Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik
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mal Leben einhaucht. Roth erzählt nicht einfach<br />
aus einem Leben, er erzählt vom Leben<br />
als solchem, welches Gewöhn lichkeit und<br />
Absurdität hin- und hertreibt. Keinem gelingt<br />
es derart selbstverständlich, ja geradezu beiläufig,<br />
seinen Lesern den Spiegel vorzuhalten,<br />
ohne ihn damit zu brüskieren oder zu<br />
verletzen.<br />
Mit „Empörung“ setzt Roth dem Ab ge sang<br />
auf Alter und Vergänglichkeit kein En de,<br />
sondern vielmehr die Krone auf. Er geht noch<br />
einen Schritt weiter als in den beiden thematischen<br />
Vorläufern der vergangenen Jahre<br />
und lässt nun seinen Protagonisten aus einem<br />
Nichts heraus in ein Nichts hinein sprechen.<br />
Das „Reich ewiger Erinnerung“, aus dem<br />
Marcus Messner zu uns Lesern spricht, ist in<br />
diesem Fall das Korea der fünfziger Jahre,<br />
könnte aber ebenso gut Irak oder Afghanistan<br />
sein. Messners Worte erreichen uns und doch<br />
wieder nicht. Wir wissen von all dem und<br />
wollen es doch nicht wahrhaben. War<br />
„Jedermann“ in all seiner Ausrichtung auf<br />
den Tod dennoch eine Ode an die Freude des<br />
Lebens, ist „Empörung“ eine wirkliche<br />
Epode auf ein unerfüllt gebliebenes Leben.<br />
In seinen letzten Monaten in Winesbury<br />
eckt Messner an, wo es nur möglich und unmöglich<br />
scheint. Kein Konflikt geht an ihm<br />
vorbei, keine Auseinandersetzung, die er abschließend<br />
klären könnte. Dem väterlichen<br />
Terror entflohen, sieht er sich nun dem Terror<br />
der liberalen Freiheit ausgesetzt, die alles toleriert<br />
und nichts erlaubt. Eine Freiheit, wie<br />
sie Thomas Jefferson kaum im Sinn hatte.<br />
<strong>Die</strong>s regt Marcus auf, weckt den Rebell in<br />
ihm, lässt seine Vernunft zur Empörung<br />
wachsen. „Steht auf! Ihr, die ihr nicht Skla -<br />
ven sein wollt“, schmetterten einst die chinesischen<br />
Alliierten im Zweiten Weltkrieg den<br />
japanischen Faschisten entgegen. Ausge rech -<br />
net die Chinesen, die nun reihenweise amerikanische<br />
Soldaten in Korea metzeln, legen<br />
Marcus die Worte in den Mund, die ihn antreiben.<br />
„Empörung füllt die Herzen unserer<br />
Landsleute. Steht auf! Steht auf! Steht auf!“<br />
Und dies tut er. Er steht auf, wo er Ignoranz,<br />
Unwissen und Vorurteil als Triebfeder<br />
mensch lichen Verhaltens wittert, duldet dies<br />
nicht, setzt sich dem nicht aus.<br />
Es ist die Auseinandersetzung um die große<br />
Frage, wie viel Freiheit in einer demokratisch-liberalen<br />
Gesellschaft möglich ist, die<br />
Roths neuen Roman prägt. <strong>Die</strong> Kommunisten<br />
der McCarthy-Ära heißen heute Terroristen<br />
und sind nach öffentlichem Duktus nicht<br />
minder bedrohlich. Leben ist also auch immer<br />
an Ordnung und Gefolgschaft gebunden,<br />
um die Bedrohung möglichst gering zu halten.<br />
<strong>Die</strong> Fragen an das System bleiben daher<br />
dieselben: Wieso ist ein Leben nach dem<br />
Gesetz nicht gleichbedeutend mit einem gesellschaftskonformen<br />
Leben? Warum stoßen<br />
wir an Grenzen unserer Handlungsfreiheit,<br />
