Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik
Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik
Kleine (Buch-) - Die Berliner Literaturkritik
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
AUTORENPOTRÄT: JOSEPH ROTH<br />
Ausgerechnet er! Liebling aller Ger ma nis ten.<br />
Bis heute ist unklar, wer dieses Schre ckens -<br />
urteil über ihn verhängt hat. Fest steht, als<br />
Joseph Roth im Winter 1913/14 zum ersten<br />
Mal ein germanistisches Seminar von innen<br />
sah, machte er auf seinen galizischen Ha cken<br />
kehrt, stürzte aus der Universität und ver -<br />
schwand in den verschneiten Straßen der<br />
Stadt. Später schrieb er, er habe Dichtung<br />
erwar tet und Germanistik vorgefunden. <strong>Die</strong><br />
Stadt, in der Roth damals lebte und von der<br />
aus er seinen Lebensmittelpunkt immer weiter<br />
nach Westen verlegte, war Lemberg, die<br />
habs burgische Hauptstadt des „Königreichs<br />
Galizien und Lodomerien mit dem Großher -<br />
zog tum Krakau und den Herzogtümern Zator<br />
und Auschwitz“. Lemberg, notierte Roth, ist<br />
ein bunter Fleck im Osten Europas, dort, wo<br />
es noch lange nicht anfängt, bunt zu werden.<br />
Hinter Lemberg begann Russland. Im Früh -<br />
ling 1914 kehrte Roth der Stadt den Rücken,<br />
doch wohin er in den folgenden Jahren auch<br />
gehen sollte, nach Wien, Berlin, Moskau,<br />
Mar seille oder Paris, immer wieder kehrte er<br />
hierher zurück – leibhaftig oder, was häufiger<br />
der Fall war, seelisch.<br />
<strong>Die</strong> traumhaft-trügerischen Illusionen der<br />
Belle Epoque – im ungewöhnlich heißen<br />
Som mer des Jahres 1914 waren sie in Wien<br />
zu einem letzten Rendezvous verabredet. <strong>Die</strong><br />
Welt, sofern man sie aus der privilegierten<br />
Pers pektive des Bürgers betrachtete, schien<br />
aus lauter Plüsch gebaut, sie war charmant,<br />
ap petitlich und morbide. Der Sommer kam,<br />
der Sommer blieb, die jovialen Bürger und<br />
ih re anmutigen Damen bevölkerten die Stra -<br />
ßen und Plätze der viele Jahrhunderte alten<br />
kai serlichen Reichshaupt- und Residenzstadt<br />
und lebten ihre Tage und Nächte in einem<br />
schwe relosen jasmindurchdufteten Gefühl<br />
der Sicherheit und Geschichtslosigkeit. Dann<br />
aber, sehr plötzlich und ungeheuer rot, ging<br />
am Morgen des 28. Juni 1914 die Sonne über<br />
Österreich-Ungarn auf, es knallte und da flog<br />
dem österreichischen Thronfolger, der sich<br />
win kend in einem knatternden Automobil<br />
durch die Straßen Sarajewos chauffieren ließ,<br />
eine serbische Pistolenkugel durch den<br />
erstaun ten Dynastenschädel. Damals wie<br />
heute wie immer: Europas größtes Unglück<br />
ist die Politik, seit dem Wormser Konkordat<br />
hat dieser verhängnisvolle Fluch nichts von<br />
seiner Bann kraft verloren. <strong>Die</strong> so genannten<br />
europäischen „Staats männer“, gleichgültig<br />
welcher politischen Konfession sie huldigten,<br />
drängten zum Krieg um jeden Preis – und,<br />
wie wir aus dem Fernsehen wissen, sie bekamen<br />
ihn, sie bekamen ihn sogar aus allen vier<br />
Him melsrichtungen zugleich. Hoch die<br />
Fahne, ewig hoch, sang man in Europa und<br />
die lustigen Trom meln schlugen zum Streite.<br />
Was als Sonntagsspaziergang für gelang weil -<br />
te Gym nasiasten gedacht war, geriet binnen<br />
Mo natsfrist zum Menschenschlachthaus und<br />
zur Versuchsstation für den Weltuntergang.<br />
Vier Jahre später, man schrieb inzwischen<br />
Dezember 1918, von Osten fegte ein eisiger<br />
Wind über den Kontinent, es schneite in dichten<br />
Flocken, kehrte Joseph Roth aus den<br />
Trichter- und Trümmerfeldern des Ersten<br />
Weltkriegs zurück. <strong>Die</strong> Monarchie war zer -<br />
fal len, der Kaiser samt Backenbart längst verscharrt<br />
und die neue Zeit angebrochen. Ein<br />
Blick in die auf schlechtem Kriegspapier ge-<br />
Joseph Roth (1894-1939)<br />
druckten Zeitungen verriet: Wo Österreich-<br />
Un garn gewesen war, da hatten die ehemaligen<br />
Kronvölker ihre dreckigen National staa -<br />
ten errichtet. Ich war bis zum Ende des Krie -<br />
ges an der Front, im Osten, berichtete Roth<br />
spä ter. Er kam auf Umwegen nach Wien, wo<br />
ich, aus Mangel an Geld, für Zeitungen zu<br />
schreiben begann. Man druckte meine<br />
Dumm heiten. Ich lebte davon. Ich wurde<br />
Schriftsteller. <strong>Die</strong> neue Zeit, von der Roth in<br />
Wien mit Revo lu tionswirrwarr und Straßen -<br />
kämpfen in Emp fang genommen wurde, bescherte<br />
ihm ein neues Leben – als Schrift -<br />
steller, Journalist und, auch das soll nicht unerwähnt<br />
bleiben, als wenig anonymer Alko -<br />
ho liker. Bekannte berichteten, ihn mehrmals<br />
versoffen und zerlumpt auf der Straße liegend<br />
aufgefunden zu ha ben. Ungeachtet seiner<br />
Trin kerleber, die bis zum Herz wuchs, gelang<br />
es Roth, innerhalb weniger Monate zu einem<br />
der bekanntesten Journalisten Wiens aufzusteigen.<br />
Allein für den „Neuen Tag“ verfasste<br />
er in knapp einem Jahr mehr als 100 Beiträge,<br />
später schrieb er außerdem für das „Prager<br />
Tag blatt“ und die „Frank furter Zeitung“. Sei -<br />
ne Spezialitäten waren die mokante Zeitkritik<br />
und das lyrische Feuil leton, er beherrschte<br />
alle Ton arten und zielte, auch wenn die<br />
Syntax spitz und klar aus dem Papier stach,<br />
immer auf das Gefühl.<br />
Als Schriftsteller debütierte Roth mit klei -<br />
nen Zeitromanen (u. a. „<strong>Die</strong> Re bel li on“,<br />
1924), die eng mit seinen zeitkritischen journalistischen<br />
Arbeiten verknüpft sind. Als bester<br />
Roman der Frühphase gilt „Hotel Sa voy“<br />
(1924), der im Verlag <strong>Die</strong> Schmiede in Berlin<br />
veröffentlicht wurde. Im Mittelpunkt steht<br />
der Kriegs heimkehrer Gabriel Dan, der, aus<br />
russischer Gefangenschaft kommend, zum<br />
ersten Mal nach fünf Jahren wieder an den<br />
Toren Euro pas steht. Er strandet in einer<br />
Stadt des Ostens, steigt im Hotel Savoy ab,<br />
das mit seinen sieben Etagen die Gesellschaft<br />
der Nachkriegs zeit spiegelt: Unten woh nen in<br />
schönen weiten Zimmern die Reichen … und<br />
oben die armen Hunde. Am En de geht das<br />
Hotel in Flammen auf. Wie die meisten Ro -<br />
mane Roths kann auch „Hotel Sa voy“ als<br />
leicht zu entschlüsselnde Selbs t be schreibung<br />
des Ver fas sers gelesen werden. <strong>Die</strong> folgenden<br />
Jahre waren geprägt von einer enormen<br />
literarischen und publizistischen Pro dukti -<br />
vität. Es ist eine große Ver mes sen heit, Städte<br />
beschreiben zu wollen, erklärte Roth. Er tat es<br />
trotz dem. Ein Triebtäter. Im mer wieder brach<br />
er zu neuen Reisen auf und verfasste die Re -<br />
por tagefolgen „Reise in Russ land“ (1926),<br />
„Rei se nach Al ba nien“ (1927), „Briefe aus<br />
Po len“ (1928) und „Das vier te Italien“<br />
(1928), die heute im Verlag Kie penheuer &<br />
Witsch gesammelt und sorg fältig ediert<br />
vorlie gen. Daneben veröffent lichte Roth die<br />
Ro mane „<strong>Die</strong> Flucht ohne En de“ (1927) und<br />
„Hiob. Roman eines einfachen Mannes“<br />
(1930), in dem er das Schick sal des in Ga lizi -<br />
en lebenden Juden Men del Sin ger schildert.<br />
Kurt Tucholsky soll einmal gesagt haben:<br />
„Wenn ich nicht Theobald Tiger wäre, möchte<br />
ich der erste Satz in einem Roman von Jo -<br />
seph Roth sein.“ Denn den vergisst man<br />
nicht. <strong>Die</strong> Trottas waren ein junges Ge -<br />
schlecht, so beginnt Roths Roman „Radetz -<br />
ky marsch“ (1932), der wohl zum Besten<br />
gehört, was jemals in deut scher Sprache geschrieben<br />
wurde. „Aufstieg und Nieder -<br />
gang“, heißt es auf dem Umschlag der<br />
Erstausgabe des Romans, „einer altöster rei -<br />
chi schen Fami lie durch drei Ge nerationen,<br />
die wunderbar ver bunden sind mit Regier -<br />
ungs dauer, Glück und Ende Kaiser Franz Jo -<br />
sephs des Ersten. Von der Schlacht von Sol -<br />
ferino bis zum Welt krieg schildert der Roman<br />
den Glanz und Un tergang des alten Öster -<br />
reich.“ Drei Wör ter: das alte Ös ter reich. Das<br />
war Roths Ob ses sion, ein Le ben lang. Und<br />
Österreich, wenn auch verklärt und verzaubert,<br />
dauerte in ihm fort, bis an den Boden<br />
seines letzten Gla ses.<br />
Von DANIEL MÖGLICH<br />
12 <strong>Die</strong> <strong>Berliner</strong> <strong>Literaturkritik</strong>