Versuch 12: Gesichtssinn
Versuch 12: Gesichtssinn
Versuch 12: Gesichtssinn
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat<br />
Aufgaben<br />
Durchführung des SCHEINERschen <strong>Versuch</strong>s: Bestimmung des Nahund<br />
Fernpunktes mit dem DONDERschen Optometer.<br />
Berechnung der Akkommodationsbreite und -strecke sowie Bewertung<br />
der Befunde.<br />
Bestimmung des Visus für beide Augen (bei Fehlsichtigkeit Refraktionskorrektur).<br />
Berechnung der Netzhautprojektion eines Optotyps und seiner Strichstärke<br />
unter Verwendung eines Buchstabens der Sehschärfetafel.<br />
Lernziele<br />
Gesetze der optischen Abbildungen | Dioptrie | Bau des Auges | Akkommodationsvorgang<br />
| Dioptrischer Apparat | Reduziertes Auge | Refraktionsanomalien<br />
| Brillenlehre.<br />
Sehleistung | Sehschärfe | Visus | Refraktionsanomalien | Astigmatismus<br />
| Verteilung der Sehzellen | Photopisches und skotopisches<br />
Sehen.<br />
<strong>12</strong>.1.1 Fern- und Nahakkommodation<br />
Die Fähigkeit des menschlichen Auges, durch Brechkraftänderung der Linse sowohl<br />
nahe als auch ferne Objekte scharf auf der Retina abzubilden, bezeichnet<br />
man als Akkommodation. Der am weitesten entfernte, noch scharf abbildbare<br />
Punkt ist der Fernpunkt, der am nächsten liegende der Nahpunkt. Bei nahezu unverändertem<br />
Fernpunktsabstand rückt im Prinzip schon vom Kleinkindesalter<br />
an der Nahpunkt mit steigendem Lebensalter vom Auge weg. Ab einer Nahpunktsentfernung<br />
> 33 cm liegt eine Alterssichtigkeit (Presbyopie) vor, die beim<br />
Emmetropen (Rechtsichtigkeit) sich etwa ab dem 45. Lebensjahr bemerkbar macht.<br />
Blutuntersuchung
2 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Der Akkommodationsvorgang basiert auf dem Wechselspiel von Linse, Zonulafasern<br />
und Ziliarmuskel. Die Linse, die aus löslichen, von einer elastischen Linsenkapsel<br />
umschlossenen Proteinen besteht, hat aufgrund ihrer Eigenelastizität<br />
das Bestreben, eine kugelförmige Gestalt anzunehmen. Die Verformbarkeit des<br />
Linseninhalts und damit ihre Formelastizität lässt im Alter durch Einlagerung<br />
unlöslicher Proteine nach. Am Linsenäquator inserieren die Zonulafasern, die<br />
ihrerseits an Sklera bzw. Chorioidea ansetzen. Einerseits dienen sie der Linsenaufhängung.<br />
Andererseits üben sie im entakkommodierten Auge bei erschlafftem<br />
Ziliarmuskel radiäre Zugkräfte auf die Linse aus, die dadurch abgeflacht<br />
und in ihrem Brechungsvermögen vermindert wird. Die Zugkräfte<br />
entspringen dem Dehnungsbestreben von Sklera und Chorioidea aufgrund des<br />
Augeninnendrucks. Spannen sich hingegen die Muskelfasern des Ziliarkörpers<br />
unter dem Einfluß des Parasympathikus an, werden die Ursprungspunkte der<br />
Zonulafasern nach vorne gezogen, und dadurch die Fasern entspannt. Die Linse<br />
kann ihren elastischen Verformungskräften folgend eine stärker gekrümmte Gestalt<br />
annehmen, wobei die Kurvatur der vorderen Linsenkapsel deutlicher zunimmt.<br />
Es kommt zur Brechkrafterhöhung und damit zur Nahakkommodation.<br />
Die verfügbare Brechkraftänderung der Linse, die sich aus der Brechkraftdifferenz<br />
zwischen nah- und fernakkommodiertem Auge errechnet, ist als Akkommodationsbreite<br />
definiert. Sie drückt das Akkommodationsvermögen des Auges aus<br />
(Abb. <strong>12</strong>-1).<br />
Abb. <strong>12</strong>-1 Die Akkomodationsbreite<br />
als Funktion des<br />
Lebensalters.<br />
Die graue Zone um die Mittelwertkurve<br />
drückt die oberen<br />
und unteren Grenzwerte<br />
aus. Die zusätzlich eingetragenen<br />
Nahpunktsabstände<br />
machen deutlich, daß bereits<br />
im jugendlichen Alter der Nahpunkt<br />
wegrückt. Im statistischen<br />
Mittel nimmt die Brechkraft<br />
um 0.3 dpt/Lebensjahr<br />
ab. Jenseits einer Nahpunktsentfernung<br />
von 0.33 m spricht<br />
man von einer Presbyopie.<br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat 3<br />
Obwohl die Brechkraftänderung nur von den Brechungseigenschaften der Linse<br />
abhängt, tragen zur Gesamtbrechkraft des Auges Hornhaut, Kammerwasser,<br />
Linse und Glaskörper gemeinsam, aber mit unterschiedlicher Gewichtung bei (s.<br />
Tab. <strong>12</strong>-1). Die Brechkraft D eines optischen Systems, gemessen in Dioptrien<br />
(dpt), errechnet sich aus dem Reziprokwert der Brennweite f in m:<br />
Vordere Hornhautfläche<br />
Hintere Hornhaut<br />
Hornhaut gesamt<br />
Linse*<br />
Gesamter Apparat<br />
D [dpt] = 1/f [m –1 ] [1]<br />
Brechkraft [dpt]<br />
Fernakkommodation Nahakkommodation<br />
48.8<br />
– 5.9<br />
42.9<br />
15.7<br />
58.6<br />
48.8<br />
– 5.9<br />
42.9<br />
27.7<br />
70.6<br />
Tab. <strong>12</strong>-1 Durchschnittliche Brechkraft der wichtigsten brechenden Augenstrukturen<br />
für ein emmetropes Auge von Jugendlichen (Akkommodationsbreite = <strong>12</strong> dpt)<br />
* Diese Brechkraftangabe bezieht sich auf die Linse in situ. Die isolierte Linse<br />
besitzt hingegen eine Brechkraft von 19.1 dpt.<br />
In Tab. <strong>12</strong>-1 wird deutlich, daß zwei Drittel der Gesamtbrechkraft auf die Hornhaut<br />
entfallen. Minimale Unregelmäßigkeiten der Hornhaut (Verkrümmungen,<br />
Verletzungen, Vernarbungen) können demnach zu schwerwiegenden Abbildungsfehlern<br />
des Auges führen.<br />
Die angegebene Gesamtbrechkraft des Auges von 58.6 dpt ist gegen Luft gemessen.<br />
Ihr entspricht eine Brennweite von<br />