wenn wir doch gegen keinen Paragrafen verstoßen?<br />
Marcus Messner würde wohl antwor-<br />
ten, weil wir in einer verlogenen Gesellschaft<br />
leben, die sich an Werte und Traditionen<br />
krallt, als wären dies in Blei gegossene<br />
Regeln. Es ist eine geradezu religiöse Angst<br />
vor der Welt und dem Leben, die unsere modernen<br />
Gesellschaften in der festen Um -<br />
klammerung des Gehorsams hält. Es bleibt<br />
nur die innere Rebellion, die Empörung über<br />
eine solche Welt, die die Illusion an ein alternatives<br />
Lebens wach hält. In einer energischen<br />
Auseinandersetzung um die Ge -<br />
pflogenheiten auf dem College setzt Marcus<br />
dem Dean des Colleges die Ansichten Ber -<br />
trand Russels auseinander, die er in dem Satz<br />
kulminieren lässt:<br />
„Wir sollten die Welt mit In tel -<br />
ligenz erobern … und uns nicht nur<br />
sklavisch von dem Schrecken, der<br />
durch das Leben in der Welt erzeugt<br />
wird, unterdrücken lassen.“<br />
Philip Roth gelingt es wie keinem Zwei -<br />
ten, die Zeichen der Zeit zu deuten und für<br />
den Leser erkennbar zu machen. Immer wieder<br />
lässt er seine Romane vor einer historischen<br />
Kulisse ablaufen, um aus der<br />
Gewissheit der Er fah rung umso eindringlicher<br />
auf das Hier und Jetzt anzuspielen.<br />
Wer jedoch meint, Roth schreibe sich dabei<br />
die eigenen Erfahrungen von der Seele, lässt<br />
sich in die Irre führen. In seinem kleinen<br />
Roman „Täuschung“ lässt Roth eine junge<br />
Studentin sagen, dass ein Ro manschrift -<br />
steller, der etwas tauge, nicht die Erfahrung<br />
in der Fabel umsetzt, sondern „er drückt der<br />
Erfahrung seine Fabel auf“. Es sind also nicht<br />
die persönlichen Erinnerungen oder poli -<br />
tischen Einstellungen des Roman ciers Roth,<br />
die seinen neuen Roman prägen. Es ist vielmehr<br />
der Roman selbst, der ihn im Hier und<br />
Jetzt prägt und zugleich zum Ursprung seiner<br />
Gesellschaftskritik wird.<br />
Es sind oft die kleinen Dramen seiner<br />
Hauptfiguren, die uns die Tragödien unserer<br />
Zeit bewusst machen – sei es der blinde<br />
Moralismus der Gegenwart („Der menschliche<br />
Makel“), die Fragilität des amerikanischen<br />
Traums („Amerikanisches Idyll“,<br />
„Verschwörung gegen Amerika“) oder die<br />
Verletzlichkeit des Einzelnen im Lichte der<br />
Öffentlichkeit („Mein Mann, der Kom mu -<br />
nist“). Und zugleich verharren seine Romane<br />
nicht in der ihm eigenen tiefenpsychologischen<br />
Gesellschaftskritik, sondern schlagen<br />
immer wieder die Brücke auf die humorige<br />
Seite des Lebens. Roth beherrscht in singulärer<br />
Art und Weise die Kunst, neben den Dra -<br />
men des Lebens die Freuden und Leich -<br />
tigkeiten blühen zu lassen, ohne dass der<br />
Leser das Gefühl bekommt, ihm würde eine<br />
Welt vorgegaukelt. Vielmehr gibt diese Nähe<br />
von Lust und Leid seinen Romanen die besondere<br />
Authentizität, die den Leser darin<br />
ein tauchen und versinken lassen, als wäre es<br />
die eigene Geschichte. Es ist zugleich Drama<br />
und Glück des Lesers, dass es eben nicht die<br />
eigene Geschichte ist. �<br />
Frühjahr 2009 5