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Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik

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ANDREAS MAIER: Sanssouci.<br />

Suhrkamp Ver lag, Frankfurt am Main<br />

2009. 303 Seiten, 19,80 €.<br />

Von PATRICK BAUMGÄRTEL<br />

Nachdem Andreas Maier nach der<br />

kleinen Provinzposse um eine neu<br />

ausgeschriebene Stelle eines Stadt -<br />

schreibers von Potsdam das schon zugesagte<br />

Stipendium zurückgab, ist<br />

sein neuer Roman „Sanssouci“ nun<br />

der ostdeutschen Landeshauptstadt gewidmet.<br />

In dem Skandälchen hatten<br />

die Medien gemeldet, die Kulturbei -<br />

ge ord nete der Stadt hätte gesagt, der<br />

westdeutsche Autor habe sich aus Ge -<br />

schmacksgründen geweigert, in die<br />

ihm angebotene Plattenbauwohnung<br />

einzuziehen, was dieser wiederum bestritt.<br />

Man sieht: Andreas Maier begibt<br />

sich im Entfachen von öffentlichem<br />

Aufsehen in die Fußspuren seines<br />

größten literarischen Vorbildes,<br />

Tho mas Bernhard.<br />

Der „große Stammtisch“, wie die<br />

Medien in seinem neuen Roman<br />

„Sanssouci“ genannt werden, und die<br />

Dis krepanz von Sprache und Wirk -<br />

lichkeit sind die großen Themen in<br />

Maiers <strong>Buch</strong>, das sich der Ökonomie<br />

der Sprache widmet. Dass nämlich<br />

„viel Unglück und Falschheit in die Welt<br />

kommt durch die Unmäßigkeit im Reden“, ist<br />

eine seiner Thesen. Nicht, dass dieses Thema<br />

seine letzten Bücher nicht auch schon beherrscht<br />

hätte. Es zieht sich beharrlich durch<br />

alle seine Romane und findet hier nun eine<br />

weitere Variation. War der Autor in seinem<br />

letzten Roman „Kirillow“ jedoch noch der<br />

Gefahr der Unmäßigkeit des<br />

Niederschreibens referenzloser Rede, der<br />

feindlichen Übernahme der Form durch den<br />

Inhalt, erlegen, gelingt ihm hier eine beeindruckende<br />

Balance, die Maier – nach seinem<br />

Debüt als Bernhard-Epigone mit „Wäldches -<br />

tag“ – nun als eigenständigen Sprachkünstler<br />

in den Vordergrund treten lässt.<br />

Wie zuvor probiert der hessische Autor<br />

sich am Genre des Kriminalromans, und er<br />

vermag es ganz vorzüglich, um das gängige<br />

Dreieck aus Opfer-Täter-Aufklärer ein dostojewskisches<br />

Figuren- und Sprachdickicht<br />

aufzubauen, das den Leser bis zum Ende im<br />

Bann der Unklarheit hält. Nur das Opfer<br />

scheint von Anfang an festzustehen. Man<br />

kann sich fragen, ob der Autor sich in dem<br />

ebenfalls hessischen Regisseur Maximilian<br />

Hornung, der in seiner Wahlheimat Potsdam,<br />

wo er eine umstrittene Fernsehserie namens<br />

Oststadt produzierte, tödlich verunglückt, eine<br />

Spiegelfigur gesetzt hat. Der Roman setzt<br />

mit Hornungs Beerdigung in Frankfurt am<br />

8<br />

Adam und Eva aus Potsdam<br />

Andreas Maier<br />

Main ein und verfolgt dann einige Personen<br />

aus der illustren Besucherschar zurück nach<br />

Potsdam: Da ist der russlanddeutsche<br />

Mönchs novize Alexej, der an der orthodoxen<br />

Kirche in Potsdam eine befristete Stelle angeboten<br />

bekommt. Da sind die beiden verwahrlosten<br />

Zwillinge und möglichen Kinder Hor -<br />

nungs Heike und Arnold. Da ist Merle<br />

Johansson, die radikale Vegetarierin und Ex-<br />

Frau Hornungs, die ausgefallenen Sexprak -<br />

tiken nachgeht. Diverse andere Personen tauchen<br />

rund um Hornungs Haus in Potsdam<br />

auf. Sie bewegen sich vor dem neu eröffneten<br />

Kaufhaus, im Park, auf einer Demonstration,<br />

in Cafés, im Rathaus und in den unterirdischen<br />

Räumen, die den Park Sanssouci<br />

durchziehen, und reden. Zufällig treffen sie<br />

sich, verlieren sich und versuchen, sich in<br />

dem merkwürdigen Menschen- und Wis sens -<br />

geflecht zu orientieren, das sie umgibt, und in<br />

dem „überhaupt alles so eigenartig miteinander<br />

verwoben war“. Es wird angedeutet, dass<br />

Heike und Arnold sexuell missbraucht wurden,<br />

dass der Tod Hornungs kein Unfall war<br />

und dass er gerächt werden soll. Wie am<br />

Anfang steht auch am Ende ein Tod, der jedoch<br />

mit all dem nichts zu tun hat, oder vielleicht<br />

doch?<br />

Treffender ist „Sanssouci“ wohl nicht zusammenzufassen,<br />

denn es gibt für Andreas<br />

Maier keine Wahrheit, die mit Sprache zu<br />

formulieren wäre. Der Schutzumschlag<br />

zitiert den schönsten Satz aus dem<br />

<strong>Buch</strong>: „Beharren wir nicht zu sehr darauf,<br />

nicht zu sein, wie wir geschildert<br />

werden, sonst laufen wir Gefahr, genau<br />

zu sein, wie wir nicht sein wollen.“<br />

Was dem Autor also bleibt, ist die<br />

Sprache der „Bettler, Säufer und<br />

Obdach lo sen“, die schon lange nichts<br />

Rationales mehr ausdrücken können<br />

oder wollen: „Ich sage euch, alles ist<br />

das Gegenteil. Glaubt keinem ein<br />

Wort, glaubt immer genau das<br />

Gegenteil! Glaubt immer genau das<br />

Gegenteil von dem, was die Leute sagen,<br />

dann seid ihr immer im Besitz der<br />

Wahrheit etcetera.“ Maiers „Sans -<br />

souci“ ist ein einziges großes Etcetera,<br />

das seine Sprachskepsis in die Form<br />

eines Kri mi nal romans presst.<br />

Maiers Protagonisten haben längst<br />

vor dem Empire, der globalen ge -<br />

fräßigen Nut zen maximierungs ma schi -<br />

ne, kapituliert. Sie rauchen, trinken,<br />

philosophieren und haben keine Arbeit.<br />

Sie sind nicht freundlich, denn sie<br />

durchschauen Freundlichkeit als kapitalistische<br />

Geste. Dabei trägt diese ostdeutsche<br />

Multitude durchaus biblische<br />

Züge, wie auch am treffenden Motto<br />

aus der Apostel ge schichte zu erkennen<br />

ist: Arnold, der aus der bürgerlichen Welt<br />

früh Herausgefallene, der auf der großen<br />

Welle der postmaterialistischen Ge sellschaft<br />

surft, wirft in einer Jesus-ähnlichen Geste seine<br />

Sandale weg. Mit seiner Zwil lings -<br />

schwester Heike repräsentiert er für den Er -<br />

zähler in einem gewagten Ver gleich „Adam<br />

und Eva vor dem Sünden fall“. Alexej, der<br />

Orthodoxe, nennt sie seine beiden „Mys -<br />

terien“ und entwirft Russland als Idee: das<br />

große Obskure, das der europäischen Auf -<br />

klärung entgegengesetzt ist. Immigran ten,<br />

teils verrückt, teils einfach „Esel“, mit denen<br />

„kein Staat zu machen ist“, er gänzen die<br />

Grup pe. Ihnen entgegengesetzt sind die guten<br />

Bürger der Stadt, die, um als Ganzes funktionieren<br />

zu können, sich im geheimen Gänge -<br />

system unter dem Park Sanssouci sa distisch<br />

betätigen: die Ma gis trats rats vor sitzenden,<br />

Fern sehredakteure und Ökofanatiker.<br />

All das ist in einer einzigartigen, faszinierenden<br />

Sprache verfasst, die nicht durch die<br />

Schönheit oder Dichte ihrer Bilder besticht,<br />

sondern durch ihren Rhythmus und die At -<br />

mosphäre, die sie zu schaffen vermag. Maier<br />

ist ein Epiker, der die Vagheit und Abgrün -<br />

digkeit der Dinge, die Fragwürdigkeit der Be -<br />

griffe und unserer Denk- und Ver hal tens -<br />

weisen mit seiner Sprache enttarnt. „Sans -<br />

souci“ ist auch geglückt trotz der so provinziellen<br />

Einmischung der Potsdamer Kultur -<br />

politik. Maier at his best. �<br />

<strong>Die</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Literaturkritik</strong>

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