f = 1/58.6 [dpt –1 ] = 0.00171 m = 17.1 mm [2]<br />
die als vordere Brennweite (Auge grenzt an Luft) zu verstehen ist. Die hintere Brennweite<br />
im „flüssigen“ Milieu des Auges beträgt hingegen 22.7 mm, was einer effektiven<br />
Brechkraft von 44.1 dpt entspricht. Die reduzierte Brechkraft lässt sich damit<br />
erklären, daß die maßgeblichen Oberflächen im Auge, die prinzipiell nur flüssige<br />
Abschnitte voneinander trennen, weniger stark als gegen Luft brechen. Dieser Sachverhalt<br />
kommt auch darin zum Ausdruck, dass man beim Tauchen ohne Taucher-
4 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
brille stark hyperop wird. Vereinfachend werden die Abbildungseigenschaften<br />
des Auges üblicherweise auf die Umgebung Luft bezogen.<br />
Refraktionsanomalien<br />
Für das emmetrope Auge muss die Bulbuslänge ganz exakt auf die hintere Brennweite<br />
des dioptrischen Apparats abgestimmt sein. Besteht ein Missverhältnis<br />
zwischen Achsenlänge des Auges und Gesamtbrennweite spricht man von einer<br />
Ametropie bzw. Refraktionsanomalie.<br />
Die häufigste Form einer Ametropie liegt in einem Missverhältnis der Achsenlänge<br />
des Auges (entspricht näherungsweise der Bulbuslänge) zu dem normal<br />
brechenden dioptrischen Apparat. Dies entspricht einer Achsenametropie mit den<br />
beiden Sonderfällen der Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit: zu lange Augenachse) und<br />
Achsenhyperopie (Weitsichtigkeit: zu kurze Augenachse). Demgegenüber ist in<br />
etwa 5 % aller Fehlsichtigkeiten die Brechkraft nicht auf die normale Achsenlänge<br />
abgestimmt, was als Brechungsametropie bezeichnet wird. Entsprechend ist eine<br />
zu starke Brechkraft als Brechungsmyopie, eine zu schwache als Brechungshyperopie<br />
einzustufen.<br />
Ein einfaches Rechenbeispiel soll verdeutlichen, wie präzise die Achsenlänge des<br />
Auges auf die hintere Brennweite f des fernakkommodierten Auges abgestimmt<br />
sein muß:<br />
Emmetropie: Brechkraft des realen fernakkommodierten Auges D = 44.1 dpt., was<br />
einer hinteren Brennweite von f =1/D = 0.0227 m = 22.7 mm entspricht.<br />
Achsenmyopie: Angenommen die Achsenlänge sei 23.7 mm, d.h. nur um 1 mm zu<br />
lang. Für ein scharfes Netzhautbild muss der dioptrische Apparat über eine hintere<br />
Brennweite von f = 23.7 mm, entsprechend der Brechkraft von<br />
D =1/f = 42.2 dpt<br />
verfügen. Die normale Brechkraft müsste demnach für den um 1 mm zu langen<br />
Bulbus um 2 dpt vermindert werden, was natürlich problemlos mit Hilfe eines<br />
Brillenglases der Stärke –2 dpt gelingt. Es sei kurz daran erinnert, dass sich die<br />
Gesamtbrechkraft eines zusammengesetzten Abbildungssystems aus der Summe<br />
der Teilbrechkräfte errechnet, z.B.:<br />
D ges = D auge + D brille [3]<br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat 5<br />
Eine Sonderform der Brechungsametropien ist der Astigmatismus. Ein punktförmiges<br />
Objekt wird eher »stabförmig« auf der Netzhaut abgebildet. Die häufigste<br />
Ursache liegt in einer nicht mehr ideal kugelförmigen Korneaoberfläche.<br />
In zwei zueinander senkrecht stehenden Schnittebenen, die in der Regel nicht<br />
unbedingt vertikal bzw. horizontal liegen, weist die Kornea zwei verschiedene<br />
Krümmungsradien auf (ellipsoidförmige Oberfläche), was natürlich zu Verzeichnungen<br />
und damit zu Unschärfe in den Abbildungseigenschaften des Auges<br />
führt. Mit Zylindergläsern kann ein Astigmatismus, sofern er regelmäßig ist –<br />
d.h. beide Schnittebenen stehen senkrecht zueinander – korrigiert werden.<br />
SCHEINERscher <strong>Versuch</strong><br />
Achsenametropien lassen sich mit Hilfe des SCHEINERschen<strong>Versuch</strong>s* auf einfache<br />
Weise ausmessen. Der <strong>Versuch</strong> bedient sich des DONDERschen Optometers,<br />
das aus einer optischen Bank mit Zentimeterskala, einem verschiebbaren<br />
Reiter mit feinem senkrecht aufgespanntem Faden und einer Zweilochblende<br />
besteht. Die beiden Bohrungen in der Blende sind extrem fein und müssen einen<br />
Abstand, der kleiner als die mittlere Pupillenweite ist, besitzen. Jede der Bohrungen<br />
wirkt wie die feine Öffnung einer Lochkamera (Camera obscura) und erzeugt<br />
ein scharfes Bild des Reiterfadens, das sich im Prinzip sogar auf einer Mattscheibe<br />
auffangen lässt. Zwei Bilder des Fadens sollten auch auf der Retina des<br />
Auges entstehen, das gleichzeitig durch beide Löcher blickt. Jedoch werden beide<br />
Bilder, sofern die Brechkraft des Auges ausreicht, automatisch durch richtiges<br />
Akkommodieren zur Deckung gebracht: Das Betrachterauge sieht den Faden<br />
einfach und scharf. Mit Verkleinerung des Abstandes muss die Brechkraft des<br />
Auges solange gesteigert werden, bis für den Nahpunktsabstand g N die maximale<br />
Brechkraft (stärkste Akkommodationsanstrengung) erreicht ist. Bei weiterer Annäherung<br />
entsteht eine Verdoppelung der Abbildung, die mit weiter abnehmendem<br />
Abstand immer deutlicher auseinander wandert (nicht zu verwechseln mit<br />
dem Phänomen der "Doppelbilder" z.B. unter Schielstellung bei beidäugigem<br />
Sehen).<br />
* Christoph SCHEINER (1575–1650), Jesuitenpater und Naturwissenschaftler mit Leib<br />
und Seele. Er machte zahlreiche Entdeckungen zur physiologischen Optik und zur<br />
Astronomie (Entdecker der Sonnenflecken) und war genialer Erfinder (Pantograph<br />
= Storchschnabel, SCHEINERscher <strong>Versuch</strong>).
