eines mit einem anderen Partner teilen, steht in den<br />

Dörfern ein kleines Holzhaus zu dem Zweck, zwei Liebenden<br />

ihre Privatsphäre zu geben. Nach dem Akt folgt auch hier ein<br />

Tauschakt. Die Frau, die sich soeben dem Mann hingegeben hat,<br />

erhält danach eine Gegengabe.<br />

<strong>Das</strong> kann ein Angelhaken sein, ein Topf, Tabak oder Betelnüsse,<br />

theoretisch auch Geld, das seit den späten Achtzigerjahren<br />

vom Festland auf die Inseln kam. Mit derlei Währungen, zu<br />

denen auch jede Art von Nahrung, Kleidung oder Haushaltsgegenständen<br />

gehören, können alle untereinander tauschen.<br />

Andere sind für spezifische Entlohnungszwecke vorgesehen,<br />

etwa ein bestimmter Pudding für Trauernde. Wiederum andere<br />

sind nach Geschlecht getrennt. Bananenblätter, die zu Bündeln<br />

und Röcken gebunden und manchmal mit Mustern verziert werden,<br />

dürfen nur Frauen vergeben. Schmuck aus Muscheln und<br />

Schneckenhäusern sowie einige Waffen sind dagegen den Männern<br />

vorbehalten.<br />

Diese Ketten und Bänder bilden auch den Kitt des grössten<br />

und komplexesten Schenksystems der Trobriander: den Kula-<br />

Ring. <strong>Das</strong> Kula-Ritual ist ebenso Reise wie Friedensbund und<br />

Handelssystem innerhalb eines Gebietes weit entfernter Inseln.<br />

Malinowski, der den Kula als Erster analysierte, beschreibt ihn<br />

als ein geschlossenes System, in dem die immer gleichen Gegenstände<br />

über Generationen ringförmig ihren Besitzer wechseln:<br />

«Im Uhrzeigersinn wandert unablässig die eine, lange Halskette<br />

aus roten Muscheln, Soulava genannt. In entgegengesetzter Richtung<br />

wandert die andere Art, Armreifen aus weissen Muscheln,<br />

Mwali genannt.» Im Grunde geschieht in der Gemeinschaft des<br />

Kula kaum anderes als auch in den Dörfern; durch Geschenk und<br />

Gegengeschenk werden Freundschaften bestätigt, Informationen<br />

ausgetauscht – und dem Glauben der Trobriander Ausdruck<br />

gegeben, dass alles, was man im Leben gegeben hat, im Guten<br />

wie im Schlechten, irgendwann wieder zu einem zurückkommt.<br />

Gabe und Gegengabe<br />

<strong>Das</strong> Symbolische und das Merkantile schliessen sich allerdings<br />

bei diesen Fahrten nicht aus, denn neben dem festgelegten Austausch<br />

von Luxusgütern wird auch echter Handel getrieben. Der<br />

Anthropologe Jared Diamond schildert einen Bericht eines Mitglieds<br />

des Siassi-Stamms in Neuguinea. Auf ihren Tauschfahrten,<br />

bei denen Muscheln und Ketten turnusmässig den Besitzer wechseln,<br />

handeln sie nebenbei auch noch mit Schweinen, die sie so<br />

geschickt gegen Töpferwaren und dann wiederum gegen Schweine<br />

tauschen, dass sie mit einem satten Erlös von 900 Prozent nach<br />

Hause kommen.<br />

<strong>Das</strong> ganze Trobriander Leben, von der Aussenwirtschaft über<br />

