Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik
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SIBYLLE LEWITSCHAROFF: Aposto -<br />
loff. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am<br />
Main 2009. 248 Seiten, 19,80 €.<br />
Von MONIKA THEES<br />
Zwei Schwestern mittleren Alters touren<br />
durch das heutige Bulgarien, nachdem sie die<br />
Überreste ihres vor Jahren in Stuttgart gestorbenen<br />
Vaters in seine alte Heimat überführt<br />
haben. <strong>Die</strong> ältere Schwester sitzt vorne auf<br />
dem Beifahrersitz, die jüngere, die Ich-<br />
Erzählerin, hinten auf der Rückbank. Sie sind<br />
unterwegs mit Rumen Apostoloff, einem<br />
langjährigen bulgarischen Freund der Fami -<br />
lie. Er ist ihr Hermes, er fährt den alten<br />
Daihatsu, möchte den beiden Frauen die<br />
Schätze seines Landes zeigen. Doch: „Meine<br />
Schwester und ich wissen es besser, solche<br />
Schätze existieren nur in bulgarischen<br />
Hirnen. Wir sind überzeugt, Bulgarien ist ein<br />
grauenhaftes Land – nein, weniger dramatisch,<br />
ein albernes und schlimmes.“<br />
Der Zorn, die Wut gären auf dem Hin -<br />
tersitz, köcheln hinter Abwehr und trotziger<br />
Selbstbehauptung und entladen sich in einer<br />
wortgewaltigen Suada, scharfzüngig, kampfeslustig,<br />
herausfordernd zum Widerspruch.<br />
Malerische Rhodopen schluchten, Rosenfel -<br />
der, die Schwarzmeerküste, Le Mystère des<br />
voix bulgares – die ältere Schwester quittiert<br />
Rumens Aufzählung mit einem lieblichen<br />
Lächeln, die jüngere grollt, trotzt, denkt sich<br />
einig mit dem Schwesterherz: „Nüchtern<br />
bleiben ist eine Kunst. Eisern wird sie von<br />
uns praktiziert, sobald wir bulgarische Luft<br />
wittern, gar die ersten vorsichtigen Schritte<br />
auf bulgarischem Boden tun.“ Ge schwis -<br />
terliche Gemeinsamkeit wird beschworen.<br />
Ihre Schwester ist nur zu höflich, zu vorsichtig,<br />
ihrer Abneigung freien Lauf zu lassen.<br />
So redet die jüngere allein an gegen Ru mens<br />
freundliche Vermittlungsversuche, mehr<br />
noch gegen den inneren Ansturm der<br />
„Vaterwoge“, gegen die „nachts begonnenen<br />
und tagsüber ausgeschmückten Träume, in<br />
denen unser Vater regelmäßig wiederkehrt“.<br />
Denn Bulgarien, dieses geschundene,<br />
stumpf sinnige Land – das ist die Heimat des<br />
Vaters. 1945 verließ er Sofia, zog nach<br />
Deutschland, studierte Medizin, wurde ein erfolgreicher<br />
Arzt, Ehemann und Vater – und<br />
ein schwermütiger Einwanderer, der sich<br />
1965 in seiner Stuttgarter Praxis das Leben<br />
nahm, mit einem Strick um den Hals, den er<br />
seitdem hinter sich herschleift. <strong>Die</strong> jüngere<br />
Schwester war damals elf, die ältere dreizehn.<br />
Das scheinbar friedliche Fa milienidyll in<br />
Stuttgart-Degerloch durchzog ein Riss, eine<br />
bis heute nicht heilende Wun de.<br />
Sibylle Lewitscharoff, die viel gelobte<br />
Schrift stellerin und Grafikerin, 1954 in<br />
Stuttgart geboren und väterlicherseits selbst<br />
6<br />
Bulgarische Heimholung<br />
bulgarischer Abstammung, hat sich ein<br />
Thema gewählt, das es in sich hat: das Erbe<br />
der Kindheit, die Last eines früh aus dem<br />
Leben gegangenen Vaters, die gleich-ungleichen<br />
Schwestern und das hassgeliebte<br />
Bulgarien mit seiner Folie aus auf Hochglanz<br />
retuschierten Sightseeing-Ansichten, hinter<br />
denen viel Armut, Elend und eine desaströse<br />
kommunistische Verschandelung hervorbröckeln.<br />
Ein Land, dessen Kultur und<br />
Tradition die Ich-Erzählerin mit Gift und<br />
Galle übergießt: die Architektur versaut, die<br />
Schwarzmeerküste verbaut, verpatzt, verdreckt.<br />
„Das bulgarische Essen? Ein in<br />
schlechtem Öl ersoffener Matsch. Der Fisch<br />
ein verkokelter Witzfisch“, die Pfauenaugen-<br />
Keramik toxisch, die Sprache die abscheulichste<br />
der Welt.<br />
Das klingt nach massivem Land- und damit<br />
Vaterhass, ist kindlich dahingerotzt – und exzellent<br />
geschrieben. Sibylle Lewitscharoff,<br />
die für „Pong“ 1998 den Ingeborg-Bach -<br />
mann-Preis erhielt, 2007 mit dem Preis der<br />
Literaturhäuser und 2008 mit dem Marie-<br />