6 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Zur Bestimmung des Fernpunktes wird dem Auge eine Vorsatzsammellinse bekannter<br />
Brechkraft D VL vorgeschaltet. Dadurch wird der Fernpunkt, der für das<br />
emmetrope Auge im Unendlichen liegt – entspr. parallele Einfallstrahlen – in die<br />
Brennebene der Linse verschoben. Die Vorsatzlinse erhöht de facto die Brechkraft<br />
und macht das Auge brechungsmyop. Den künstlich nähergerückten Fernpunkt,<br />
nun als Hilfsfernpunkt HF bezeichnet, erfasst man, indem der Reiter so<br />
weit weggeschoben wird, bis wiederum das Einfach- in Doppelsehen umschlägt<br />
(g HF = Hilfsfernpunktsabstand).<br />
Mit den gemessenen Abständen g N und g HF sowie der Brechkraft der Vorsatzlinse<br />
D VL sind folgende Brechkräfte in dpt zu berechnen:<br />
D N = 1/g N [4]<br />
D F = 1/g HF – D VL [5]<br />
D AB = D N – D F [6]<br />
wobei D N dem Nahpunktsabstand in dpt, D F dem Fernpunktsabstand in dpt und<br />
D AB der Akkommodationsbreite entspricht. Für die Beurteilung einer Refraktionsanomalie<br />
besitzen die beiden Parameter D F und D AB zentrale Bedeutung.<br />
D AB kann zur Beurteilung einer Presbyopie herangezogen werden. D F gibt vor allem<br />
darüber Aufschluss, ob eine Myopie oder Hyperopie vorliegt (s. Tab. <strong>12</strong>-2).<br />
D F [dpt] Fehlsichtigkeit Brillenkorrektur [dpt]<br />
0<br />
> 0<br />
< 0<br />
Emmetropie<br />
Myopie<br />
Hyperopie<br />
<br />
< 0 (Minusglas), wobei Brillenstärke = D F<br />
> 0 (Plusglas), wobei Brillenstärke = D F<br />
Tab. <strong>12</strong>-2 Anhand des Fernpunktsabstandes in dpt lassen sich Kurz- oder Weitsichtigkeiten<br />
eindeutig erkennen und quantifizieren. Vorzeichenumkehr von D F liefert<br />
die erforderliche Brillenkorrektur.<br />
Die Beziehungen [4]–[6] sowie die Aussagen der Tab. <strong>12</strong>-2 lassen sich aus der allgemeinen<br />
Linsengleichung für dünne Linsensysteme ableiten:<br />
1 1 1<br />
[7]<br />
g b f<br />
wobei g die Gegenstandsweite (Sehobjektabstand), b die Bildweite und f die<br />
Brennweite symbolisieren. Formel [7] lässt sich näherungsweise auf die Abbildungseigenschaften<br />
des Auges übertragen, wenn man das Brechungsverhalten<br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat 7<br />
des dioptrischen Apparates auf eine einzige dünne Sammellinse gleicher Brechkraft<br />
reduziert. Dieses einfache Abbildungsmodell entspricht dann dem „reduzierten<br />
Auge“, das beiderseits an Luft grenzt.<br />
Für das fernakkommodierte emmetrope Auge gilt:<br />
b = f [8]<br />
(Bildweite = Entfernung des Knotenpunktes K bis zur Retina, s. Abb. <strong>12</strong>.3)<br />
Für diesen Fall folgt aus Gl. [7]:<br />
D F =1/g F =1/f –1/b = 0 [9]<br />
Im Falle des myopen Auges mit b > f (= zu langer Augapfel) wird:<br />
D F >0,<br />
d.h. die Brechkraft ist für den verlängerten Bulbus um D F zu hoch und muss mit<br />
einer Brille der Stärke (– D F) korrigiert werden. Für das hyperope Auge mit b < f <br />
(= zu kurzer Augapfel) ist hingegen:<br />
D F
8 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Um die Einschränkung der Sehleistung des myopen Auges anschaulich zu machen,<br />
kann man die Akkommodationsstrecke g AS berechnen, welche die Entfernung<br />
zwischen Fernpunkt und Nahpunkt in [m] ausdrückt:<br />
g AS = g F –g N [14]<br />
g AS muss natürlich für das emmetrope Auge gegen gehen, während sich für das<br />
hyperope Auge negative Werte einstellen, was sich anschaulich schwer vermitteln<br />
lässt. Formal bedeutet dies, dass die Fernpunktsstrahlen nicht parallel, sondern<br />
konvergent auf das hyperope Auge auffallen müssten, um im entakkommodierten<br />
hyperopen Auge scharf auf der Netzhaut abgebildet werden zu können. Anders<br />
ausgedrückt, muss das hyperope Auge schon akkommodieren, wenn ein Gegenstand<br />
unendlich entfernt ist.<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
Mit aufgestütztem Kopf soll die VP in normaler Blickrichtung monokular durch die<br />
Doppellochblende des Optometers blicken, wobei das Betrachterauge so nahe<br />
wie möglich an die Blende herangeführt werden muss. Das Auge ist absolut ruhig<br />
zu halten, da geringe Augenbewegungen das <strong>Versuch</strong>sergebnis deutlich verfälschen.<br />
Es hat sich auch bewährt, daß die VP selbst den Reiter des Optometers<br />
vor- und zurückschiebt. Die VP sieht bei korrekter Fixation zwei kreisrunde helle<br />
Bilder mit einer zentralen Überlappungszone, in der der Faden des Reiters<br />
scharf zu sehen ist. Aus einer Distanz, die auf jeden Fall größer als der Nahpunktsabstand<br />
g N sein muss (ca. 20 cm), und aus der der Faden einfach gesehen<br />
wird, muss der Reiter so nahe an die Blende herangeschoben werden, bis das<br />
Einfachbild in ein Doppelbild umzuschlagen beginnt. Dabei muss die VP stets<br />
bemüht sein, durch höchste Akkommodationsanstrengung ein Einfachbild des<br />
Fadens zu erzielen. Der Umschlagspunkt wird als Nahpunktsabstand auf der<br />
Entfernungsskala abgelesen. Die Nahpunktsmessung soll mehrfach wiederholt<br />
und der kleinste Entfernungswert (warum?) als korrekter Nahpunktsabstand notiert<br />
werden.<br />
Zur Bestimmung des Fernpunktes wird anschließend in die Linsenhalterung<br />
der Blende eine Linse mit z.B. 3 dpt gesteckt. Wird nun der Reiter in der Brenn-<br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat 9<br />
weite dieser Linse (f = 33 cm) betrachtet, so wird dieser für das Auge praktisch in<br />
unendliche Entfernung gerückt, da die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen,<br />
durch die Linse abgelenkt, parallel zur optischen Achse auf das Auge treffen.<br />
Jetzt ist der Reiter so weit vom Auge wegzuschieben, bis sich das Einfachbild<br />
wiederum in ein Doppelbild verwandelt. Nach mehrmaliger Wiederholung ist<br />
der grösste Abstand des Hilfsfernpunkts gHF zu notieren. Aus den gemessenen<br />
Werten g HF und g N sind entsprechend der Formeln [5], [6] und [14] D F, D AB sowie<br />
g AS zu berechnen. Die Parameter sind hinsichtlich eventueller Refraktionsanomalien<br />
zu beurteilen und dafür notwendige optische Korrekturhilfen vorzuschlagen.<br />
<strong>12</strong>.1.2 Sehschärfe<br />
Unter der Sehschärfe versteht man das zweidimensionale Auflösungsvermögen<br />
des Auges. Strenggenommen spricht man von der Sehleistung oder dem Visus sine<br />
correctione, wenn das Auge ohne korrigierende optische Hilfsmittel untersucht<br />
wird, und von Sehschärfe oder dem Visus cum correctione bei optimaler optischer<br />
Korrektur des Auges.<br />
Der Visus drückt letztlich aus, wie nahe zwei punktförmige Sehobjekte<br />
beieinander liegen dürfen, um vom Auge (monokular) oder von beiden Augen<br />
(binokular) noch als getrennt wahrgenommen zu werden. Um der Tatsache<br />
Rechnung zu tragen, daß dieser Minimalabstand von der Entfernung der Objektpunkte<br />