die Dorfgemeinschaft bis unter die Bettdecke, beruht auf einem<br />

mehr oder weniger fest kodierten System von Gabe und Gegengabe.<br />

Die einzigen Wesen, mit denen die Trobriander erstaunlicherweise<br />

keinen Handel treiben, sind die Götter. Ausgerechnet<br />

diese Beziehung, die in den meisten Religionen der Welt mit<br />

Ablasszetteln, Opfergaben, Tempelbauten und also einer Menge<br />

Geld gern aufgebessert wird, läuft hier ganz ohne Bestechung.<br />

Zuständig für den Schutz vor allerlei bösen Geistern sind ausschliesslich<br />

die Magier. Sie werden konsultiert, wenn ein Kanu<br />

gebaut, wenn die Saat gepflanzt, eine Ehe geschlossen oder ein<br />

Mensch beerdigt wird. Selbstredend haben auch sie ihre eigene<br />

Tauschwährung: Für einen Zauberspruch lassen sich, je nach<br />

Wirksamkeit, reichlich Tabak oder Benzin für ein Motorboot<br />

erstehen.<br />

Und noch eine Gruppe ist vom Gesetz des Tauschens befreit:<br />

die Toten. Stirbt ein Mensch, wird er von Verwandten mit Gegenständen<br />

überhäuft. Die Warengaben, schreibt noch einmal Malinowski,<br />

«drücken (…) die zugrunde liegende emotionale Haltung<br />

aus: die trostreiche Wirkung der Wertgegenstände».<br />

So sehr lieben die Trobriander den Besitz, dass sie den Todkranken<br />

damit erhöhen wollen, ihm das Gefühl geben möchten,<br />

all jene Dinge weiterschenken zu können. So sehr lieben die Trobriander<br />

aber auch ihren Besitz, dass sie die Gaben nach dem<br />

Tod auch wieder einsammeln. Seine eigenen Gegenstände darf<br />

er dann mitnehmen auf die Toteninsel. In ewiger Jugend, nackt,<br />

vergnügt er sich dort mit all den anderen Verstorbenen, insbesondere<br />

jenen des anderen Geschlechts. Hat er irgendwann<br />

genug vom Paradies, schlüpft er als Geist einer im Meer badenden<br />

Frau in die Scheide, um wiedergeboren zu werden – und um<br />

den grössten denkbaren Tausch zu vollziehen: den des Lebens<br />

gegen den Tod.<br />

•<br />

SVEN BEHRISCH ist Reporter des «<strong>Magazin</strong>s».<br />

sven.behrisch@dasmagazin.ch<br />

Der Illustrator JÖRN KASPUHL lebt in Hamburg.<br />

www.kaspuhl.com<br />

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LISA BRÜHLMANN, 31 — SCHAUSPIELERIN<br />

FOGAL-STRUMPFHOSEN, PRO STÜCK . FRANKEN<br />

Die farbigen Strumpfis sind komplett unnütz in meinem Fall,<br />

aber anderen passiert das wohl auch: dass man sich verkauft.<br />

Eigentlich wollte ich damit Farbe in mein Outfit bringen. Ziehe<br />

ich sie dann endlich mal an, entscheide ich mich, sobald ich aus<br />

der Tür bin, wieder dagegen. Meist bin ich einfach nicht in der<br />

Stimmung aufzufallen. Letztlich streife ich immer wieder die<br />

bewährten schwarzen über – sie sind fast zu einer Konstante in<br />

meinem sonst ziemlich chaotischen Leben geworden.<br />

38 39


SUSANNE FRITZ, 38 — ARCHITEKTIN<br />

MASKE VON COCO DE MER, ENGLISCHE PFUND<br />

STEFAN MEIERHANS, 44 — EIDGENÖSSISCHER PREISÜBERWACHER<br />

LAMINIERMASCHINE VON ALDI, . FRANKEN<br />

Seit einer Party in der Fornasetti-Villa in Mailand spiele ich mit<br />

dem Gedanken, irgendwann ein Boudoir für Damen zu haben.<br />

In London wurde ich bei Coco de Mer, einem Laden, der sich<br />

Luxury Erotic Emporium nennt, fündig – neben Zügeln, Leder-<br />

Hasenohren, luxuriös verarbeiteten Peitschen und Fesseln fand<br />

ich die goldene Maske: für mich das poetischste Objekt. Noch<br />

habe ich sie nicht getragen, irgendwann aber wird sie das erste<br />

Stück meines Boudoirs werden.<br />

<strong>Das</strong> war ein impulsiver Fehlkauf. Bei Aldi stand ein Wühltisch,<br />