Luise-Kaschnitz-Preis ausgezeichnet wurde,<br />
verblüfft erneut, ja verzaubert mit sprachlicher<br />
Intensität, mit wortschöpferischer<br />
Eigenwilligkeit und Gestaltungsgabe. Nach<br />
„Montgomery“ (2005) und „Consummatus“<br />
(2006) gibt sie jetzt einer Frau das Wort. Mit<br />
scharfem Messer seziert die Ich-Erzählerin<br />
ihre Tour de Bulgarie, exakt gesetzt sind ihre<br />
Schnitte, sie schmerzen, gehen unter die Haut<br />
und legen bloß: ein verwundetes, namenloses<br />
Ich, das sich nur retten kann in die innere<br />
Distanz – zu all dem Brimborium, dem brüchigen<br />
Als-ob stimmiger Biografie und den<br />
Anmaßungen der deutsch-bulgarischen Fa -<br />
mi liensippe. Aus dieser Perspektive, verschanzt<br />
hinter Mauern des Selbstschutzes,<br />
lässt sich vortrefflich entlarven, die Haut der<br />
verkleisterten Schablonen abschälen bis zum<br />
nackten Gerüst des Lächerlichen.<br />
<strong>Die</strong> ältere Schwester wendet sich Rumen<br />
zu und schweigt, so wird der Leser zum alleinigen<br />
Gegenüber der jüngeren: „Jetzt ist aber<br />
eine Erklärung fällig: welcher Dämon treibt<br />
uns, die wir das Land des Vaters wortstark<br />
verabscheuen, längs und quer darin herumzufahren<br />
wie brave, pietätvolle Christinnen?“<br />
Es war die Überführung von neunzehn bulgarischen,<br />
längst in deutscher Erde vermoderten<br />
Toten nach Sofia, die Heimholung ihrer<br />
Über reste mittels schwarzer Limousinen, die<br />
quer durch Europa kutschierten, damit die<br />
einst Ausgewanderten ihre letzte Ruhe fänden<br />
auf heimischen Boden. Ein monströser<br />
Leichenzug de luxe, grotesk, gar größenwahnsinnig.<br />
Ein alter Bulgarenkumpel,<br />
Alexander Tabakoff, hatte ihn inszeniert und<br />
finanziert. Tabakoff, der in der Stuttgarter<br />
Zeit reich wurde durch undurchsichtigen Im -<br />
port-Export-Handel und aufstieg zum dollar-<br />
schweren Großunternehmer, ließ sich die<br />
Heimholung der toten Exilbulgaren einiges<br />
kosten – nur die besten Hotels, das teuerste<br />
Klimbim und so einige Geldscheine extra für<br />
zögerliche Hinterbliebene.<br />
<strong>Die</strong> Lebenden holen die Toten heim, doch<br />
diese lassen sich nicht verriegeln im Sofioter<br />
Grabhaus aus Stein, im „Minaturpueblo“ mit<br />
filigranen Messingtürchen; vielmehr: <strong>Die</strong><br />
Toten holen die Lebenden ein, „sie kommen<br />
höchstpersönlich und nicht nur im tintigen<br />
Pfuhl der Nacht“. Ein Ansturm von Bildern<br />
aus längst vergangenen Tagen bedrängt das<br />
Ich, schemenhaft der Vater und die Mutter;<br />
Sibylle Lewitscharoff<br />
stärker konturiert, aber nicht freundlicher die<br />
Großeltern in Sofia, die längst Verstorbenen<br />
der Stuttgarter Bulgarenclique. Szenen der<br />
Kindheit vermengen sich mit den Geschich -<br />
ten der heutigen Balkanfahrer, umkreisen den<br />
Kopf wie ein Mückenschwarm. „So flüchtig<br />
sich dieser Schwarm mal mehr in der Nähe,<br />
mal in der Ferne hielt, so stereotyp war das<br />
Dekor, aus dem die Erinnerten hervorgingen,<br />
um sich mit Hilfe der Wörter, mit denen wir<br />
sie drapierten, eine Weile zu behaupten.“<br />
Man könnte den Bildern mit Liebe begegnen,<br />
mit Nachsicht und Verstehen, vielleicht<br />
sogar mit leiser Trauer und Melancholie,<br />
doch Sibylle Lewitscharoffs „Ich“ verklärt<br />
nicht, versöhnt nicht – es rechnet ab. <strong>Die</strong> namenlose<br />
Ich-Erzählerin, ganz aufsässige<br />
Tochter, bleibt, kraftvoll und wortmächtig<br />
gegen die Bilder ankämpfend, verharrend in<br />
kindlicher Wut. Wir werden sie nicht in die<br />
Arme nehmen, ihr nicht zustimmen im Groll,<br />
allerhöchstens nur wissend schweigen wie<br />
die ältere Schwester und geduldigen Langmut<br />
beweisen wie Rumen. Während diese die<br />
letzten Tage bis zum Rückflug nach Deutsch -<br />
land ihre frisch aufblühende Verliebtheit leben,<br />
bekräftigt die Jüngere ihre Ent -<br />
schlossenheit: „Ich aber bewahre kühlen Mut<br />
... Nicht die Liebe vermag die Toten in<br />
Schach zu halten, denke ich, nur ein gutmütig<br />
gepflegter Hass.“ �<br />
<strong>Die</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Literaturkritik</strong>