zum Auge abhängt, versucht man statt dessen, den minimalen Öffnungswinkel<br />
zu bestimmen, unter dem die beiden Punkte noch als räumlich getrennt<br />
erkannt werden (Minimum separabile). Mit diesem minimalen Sehwinkel –aufgrund<br />
seiner kleinen Werte wird er in Winkelminuten angegeben (1’ = 1/60°) – lässt<br />
sich der Visus, wie folgt, berechnen:<br />
Visus = 1/ (Winkelminuten –1 ) [15]<br />
Für die normale Sehschärfe ist das Minimum separabile 1’, was zu einem Visus = 1<br />
führt. Bei Jugendlichen liegt der Visus häufig sogar über 1.<br />
Die Sehschärfe hängt in starkem Maße von der Dichte der Sehzellen in der<br />
Retina ab, die in der Fovea centralis am höchsten ist. An dieser Stelle des „schärfsten<br />
Sehen“ verfügt man daher über den höchsten Visus, der zur Peripherie hin<br />
abnimmt. Neben der Sehzellendichte spielt die Größe und Organisationsform<br />
der sog. retinalen Rezeptorfelder eine ganz wichtige Rolle. Unter abnehmender<br />
retinaler Leuchtdichte verringert sich der Visus für alle Stellen der Netzhaut und
10 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
bricht beim Dämmerungssehen (skotopisches Sehen) für die Fovea centralis<br />
förmlich ein, da das skotopische Sehen ausschließlich über die Stäbchen erfolgt,<br />
die bekanntlich in der Fovea centralis gänzlich fehlen.<br />
Warum besitzen farbenblinde Patienten (Achromaten) einen Visus, der weit<br />
unter dem Normalwert liegt?<br />
Das Minimum separabile der menschlichen Netzhaut von 1’ entspricht der<br />
räumlichen Trennung von 2 Bildpunkten auf der Retina mit einem Minimalabstand<br />
von 5 µm. Legt man einen mittleren Abstand der Zellmittelpunkte des fovealen<br />
Zapfenmosaiks von ca. 2.5 µm zugrunde, ist das foveale Minimum separabile<br />
dann erreicht, wenn zwischen zwei erregten Zapfen gerade ein unerregter<br />
bzw. weniger erregter Zapfen liegt.<br />
Der Visus cum correctione, d.h. die Sehschärfe bei optimaler Korrektur mit optischen<br />
Hilfsmitteln, liefert in der augenärztlichen Diagnostik wichtige Hinweise<br />
für Sehstörungen, die nicht durch Sehhilfen korrigierbar sind. Aus der Fülle von<br />
Augenerkrankungen sollen nur einige wenige Fälle exemplarisch aufgezählt werden:<br />
Hornhautdystrophie, Linseneintrübung (grauer Star), Glaskörpertrübungen,<br />
Makulaerkrankungen, Netzhautablösung oder -degeneration, Glaukom,<br />
Gesichtsfeldausfälle (Skotome).<br />
Der Visus kann sehr einfach mit Sehschärfetafeln (Optotypentafeln) geprüft<br />
werden, die entweder für eine Sehentfernung von 5 oder für 6 m zur Bestimmung<br />
des Fernvisus konstruiert sind. Objekte ab einer Entfernung von 5 m werden<br />
vom Emmetropen bereits mit völlig entakkommodierten Augen wahrgenommen.<br />
Gilt diese Aussage auch für den Hyperopen?<br />
Neben Buchstaben oder Zahlen haben sich Landoldt-Ringe (s. Abb. <strong>12</strong>-3) als<br />
Optotypen weitgehend durchgesetzt. Die aufgeschnittenen, in verschiedene<br />
Abb. <strong>12</strong>-3 Landoldt-Ring zur Sehschärfebestimmung. Die Spaltbreite D wird als die<br />
winzige Strecke d auf der Netzhaut abgebildet.<br />
<strong>12</strong>.1 Dioptrischer Apparat 11<br />
Richtungen gedrehten Ringe müssen von den Probanden hinsichtlich der Öffnungsrichtung<br />
erkannt werden. Die Sehschärfetafeln sind üblicherweise so konzipiert,<br />
dass Reihen unterschiedlich großer Optotypen abgebildet sind, die von<br />
Probanden mit Visus = 1 aus den angegebenen Entfernungen d sicher erkannt<br />
werden müsssen; d.h. jeder Zeichengröße entspricht eine definierte Sollentfernung<br />
D. Für einen Patienten, der z.B. eine Zeichengröße für die Sollentfernung<br />
<strong>12</strong> m gerade noch aus 6 m (= Istentfernung) erkennen kann, errechnet sich ein Visus<br />
von:<br />
Istentfernung 6<br />
Visus <br />
Sollentfernung <strong>12</strong><br />
05 . [16]<br />
Eine schnellere und präzisere Vorgehensweise zur Beurteilung der Sehleistung<br />
bedient sich sogenannter Sehtestgeräte, wie sie im Praktikum eingesetzt werden.<br />
Diese optisch hochwertigen, kompakten Testgeräte sind für den stationären,<br />
und besonders für den mobilen Einsatz konzipiert. In Reihenuntersuchungen<br />
zur Überprüfung der Fahr- oder Flugtauglichkeit, bei Musterungen und in der<br />
Arbeitsmedizin sind sie nicht mehr wegzudenken.<br />
Neben den Basisuntersuchungen zur Fern- und Nahsehschärfe sowohl bei<br />
Tag- als auch bei Dämmerungsehen sind weitere Tests zum räumlichen Sehen,<br />
Schielen, Farbensehen und zur Gesichtsfeldbestimmung verfügbar.<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
Die Sehschärfetafel wird aus einer Entfernung von 6 m monokular betrachtet.<br />
Der Emmetrope soll die mit D = 6 m (entspricht der Sollentfernung) bezeichnete<br />
Zeile scharf lesen können. Sein Visus ist dann 6/6 = 1. Muss er zum Erkennen<br />
näher an die Tafel herangehen, ist der Visus < 1, kann er sich entfernen ist der<br />
Visus > 1.<br />
Um eine Vorstellung zu gewinnen, wie klein sich Buchstaben und insbesondere<br />
ihre Strichstärken auf die Netzhaut projizieren, soll mit Hilfe des Strahlensatzes<br />
die Bildgröße der Buchstaben der Reihe D = 6 m und ihre Strichstärke berechnet<br />
werden, wenn ein Leseabstand (Gegenstandsweite) von 6 m und eine<br />
Bildweite im Auge von 17 mm zugrunde gelegt wird.<br />
Die Überprüfung eines Astigmatismus ("Zylinderfehlers")lässt sich sehr einfach<br />
mit Hilfe eines Strahlenkranzes vornehmen, der auf dem Monitor oder in Abb.
<strong>12</strong> <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
<strong>12</strong>-4 abgebildetet ist. Ursprungsstrahlen, die in 10°-Schritten eingezeichnet sind,<br />
sollten, wenn kein Astigmatismus vorliegt, homogen schwarz, d.h. durchweg<br />
scharf, gesehen werden. Einen regulären Astigmatismus erkennt man daran, daß<br />
ein schmales Segment von Strahlen deutlich schwärzer als das dazu senkrecht stehende<br />
gesehen wird. Zur „Selbsterfahrung“ dieser Sehstörung kann man eine<br />
Zylinderlinse vor das Auge halten, wodurch ein regulärer Astigmatismus erzeugt<br />
wird. Wenn die Zylinderlinse um ihre Mitte gedreht wird, wandern die durch den<br />
Astigmatismus hervorgerufenen Bildveränderungen entsprechend mit.<br />
<strong>12</strong>.2 Gesichtsfeld und Augenhintergrund 13<br />
<strong>12</strong>.2 Gesichtsfeld und Augenhintergrund<br />
Aufgaben<br />
Bestimmung des monokularen Gesichtsfeldes für Hell-Dunkel-Reize<br />
und verschiedene Farben.<br />
Bestimmung der Größe des blinden Flecks und seines Abstandes von<br />
der Fovea centralis.<br />
Untersuchung des Augenhintergrundes: Beobachtung der Blutgefäße<br />
und des Austrittspunktes des Fasciculus opticus (Papille).<br />
Lernziele<br />
Monokulares und binokulares Gesichtsfeld | Blickfeld | Perimetrie | Topographie<br />