der den Schnäppchenjäger in mir weckte. Die Hemmschwelle<br />

bei dem Preis ist recht tief – und da gab ich mich auf der Stelle<br />

meinen Fantasien hin: Von morgens früh bis abends spät würde<br />

ich alles laminieren! Fotos, Dokumente, alles würde in Plastik<br />

geschweisst länger schön bleiben. Bitte jetzt nicht tiefenpsychologisch<br />

deuten! Übrigens hab ich die Maschine nie ausgepackt.<br />

Alle Protokolle OLIVER DEMONT, DAVID TORCASSO<br />

40 41


THOMAS<br />

HELD<br />

DIKTATUR DES<br />

BESITZSTAND-<br />

WAHRERS<br />

Die Erregung im Kanton Zürich ist gross,<br />

seit der Bundesrat kürzlich entschieden hat,<br />

dass der ehemalige Militärflugplatz Dübendorf<br />

auch in Zukunft für die Fliegerei genutzt<br />

werden soll und dafür eine Trägerschaft<br />

oder Betriebsgesellschaft gesucht<br />

wird. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel<br />

sei dieser Entscheid gekommen, klagte der<br />

Stadtrat von Dübendorf – obwohl der Bundesrat<br />

vor zwei Jahren beschlossen hat, die<br />

Weiterführung des Flugbetriebs über 2014<br />

hinaus zu überprüfen. Und im Kantonsparlament<br />

wurde dem Bund gar unterstellt, er<br />

wende «militärische» Mittel wie Täuschen<br />

und Tarnen an, um den «Gegner», also<br />

den Kanton Zürich, zu besiegen. In der<br />

Schweiz hat man sich offensichtlich so sehr<br />

an Planungsfantasien auf fremdem Grund<br />

gewöhnt, dass schon das Bekenntnis des<br />

Eigentümers Bund, seine Infrastruktur weiterhin<br />

betreiben zu wollen, für einen kollektiven<br />

Aufschrei sorgt.<br />

Bereits aus ein wenig Distanz zur lokalen<br />

Erregung – so dies im immer engmaschigeren<br />

Politikgeschehen der Schweiz<br />

überhaupt noch möglich ist – kann der bundesrätliche<br />

Stellungsbezug aber nicht überraschen.<br />

Die Kapazitätsprobleme des einzigen<br />

wirklichen internationalen Hubs des<br />

Landes sind hinlänglich bekannt. Politische<br />

Mehrheiten für nötige Pistenausbauten<br />

scheinen in weiter Ferne. Die deutsche<br />

Souveränität wird dem Betrieb in Kloten<br />

zukünftig eher noch engere Grenzen setzen.<br />

Es braucht kein logistisches Genie,<br />

um in der Entflechtung von Linien- und<br />

Privatfliegerei, von grossen und kleinen<br />

Flugzeugen auf zwei benachbarten Flugplätzen<br />

eine betriebliche Erleichterung –<br />

und auch eine bessere Sicherheit – für den<br />

geplagten Flughafen Zürich zu erkennen.<br />

Auch unter dem Gesichtspunkt der nationalen<br />

Sicherheit ist es durchaus nachvollziehbar,<br />

eine Basis im Osten des Landes<br />

beizubehalten.<br />

Hinzu kommt, dass jeder Flughafen<br />

eine äusserst kostbare, im wahrsten Sinn<br />

des Wortes unersetzliche Infrastruktur ist.<br />

Dies nicht nur wegen der komplexen Technik,<br />

sondern vor allem wegen der in langwierigsten<br />

Verfahren erarbeiteten und national<br />

wie international zertifizierten Prozeduren.<br />

Unter den gegebenen räumlichen,<br />

rechtlichen und politischen Voraussetzungen<br />

wird in der Schweiz nie mehr ein Flughafen<br />

gebaut. Einen solchen Schatz aufzugeben,<br />

während nicht nur die Scheichs<br />

am Golf, sondern vor allem die Chinesen<br />

gleichzeitig Dutzende von neuen Flughäfen<br />

bauen, scheint im internationalen<br />

Wettbewerb nicht besonders erfolgversprechend.<br />

Schliesslich: Zurückgebaute Spuren<br />

und aufgehobene Parkplätze in den Städten<br />

könnten eine neue Generation zur Not<br />

wieder aktivieren; auch die nicht erneuerte<br />

