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Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik

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PHILIP ROTH: Empörung. Übersetzt aus<br />

dem Amerikanischen von Werner Schmitz.<br />

Carl Hanser Verlag, München 2009, 208<br />

Seiten. 17,90 €.<br />

Von THOMAS HUMMITZSCH<br />

Wird er ihn in diesem Jahr bekommen, den<br />

Literaturnobelpreis? Behauptete man, dass er<br />

seit Jahren zu den Topfavoriten gehört, wäre<br />

das untertrieben, denn Phi lip Roth<br />

wird von seiner Zunft seit Jahren verdientermaßen<br />

als der heißeste An -<br />

wärter auf den bedeutendsten Li te ra -<br />

turpreis gehandelt. Seinen 75 Jahren<br />

zum Trotz schreibt Roth immer weiter<br />

und scheint nicht schweigen zu<br />

wollen – zum Glück. „Das Problem<br />

beim Schreiben ist nicht, dass einer<br />

mit dem Alter sein Talent verliert<br />

oder seinen Intellekt oder seinen<br />

Witz“, gestand Roth einst dem „Spie -<br />

gel“-Literaturre dak teur Volker Hage.<br />

Aber das Schreiben werde mühsam,<br />

wenn man am Ende des Romans<br />

nach lesen müs se, was am Anfang<br />

passiert, schob Roth mit einem Au -<br />

genzwinkern nach.<br />

Nun, soweit scheint es noch nicht<br />

gekommen zu sein. Roth provoziert<br />

weiter und erspart der amerikanischen<br />

Gesellschaft nicht den Spiegel,<br />

den er ihr mit jedem seiner Romane<br />

vorhält.<br />

„Ich schreibe, was ich schreibe,<br />

wie ich es schreiben will … und<br />

ich werde auf meine alten Tage<br />

nicht anfangen, mir darüber<br />

Gedanken zu machen, was Leute<br />

missdeuten oder falsch verstehen!“<br />

Trotz unzähliger Preise steigert Philip<br />

Roth sich weiterhin von <strong>Buch</strong> zu <strong>Buch</strong>, übertrifft<br />