der Sehbahn | Gesichtsfeldausfälle | Blinder Fleck | Verteilung<br />
der Sehzellen auf der Retina.<br />
Ophthalmoskopie | Augenhintergrund | Aufbau der Retina | Prinzip des<br />
Augenspiegels.<br />
Abb. <strong>12</strong>-4 Strahlenfigur zur Überprüfung eines Astigmatismus. Die Zeichnung sollte<br />
aus bequemer Leseentfernung unter Fixation des schwarzen Mittelpunktes<br />
betrachtet werden. Sieht man Strahlen unterschiedlicher Schwärzung, deutet<br />
dies auf einen Astigmatismus hin.<br />
<strong>12</strong>.2.1 Perimetrie<br />
Die Gesichtsfeldbestimmung (Perimetrie) ist die wichtigste Untersuchung bei<br />
Sehbahnläsionen, wobei sie im Sinne einer topischen Diagnostik vor allem Rückschlüsse<br />
auf den Läsionsort zulässt. Somit findet sie auch Einsatz in der neurologischen<br />
Diagnostik.<br />
Unter dem Gesichtsfeld versteht man den Teil der visuellen Umwelt, den<br />
man bei fixiertem Kopf und unbewegtem Auge wahrnehmen kann. Die Gesichtsfeldgrenzen<br />
und -ausfälle (Skotome) können mit dem Perimeter erfasst werden.<br />
Wegen der ungleichen räumlichen Verteilung von Zapfen und Stäbchen auf<br />
der Retina ergeben sich für Hell-Dunkel-Reize und für verschiedene Farben unterschiedlich<br />
große Gesichtsfelder. Bei lokalen Schädigungen im Bereich der Retina<br />
kommt es zu umschriebenen Ausfällen im monokularen Gesichtsfeld. Da die<br />
Retina im Bereich des Austrittspunktes des Fasciculus opticus keine Sinneszellen<br />
besitzt, lässt sich auch beim Gesunden ein „physiologisches Skotom“ nachweisen,<br />
den sog. blinden Fleck. Schädigungen im Bereich der Sehbahn führen i.a. zu<br />
charakteristischen, binokularen Gesichtsfeldausfällen: Beispielsweise kann es bei
14 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Hypophysentumoren zu Druckschädigung der Neurone in der Mitte des Chiasma<br />
opticum kommen, was zum Ausfall beider lateraler Gesichtsfeldhälften führen<br />
kann (heteronyme bitemporale Hemianopsie). Bei gleichzeitiger Berücksichtigung<br />
der Pupillenreaktion können anhand der Perimetrie Schädigungen der Sehbahn<br />
ziemlich exakt lokalisiert werden.<br />
Die Auftragung der Messdaten, die mittels der Halbkugelperimetrie gewonnen<br />
werden, erfolgt in Polarkoordinaten, d.h. mit einem Winkelkoordinatenpaar<br />
kann jede Position auf der gedachten Halbkugel, in deren Mittelpunkt sich das<br />
zu untersuchende Auge des Probanden befindet, eindeutig festgelegt werden<br />
(analog der geographischen Längen- und Breitenangabe auf der Erdkugel). Die<br />
anatomischen Gegebenheiten (Nasenwurzel, Orbitadach) schränken das Gesichtsfeld<br />
normalerweise nasal und gegen oben ein. Der blinde Fleck liegt<br />
ca. 10–20° temporal auf dem horizontalen Meridian. Beim binokularen Sehen<br />
überlappen rechtes und linkes Gesichsfeld in der Weise, dass ein gemeinsamer,<br />
zentraler Sehraum entsteht. In ihn fallen die beiden blinden Flecken, die deshalb<br />
bei binokularem Sehen nicht wahrgenommen werden (Abb. <strong>12</strong>-5).<br />
<strong>12</strong>.2 Gesichtsfeld und Augenhintergrund 15<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
Die Gesichtsfeldbestimmung wird für ein Auge an einem Hohlkugelperimeter<br />
mit bewegten Lichtreizen durchgeführt (monokulare kinetische Perimetrie). Die <strong>Versuch</strong>sperson<br />
muss Stirn und Kinn an die vorgesehene Halterung anlegen, um so<br />
sicher zu sein, dass sich das zu untersuchende Auge im Mittelpunkt der Perimeterhemisphäre<br />
befindet. Die richtige Lage des Auges kann vom Untersucher<br />
durch ein in das Perimeter eingebautes Objektiv überprüft werden. Lichtmarken<br />
wechselnder Farben werden langsam von der Peripherie zum Zentrum hin bewegt.<br />
Die VP muss Zeichen geben, sobald sie zunächst den Lichtpunkt als solchen<br />
und etwas später seine exakte Farbe wahrgenommen hat. Größe, Helligkeit<br />
und Farbe der Lichtmarke können variiert werden. Durch Schwenken der Projektionsvorrichtung<br />
für die Lichtmarke können die Gesichtsfeldgrenzen in verschiedenen<br />
Meridianen festgestellt werden.<br />
Die Größe des blinden Flecks und sein Abstand von der Fovea centralis werden<br />
folgendermaßen ermittelt:<br />
Einäugiges Fixieren einer Lichtmarke in einer vorgegebenen Betrachtungsentfernung.<br />
Bewegen eines Lichtpunktes von temporal nach nasal in den Bereich<br />
des blinden Flecks. Ablesen des Lichtpunktsabstandes zur fixierten Lichtmarke<br />
beim Verschwinden und beim Wiederauftauchen des Punktes auf einer Entfernungsskala.<br />
Die Ausdehnung des blinden Flecks und sein Abstand von der Fovea<br />
centralis werden mit Hilfe des Strahlensatzes berechnet (die Bildweite im Auge<br />
betrage 17 mm).<br />
A<br />
Abb. <strong>12</strong>-5 Monokulares (A) und binokulares (B) Gesichtsfeld. Im monokularen Gesichtsfeld<br />
für das rechte Auge sind der blinde Fleck (P) und die Grenzen für<br />
farbige Lichtreize eingetragen. Was bedeutet der Befund, dass die temporale<br />
Grenze über 90° hinausreicht? Die weisse Überlappungszone im binokularen<br />
Gesichtsfeld (B) grenzt den gemeinsamen Sehbereich ab.<br />
B<br />
<strong>12</strong>.2.2 Augenhintergrund<br />
Der Augenhintergrund ist die einzige Stelle des Organismus, an der arterielle Gefäße<br />
nichtinvasiv direkt betrachtet werden können. Eine Untersuchung des Augenhintergrundes<br />
(Ophthalmoskopie) wird daher nicht nur bei Erkrankungen des<br />
Auges durchgeführt. Sie ist auch in der Diagnostik vieler internistischer Erkrankungen,<br />
die mit Gefäßveränderungen (arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus,<br />
Störungen des Lipidstoffwechsels usw.), von großer Bedeutung.<br />
Die Untersuchung des Augenhintergrundes kann im aufrechten Bild oder im<br />
umgekehrten Bild erfolgen. Im Praktikum beobachten wir den Augenhintergrund<br />
im aufrechten stark vergrößerten Bild (15-fach) (Vorteil dieser Variante:<br />
für den weniger Geübten leichter zu erlernen; Nachteil: kleiner Ausschnitt, der
16 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
<strong>12</strong>.2 Gesichtsfeld und Augenhintergrund 17<br />
falsche Größenvorstellungen vortäuscht). Bei diesem Verfahren müssen Patient<br />
und Untersucher möglichst entakkommodiert sein. Da Brillen, weil störend, abzunehmen<br />
sind, müssen eventuelle Refraktionsanomalien des Untersucher- wie<br />
auch des Patientenauges durch passende Linsen der eingebauten Rekoss-Scheibe<br />
so korrigiert werden, dass ein scharfes Netzhautbild entsteht. Optimale Untersuchungsbedingungen<br />
sind eine leicht abgedunkelte Umgebung und möglichst<br />
weitgestellte Pupillen (durch Auftropfen von Mydriatika – wird im Praktikum<br />
nicht durchgeführt!).<br />
Das Wesen der Ophthalmoskopie besteht darin, Lichtstrahlen so in das Patientenauge<br />
zur Beleuchtung des Augenhintergrundes zu lenken, dass vom Fundus<br />
