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EDITORIAL<br />
E<br />
s ist glaub ich Montag, als wir<br />
aus unserem lang andauernden<br />
Berliner Winterschlaf erwachen.<br />
Unser Büro stinkt. Silvester, die Küchenrakete,<br />
der Brand. Alles zieht sich.<br />
Mitte Februar und kein Ende in Sicht.<br />
Acht überdurchschnittlich fleißige<br />
und penible Türken renovieren unsere<br />
Wohnung, bezahlt von der Generali<br />
Versicherung. Ich mache Listen. Listen,<br />
was kaputt gegangen ist, was wir<br />
ersetzt haben wollen. Dann beginnen<br />
die Diskussionen. Erst mit unserem<br />
Makler. Dann mit dem Schadensprüfer.<br />
Dann wieder mit unserem Makler.<br />
Schließlich mit allen zusammen<br />
an einem Tisch - in einem stinkenden<br />
Zimmer. Ob wir denn noch arbeiten<br />
könnten, fragt der Prüfer, während er<br />
sich ekelnd versucht an einem vollgerußten<br />
Tisch etwas Platz zu verschaffen,<br />
um dort seinen Notizblock zu positionieren.<br />
Im Zimmer stinkts. Nein,<br />
antworte ich. Wir laufen auf lebenserhaltenden<br />
Maßnahmen. Ruß in der<br />
Lunge, Gestank in der Nase. 50 Tage<br />
ist der Brand her, wir haben alle unsere<br />
Tische (die aus Pappe waren) wegschmeißen<br />
müssen. Ein Gruppentisch<br />
aus Holz vom Vater unseres Grafikers<br />
ist übrig - hier sitzen wir gerade. Der<br />
Makler rollt mit den Augen. Der Prüfer<br />
macht Notizen. Dann beginnen die<br />
Fragen. Fragen nach unserer Kaffemaschine<br />
und dessen Alter, Fragen nach<br />
Originalrechnungen, betriebswirtschaftlichen<br />
Auswertungen, Summen<br />
und Saldenlisten - das erste Mal freue<br />
ich mich so richtig zwei Steuerberater<br />
zu haben. Es dauert nur wenige<br />
Stunden und wir sind fertig. Alle haben<br />
was sie wollten. Es wird sich darum<br />
gekümmert. Die beiden Schwulen<br />
unter den acht türkischen Handwerker<br />
wählen für uns den Küchenboden<br />
aus und spachteln die letzten noch so<br />
kleinen Löcher aus der Wand, dessen<br />
Tapete auf unseren Wunsch komplett<br />
entfernt wurde. Kurz bevor sie gehen,<br />
wird noch einmal jeder tropfende<br />
Wasserhahn gefixt. Fertig.<br />
Bis Mitte März dauert es bis Normalität<br />
im <strong>proud</strong> Büro eintritt. Dann muss<br />
»Die beiden Schwulen<br />
unter den acht türkischen<br />
Handwerker wählen für<br />
uns den Küchenboden<br />
aus«<br />
aber auch alles sofort. Büro sofort. Das<br />
ist das Stichwort. Regelmäßige Reinigungskraft<br />
einmal die Woche. Sofort.<br />
Neue Tische. Sofort. Hässliche, alte<br />
Computer weg. Alles unnütze Zeug<br />
weg. Sofort. Wir fühlen uns Wohl.<br />
Nicht nur dank des neuen Anstrichs.<br />
Nicht nur dank des neu eingeführten<br />
Blumen-Montags. Unser verschollenes<br />
Kind Valentin ist zurück aus dem<br />
Abenteuer Singapore, das er und seine<br />
als Arzt arbeitende Freundin Monate<br />
lang besuchte. Der neue Elan fördert<br />
neue Projekte. Projekte mit Axel Springer.<br />
Projekte mit Carlsberg. Projekte<br />
mit Schwarze Dose. Projekte mit Marlboro.<br />
Mit der Berlin Music Week und<br />
mit Bertelsmann (wir suchen Abiturienten<br />
mit 1er-Schnitt, also meldet<br />
Euch). Bitter nötig in einer Zeit, in der<br />
pro Monat ca. eine Person bei uns anruft<br />
und sich nach Anzeigenpreisen<br />
informiert. Trotzdem ist 2012 ein gutes<br />
Jahr. Die <strong>proud</strong> crowd wächst zusammen<br />
und temporäre Mitarbeiter<br />
gibt es nicht. Höchstens hier und da<br />
einen Praktikanten. Wir wollen das<br />
leben was wir machen und leben es.<br />
Festanstellung ist ein Thema. Krankenkasse.<br />
Sozialabgaben. Gehälter. Es<br />
pendelt sich ein und eröffnet ein neu-<br />
EDITORIAL<br />
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