Energieproduktion lässt sich durch Importe<br />

kompensieren. Mit dem Untergang<br />

von Bahnlinien oder Flughäfen jedoch<br />

geht die Standortgunst meistens für immer<br />

verloren.<br />

Bloss: Solche utilitaristischen oder gar<br />

übergeordneten strategischen Überlegungen<br />

haben gegen den Trend zum Rückbau<br />

oder zur Verdrängung von «störender» Infrastruktur<br />

keine Chance. Höhere Dichte,<br />

mehr Verkehr, mehr Einwohner führen zu<br />

Abwehrreflexen. Nicht wenige Abstimmungen<br />

der letzten Zeit lassen sich als<br />

Wunsch nach dem Status quo lesen: Wir<br />

haben alles, wir brauchen nichts, wir wollen<br />

unsere Ruhe! <strong>Das</strong> «Not In My Backyard»-Prinzip<br />

(Nimby) regiert immer häufiger<br />

die kommunale und kantonale Politik.<br />

<strong>Das</strong> Diktat des Besitzstandwahrers<br />

lässt die Infrastruktur verlottern und bedroht<br />

so ironischerweise den geschaffenen<br />

Wohlstand.<br />

Der Dübendorf-Entscheid des Bundesrates<br />

zeigt, dass die Nimby-Allianz nur<br />

durch die Zuständigkeit einer höheren politischen<br />

Ebene, durch die so oft gegeisselte<br />

Zentralisierung, überwunden werden<br />

kann. Ohne eidgenössisches Waldgesetz<br />

keine nennenswerten Waldflächen,<br />

ohne eidgenössisches Gewässerschutzgesetz<br />

keine sauberen Seen, ohne eidgenössisches<br />

Eisenbahngesetz keine moderne<br />

Bahn und keine attraktiven Bahnhöfe.<br />

Trotz der Anrufung der föderalistischen<br />

Götter und der Dämonisierung des<br />

«Zentralstaates» haben zumindest die<br />

Ausserschweizer gemerkt, dass auch eine<br />

halbwegs vernünftige Raumplanung nicht<br />

ohne eine übergeordnete Instanz realisiert<br />

werden kann. Der Bundesstaat ist eben<br />

weder Bern noch einfach die Summe seiner<br />

Teile, sondern schlicht der einzige demokratisch<br />

legitimierte Akteur, der die nationalen<br />

Infrastrukturen bewahren kann.<br />

Thomas Held ist Soziologe und führt in Zürich<br />

ein Beratungs- und Managementbüro.<br />

BILD: THE BRIDGEMAN ART LIBRARY<br />

Ist das noch eine Brillo-Box?<br />

HANS ULRICH<br />

OBRIST<br />

VON MADAME<br />

BOVARY ZU<br />

FRAU BOVARY<br />

Wer behauptet, die grossen Werke der Weltliteratur<br />

zu kennen – «Verbrechen und Strafe» von Dostojewski,<br />

«Madame Bovary» von Gustave Flaubert,<br />

«Ulysses» von James Joyce und so weiter –, sollte<br />

vielleicht noch mal in sich gehen. Denn die meisten<br />

dürften diese Werke nicht auf Russisch, Französisch,<br />

Englisch, sondern in der deutschen Übersetzung<br />

gelesen haben. Die Frage ist: Hat, wer Dostojewski<br />

auf Deutsch las, wirklich Dostojewski<br />

gelesen oder eine Neufassung nach Dostojewski?<br />

Der britische Romancier Adam Thirlwell wollte<br />

genauer wissen, was passiert, wenn man ein Werk<br />

von einer Sprache A in eine Sprache B übersetzt:<br />

wie sich der Stil, die Atmosphäre, die Geschichte<br />

verändern. Also hat er ein Experiment gestartet.<br />

Für die 42. Ausgabe des amerikanischen <strong>Magazin</strong>s<br />

«Mc Sweeney’s» bat er 63 Schriftstellerkollegen, verschiedene<br />

kürzere Erzählungen zu übersetzen. Allerdings<br />

nicht nur einmal, sondern sechsmal in Folge.<br />

Prominente Namen sind darunter. Der südafrikanische<br />

Nobelpreisträger John M. Coetzee, der<br />

Amerikaner Jeffrey Eugenides, Javier Marías aus<br />

Spanien, die britische Erfolgsautorin Zadie Smith<br />

und auch Dave Eggers, der Gründer des <strong>Magazin</strong>s.<br />