noch genügend Licht in Richtung Betrachterauge reflektiert wird, um ein<br />
ausreichend helles Bild vom Patientenfundus auf der Retina des Betrachters zu<br />
entwerfen. Ohne einen Augenspiegel erscheint dem Betrachter die Pupille des<br />
Patientenauges allerdings tiefschwarz, weil bei normaler Beleuchtung unter seiner<br />
Blickrichtung zu wenig Licht das Patientenauge verlässt. In Abb. <strong>12</strong>-6 ist der<br />
prinzipielle Aufbau eines Augenspiegels dargestellt. Über einen halbdurchlässigen<br />
Spiegel werden die Strahlen der im Griff befindlichen Lichtquelle entlang<br />
der optischen Achse des Arztauges auf die Pupille des Patienten abgelenkt. Durch<br />
den halbdurchlässigen Spiegel gelangt nach Reflexion am Fundus des Patientenauges<br />
genügend Licht entlang der optischen Achse in das Betrachterauge.<br />
Arzt<br />
Spiegel<br />
Lampe<br />
Patient<br />
Abb. <strong>12</strong>-6 Prinzip der Ophthalmoskopie.<br />
Bei dieser direkten Augenspiegelung<br />
blickt der Arzt durch einen halbdurchlässigen<br />
Spiegel auf das über denselben<br />
Spiegel beleuchtete Patientenauge. Er<br />
sieht den Fundus im aufrechten stark<br />
vergrößerten Bild hellrot leuchten.<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
Nachdem Sie den Lichtschalter am Griff eingeschaltet haben, richten Sie zunächst<br />
den Lichtstrahl, der über den Spiegel austritt, auf ein weißes Blatt Papier,<br />
um die verschiedenen Blendeneinstellungen kennenzulernen:<br />
– Kleines und großes Leuchtfeld<br />
– Grünfilter: Er absorbiert u.a. die roten Lichtstrahlen, so dass die Blutgefäße<br />
dunkel, fast schwarz auf hellem Grund erscheinen. Morphologische Veränderungen<br />
im Gefäßsystem der Netzhaut lassen sich damit besser beurteilen.<br />
– Der Lichtspalt erleichtert durch schräges Ausleuchten das Erkennen von Linsentrübungen<br />
und die Beurteilung der vorderen Augenabschnitte.<br />
– Die Testfigur erlaubt das Ausmessen der Lage und der Ausdehnung pathologisch<br />
veränderter Netzhautstellen. Der Patient fixiert dabei den Stern in der<br />
Mitte der Testfigur.<br />
Drehen Sie vor der eigentlichen Untersuchung die Linsenscheibe auf die Stärke<br />
Null, die in dem kleinen Kontrollfenster abzulesen ist. Wenn Sie das rechte Patientenauge<br />
untersuchen wollen, setzen Sie sich rechte Seite an rechte Seite mit<br />
dem Patienten. Halten Sie das Ophthalmoskop mit der rechten Hand so dicht<br />
wie möglich vor Ihr rechtes Auge, und blicken Sie durch das Beobachtungsfenster<br />
aus einer Distanz von ca. 20 cm auf die rechte Pupille des Patienten. Wenn Sie<br />
den Lichtstrahl auf die Pupille des Patienten richten, werden Sie den Fundus bereits<br />
aus dieser Entfernung rot leuchten sehen (Analogie zu »roten Augen« bei<br />
Blitzlichtaufnahmen). Behalten Sie die rot leuchtende Patientenpupille im Auge<br />
und nähern Sie sich dem Patienten so weit wie möglich, indem Sie den roten<br />
Fundus »nicht aus den Augen verlieren« dürfen. Nun variieren Sie solange die<br />
Korrekturlinsen (üblicherweise Minusgläser), bis aus der roten Scheibe ein<br />
scharfes Netzhautbild mit klaren Gefäßstrukturen geworden ist. Sie sollten zumindest<br />
die Papille mit allen von ihr sternförmig ausgehenden Gefäßen erkennen.<br />
Durch vorsichtiges Drehen des Augenspiegels und damit seiner Strahlrichtung<br />
kann es Ihnen eventuell gelingen, auch von der Papille weiter entfernte<br />
Areale einzufangen.
18 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
<strong>12</strong>.3 Tiefenwahrnehmung & Farbsinn<br />
Aufgaben<br />
Ermittlung der Tiefenwahrnehmungsschärfe als Funktion des Beobachtungsabstandes<br />
und der Stäbchenrichtung nach der HELMHOLTZschen<br />
Dreistäbchenmethode.<br />
Überprüfung des Stereosehens mittels eines Sehtestgerätes.<br />
Beurteilung von Störungen des Augenmuskelgleichgewichts (Heterophorie)<br />
mittels des Sehtestgerätes.<br />
Qualitative Überprüfung des Farbsinns mit Hilfe von pseudoisochromatischen<br />
Farbtafeln nach ISHIHARA.<br />
Quantitative Beurteilung des Farbsinns mit dem NAGEL-Anomaloskop.<br />
<strong>12</strong>.3 Tiefenwahrnehmung & Farbsinn 19<br />
Simultansehen: Die zwei getrennten Netzhautbilder, die bei Betrachtung eines<br />
Sehobjektes entstehen, werden gleichzeitig wahrgenommen. Die Abbildung eines<br />
Objektes trifft also immer auf identische (deckungsgleiche) Netzhautbereiche,<br />
auf sog. korrespondierende Netzhautstellen. Auf diese werden Objektpunkte abgebildet,<br />
die auf einem (gedachten) Kreis liegen, dem geometrischen Horopter<br />
(Abb. <strong>12</strong>-7a), der durch den Fixationspunkt sowie die Knotenpunkte beider Augen<br />
geht (entspricht dem Umkreis in der Dreiecksgeometrie). Für jede Fixationsentfernung<br />
ist ein anderer Horopter zu konstruieren. Zur Untersuchung dieses<br />
Phänomens kann man beiden Netzhäuten unterschiedliche Bilder anbieten. Sie<br />
sollten dann auch beide wahrgenommen werden können (= physiologische Diplopie).<br />
Lernziele<br />
Stereoskopie | Binokulare und monokulare Tiefenwahrnehmung | Tiefenwahrnehmungsschärfe<br />
| Korrespondierende Netzhautareale | Querdisparation<br />
| Horopter | PANUM-Areal | Schielen (Strabismus) | Schielamblyopie<br />
| Latentes Schielen (Heterophorie).<br />
Theorie des Farbensehens | Trichromatische Theorie nach YOUNG |<br />
Gegenfarbentheorie nach HERING | Komplementärfarben | Photopigmente<br />
der Netzhaut | Additive und subtraktive Farbmischung | Farbsinnstörungen.<br />
<strong>12</strong>.3.1 Räumliches Sehen und Schielen<br />
Raumwahrnehmung<br />
Die Wahrnehmung der räumlichen Tiefe wird in erster Linie durch das binokulare<br />
Sehen vermittelt. Der dioptrische Apparat der beiden Augen entwirft bekanntlich<br />
auf jeder Netzhaut ein räumlich getrenntes Bild eines fixierten Sehobjektes.<br />
Die beiden Bilder werden zentralnervös fusioniert, d. h. einfach gesehen, vorausgesetzt<br />
die Vergenzstellung beider Augen ist korrekt auf das Fixationsobjekt gerichtet,<br />
so dass die Bilder auf Netzhautstellen gleicher Raumwerte fallen.<br />
Dabei muss man 3 Stufen des binokularen Sehens unterscheiden:<br />
Abb. <strong>12</strong>-7 Geometrischer und physiologischer Horopter<br />
(A) Bei Fixation eines Punktes fallen beide Netzhautbildpunkte auf die Fovea<br />
centralis und werden einfach gesehen. Dasselbe gilt für sämtliche Punkte<br />
des geometrischen Horopters (H i ), die auf korrespondierenden Netzhautstellen<br />
abgebildet werden und daher dank zentralnervöser Fusion gleichfalls einfach<br />
gesehen werden.<br />
(B) In einem engen Bereich vor und hinter dem Horopter, dem sog. PANUM-<br />
Areal, das als graue Zone dargestellt ist, können zwei Netzhautbilder noch zu<br />
einem Bild fusionieren. Die beiden Punkte F v und F h außerhalb des PANUM-<br />
Arelas werden hingegen als doppelt wahrgenommen.