immer aufs Neue die Erwartungen seiner<br />

Kritiker. Seine Romane werden immer<br />

konzentrierter, verdichteter und intensiver.<br />

Man ist geneigt, seine Literatur als vollkommen<br />

zu bezeichnen. Allein der Nobelpreis<br />

fehlt noch zur vollkommenen Würdigung seines<br />

Schaffens. In den vergangenen Jahren<br />

konnte man den Eindruck gewinnen, er wolle<br />

der Akademie mit seinen Romanen um<br />

Krankheit, Alter und Sterben geradezu drohend<br />

zurufen, dass man ihn bald berücksichtigen<br />

müsse, wenn er zur Preisverleihung<br />

noch persönlich erscheinen solle. So trug er<br />

in seinem vorigen Roman „Exit Ghost“ sein<br />

persönliches Lebenswerk zu Grabe und entließ<br />

sein literarisches Alter Ego Nathan<br />

Zuckermann nach neun Romanen elendig<br />

sterbend aus der Pflicht. <strong>Die</strong> Verbitterung<br />

über die eigene Begrenztheit trieb Zucker -<br />

mann schlussendlich in den Sarg. Der Tod<br />

war auch Ausgangspunkt des Vorgänger -<br />

romans „Jedermann“, in dem Roth die Le -<br />

4<br />

<strong>Die</strong> Narrheiten unserer Zeit<br />

Philip Roth<br />

bens geschichte seiner bereits dahingeschiedenen,<br />

anonymen Hauptperson als eine An -<br />

einanderkettung von Krankheiten und Ma -<br />

laisen beschreibt; eine retrospektive Ode an<br />

das Leben.<br />

In seinem neuen Roman „Empörung“<br />

spielt der Tod ebenfalls eine zentrale Rolle,<br />

auch wenn dies der Auftakt nicht erwarten<br />

lässt. Vor dem historischen Hintergrund des<br />

Koreakriegs von 1950 bis 1953 blickt darin<br />

der 19-jährige Marcus (Markie) Messner auf<br />

die letzten Wochen und Monate seines<br />

Lebens zurück. Der Leser bekommt zunächst<br />

die scheinbar harmlose Welt des Marcus<br />

Messner präsentiert, der ein kleines College<br />

in seiner Heimatstadt Newark/New Jersey besucht<br />

und in seinen freien Stunden in der väterlichen<br />

Metzgerei aushilft. <strong>Die</strong> blutige<br />

Atmosphäre der Metzgerei des Vaters ist das<br />

Leitmotiv des Romans. Bis zu den Knöcheln<br />

stand Markie im Blut, wenn der stolze Vater<br />

ihm mit der größten Ruhe und Geduld das<br />

Schlachten, Ausnehmen und Zerteilen beibrachte.<br />

Nur eines lernt er dabei nicht: das<br />

Blut zu mögen. „Ich war mit Blut aufgewachsen“,<br />

erzählt der junge Mann rückblikkend,<br />

doch „ich hatte mich nie daran gewöhnt<br />

und es niemals gemocht.“<br />

Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass<br />

Marcus Messner ein überaus intelligenter und<br />

begabter Junge ist, dem alle Türen zur Welt<br />

offen stehen. Vom kalkulierenden Präsi den -<br />

ten bis zum künstlerischen Bohemien, alles<br />

scheint möglich. Doch seit er auf das College<br />

geht, treibt den Vater ein unerklärlicher<br />

Argwohn um, eine panische Manie um die<br />

Unversehrtheit des einzigen Sohnes. <strong>Die</strong><br />

ständige Angst, der Sohn könnte aufgrund<br />

irgendeines fehlerhaften Ver haltens auffallen,<br />

einberufen werden und als Ba jonettfutter<br />

für die Kom munisten in Korea enden, macht<br />

den Vater krank, raubt ihm den Schlaf. Und<br />

Marcus schließlich die Nerven, denn unter<br />

der permanenten Überwachung sei nes Vaters<br />

kann und will er nicht studieren. Er be -<br />

schließt, auf das eine Ta gesreise ent -<br />

fernt gelegene Wines burg-Col lege zu<br />

wechseln. Eine kon ser vative Kader -<br />

schmiede. Dort verlebt der junge<br />

Mann turbulente erste Wochen, in<br />

denen er auf Igno ranz und Missgunst<br />

stößt. Einzig die beginnende Roman -<br />

ze mit der jungen Studentin Olivia<br />

Hutton hellt seine Tage auf. Doch wo<br />

Licht ist, muss auch Schatten sein<br />

und mit dem Auf tauchen der jungen<br />

Stu dentin legt das größtmögliche<br />

Dun kel sich über den Roman. In dem<br />

Moment der Schil derung der ersten<br />

sexuellen Kontakt auf nahme, als sich<br />

Markie „veranlasst sah, ihre Hand zu<br />

nehmen und behutsam auf den<br />

Schritt meiner Hose zu legen“,<br />

schoc kiert Roth mit der tragischen<br />

Wendung des Ro mans.<br />

„Körperlos in dieser Grotte der<br />

Er innerung, erzähle ich mir<br />

rund um die Uhr in einer uhrenlosen<br />

Welt immer wieder meine<br />

eigene Ge schichte und habe<br />

dabei das Ge fühl, dies schon seit<br />

Millionen Jah ren zu tun. Soll<br />

das wirklich immer so weitergehen<br />

– in Ewigkeit meine mickrigen<br />

neunzehn Jahre, während alles andere<br />

abwesend ist, meine mickrigen<br />

neunzehn Jahre unentrinnbar<br />

hier, permanent ge gen wärtig, während<br />

alles, was diese neunzehn<br />

Jahre real gemacht hat, während alles,<br />

was einen mitten dort hineingestellt<br />

hat, ein unerreichbar fernes<br />

Trugbild bleibt?“<br />

Mit nur wenigen Zeilen gelingt es Roth,<br />

die Illusion des Lesers aufzulösen und ihm<br />

die tiefgründige Tragödie seines Romans zu<br />

offenbaren. Mit Marcus Messner blickt kein<br />

Präsident oder Künstler auf seine Studienzeit<br />

zurück, sondern ein toter US-Soldat, der einsam<br />

in der unendlichen Schleife seiner Er -<br />

innerungen feststeckt.<br />

Spätestens hier wird wieder einmal deutlich,<br />

dass Philip Roth nicht nur einfach ein<br />

Schriftsteller ist. Er ist zugleich Musiker,<br />

Maler, Architekt und Analytiker in einer Per -<br />

son. Seine Romane sind voller Melodien und<br />

Farben, Struktur und Tiefgang. In ihnen spiegelt<br />

sich sein geniales Sprachgefühl, mit dem<br />

er selbst den Erzählungen der Toten noch ein-<br />

<strong>Die</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Literaturkritik</strong>

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