Um das Übersetzungsexperiment für englischsprachige<br />

Leser nachvollziehbar zu machen, entschloss<br />

sich Thirlwell zu einer Art Zickzack-Strategie. <strong>Das</strong><br />

heisst, eine Erzählung von Søren Kierkegaard wird<br />

erst aus dem Dänischen ins Englische, dann weiter<br />

ins Niederländische, von dort aus wieder zurück ins<br />

Englische, daraufhin ins Französische und wieder<br />

zurück ins Englische übertragen.<br />

Ich will dem Ergebnis nicht vorgreifen. Nur so<br />

viel: Es wirft die Frage auf, warum Übersetzer literarischer<br />

Werke in der Regel unbekannt bleiben,<br />

obwohl es eigentlich sie sind, die die Literaturgeschichte<br />

in den verschiedenen Sprachen schreiben.<br />

Der Titel des <strong>Magazin</strong>s lautet «Multiples». Eine<br />

schlaue Idee. Denn tatsächlich erinnert dieses Verfahren,<br />

von einer Vorlage immer neue Exemplare zu<br />

machen, der Kunstform des Multiples. Andy Warhol<br />

etwa hat tausendfach die Brillo-Box in Siebdrucken,<br />

Polaroids und Installationen umgesetzt. Die<br />

Frage wäre – analog zu Dostojewski: Welche ist die<br />

wahre Brillo-Box?<br />

Adam Thirlwell (Hg.), «Multiples» (Mc Sweeney’s Issue 42),<br />

Mc Sweeney’s Publishing 2013<br />

www.mcsweeneys.net<br />

Hans Ulrich Obrist ist Kurator und Co-Direktor an der<br />

Serpentine Gallery in London.<br />

«<strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong>» ist die wöchentliche<br />

Beilage des «Tages-Anzeigers»,<br />

der «Basler Zeitung», der «Berner<br />

Zeitung» und von «Der Bund»<br />

Adresse der Redaktion: Tamedia AG,<br />

<strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong>, Postfach, 8021 Zürich,<br />

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Nachbestellung: redaktion@dasmagazin.ch<br />

Gesamtherstellung: Tamedia AG,<br />

Pro duction Services, Werdstrasse 21,<br />

8021 Zürich<br />

Ombudsmann: Tamedia AG, Ignaz<br />

Staub, Postfach 837, CH-6330 Cham 1<br />

Bekanntgabe von namhaften<br />

Beteiligungen (i. S. v. ART. 322 STGB):<br />

20 Minuten AG, 20 minuti Ticino SA,<br />

Berner Oberland Medien AG BOM,<br />

Büchler Grafino AG, car4you Schweiz AG,<br />

CIE centre d’impression SA, Comfriends<br />

SA, Doodle AG, DZO Druck Oetwil a.S.<br />

AG, Edita S.A., Editions Le Régional SA,<br />

ER Publishing SA, Espace Media AG,<br />

FashionFriends AG, FMA Fachmedien<br />

Agrar AG, Glattaler AG, homegate AG,<br />

Jobsuch maschine AG, Jobup AG,<br />

LC Lausanne-cités S.A., Le Temps SA,<br />

Neues Bülacher Tagblatt AG, Payot Naville<br />

Distribution SA, Presse publications SR<br />

SA, Romandie Online SA en liquidation,<br />

SA de la Tribune de Genève, Schaer Thun<br />

AG, scoup AG, search.ch AG, Société<br />

de Publications Nouvelles SPN SA,<br />

Tagblatt der Stadt Zürich AG, Tamedia<br />

Publications ro mandes SA, Verlag Finanz<br />

und Wirtschaft AG, Verlags-AG<br />

«Schweizer Bauer», ZO Wochen zeitungen<br />

AG, Zürcher Oberland Medien AG,<br />

Zürcher Regionalzeitungen AG<br />

42 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

43


TRUDY MÜLLER–BOSSHARD<br />

1 2 3 4 5 6<br />

7 8 9 10 11 12 13<br />

14 15 16 17<br />

18 19<br />

20 21 22<br />

23 24 25 26<br />

27 28 29 30 31 32<br />

33 34<br />

35 36 37<br />

38 39<br />

WIRD MIT DEM CHEFPOSTEN BEAUFTRAGT:<br />

Die Lösung ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend.<br />

WAAGRECHT (J + Y = I): 7 Könnte man leicht als Kintopperette bezeichnen. 14 Den Gegner hoch mit dem kleinen Finger bezwingen. 17 Der Rosenfingrigen<br />