20 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Physiologische Diplopie kann demonstriert werden, indem man 2 Stäbchen vertikal<br />
hintereinander in einer Linie vor die Augen hält (ein Stäbchen etwa doppelt<br />
so weit entfernt wie das andere). Wenn jeweils ein Stäbchen fixiert wird, sieht<br />
man das andere doppelt. Das Simultansehen zweier verschiedener Objekte, die<br />
den beiden Augen getrennt angeboten werden, macht man sich beim Phorietest<br />
zunutze. Es handelt sich um Untersuchungen von Störungen im muskulären<br />
Gleichgewicht der Augenmuskeln.<br />
Fusion: Nur wenn von beiden Netzhäuten ein identischer Seheindruck vermittelt<br />
wird, können die beiden Netzhautbilder im Sehzentrum zu einem einheitlichen<br />
Bild verschmelzen. Fusionsstörungen können ungewollte Doppelbilder<br />
(Diplopie) verursachen.<br />
Stereoskopisches (räumliches) Sehen: Dies verkörpert die höchste Leistungsstufe<br />
des Binokularsehens. Voraussetzungen für diese Sehfähigkeit ist, dass Objektpunkte<br />
auf korrespondierende oder identische Netzhautstellen beider Augen abgebildet<br />
werden, was strenggenommen nur dann möglich ist, wenn sie auf<br />
demselben geometrischen Horopter liegen. Objektpunkte, die vor oder hinter<br />
diesem Horopter liegen, werden folglich auf sog. nichtkorrespondierende oder<br />
querdisparate Netzhautstellen abgebildet. Diese Objektpunkte werden dann als<br />
doppelt wahrgenommen (Diplopie). In einem eng begrenzten Areal vor und hinter<br />
dem jeweiligen Horopter werden die nichtkorrespondierenden Netzhautbilder<br />
jedoch trotzdem zu einem Bild verschmolzen. Dieses Areal wird als PANUM-<br />
Areal bezeichnet. Nichtkorrespondierende Netzhautbilder, die von Objekten innerhalb<br />
dieses Areals stammen, werden im Gehirn zu einem dreidimensionalen,<br />
räumlichen Seheindruck verarbeitet und nicht als Doppelbilder interpretiert<br />
(Abb. <strong>12</strong>-7b). Vielmehr setzt das Gehirn die Doppelbilder in Tiefenwahrnehmung<br />
um. Dabei führt eine geringe bitemporale Querdisparation zum Eindruck »näher«,<br />
eine geringe binasale Querdisparation zum Eindruck »entfernter«. Das stereoptische<br />
Signal allein erlaubt nur eine relative Tiefenvorstellung, die immer auf<br />
die jeweilige Horopterfläche bezogen ist. Daher entspricht eine bestimmte<br />
Querdisparation je nach Beobachtungsentfernung unterschiedlichen Raumtiefen,<br />
die distanzabhängig interpretiert werden.<br />
Tiefen- oder Stereosehen wird meist nur als eine binokuläre Fähigkeit verstanden.<br />
In Wirklichkeit verfügen wir zusätzlich über ein empfindliches monokulares<br />
Tiefensehen. Besonders wichtig dafür sind die perspektivischen Gesetzmäßigkeiten<br />
des Sehraumes. Weitere synergistisch wirkende Tiefenkriterien<br />
<strong>12</strong>.3 Tiefenwahrnehmung & Farbsinn 21<br />
sind scheinbare Gegenstandsgrößen vertrauter Objekte, Schattenbildungen,<br />
partielle Objektverdeckungen oder -überschneidungen, Luftdurchlässigkeit für<br />
Licht mit typischen Farbverschiebungen und -verschleierungen aus größerer<br />
Entfernung sowie monokulare Bewegungsparallaxe, d.h. indem ein Objekt aus<br />
zwei verschiedenen Positionen nacheinander betrachtet wird.<br />
Schielen<br />
Fallen bei Augenstellungsanomalien bzw. Störungen im Gleichgewicht der Augenmuskeltätigkeiten<br />
die Bildprojektionen nicht auf Netzhautbezirke, die dem<br />
PANUM-Areal entsprechen, entstehen Doppelbilder. Dieser Eindruck ist nur<br />
vorübergehend, denn durch zentralnervöse Suppression werden die Bilder des<br />
schielenden nichtdominanten Auges ausgeschaltet. Folgender kleiner Test vermag<br />
diesen Sachverhalt zu verdeutlichen: Durch leichten, seitlichen Druck mit<br />
dem Finger auf einen der beiden Bulbi entstehen durch die seitliche Verschiebung<br />
passagere Doppelbilder, die innerhalb kurzer Zeit kaum noch wahrgenommen<br />
werden, da das Bild des verschobenen und damit nichtdominanten Auges<br />
schnell verblasst und letzten Endes unterdrückt wird.<br />
Beim frühkindlichen Schielen kann aufgrund der ständigen Suppression bis<br />
zum 6. Lebensjahr eine hochgradige Sehschwäche (Schielamblyopie) entstehen. Mit<br />
zunehmendem Alter ist die Therapie der Amblyopie immer weniger erfolgreich,<br />
ab dem 6.– 8. Lebensjahr ist die Amblyopie irreversibel.<br />
Die häufigste Form des Schielens in Europa ist das Einwärtsschielen (Esotropie<br />
oder Strabismus convergens). Es ist meist bereits bei Geburt manifest oder entwickelt<br />
sich in den ersten 6 Lebensmonaten, weshalb man von kongenitaler Esotropie<br />
spricht. Erworbenes Einwärtsschielen tritt hingegen auf, wenn ein Kind<br />
hyperop ist. Ein Weitsichtiger muss nämlich bereits in die Ferne akkommodieren,<br />
um scharf zu sehen. Beim Blick in die Ferne entsteht dadurch eine Augenfehlstellung,<br />
da mit dem Akkommodationsvorgang reflektorisch eine Konvergenzbewegung<br />
beider Augen verknüpft ist. D.h. das dominante Auge wird<br />
parallel in die Ferne gerichtet, während das nichtdominante Auge, dessen Seheindruck<br />
unterdrückt wird, nach innen blickt. Um einer Schielamblyopie rechtzeitig<br />
vorzubeugen, muss daher bereits das hyperope Kleinkind unbedingt eine<br />
Korrekturbrille tragen.<br />
Als latentes Schielen (Heterophorie) bezeichnet man Störungen im Muskelgleichgewicht<br />
beider Augen, die nur unter bestimmten Umständen zu einer Abweichung
22 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
<strong>12</strong>.3 Tiefenwahrnehmung & Farbsinn 23<br />
der Augenrichtungen vom Parallelstand beim Blick in die Ferne führen können.<br />
Korrekte Augenstellung mit Parallelstand nennt man Orthophorie. Die Heterophorie<br />
wird solange nicht manifest, solange die Fusionsfähigkeit beider Augen<br />
nicht beeinträchtigt ist. Bei Fusionsschwäche, z.B. infolge von Alkoholgenuss,<br />
Stress, Ermüdung, Gehirnerschütterung oder unter psychischer Belastung, kann<br />
es durch eine Störung des Augenmuskelgleichgewichts zum vorübergehenden<br />
Schielen kommen. Folgen davon können dann Kopfschmerzen, Verschwommensehen,<br />
Diplopie und schnelle Ermüdbarkeit der Augen sein.<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
Die Überprüfung der Tiefenwahrnehmungsschärfe erfolgt mit zwei Testverfahren:<br />
1. Der HELMHOLTZsche Dreistäbchenversuch basiert auf folgendem einfachen<br />
Messprinzip:<br />
Ein zentrales Stäbchen, das mit einer Messlatte verbunden ist, kann gegenüber<br />
zwei in einer Ebene fest installierter Stäbchen verschoben werden. Die Position<br />
des mittleren Stäbchens in Bezug auf die Zweistäbchenebene muss von einer VP<br />
aus unterschiedlichen Entfernungen (1 – 2 – 3 m) beurteilt werden. Eine verschiebbare<br />