fährt er hinterher. 18 Besiegelt (göttlich) das Landwirten nach Steiner. 19 Ist in Natur und Kultur von universeller Bedeutung. 20 Der Hobbit<br />

unter den Tramperlegenden. 21 Sohlen schonende Art einzuholen. 22 Reisläufer schätzt dieser Dame inneren Wert. 23 Ein spezieller Mümmelmann<br />

gehört zu deren Kundenstamm. 24 Gekoppelt mit Klostervorstand hats dieser vermeintlich pressant. 25 Artussagenhafte Fee vom See. 27 Ist typisch<br />

für einen Vogel und einander Gewogene. 30 Geschickte Frau mit Patina. 33 Verkehren Possessivpronomen ins Gegenteil. 34 Schauplatzmässig gehört<br />

Fellinis «süsses Leben» auch zu denen. 35 Schlagartig schlaff machende Waffe. 36 Widerspricht Naturgesetz – wird Kind, Knabe, nicht aber Mädchen<br />

vorgesetzt. 37 Was Panzerknacker aus Tresoren holen. 38 Widerständler sind mit Widerstandsschluss kongruent. 39 Stings Darling (Nachname) ist auch<br />

ein Gestalter.<br />

SENKRECHT (J + Y = I): 1 <strong>Das</strong> Drinnen für einen, der draussen bleiben muss. 2 Einer aus Asti und was er spricht. 3 Des Briten Home ist auch eine<br />

Krimiserie. 4 Trifft zu bei Ortskundigen und beim Präjudiz. 5 Zur Blondine fehlt der Bettenhauskette ein Trojaner. 6 Sowohl Sklaventreiber als<br />

auch Minenbetreiber. 7 Inselstaat, den jeder Philatelist gern im Album hat. 8 Es ists sowohl verdiente Knete als auch Lenkrakete. 9 Für den Arzt gilt<br />

derweil Hamlets letztes Wort. 10 Party on the Rocks? Überzeugungsprädikat! 11 Aus der Unschuld vom Felde: in Hohenrain eingemeindetes Kaff.<br />

12 Macht Thiel und Boerne spurlos zu schaffen. 13 Miniheere geben deutschen Käse her. 15 Was für unsereinen Stress, gehört für die Urech zum Tagesgeschäft.<br />

16 An Altar und Urne ungültiger Text. 17 Dreck zu Heilzweck. 26 Doch aus hiesigem Mund, am Anfang von Ende. 28 Würde ein echter<br />

Barista nie auftischen. 29 Damit löst sich Jersey von der britischen Krone. 31 Darin buddelt aktuell die Heinzmann. 32 Passierte, während Ogi zum<br />

Neujahr referierte, im Hintergrund.<br />

LÖSUNG Nº 9: MEDIENRUMMEL<br />

WAAGRECHT (J + Y = I): 5 RADIOMODERATOREN. 13 OLYMPIAKANDIDATUR. 18 DIMMER. 19 DAMENMODE. 20 BIERKRUG<br />

(Herrgöttli). 22 SAMMLER. 23 «KLINGE Munotglöckelein …». 25 den Teller AUFESSEN. 28 ARIE. 29 FURT. 30 (Sänger-)KNABE.<br />

32 IMAGE. 35 Wireless Local AREA Network. 36 TONFILM. 37 ISÈRE in Re-isere-i. 38 ANDERE. 39 FENSTERLN. 40 NUDELBRETT.<br />

41 ERNTE.<br />

SENKRECHT (J + Y = I): 1 KIMME. 2 ROAD RUNNER (Zeichentrickfigur). 3 TEAM. 4 STIMME. 5 RODELBAHN. 6 ALIBIFRAU.<br />

7 DIMINUENDO. 8 OPERETTE («Die Fledermaus»). 9 MIRKA Federer. 10 ADNA, von unten: Anda (Géza/Pianist). 11 RADLAGER.<br />

12 NUTRIMENT. 14 (Haus-)KAUF(-haus). 15 NESSELN. 16 DOM (Kirche von Wassen). 17 TEER. 21 (Rand-)GEBIET. 24 GRADE (engl. für<br />

Rang). 26 SIMSE(!). 27 NASEN. 30 KORB, Körbchen. 31 AFFE (ugs. für Rausch). 33 MITRA (Kopfbedeckung von Bischöfen). 34 ERLE<br />

in P-erle-n (vor die Säue werfen).<br />

HELPLINE FÜR RATLOSE: Sie kommen nicht mehr weiter? Wählen Sie 0901 591 937 (1.50 Fr. / Anruf vom Festnetz), um einen ganzen Begriff<br />

zu erfahren. Wenn Sie nur den Anfangsbuchstaben wissen möchten, wählen Sie 0901 560 011 (90 Rp. / Anruf vom Festnetz).<br />

Kompetente Journalisten und Journalistinnen schreiben für Sie in Schweizer Zeitungen und Zeitschriften über Aktualitäten und ihre<br />

Hintergründe. Damit Sie besser informiert sind und sich eine eigene Meinung bilden können. Bestellen Sie jetzt per Mausklick ein<br />

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44 DA S M AGA ZIN 10/2013


EINE SEKUNDE IM LEBEN<br />

Daniel Straub, 45, wird oft dafür belächelt, dass er ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />

propagiert. <strong>Das</strong> stört ihn nicht. Er ist sicher: Die Schweiz wird bald darüber abstimmen.<br />

Die Idee ist: Jeder in der Schweiz erhält monatlich 2500 Franken<br />

vom Staat, ohne dass man dafür Bedingungen erfüllen muss.<br />

70 000 Unterschriften haben wir bereits gesammelt, im Herbst<br />

wollen wir die Initiative einreichen. So wie es zurzeit ausschaut,<br />

kriegen wir das hin.<br />

Utopist, Sozialromantiker oder einfach nur Spinner, das höre<br />

ich immer wieder. Alles ist richtig. Als ich vor Jahren zum ersten<br />

Mal über das Grundeinkommen las, dachte ich: <strong>Das</strong> kann ja nicht<br />

funktionieren. <strong>Das</strong> würde die ganze Gesellschaft auf den Kopf<br />

stellen. Und vor allem: Wer soll das zahlen?<br />

Ich begann mehr über das Thema zu lesen, lernte einige andere<br />

«Spinner» kennen und veranstaltete in Zürich einen Vortrag<br />

mit Götz Werner, Gründer einer deutschen Drogeriekette<br />

mit Milliardenumsatz und Befürworter des bedingungslosen<br />

Grundeinkommens. An diesem Abend fragte Werner die Zuhörer<br />

im Raum, was sie tun würden im Leben, wenn sie frei wählen<br />

könnten und keinerlei äusseren Zwängen ausgesetzt wären.<br />

Vielleicht hört sich das jetzt pathetisch an, aber maximal eine Sekunde<br />

später wusste ich, dass ich eine Initiative für ein Grundeinkommen<br />

starten will.<br />

Die Schweiz muss nun als erstes Land dieser Welt darüber<br />

diskutieren und abstimmen, das ist grossartig! <strong>Das</strong>s ich diese<br />

Möglichkeit ausschöpfen kann, dafür mag ich dieses Land.<br />

Von der Idee fühlen sich viele provoziert, zumindest wenn<br />

sie das erste Mal davon hören. Den Trigger ihrer Aufgebrachtheit<br />

kann ich bis heute nicht ganz nachempfinden. Vielleicht, weil<br />

die Vorstellung eines Grundeinkommens die Bereitschaft braucht,<br />

ein weisses Blatt Papier hervorzunehmen, Dinge also wirklich<br />

neu zu denken. <strong>Das</strong> verunsichert viele. Dabei ist es nur so, als<br />

würde man den Zeitpunkt, an dem man die AHV bezieht, auf<br />

null Jahre heruntersetzen. Und kennen Sie jemanden, der sich<br />

schämt, die AHV zu beziehen?<br />

Um in der Schweiz leben zu können, braucht jeder Geld. Wäre<br />

es da nicht sinnvoller, diesen Teil, den man unbedingt braucht,<br />

bedingungslos zu machen? Der Betrag von 2500 Franken ist nicht<br />

in Stein gemeisselt. Die Festlegung des genauen Betrags würde<br />

das Volk nach Annahme der Initiative entscheiden. Wichtig ist<br />

einzig, dass ein Mensch mit diesem Geld ein menschenwürdiges<br />

Leben führen kann und – ganz zentral: Er muss dadurch zu einem<br />

Job Nein sagen können.<br />

So könnte viel mehr entstehen und existieren, was heute aus Kostendruck<br />

nicht geleistet wird, weil zu viele den ganzen Tag ihrem<br />

Lohn nachrennen müssen. Erst ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />

bringt die Freiwilligkeit – und mit ihr die Kreativität.<br />

Von da an haftet jeder für sein Handeln und dafür, ob er glücklich<br />

wird oder nicht. Denn satt würde er schon durch sein Grundeinkommen.<br />

Damit landen wir automatisch bei einem urliberalen<br />

Wert: der Eigenverantwortung.<br />

<strong>Das</strong>s der Mensch träge und faul ist, wenn man ihm alles hinstellt,<br />

ist ein Irrtum. Davon bin ich überzeugt. Der Mensch will<br />

arbeiten – besonders wenn er einen Sinn darin sieht. Den muss<br />

jeder selber für sich finden. <strong>Das</strong> würde natürlich auch bedeuten,<br />

dass die Mehrheit weiterschuften würde, weil es für sie Sinn ergäbe,<br />

weit mehr als Zweieinhalbtausend zu haben.<br />

Und wenn wir schon beim Geld sind: 200 Milliarden würde<br />

das Ganze den Staat kosten. Mit tieferen Löhnen und zum Teil<br />

eingesparten Sozialleistungen liesse sich das finanzieren.<br />

Würde bereits in einer Woche über das Grundeinkommen<br />

abgestimmt, würde es ganz klar abgelehnt. Was aber in ein paar<br />

Jahren und nach einer ausgiebigen Debatte in der Gesellschaft<br />

das Ergebnis wäre, kann heute niemand sagen. Wer hätte schon<br />

vor drei Jahren gedacht, dass das Bankgeheimnis so schnell verschwindet?<br />

Selbst gestandenen Unternehmern gefiel unsere Idee. Dafür<br />

erkannte einer an einer Juso-Veranstaltung leicht entsetzt: «Aber<br />

dann kann ja eine Putzfrau, die zusätzlich zum Grundeinkommen<br />

voll weiterarbeitet, am Ende 6000 Franken verdienen?!» Stimmt,<br />

kann sie.<br />

<strong>Das</strong> bedingungslose Grundeinkommen rückt die Frage ins<br />

Zentrum, welcher Arbeit wir als Gesellschaft künftig welchen<br />

Wert beimessen. Oder anders gefragt: Warum zahlen wir eigentlich<br />

Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, viel weniger<br />

Geld als jenen, denen wir unser Geld anvertrauen?<br />

Protokoll OLIVER DEMONT<br />

Bild MAURICE HAAS<br />

46 DA S M AGA ZIN 10/2013<br />

47


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10CAsNsjY0MDQx0TU2NDG1NAIAFDjqNQ8AAAA=<br />

«Woich<br />

zurRuhe<br />

komme»<br />

Maxvon Milland<br />

Musikerund Student, Brixen.<br />

Er nennt sich wie der Vorort von Brixen,<br />

in dem ergross geworden ist –Milland.<br />

Heimat, das ist für Max von Milland<br />

kein konkreter Raum, sondern mehr ein<br />

Gefühl:ein gemeinsamerAbend mitFreunden,<br />

beim Musizieren oder Feiernauf dem<br />

Altstadtfest. Den Songwriter zieht es oft<br />

ins Südtirol. «Dort spüre ich diese Magie,<br />

diemichbeimLiederschreibeninspiriert.»<br />

Ein Filmporträtvon Maxsehen Sie<br />

unterwww.suedtirol.info/max –oder<br />

auf YouTube, indemSie denQR-Code<br />

miteinem Smartphone scannen.<br />

Im Südtirolgehen Berggipfel undPiazzagut zusammen.<br />

Alpine Kultur undmediterrane Lebensartschaffeneinen<br />

besonderenLebensraum.<br />

www.suedtirol.info

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