Sichtblende soll verhindern, dass die VP das Verschieben des Mittelstäbchens<br />
verfolgen kann.<br />
Die genaue Untersuchung ist folgendermaßen durchzuführen: Für jede Entfernung<br />
muss die vordere bzw. hintere Tiefenwahrnehmungsschwelle mit fünfmaliger<br />
Wiederholung bestimmt werden, in dem das mittlere Stäbchen so weit<br />
nach vorne bzw. nach hinten verschoben wird, bis die VP es zuverlässig vor bzw.<br />
hinter der Zweistäbchenebene stehend erkennt. Aus den fünf Einzelmessungen<br />
ist der arithmetische Mittelwert d zu berechnen. Die Mittelwerte sind als Funktion<br />
der Entfernung in die vorbereitete Tabelle einzugeben.<br />
2. Mit Hilfe des Sehtestgeräts TITMUS kann schnell und zuverlässig ein Stereosehtest<br />
durchgeführt werden. Der VP werden neun Testbilder, die aus vier Ringkombinationen<br />
bestehen, angeboten. Dadurch, dass jedem Auge gesondert einer<br />
der vier Ringe mit unterschiedlicher Querdisparation vorgeführt wird, wird der<br />
VP eine Raumvorstellung vermittelt. Scheinbar tritt in jeder der 9 Bilder ein Ring<br />
mit unterschiedlicher Deutlichkeit aus der Bildebene heraus. Wichtig ist, dass der<br />
VP eine genügend lange Beobachtungszeit eingeräumt wird. Simulierte Raumeindrücke<br />
entstehen oft nicht auf Anhieb. Es sei nur an die 3D-Illusion »magic<br />
eye« erinnert.<br />
Mit dem Sehtestgerät lassen sich auch vertikale und horizontale Phorien (latentes<br />
Schielen) erkennen. Dem linken und rechten Auge werden gleichzeitig unterschiedliche<br />
Bilder vorgelegt, die zu einem Eindruck verschmolzen werden. Den<br />
Grad der Bildverschmelzung lässt sich an der gegenseitigen Lage bestimmter<br />
Symbole ablesen.<br />
<strong>12</strong>.3.2 Farbsinn<br />
Unser Farbsinn ist kein physikalischer Spektralapparat, der das sichtbare Licht in<br />
die einzelnen Farbbestandteile zerlegt. Vielmehr führt eine komplexe neuronale<br />
Verarbeitungskaskade vom Umsetzen des Lichtes in der Netzhaut über mehrere<br />
Stationen der Sehbahn bis zur kortikalen Farbwahrnehmung. Strenggenommen<br />
leben wir nicht in einer physikalisch bunten Welt, sondern die scheinbare Farbigkeit<br />
unserer Umwelt ist vielmehr das Produkt unseres Farbsinns. Besonders eindrucksvoll<br />
lässt sich dieser Sachverhalt mit dem Prinzip der additiven Farbmischung<br />
»vor Augen führen«: Durch simultane Beleuchtung des Auges mit<br />
Lichtreizen verschiedener reiner Spektralfarben entstehen für den Betrachter<br />
völlig andere reine Farben. Nach diesem Prinzip wird die riesige Farbpalette jeder<br />
PC- und TV-Bildschirmdarstellung generiert. Aus nur drei reinen Grundfarben<br />
(rot – grün – blau, entsprechend der RGB-Norm), die pro Pixel des Monitorbildes<br />
mit wechselnden Intensitäten abgestrahlt werden, vermittelt der Farbsinn des<br />
Betrachters die gesamte Palette aller wahrnehmbaren Farben. Hingegen müssen<br />
sich Patienten mit totaler Farbblindheit (Achromasie oder ungenau auch Monochromasie)<br />
mit einer unbunten Welt voller Grautöne zufrieden geben (analog vollkommenen<br />
Nachtsehens: »Nachts sind alle Katzen grau«).<br />
Der Farbsinn basiert auf der Verzahnung zweier Mechanismen zur Verarbeitung<br />
farbigen Lichtes. Während sich bestimmte Farbsinnstörungen nur anhand<br />
der Theorie des trichromatischen Sehens deuten lassen, können bestimmte farbige<br />
Kontrasterscheinungen nur anhand der Theorie der Gegenfarben befriedigend erklärt<br />
werden. Erst durch die Verknüpfung der beiden Theorien zu der VON<br />
KRIESschen Zonentheorie ist es gelungen, alle experimentellen Befunde befriedigend<br />
zu erklären. Nach der Zonentheorie arbeiten die Sensoren der Retina entsprechend<br />
der YOUNG-HELMHOLTZschen Theorie des trichromatischen Sehens<br />
und die nachgeschalteten Strukturen in Netzhaut und Sehbahn nach der<br />
HERINGschen Theorie der Gegenfarben.
24 <strong>Versuch</strong> <strong>12</strong>: <strong>Gesichtssinn</strong><br />
Störungen des Farbsinnes kommen ziemlich häufig vor: Fast 10% aller Männer<br />
und etwa 1% der Frauen sind farbsinngestört. Man unterscheidet Unterwertigkeiten<br />
des farbempfindlichen Apparates (Anomalien) von kompletten Ausfällen<br />
(Anopien). Rotschwäche wird als Protanomalie, Grünschwäche als Deuteranomalie<br />
und Blau- Violettschwäche als Tritanomalie bezeichnet. Entsprechend sind Patienten<br />
mit einem totalen Defekt des Zapfensystems für langwelliges Licht protanop,<br />
für mittelwelliges Licht deuteranop und für kurzwelliges Licht tritanop.<br />
<strong>Versuch</strong>sgang<br />
<strong>12</strong>.3 Tiefenwahrnehmung & Farbsinn 25<br />
Leuchtdichte<br />
grün<br />
Anomalquotient Leuchtdichte<br />
grün <br />
<br />
Leuchtdichte<br />
Leuchtdichte<br />
rot<br />
anomal<br />
rot<br />
normal<br />
Da der Übergang zwischen normalem und anormalem Farbsinn nicht scharf abgrenzbar<br />
ist, hat man sich darauf geeinigt, einen Anomalquotienten zwischen 0.7<br />
und 1.4 als normal einzustufen. Liegt er unter 0.7, liegt eine Protanomalie vor, im<br />
Fall von größer 1.4 eine Deuteranomalie. Der Rotschwache muss verstärkt rot, der<br />
Grünschwache verstärkt grün zumischen, um den gelben Farbton zu treffen.<br />
[18]<br />
Qualitative Untersuchung des Farbsinnes mittels ISHIHARA-Farbtafeln<br />
Farbsinnstörungen lassen sich qualitativ anhand von pseudoisochromatischen<br />
Farbtafeln nach ISHIHARA, die mit dem Sehtestgerät betrachtet werden können,<br />
nachweisen. Die auf den Tafeln abgebildeten Zahlen sind nach zwei Prinzipien<br />
entworfen: Ein Teil der Zahlen ist farbig kontrastiert gekennzeichnet. Der GrauwertvonHintergrundundZahlenistgleich.ZumanderenwerdenZahlennur<br />
durch unterschiedliche Grauwerte in farbiger Umgebung vorgegeben. Der Farbtüchtige<br />
wird in der Regel das in Grautönen generierte Zeichen nicht erkennen,<br />
während der Farbanomale, der sein Auge mehr für Grautöne geschult hat, die Zahl<br />
eventuell erkennen kann.<br />
Beurteilung des Farbsinns mit dem NAGEL-Anomaloskop<br />
Farbsinnstörungen werden am sichersten mit dem Anomaloskop erkannt. Dieses<br />
Gerät gestattet, Farbsinnüberprüfungen durch additive Mischung von Spektralfarben<br />
vorzunehmen. Insbesondere dient das Anomaloskop zur Erkennung<br />
und Bewertung einer Prot- und Deuteranomalie anhand der sog. RAYLEIGH-<br />
Gleichung<br />
rot + grün = gelb [17]<br />
Die Gleichung besagt, dass durch adäquate additive Farbmischung von reinem<br />
Spektralrot und -grün ein gelber Farbeindruck entstehen kann. Das Erkennen<br />
von Farbanomalien erfolgt anhand der spektralen Mischungsverhältnisse von rot<br />
und grün. Um eine Farbanomalie quantifizieren zu können, wurde der sog. Anomalquotient<br />
eingeführt, der sich an modernen Anomaloskopen direkt ablesen lässt.<br />
Seine Definition lautet: