Ausgabe 2 / März 2013 - PSI Innsbruck
Ausgabe 2 / März 2013 - PSI Innsbruck
Ausgabe 2 / März 2013 - PSI Innsbruck
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<strong>PSI</strong><br />
Zeitschrift des Psychoanalytischen Seminars <strong>Innsbruck</strong><br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong>
• Impressum<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
IMPRESSUM<br />
<strong>PSI</strong> Couch – Zeitschrift des Psychoanalytischen Seminars <strong>Innsbruck</strong><br />
Chefredakteurin:<br />
Eva Rogina<br />
Redaktionsteam:<br />
Helmut Auer, Gianluca Crepaldi, Tanja Eberhart, Conny Gruber, Bianca Villunger-Augustin<br />
Herausgeber:<br />
Psychoanalytisches Seminar <strong>Innsbruck</strong> (<strong>PSI</strong>)<br />
Anichstraße 40<br />
6020 <strong>Innsbruck</strong><br />
Verein <strong>PSI</strong>:<br />
Vorsitzender: Dr. Christoph Fischer<br />
Ausbildungsleiterin: Dr. Gabriele Worda<br />
Vorsitzender-Stellverterter: Dr. Christian Schöpf<br />
Kassier: Mag. Thomas Krenn<br />
Schriftführerin: Mag. Andrea Spiss<br />
KandidatenvertreterIn: MMag. Gianluca Crepaldi, Mag. Tanja Eberhart<br />
Layout:<br />
Bianca Villunger-Augustin<br />
Druck:<br />
Digitaldruck.at, Leobersdorf<br />
Autoren <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong>:<br />
Gianluca Crepaldi<br />
Tanja Eberhart<br />
Christoph Fischer<br />
Heinz Müller-Pozzi<br />
Eva Rogina<br />
Kontakt:<br />
Psychoanalytisches Seminar innsbruck<br />
Anichstrasse 40<br />
6020 <strong>Innsbruck</strong><br />
Tel. : +43 (0)512 575540<br />
www.psi-innsbruck.at<br />
office@psi-innsbruck.at<br />
couch.psi@gmail.com<br />
Sekretariat: Vittoria Daghetta, Di-Mi-Do 8.30 Uhr bis 13.00 Uhr<br />
2
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
• Editorial<br />
<strong>PSI</strong><br />
Zeitschrift des Psychoanalytischen Seminars <strong>Innsbruck</strong><br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen! Liebe Leser!<br />
TRIEB, (9.Jhdt., Bedeutung 16. Jhdt.),<br />
zunächst von „(Vieh) treiben“ und<br />
„forttreiben“ abhängig, dann als „Eifer,<br />
Energie, innerer Antrieb“. So wird es<br />
auch zum Fachwort der Psychologie.<br />
TREIBEN, außergermanischer Ursprung,<br />
lässt sich nur in der sehr eingeengte<br />
Bedeutung „Schneetreiben“, die vor allem<br />
im Nordischen hervortritt, vergleichen:<br />
„dribti“: „in Flocken niederfallen,<br />
plumpsen“. Ausgangspunkt wäre also<br />
der stürmische Niederschlag, alles<br />
weitere, besonders die Übertragung<br />
auf Personen wäre sekundär. Falls dies<br />
zutrifft, kann weiter an indogermanisch<br />
„dher“: „matschig sein, ausfallen aus<br />
Flüssigkeiten“ usw. angeknüpft werden.<br />
(Weitere Verwendungen: Vertrieb,<br />
Treiber, Betrieb, durchtrieben, Getriebe,<br />
be- bzw. vertreiben, an- bzw. abtreiben,<br />
neuenglisch: „drive“)<br />
in: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der<br />
deutschen Sprache<br />
Seit dem Erscheinen der ersten <strong>Ausgabe</strong> der COUCH<br />
im März 2012 ist nun bereits ein Jahr vergangen. Das<br />
ambitionierte Redaktionsteam musste trotz großer Freude<br />
bei der ehrenamtlichen Arbeit an der Zeitung einigen<br />
Realitäten – vor allem die zeitlichen Ressourcen der<br />
einzelnen Beteiligten betreffend – ins Auge sehen und vom<br />
ursprünglichen Plan eines zweimal im Jahr erscheinenden<br />
Vereinsmediums vorerst abgehen. Nichtsdestotrotz freuen<br />
wir uns, Ihnen, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, wieder<br />
ein neues Heft mit einigen spannenden Inhalten vorlegen zu<br />
dürfen.<br />
Dr. Heinz Müller-Pozzi stellt in den COUCH THESEN<br />
seinen im Jänner 2012 am <strong>PSI</strong> gehaltenen Vortrag zur<br />
Aktualität der Triebtheorie schriftlich zur Verfügung. Mag.<br />
Eva Rogina verfolgt im zweiten Teil ihres historischen<br />
Beitrages zur psychoanalytischen Kongressgeschichte die<br />
Spuren Freuds und seiner Schüler bis nach <strong>Innsbruck</strong>.<br />
Neben einem Semester- bzw. Jahresrückblick enthält die<br />
<strong>Ausgabe</strong> auch einen Rückblick auf die letzte Rinntagung<br />
des <strong>PSI</strong>, bei der wichtige gesundheitspolitische Fragen rund<br />
um die Psychotherapie zur Sprache kamen und u.a. mit<br />
offiziellen politischen Vertretern des Landes und der Tiroler<br />
Gebietskrankenkasse diskutiert wurde. Und wer sich schon<br />
immer gefragt hat, wie eigentlich diese Toskana-Seminare<br />
mit Dr. Fischer wirklich ablaufen, bekommt in dieser<br />
<strong>Ausgabe</strong> endlich eine Antwort: Eva Rogina, bereits mehrfach<br />
Toskana-erfahren, zeichnet in ihrem Artikel ein lebendiges<br />
Bild der Seminare auf einem italienischen Landgut bei<br />
Sughera de Montaione.<br />
Viel Vergnügen beim Lesen wünscht<br />
das Redaktionsteam der <strong>PSI</strong> COUCH<br />
3
• couch Review<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / märz <strong>2013</strong><br />
Rückblick<br />
auf das vergangene <strong>PSI</strong> Jahr<br />
Das Sommersemester 2012 startet aufgrund<br />
der Umbauarbeiten am <strong>PSI</strong> an einem<br />
ungewohnten Ort und vielleicht auch mit einem<br />
ungewohnten Thema: Zur Semestereröffnung<br />
finden sich die interessierten Zuhörer in den von<br />
der Erziehungsberatung freundlicherweise zur<br />
Verfügung gestellten Räumlichkeiten im Parterre<br />
der Anichstraße 40 ein. Univ.-Prof. i.R. Dr. Wilfried<br />
Biebl von der <strong>Innsbruck</strong>er Universitätsklinik führt<br />
an diesem Abend in seinem Vortrag in die, von<br />
der Psychoanalyse gar nicht so weit entfernte,<br />
Individualpsychologie Alfred Adlers ein. Mag.<br />
Christa Luger von der SFU leitet die analytische<br />
Selbsterfahrung für die Curriculumsgruppe, wie<br />
gewohnt im Südtiroler Pfitschtal. Im Mai erörtert<br />
Dr. Walter Berger aus München in seinem Workshop<br />
wichtige Grundbegriffe zu Sexuellen Störungen und<br />
bietet spannende Einblicke in behandlungstechnische<br />
Aspekte bei Perversionen. Aber auch die internen<br />
Lehrenden deckten wieder wichtige Themen für<br />
die Ausbildung ab. Mag. Günther Kainz und Dr.<br />
Gabriele Worda bieten der Curriculumsgruppe ein<br />
abwechslungsreiches Seminar zur Führung von<br />
psychoanalytischen Erstgesprächen, im Lesekreis von<br />
Dr. Christian Schöpf streitet man sich über Freudsche<br />
Kulturtheorie, Univ.-Prof. Dr. Gerhard Schüßler<br />
bereitet das Gebiet der Neurosenlehre systematisch<br />
auf und bei Dr. Isabella Deuerlein stehen Grundlagen<br />
der Behandlungstechnik, insbesondere Übertragung<br />
und Gegenübertragung auf dem Plan. Mag. Gudrun<br />
Schwienbacher beginnt in diesem Semester mit dem<br />
Curriculum während Conny Gruber, Mag. Astrid<br />
Schöch und Mag. Simona Agnoli ihre Ausbildung mit<br />
der Präsentation von spannenden Abschlussarbeiten<br />
abschließen. Ein rauschendes Abschlussfest im 3.<br />
Stock wurde es - wie nicht anders zu erwarten - vor<br />
allem bei der Erstgenannten. Ein rauschiges aber im<br />
Endeffekt wenig berauschendes Sommerfest gab es<br />
dann Ende Juni 2012. Nobody‘s perfect.<br />
Mag. Maria Seiwald eröffnet das Wintersemester<br />
2012/13 mit einem Vortrag zur psychoanalytischen<br />
Behandlung von Essstörungen. Die<br />
gruppendynamische Selbsterfahrung mit Dr. Reinhard<br />
Larcher aus Salzburg versetzt der Ausbildungsgruppe<br />
einen unvergesslichen psychotherapeutischen<br />
Kulturschock. Von zu „dünnen Suppen“ wird<br />
noch lang die Rede sein. Ein von vielen erwartetes<br />
Highlight boten Vortrag und Workshop von Dr.<br />
Mathias Hirsch, einem der renommiertesten<br />
Experten für das schwer verdauliche Thema des<br />
sexuellen Missbrauchs und der Psychodynamik<br />
inzestuöser Gewalt. Ein überraschendes Highlight<br />
war der fundierte Vortrag von Dr. Hale Usak über<br />
Geschichte und Gegenwart der Psychoanalyse in<br />
der Türkei. Intern wird bei Dr. Christoph Fischer<br />
zum Thema Intersubjektivität diskutiert und bei Dr.<br />
Isabella Deuerlein das Strukturierte Interview zur<br />
4
<strong>Ausgabe</strong> 2 / märz <strong>2013</strong><br />
Persönlichkeitsorganisation (STIPO) durchgeackert.<br />
Im Lesekreis von Dr. Christian Schöpf nähert man<br />
sich Sándor Ferenczis Denken an und Univ.-Prof.<br />
Dr. Gerhard Schüßler strukturiert in seinem<br />
Seminar gekonnt das Strukturlose: die Psychose.<br />
Emil Lassnig gestaltet und moderiert zum ersten<br />
Mal einen Filmabend und MMag. Gianluca Crepaldi<br />
absolviert im Wintersemester verzögert und doch<br />
genau zur rechten Zeit sein Kolloquium I. Drei neue<br />
Ausbildungskandidaten finden in diesem Semester<br />
ihren Weg ans <strong>PSI</strong>: Die Ausbildungsgruppe darf<br />
Mag. Diana Büttgen, Mag. Gerda Oblasser und<br />
Mag. Christian Rudisch in ihren Reihen begrüßen.<br />
Pamela Ralling absolviert ihr letztes Semester und<br />
verabschiedet sich beim traditionellen letzten Termin<br />
des <strong>PSI</strong>-Semesters in der Vinothek Dr. Fischer aus<br />
der Ausbildungsgruppe. Bei der Wahl am 9.3.<strong>2013</strong><br />
• couch Review<br />
werden Mag. Tanja Eberhart und MMag. Gianluca<br />
Crepaldi nach zwei arbeitsreichen Jahren von einem<br />
neuen Kandidatenvertreterteam abgelöst.<br />
5
• couch Review<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Psychoanalyse als Heilverfahren!?<br />
Rückblick auf die Rinntagung 2012<br />
Es waren brisante Fragen, mit denen das <strong>PSI</strong><br />
im März 2012 im Hotel Geisler in Rinn ein<br />
hochkarätig besetztes Podium befasste. Moderiert<br />
von Dr. Isabella Deuerlein, stellte man sich wichtigen<br />
Fragen: Welches ist der Stellenwert der Psychotherapie<br />
und insbesondere der Psychoanalyse im<br />
österreichischen bzw. im Tiroler Gesundheitssystem?<br />
Warum sind die Kassenleistungen im Bereich der<br />
Psychotherapie immer noch so gering und warum ist<br />
es so schwierig hier eine Verbesserung zu erwirken?<br />
Das vom Vorstand beauftragte Organisationsteam<br />
für die Rinntagung – bestehend aus Dr. Christian<br />
Schöpf, Mag. Tanja Eberhart und MMag. Gianluca<br />
Crepaldi – war bereits einige Monate zuvor um ein<br />
ansprechendes Tagungskonzept, gute Planung und<br />
interessante Gäste bemüht; und das hat sich bezahlt<br />
gemacht: die Veranstaltung war gemessen an der<br />
Lebendigkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung<br />
ein voller Erfolg.<br />
Univ.-Prof. Dr. Stephan Doering, Vorstand<br />
der Universitätsklinik für Psychoanalyse und<br />
Psychotherapie an der Universitätsklinik in<br />
Wien, verwies auf aktuelle Forschungsergebnisse<br />
und Studien, die mitunter belegen würden, dass<br />
Psychopharmaka häufig von Hausärzten nicht<br />
fachgerecht verschrieben und auch falsch dosiert<br />
werden, sodass eine entsprechende Wirkung – v.a.<br />
bei leichten und mittelgradigen Depressionen –<br />
kaum gegeben sei. Diese Tatsache wäre ein wahrer<br />
Kostentreiber, während Psychotherapie häufig<br />
die in Summe günstigere Variante sei. Doering<br />
fragt, was die Kostenträger und Krankenkassen<br />
sowie generell die Politik vom Berufsstand der<br />
Psychotherapeuten brauche (Argumente? Zahlen?<br />
Fakten?), um in einem Umverteilungsprozess für<br />
die Psychotherapie zu votieren? Dr. Karl Stieg, der<br />
Psychiatriekoordinator des Landes Tirol, spricht<br />
über den Tiroler Psychiatrieplan und allgemeine<br />
Versorgungsstrukturen. Als er verspricht, den Antrag<br />
der <strong>PSI</strong> Ambulanz auf Förderung noch einmal zu<br />
prüfen, erntet er Szenenapplaus... Entscheidend sei,<br />
ob die Ambulanz „versorgungswirksam“ wäre. Stieg<br />
weist darauf hin, dass die Mühlen im Landhaus<br />
langsam malen würden. (Anm. der Redaktion: Die<br />
Förderungen wurden bis zum heutigen Tage noch<br />
nicht gewährt.) Jeanne Wolff Bernstein, Ph.D.,<br />
Lehranalytikerin an der SFU in Wien, meint, dass<br />
die Psychotherapeuten generell die Berufsgruppe der<br />
„Verständnisvollen“ seien und Schwierigkeiten habe<br />
ihr „Inneres“ nach „Außen“ zu kehren. Dadurch<br />
bleibe das, was sie mit ihren Patienten vollbringen,<br />
oft unsichtbar und werde nicht entsprechend<br />
gehört. Daran anknüpfend fragt sich Dr. Christoph<br />
Fischer, Vorstand des <strong>PSI</strong>, warum es bspw. bei den<br />
Kieferorthopäden und Zahnärzten undenkbar wäre,<br />
so wenig Kassenleistungen zu erhalten und vermutet,<br />
es müsse damit zusammenhängen, dass diese<br />
Gruppen „bissiger“ seien, als die Psychotherapeuten,<br />
wenn es um das Vertreten ihrer Interessen und jener<br />
ihrer Patienten geht. Mag. Karl-Ernst Heidegger,<br />
Vorsitzender des Tiroler Landesverbandes für<br />
Psychotherapie, stellt klar, dass der Ball nun<br />
endgültig beim Kostenträger liege. Seit Jahren würde<br />
argumentiert, warum Psychotherapie lebenswichtig<br />
für das Gesundheitssystem sei, aber die 21,80€<br />
Zuschuss wurden seit 20 Jahren nicht erhöht. Diesen<br />
Umstand betrachte die Berufsgruppe mitsamt<br />
ihrer Patienten als Affront und Geringschätzung.<br />
Versorgungsdaten würden nicht schulenspezifisch<br />
erhoben, da die Gefahr bestünde, dass einzelne<br />
Schulen gegeneinander ausgespielt werden. Es sei<br />
wichtig, dass die Gruppe der Psychotherapeuten<br />
in Verhandlungen relativ geeint auftreten könne.<br />
Dr. Arno Melitopulos, Direktor der TGKK,<br />
stellt sich ebenso den kritischen Fragen des<br />
interessierten Publikums. Zur Frage der einzelnen<br />
Psychotherapieschulen stellt er fest, dass Schulen,<br />
die mehr Stunden brauchen und längere Therapien<br />
befürworten, objektiv benachteiligt würden, das<br />
sei eben eine Tatsache. Er selbst interessiere sich<br />
nicht für Schulenspezifika, außer es gäbe Evidenzen<br />
6
<strong>Ausgabe</strong> 2 / märz <strong>2013</strong><br />
(Forschungsergebnisse), die belegen könnten,<br />
dass die eine oder andere Schule bei bestimmten<br />
Problemen besser helfe. Melitopulos meint zudem,<br />
dass der Berufsstand der Psychotherapeuten sicher<br />
noch etwas zu entwickeln hätte, was die eigene<br />
Standespolitik betrifft und dass andere Gruppen<br />
sicherlich „lauter schreien“, wenn man ihnen z.B.<br />
etwas wegnehmen würde; manche Gruppen würde<br />
auch vor dem Boulevard nicht zurückschrecken, um<br />
Interessensdruck auszuüben. Generell sei es aber im<br />
Bereich der Psychotherapie, was die Finanzen betrifft,<br />
nicht weniger geworden, sondern nur „weniger<br />
mehr“ - es sei eben eine generelle Verteilungsfrage,<br />
die sehr stark vom Rahmen abhängt, den die<br />
Bundesregierung setze. Die Datenerhebung über<br />
die Versorgungslage im Bereich der Psychotherapie<br />
sei schwierig, da man mit den Leuten Vorort, in<br />
den Bezirken, sprechen müsse. Generell gäbe es am<br />
Land eine Unterversorgung; das Überangebot in der<br />
Stadt schaffe aber vielleicht auch mehr Nachfrage.<br />
Melitopulos erachtet es als nicht günstig, wenn die<br />
Berufsgruppe selbst den Bedarf erheben würde. Ein<br />
Gesamtvertrag liege in weiter Ferne, man könne nur<br />
Schritt für Schritt an einem Ausbau der Sachleistung<br />
(Tiroler Modell) arbeiten. Alle Berufsgruppen würde<br />
nach mehr schreien und die Krankenkassen müssten<br />
• couch Review<br />
einen Ausgleich schaffen. Die Gleichstellung von<br />
ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen<br />
laut Gesetz habe eher den Stellenwert einer<br />
juristischen „Finte“ und sei weit weg von der Realität.<br />
Mag. Barbara Koch, Psychoanalytikerin und<br />
Mitarbeiterin der psychotherapeutischen Ambulanz<br />
für Kinder und Jugendliche, drückt ihr Unverständnis<br />
darüber aus, dass im Kinderbereich so wenig getan<br />
werde, da die Notwendigkeit offenkundig bestehe,<br />
daran gäbe es keinen Zweifel und dennoch hätten<br />
nur wenige Kinder Zugang zu psychotherapeutischer<br />
Versorgung, die durch Krankenkassen getragen wird.<br />
Das Publikum beteiligt sich rege an der kritischen<br />
Diskussion. Die Gelder für Psychotherapie stünden<br />
in keinem Verhältnis zu sonstigen <strong>Ausgabe</strong>n und<br />
trotzdem scheint es so schwierig, eine Erweiterung<br />
der Leistungen durchzusetzen: Warum? Psychische<br />
Erkrankungen sind in der Gesellschaft oft nicht<br />
so leicht sichtbar wie andere. Daher werden sie<br />
auch „finanziell“ leichter übergangen. Die durch<br />
die kritische, aber durchwegs sachlich geführte<br />
Diskussion erhitzten Gemüter konnten im Anschluss<br />
bei einem opulenten Buffet und dem einen oder<br />
anderen Glas Wein den Abend entspannt ausklingen<br />
lassen.<br />
7
• Couch live<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Die Psychotherapeutische<br />
Ambulanz <strong>Innsbruck</strong><br />
Eine Abteilung des <strong>PSI</strong>, wo stetig, fleißig,<br />
engagiert, interessiert und fast schon<br />
unaufgeregt gearbeitet wird - obwohl natürlich viel<br />
Aufregendes in den Erstgesprächen besprochen wird<br />
- ist die Psychotherapeutische Ambulanz.<br />
Eine motivierte Konzeptgruppe bestehend aus<br />
Joachim Giacomelli, Mag. Barbara Koch, Mag.<br />
Gabriele Kössl, Dr. Bernd Traxl und Nikolaus<br />
Worm startete Ende 2007 mit ihren Ideen und<br />
setzte die Ambulanz schließlich 2009 um. Das<br />
erste Erstgespräch fand übrigens am 15.05.2009<br />
statt. Inzwischen hat sich die Ambulanz zu einer<br />
respektablen psychotherapeutischen Anlaufstelle<br />
entwickelt und wir können erfreulicherweise einen<br />
kontinuierlichen Zulauf an Patienten verzeichnen<br />
– pro Woche kommt es im Schnitt zu zwei bis drei<br />
Erstkontakten.<br />
Unser Angebot – zwei kostenlose Erstgespräche,<br />
in denen gemeinsam mit den Patienten bzw.<br />
zwischen den beiden Erstgesprächen in der<br />
Ambulanzkonferenz, weitere Perspektiven der<br />
Behandlung erarbeitet werden, um eine bestmögliche<br />
Weitervermittlung zu gewährleisten – wird von<br />
Zuweisern und Patienten gut angenommen. Neben<br />
unserer schnellen und flexiblen Terminvergabe ist<br />
es sicherlich auch die spezielle Zusammensetzung<br />
unseres Ambulanzteams, die bei Zuweisern und<br />
Patienten gleichermaßen Anklang findet: Junge,<br />
engagierte Analytiker (großteils in Ausbildung unter<br />
Supervision) führen sämtliche Erstgespräche durch,<br />
welche in der Folge mit einem erfahrenen Leiter<br />
supervidiert und reflektiert werden.<br />
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Schüßler hat nach<br />
eineinhalb Jahren professioneller Leitung der<br />
Ambulanz mit Ende Dezember 2012 die Funktion an<br />
Frau Dr. Isabella Deuerlein übergeben. Dr. Schüßler<br />
unterstützte das Ambulanzteam besonders durch<br />
seine umfassenden Kenntnisse der therapeutischen<br />
und medizinischen Szene Tirols und bot besonders<br />
für junge Analytiker immer wieder viel Struktur- und<br />
Realitätsbezogenheit. Das Team freut sich nun auf<br />
die weitere Zusammenarbeit mit Fr. Dr. Deuerlein.<br />
Unsere Ambulanz besteht aktuell aus einer<br />
Erwachsenenambulanz und einer Ambulanz für<br />
Kinder und Jugendliche. Die Mitarbeit an den<br />
Ambulanzen erfolgt ehrenamtlich. Eine Subvention<br />
durch das Land Tirol ist auch nach hitzigen<br />
Diskussionen und Spontanapplaus bei der Rinntagung<br />
2012 für den zuständigen Psychiatriekoordinator<br />
des Landes, Dr. Karl Stieg, nach wie vor ausständig.<br />
Dieses Vorgehen scheint insofern nicht verständlich,<br />
als dass wir mittlerweile einen fixen Platz in der<br />
psychotherapeutischen Versorgung vor allem im<br />
Großraum <strong>Innsbruck</strong> einnehmen. Nichtsdestotrotz<br />
macht die Arbeit an der Ambulanz einerseits Spaß<br />
und bietet andererseits durch den Erfahrungsgewinn<br />
und den engen Austausch in der Konferenz auch<br />
eine „Entlohnung“ für die Mitarbeiter: Immerhin<br />
sind wir das einzige psychotherapeutische<br />
Ausbildungsinstitut in <strong>Innsbruck</strong>, an dem Kandidaten<br />
ab dem Zwischenkolloquium die Möglichkeit haben,<br />
regelmäßig Erstgespräche zu führen und diese in<br />
solch einem Setting nachzubesprechen.<br />
Das aktuelle Team der Ambulanz für Erwachsene<br />
besteht derzeit aus Mag. Helmut Auer, Mag.<br />
Marianna Burcsik, MMag. Gianluca Crepaldi,<br />
Mag. Tanja Eberhart, Emil Lassnig, Pamela Ralling<br />
sowie Dr. Claudia Zojer. Neben den regelmäßigen<br />
Konzeptgruppentreffen organisierte das Team unter<br />
der Leitung von Emil Lassnig (Ambulanzvertretung)<br />
eine großangelegte Briefaussendung an<br />
Vernetzungspartner in ganz Tirol, die umgehend zu<br />
positiver Resonanz führte und den bisherigen Weg<br />
bestärkte. Auch eine Einladung in die Konferenz der<br />
Sozialarbeiter der TILAK erwies sich als Erfolg. Emil<br />
Lassnig stand ca. 20 interessierten SozialarbeiterInnen<br />
kompetent Rede und Antwort, was das Angebot<br />
der psychotherapeutischen Ambulanz betrifft. Das<br />
Kinder- und Jugendambulanzteam wird derzeit als<br />
„Triumvirat“ von Mag. Tanja Eberhart, DSA Joachim<br />
Giacomelli und Mag. Barbara Koch geführt. Nach<br />
dem großen Besucherandrang beim letzten „Abend<br />
der Kinder- und Jugendambulanz“ mit einem<br />
Vortrag von Dr. Eva Wolfram-Ertl ist eine solche<br />
Veranstaltung im kommenden Sommersemester<br />
– diesmal mit Mag. Petra Grubinger, der aktuellen<br />
8
• Couch Live<br />
Supervisorin des Teams – erneut in Planung.<br />
Nicht unerwähnt bleiben dürfen natürlich die<br />
großartig umgebauten und erweiterten Praxisräume<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
im 3. Stock des <strong>PSI</strong>, die seit Jänner 2012 bezogen<br />
wurden, die aber noch auf ihre Komplettierung und<br />
vor allem ihre Eröffnungsfeier warten. Der „3. Stock“<br />
hat sich nichtsdestotrotz bestens eingelebt.<br />
Kontakt:<br />
Psychotherapeutische Ambulanz <strong>Innsbruck</strong><br />
Anichstrassse 40<br />
6020 <strong>Innsbruck</strong><br />
Tel.: 0680 / 311 42 88<br />
http://www.iap-innsbruck.at/<br />
9
• Couch History<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
25 JAHRE INSTITUT FÜR ANGEWANDTE<br />
PSYCHOANALYSE UND PSYCHOTHERAPIE (IAP)<br />
Das „Institut für angewandte Psychoanalyse“, wie es<br />
zu Beginn hieß („und Psychotherapie“ kam erst fünf<br />
Jahre später dazu), wurde im April 1988 gegründet und<br />
blickt somit auf ein 25-jähriges Bestehen zurück.<br />
In der Gründungsphase bestanden intensive Kontakte<br />
zwischen den beiden IAP-Gründern, Christoph Fischer<br />
und Manfred Steinlechner, einerseits und dem neu nach<br />
<strong>Innsbruck</strong> berufenen Lehrstuhlinhaber für medizinische<br />
Psychologie und Psychotherapie, Wolfgang Wesiack,<br />
andererseits.<br />
Diese Gespräche, getragen von der Unzufriedenheit<br />
über die bestehenden psychoanalytischen<br />
Ausbildungen und dem Wunsch nach Besserem,<br />
führten dann noch im Herbst 1988 zu verschiedenen<br />
Treffen und Arbeitssitzungen, an denen auch weitere<br />
Psychoanalytiker-Kollegen und Universitätsprofessoren<br />
teilnahmen, mit dem Ziel, eine moderne<br />
psychoanalytische Ausbildung ins Leben zu rufen.<br />
Leitgedanke dabei war das Vermitteln einer<br />
pluralistischen Psychoanalyse.<br />
Im Herbst 1989 war es dann so weit, die erste<br />
Ausbildungsgruppe des „Psychoanalytischen Seminars<br />
<strong>Innsbruck</strong>“ (<strong>PSI</strong>) wurde begonnen und zeitgleich mit<br />
dem 50. Todestag Freuds eine öffentliche Veranstaltung<br />
in den Raiffeisensälen durchgeführt, bei der sich das<br />
neue Ausbildungsinstitut vorstellte. Der aus Wien<br />
angereiste Ernst Federn referierte über die „Anfänge<br />
der Psychoanalyse“, Harald Leupold-Löwenthal,<br />
ebenfalls aus Wien, sprach über die „Entwicklung<br />
der Psychoanalyse in Österreich“ und Peter Kutter<br />
aus Frankfurt über die „Zukunftsperspektiven der<br />
Psychoanalyse“.<br />
Christoph Fischer konzipierte im Einleitungsreferat,<br />
das hier im Folgenden abgedruckt ist, die Grundzüge<br />
einer modernen psychoanalytischen Ausbildung. Wir<br />
glauben, dass diese auch heute, knapp 25 Jahre später,<br />
nichts an inhaltlicher Bedeutung verloren haben.<br />
10
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
• Couch History<br />
Grundzüge einer modernen<br />
psychoanalytischen Ausbildung<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde<br />
und Kollegen!<br />
Wir gedenken heute des 50. Todestages von Sigmund<br />
Freud, was uns auch Anlass sein wird, auf 50 Jahre<br />
nachfreudianische psychoanalytische Theoriebildung<br />
und therapeutische Praxis zurückzublicken.<br />
Was hat sich in der psychoanalytischen Wissenschaft<br />
weiterentwickelt? Was hat sich bewährt? Was ist in<br />
der Entwicklung stehengeblieben und nicht mehr<br />
aktuell?<br />
Dazu eine provokante Feststellung, die in der<br />
Diskussion unter Psychoanalytikern immer wieder<br />
ausgesprochen wird: „Sigmund Freud war selbst kein<br />
Freudianer.“<br />
Damit ist die Tatsache angesprochen, dass Freud in<br />
seinen theoretischen Werken sehr klare und strenge<br />
Vorgaben machte, gerade auch was die Handhabung<br />
der psychoanalytischen Behandlungspraxis<br />
anlangt, und andererseits in seiner eigenen Praxis<br />
sehr viel offener, unschematischer, freundlicher<br />
und warmherziger, wohl auch spontaner und<br />
experimentierfreudiger auftrat, als dies seiner<br />
theoretischen Konzeption nach zu vermuten<br />
gewesen wäre. (Dies wissen wir aus zahlreichen<br />
Behandlungsberichten seiner Analysanden.)<br />
Freud wäre also heute kein Freudianer mehr?<br />
- Ich denke, das muss einen nicht verwundern,<br />
wenn man bedenkt, dass er seine Triebtheorie drei<br />
Mal modifizierte, nämlich jeweils wenn er merkte,<br />
dass die Realität der in den Analysen gewonnen<br />
Erfahrungen mit der bestehenden Theorie kollidierte.<br />
D.h. Freud war sehr innovativ, neue Erfahrungen<br />
fanden Eingang in die Theoriebildung und es lässt<br />
sich vermuten, dass auch ein Freud unserer Tage<br />
einer modernen psychoanalytischen Theorie- und<br />
Praxiserforschung sehr zustimmen würde.<br />
Dazu nun einige Bemerkungen, was eine moderne<br />
psychoanalytische Praxis zum einen und eine<br />
wirksame psychoanalytische Ausbildungspraxis<br />
zum anderen heute bedeuten könnte:<br />
• Ich denke, dass es richtig und wichtig ist, das,<br />
was der Analytiker in der Praxis tut (und nicht, was<br />
er seiner Theorie nach zu tun vorgibt), immer wieder<br />
hinsichtlich der Effizienz zu überprüfen. (So wie dies<br />
etwa die Ulmer Forschungsgruppe um Thomä und<br />
Kächele seit Jahren handhabt).<br />
11
• Couch History<br />
Es ist leichter, in der Theorie immer das Richtige<br />
zu wissen, es ist jedoch etwas anderes, sich in einem<br />
laufenden Prozess immer wieder einer Überprüfung<br />
des eigenen Handelns zu stellen. Etwa in dem Sinne:<br />
Was hat meine Intervention dem Patienten genützt?<br />
Kann er mein jetzt so ausgedrücktes Eingehen auf ihn<br />
auch brauchen oder wiederhole ich etwas mit ihm zum<br />
99. Male? Und wenn es so ist, was nützt dann dem<br />
Patienten gerade jetzt, um eine neue, befriedigendere<br />
Erfahrung zu machen? Wo schält sich sein Weg heraus<br />
in psychisches Neuland bzw. einen Neubeginn, um mit<br />
Balint zu sprechen? Und was macht Angst davor? Etc.<br />
• Die Psychoanalyse hat durch zu viele<br />
selbstgerechte Äußerungen im Umgang mit ihren<br />
Kritikern viel an Respekt und Reputation verloren<br />
- in Fach- und Kollegenkreisen zumindest (bei<br />
der Bevölkerung war davon sowieso noch nie viel<br />
vorhanden). Auch hier lässt sich das nicht allein mit<br />
dem Widerstand der Unwissenden, Unanalysierten<br />
abtun, indem man die Kritik als durch den Stachel<br />
der Psychoanalyse unbewusst hervorgerufen erklärt.<br />
Psychoanalytiker haben die gleichen Fehler und<br />
menschlichen Schwächen wie andere Menschen<br />
auch – sie sollten sie sich gerade wegen ihres Wissens<br />
darum auch eingestehen.<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
nicht dem Vorwurf das Agierens aussetzten.<br />
Um die Kenntnisse über das Veränderungswissen<br />
zu vergrößern, braucht es couragierte und offene<br />
Analytiker, die ihre Gegenübertragung (im Sinne<br />
einer emotionalen Präsenz) nicht im stillen<br />
Kämmerlein verwahren, sondern wirksam damit<br />
arbeiten.<br />
• In diesem Sinne Ferenczi und Balint<br />
nahestehend, hat der leider zu früh verstorbene Fritz<br />
Morgenthaler immer wieder betont, dass der Spiegel,<br />
den der Analytiker seinem Patienten vorhält, auch wie<br />
ein wirklicher Spiegel etwas zeigen müsse (damit der<br />
Patient sich damit auseinandersetzen kann) und dass<br />
deshalb ein Analytiker in seinen exhibitionistischen,<br />
also seinen Herzeigimpulsen nicht gestört sein dürfe<br />
…<br />
Sein Wort in vieler Analytiker Ohr! Denn dann<br />
wird die Zahl der Analysegeschädigten, die mit<br />
gehemmten Worten und ehrfürchtigen Blicken<br />
von ihrer, aber eben letztlich doch unbefriedigt<br />
gebliebenen Analyseerfahrung berichten, kleiner<br />
werden. Und dann ist es gar nicht so selten, dass<br />
ehemalige Analysanden wiederkommen, um es<br />
nochmals zu versuchen.<br />
• Psychoanalytische Erfahrung ist meines<br />
Erachtens in der Metapher von der Werkstatt, in der<br />
sich Lehrer und Schüler treffen, um gemeinsam zu<br />
arbeiten und zu lernen, recht gut getroffen.<br />
Das Bild von der Psychoanalyse als einer<br />
Geheimwissenschaft, einer reinen Lehre, die es zu<br />
vermitteln gilt, sollte damit endgültig passé sein.<br />
Denn da gibt es sonst nicht viel zu lernen und umso<br />
mehr zu glauben. Und in der Tradition Freuds ist<br />
es uns Verpflichtung, allen Glaubensdingen kritisch<br />
gegenüberzustehen und sich an die Wurzeln, d.h. an<br />
die Impulse und Bedürfnisse des Einzelnen radikal<br />
heranzuwagen bzw. diese in der psychoanalytischen<br />
Werkstatt gemeinsam aufzufinden.<br />
• Das große Potential der modernen<br />
Psychoanalyse liegt in ihrem enormen Kenntnisstand<br />
über die Entstehung und Entwicklung von psychischen<br />
Verhaltens-, Reaktions- und Beziehungsmustern.<br />
Verglichen damit ist das Erfahrungspotential<br />
über das sogenannte Veränderungswissen, um H.<br />
Thomä zu zitieren, noch verschwindend klein –<br />
andere therapeutische Richtungen sind da mutiger<br />
vorangeschritten, vielleicht auch, weil sie sich damit<br />
Was heißt dies nun für die Ausbildungspraxis in<br />
Psychoanalyse?<br />
Allgemein gesagt, dass auch der Prozess<br />
der Ausbildung von den Beteiligten wirklich<br />
psychoanalytisch mitreflektiert wird, dass die<br />
Rollenfunktionen, die z.B. auch von Seiten der<br />
Lehrenden zu übernehmen nötig sind, transparent<br />
gemacht werden, dass Abhängigkeits- und<br />
12
<strong>Ausgabe</strong> 12 / März <strong>2013</strong><br />
Autonomiewünsche auch im Ausbildungsprozess<br />
letztlich mit Gelassenheit angenommen und<br />
respektiert werden können und nicht in<br />
Machtausübung Antwort finden und dass auch<br />
auftretende Konflikte hoffentlich wirklich auftreten,<br />
anstatt unterschwellig, hinter vorgehaltener Hand<br />
den Prozess zu bestimmen.<br />
• Couch History<br />
1. Das Stattfinden offener Diskussionen<br />
zwischen Lehrenden und Lernenden über die eigenen<br />
Erfahrungen damit, Psychoanalyse zu lernen und zu<br />
verwirklichen.<br />
2. In den Supervisionen sollte der Lehranalytiker<br />
auch zum Ausdruck bringen, dass die Technik, die er<br />
vertritt, nicht die einzig richtige ist, sondern die, die er<br />
sich im Laufe der Jahre erworben hat. (Dadurch wird<br />
einer positivistischen Idealbildung entgegengewirkt<br />
und die Betonung auf die je spezifische Realität des<br />
analytischen Prozesses als eine Zweierbeziehung<br />
gelegt.)<br />
3. Um ihre Arbeitsweise transparent zu machen,<br />
sollen die Lehrenden auch eigene Fälle vorstellen.<br />
Dadurch wird deutlich, dass Psychoanalyse nicht<br />
einfach die Anwendung der Theorie ist (ich sprach<br />
im Zusammenhang mit Freuds eigener Praxis<br />
schon davon), sondern dass sich jeder Analytiker<br />
seine spezifische Technik in einem längeren Prozess<br />
erwerben, also sich seine eigene Werkstatt einrichten<br />
muss.<br />
Ein Prozess, der von der Wiederholung, dem<br />
Erkennen der Wiederholung, dem Durcharbeiten<br />
und Auflösen derselben und dem Unterstützen und<br />
Mut-Machen von Neu-Erfahrungen angetrieben<br />
wird, zeigt kreatives Lernen, Erfahrungslernen in<br />
seiner besten Form.<br />
Psychoanalyse lernt man nicht aus Büchern, sondern<br />
nur aus der wirksam gewordenen Erfahrung. Als<br />
Ausbildungsleiter des <strong>PSI</strong> möchte ich unterstreichen,<br />
dass mir ein lebendiger und transparenter<br />
Ausbildungsverlauf ein Anliegen ersten Ranges<br />
sein wird. Dies ist nicht einfach zu verwirklichen,<br />
schon Cremerius spricht von der „Zwitternatur“ der<br />
Ausbildungsinstitutionen: So entstehe zum einen<br />
die unmittelbare Abhängigkeit des Lernenden vom<br />
Lehrenden, zum anderen existiere das Ziel, kritische,<br />
unabhängige Wissenschaftler und Therapeuten<br />
auszubilden.<br />
Also: Wie viel emanzipatorischer Geist in den<br />
eigenen Reihen ist erlaubt, wie viel gläubige<br />
Gefolgstreue erwünscht?<br />
So sind es folgende Punkte, die eine praxisnahe<br />
und transparente psychoanalytische Ausbildung<br />
kennzeichnen sollten:<br />
4. Ausbildungskandidaten, die sich mühelos<br />
und reibungslos mit den institutionalisierten<br />
Lehrmeinungen identifizieren, sind nicht unbedingt<br />
auf dem Wege, gute Analytiker zu werden. Das<br />
Postulat einer geglückten Anpassung sollte in Frage<br />
gestellt werden.<br />
Erwünscht sind auch experimentierfreudige<br />
Lernende, die in der Technik ihre eigenen Wege<br />
gehen. Diese Erfahrungen sollten diskutiert<br />
und gemeinsam verstanden werden. Ziel wäre,<br />
teilzunehmen an Entwicklungen zur Selbständigkeit<br />
im emanzipatorischen Geist der Psychoanalyse.<br />
13
• Couch History<br />
Ein Letztes:<br />
Auf das Buch „Entwicklungsziele der<br />
Psychoanalyse“ von Ferenczi und Rank,<br />
das bei den Berliner Analytikern wegen der<br />
experimentierfreudigen und innovativen<br />
Behandlungstechnik einen Sturm auslöste,<br />
reagierte Freud in einem Schreiben an die<br />
Mitglieder des Komitees, indem er nach einigen<br />
persönlichen kritischen Anmerkungen mit<br />
den Worten schließt: „Sonst kann die Schrift als<br />
ein erfrischender und zersetzender Eingriff in<br />
unsere gegenwärtigen analytischen Gewohnheiten<br />
anerkannt werden.“<br />
50 Jahre nach Freuds Tod sollten wir uns die Worte<br />
des Begründers der Psychoanalyse sehr bewusst<br />
halten und in seiner Nachfolge einen offenen und<br />
experimentierfreudigen analytischen Prozess – auch<br />
und gerade in der psychoanalytischen Ausbildung –<br />
anzustreben versuchen. Und zwar gegen eine falsch<br />
verstandene psychoanalytische Orthodoxie und<br />
im Bewusstsein der eigenen Widerstände, die es<br />
zu überwinden gilt, wenn es darum geht, Neues zu<br />
wagen.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Dr. Christoph Fischer, Jahrgang 1951<br />
Studium der Psychologie<br />
Psychoanalytiker und Gesprächspsychotherapeut nach Rogers<br />
Trainer für Gruppendynamik und Gruppenpsychotherapie (ÖAGG)<br />
Gründer und Leiter des Psychoanalytischen Seminars <strong>Innsbruck</strong><br />
Leiter des Fachbereichs Psychoanalyse an der Sigmund Freud<br />
Privatuniversität Wien<br />
Önologe und Vinothekar<br />
14
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
• Couch Thesen<br />
Die Aktualität der<br />
Triebtheorie<br />
Vom Objekt zum Subjekt des Triebs<br />
Dr. phil. Heinz MÜLLER-POZZI<br />
Die Verwerfung der Triebtheorie und die<br />
Exklusion des Dritten<br />
Die Triebtheorie ist das Herzstück der<br />
psychoanalytischen Theorie und ihr Stein des<br />
Anstosses. Ich werde nicht die lange Geschichte des<br />
Schwindens und Verschwindens der Triebtheorie<br />
nachzeichnen. Ich habe mich andernorts dazu<br />
geäussert (Müller-Pozzi, 2011 1 ). Hier nur soviel:<br />
die posttriebtheoretischen Schulen, die sich gern<br />
die „moderne Psychoanalyse“ nennen, glauben,<br />
ohne die Triebtheorie oder ein Äquivalent<br />
auszukommen. Das sind in erster Linie die<br />
Bindungstheorie, die Objektbeziehungslehre und<br />
Selbstpsychologie. Sie haben das psychoanalytische<br />
Wissen entschieden bereichert. Wo aber die<br />
Objektbeziehungspsychologie die Triebtheorie als<br />
obsolet erklärt, die Bindungstheorie sich als ihre<br />
Alternative anbietet und die Selbstpsychologie<br />
die Triebe als Abfallprodukte nicht hinlänglich<br />
guter Selbstobjekt-Beziehungen pathologisiert,<br />
kurz: wenn das subjektive und intersubjektive<br />
Geschehen entsexualisiert wird, wird es kritisch<br />
und es herrscht praktischer, theoretisch, d.h.<br />
metapsychologischer und epistemologischer<br />
Reflexions- und Diskussionsbedarf.<br />
Mit der Verwerfung der Triebtheorie verbunden<br />
ist logischerweise die Abkehr von der konstitutiven<br />
Bedeutung des Dritten und des Ödipuskomplexes.<br />
Die moderne Psychoanalyse lehnt sich mehr<br />
und mehr an die Kleinkindforschung an, deren<br />
epistemologisches Paradigma die Bindungstheorie<br />
und damit die dual konzipierte phänomenale,<br />
beobachtbare Mutter-Kind-Beziehung ist. Das<br />
Fantasmatische der Psychoanalyse fällt dem<br />
Beobachtbaren der empirischen Wissenschaft zum<br />
Opfer. Ja, die grundsätzlich triangulär-ödipale<br />
Verfasstheit des Psychischen und der Psychoanalyse,<br />
die Fantasieren und Analysieren erst ermöglicht,<br />
wird auf ein duales Beziehungsmuster reduziert.<br />
Wir mögen uns zur so genannten modernen<br />
Psychoanalyse stellen, wie wir wollen, eins sollten<br />
wir, dürfen wir nicht übersehen und unsererseits<br />
verwerfen: Sie weist uns auf ein veritables Problem<br />
Freuds und der Psychoanalyse hin, das Problem der<br />
Realität nämlich, die in Freuds Metapsychologie<br />
keinen Ort hat, in strukturaler Terminologie: das<br />
Problem des Anderen. Ohne theoretische Klärung<br />
des Problems der Realität, d.h. des Anderen, wird<br />
eine fundamentale psychoanalytische Triebtheorie<br />
nicht zu haben sein. Man kann das Problem<br />
wegeskamotieren, indem man sich auf die eine<br />
oder andere Seite schlägt. Die herkömmliche<br />
Psychoanalyse neigte lange Zeit auf die Seite der<br />
Fantasie. Die Realität war des Teufels.<br />
Die moderne Psychoanalyse hat sich ganz und<br />
gar auf die Seite der Realität einer so genannten<br />
Zwei-Personen-Psychologie geschlagen. Da<br />
gibt es nur noch die Ich-Du-Beziehung einer<br />
humanistischen Psychologie und Psychotherapie.<br />
Dass in einem dual gedachten System<br />
1<br />
Vortrag vom 14. Januar 2011 am Saarländischen Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie. Leicht veränderte Fassung<br />
15
• Couch Thesen <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
logisch- und konsequenterweise alle zentralen<br />
psychoanalytischen Konzepte dahinfallen, liegt<br />
auf der Hand. Nicht nur Trieb und Ödipus. Der<br />
amerikanische Intersubjektivismus, der äusserste<br />
Exponent der posttriebtheoretischen modernen<br />
Psychoanalyse, nennt sich stolz postfreudianisch<br />
und konsequent phänomenologisch. Martin<br />
Altmeyer (2003, 238), der glühendste Vertreter<br />
dieser Richtung in Deutschland, fordert ultimativ:<br />
„Nicht mehr Sexualität, sondern Identität ist das<br />
seelische Hauptproblem unserer Zeit“, weg von<br />
der „negativen Anthropologie der Triebtheorie“,<br />
„weg von Trieb, Versagung und Schuld, hin<br />
zur Frage der Interaktion, des Selbstgefühls,<br />
der Beziehung von Selbst und Anderem.<br />
Objektbeziehung, Intersubjektivität, Relationalität,<br />
statt Sexualität, Triebdynamik, intrapsychischer<br />
Konflikt.“ Ja, er fordert die intersubjektive Wende<br />
und den relational turn als das neue Paradigma<br />
der Psychoanalyse. Er stellt befriedigt fest, dass<br />
die Gegenwartspsychoanalyse dabei ist, in der<br />
Intersubjektivität endlich ihren „common ground“<br />
zu finden.<br />
Das Problem der Realität<br />
Eine derartige Diskrepanz in der Auffassung der<br />
Realität weist auf ein entscheidendes Theoriedefizit<br />
hin. Es ist bekannt, wie schwer sich Freud mit<br />
dem Problem der Realität getan hat, und der<br />
Andere nach zögernden Ansätzen im Entwurf<br />
aus seiner Metapsychologie verschwunden ist.<br />
Dort nämlich hatte er, der Andere, im Konzept<br />
der Befriedigungserlebnisses, einen konstitutiven,<br />
allerdings wenig reflektierten Ort. Er hiess<br />
fremde Hilfe, erfahrenes Individuum, hilfreicher<br />
Nebenmensch. André Green sagt uns, warum der<br />
Andere, die Aussenwelt aus Freuds theoretischem<br />
metapsychologischen Denken verschwunden ist.<br />
Aus dem klinischen ist er es ja nicht. Davon zeugt<br />
jede Seite seiner so genannten Krankengeschichten.<br />
Freud war schon zu Zeiten des Entwurfs mit dem<br />
Traum als Modell des Unbewussten, „dem wahren<br />
Leben des Psychischen“ und dem „Präsexuell-<br />
Sexuellen“, d.h. der infantilen Sexualität<br />
präokkupiert. Sein leitendes Interesse war, wie<br />
der psychische Apparat in sich funktioniert. Die<br />
Psyche als ein „System von Trieb, Vorstellung und<br />
spezifischer Aktion“ denken zu können, „verlangt<br />
von Freud, das Modell des Entwurfs zu verkleinern“,<br />
den Bezug zur Aussenwelt ... zu opfern,.. und<br />
zuzubilligen, dass man von der inneren Welt nur<br />
eine retrospektive, indirekte Sicht hat“ (Green<br />
2000, 228).<br />
Nachträglich können wir leicht sehen: diese<br />
Verkleinerung des Modells war ein impliziter<br />
epistemologischer Entscheid, den Freud so bewusst<br />
natürlich nicht getroffen hat – und sie war ein<br />
notwendiger Entscheid. Sonst hätte Freud wohl die<br />
Triebtheorie und die Psychoanalyse nicht erfinden<br />
können. Heute sind wir an einem anderen Ort, und<br />
wir können wieder einholen, was Freud zunächst<br />
ausklammern musste. Es macht die Aktualität<br />
der Triebtheorie heute aus, den Anderen und das<br />
Subjekt, Realität und Fantasie, den Anderen und<br />
das Fantasma, den Anderen und den Trieb nicht<br />
dichotom sondern dialektisch zu denken.<br />
Die Metapsychologie und die strukturale<br />
Psychoanalyse<br />
Das hat die strukturale Psychoanalyse in ihrer<br />
Wiederaufnahme des Freudschen Diskurses<br />
geleistet, gerade dort, wo Freud gestrandet ist.<br />
Das strukturale psychoanalytische Denken,<br />
geschult durch die Auseinandersetzung mit dem<br />
französischen Strukturalismus, geht, wie es der<br />
Name sagt, von der einmal gegebenen, dem<br />
Individuum vorgängigen Struktur als der Grundlage<br />
ihres Denkens aus. Ist eine Struktur als symbolische<br />
Ordnung einmal entstanden, erzeugt sie den<br />
Eindruck, als wäre sie immer schon da gewesen.<br />
Das Paradebeispiel ist die Sprache. Deshalb ist es<br />
streng genommen unmöglich, den Ursprung der<br />
Struktur, vor allem der Sprache zu denken. Fragen<br />
der Evolution und Phylogenese gehören nicht in<br />
den Kompetenzbereich der Psychoanalyse. Wo<br />
Freud in die Phylogenese ausgewichen ist, treibt<br />
die strukturale Psychoanalyse den Freudschen<br />
Diskurs in Begriffen der Struktur weiter. Über das<br />
Vorher und den Ursprung können wir nicht anders<br />
als in den Symbolen und der Sprache sprechen und<br />
spekulieren, die uns gegeben sind.<br />
Jetzt etwas anschaulicher. Der so genannten<br />
klassischen Psychoanalyse, die vornehmlich<br />
genetisch orientiert ist, ist der strukturale Zugang<br />
zunächst etwas fremd. Für sie ist da zunächst einmal<br />
das Neugeborene, dem man je nach Ausrichtung ein<br />
psychophysiologisches Selbst, ein Kernselbst, ein<br />
individuelles angeborenes Idiom, einen primären<br />
16
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Narzissmus oder ähnliches zuschreibt. Und da<br />
ist die Mutter, die man allgemein das primäre<br />
Objekt nennt. Ihre primäre Verbundenheit nennt<br />
man, wieder je nach theoretischer Ausrichtung,<br />
Symbiose, Dualunion, Einheit zu Zweit, Dyade,<br />
primäre Objektliebe oder Bindung. Dann kommt<br />
irgendwann der Dritte dazu, was man frühe<br />
Triangulierung nennt. Dann kommt der Ödipus<br />
und später die Pubertät.<br />
Der Ausgangspunkt der strukturalen<br />
Psychoanalyse ist ein anderer: Am Anfang ist die<br />
symbolische Ordnung und in sie eingebettet das<br />
postödipale, prokreative Paar, zwei Subjekte, die<br />
ein Drittes, ein Kind begehren, das zunächst ihr<br />
virtuelles Objekt ist, und dem sie den Status eines<br />
virtuellen Subjekts zuschreiben, das in ihrem<br />
Denken, ihren bewussten und unbewussten<br />
Fantasien und Wünschen existiert, lange bevor<br />
es in Wirklichkeit Subjekt werden kann. Anders<br />
ausgedrückt: Das Subjekt, das es noch nicht gibt,<br />
ist ein hoch besetztes Objekt der Fantasien und<br />
des Begehrens zweier ödipaler, bzw. postödipaler<br />
Subjekte.<br />
Die strukturale Betrachtungsweise setzt also<br />
den uns vertrauten genetischen Gesichtspunkt<br />
nicht ausser Kraft, sie sieht jedoch die Genese<br />
durch die Struktur gerichtet. Im strukturalen<br />
Denken steht am Anfang nicht die Eins, nicht ein<br />
wie immer gedachtes Kernselbst, auch nicht die<br />
Zwei, heisse sie nun primäre Objektliebe, Bindung<br />
oder Dyade, sondern die Drei, besser: die Zwei<br />
in der grundlegenden symbolischen Ordnung,<br />
geprägt durch die ödipale Grundstruktur, formal<br />
und inhaltlich gefüllt durch die jeweiligen<br />
persönlichen, familiären, sozialen und kulturellen<br />
Lebensumstände.<br />
Hier setzen die grossen Erzählungen und<br />
Jacques Lacans und Jean Laplanches an. Die<br />
heute aktuelle Triebtheorie ist ihre Rezeption<br />
und Weiterentwicklung in der strukturalen<br />
Psychoanalyse. Es ist mein Anliegen, zwischen<br />
der herkömmlichen Metapsychologie, die auf<br />
der Triebtheorie aufbaut, und dem strukturalen<br />
Denken interdiskursive Brücken zu schlagen.<br />
• Couch Thesen<br />
Die Aktualität der Triebtheorie: Das<br />
menschliche Begehren ist das Begehren des<br />
Anderen<br />
Der Gegensatz von Instinkt und Trieb ist der<br />
bedeutsamste für die psychoanalytische Theorie,<br />
und intersubjektive, nicht biologische Begründung<br />
des Triebs ist der bedeutsamste Fortschritt des<br />
strukturalen Verständnisses der Triebtheorie.<br />
Hier setzt Laplanche an mit seiner allgemeinen<br />
Verführungstheorie, welche die Sexualität nicht<br />
durch die Intersubjektivität ersetzt, sondern<br />
intersubjektiv und nicht somatisch begründet.<br />
Deshalb spricht er von der Implantierung der<br />
infantilen Sexualität durch den Anderen, der<br />
Anlehnung, der rätselhaften Botschaft, ihrer<br />
(teilweisen) Übersetzung und Verdrängung.<br />
Wenige Kernsätzen Lacans, die mehr sind als<br />
schön klingende Aphorismen, mögen die Aktualität<br />
der Triebtheorie hervorheben. Lacan sagt: Das<br />
Begehren ist das Begehren des Anderen. Der<br />
subjektive und objektive Genitiv dieser Aussage ist<br />
entscheidend: Vom Anderen begehrt zu werden<br />
und den Anderen begehren. Gleichermassen: Das<br />
Unbewusste ist der Diskurs des Anderen. Das<br />
psychoanalytische Unbewusste ist per definitionem<br />
das dynamisch oder verdrängte Unbewusste des<br />
Triebs. Ja mehr noch: das Subjekt konstituiert sich<br />
in der Sprache und im Begehren des Anderen. Und<br />
Subjekt und Trieb sind am selben Ort angesiedelt.<br />
Die Aktualität der Triebtheorie: Die Infantile<br />
Sexualität und das Objekt des Triebs<br />
Ich war verblüfft, als ich im Bulletin der EPF<br />
(Ferruta 2010) las, dass die Drei Abhandlungen<br />
zu den selten zitierten Texten Freuds gehören.<br />
Dann können sich Lacan und Laplanche zu Gute<br />
halten, auch den Partialtrieben und der infantilen<br />
Sexualität, die recht eigentlich die Grundlage<br />
einer psychoanalytischen Theorie der frühen<br />
Objektbeziehung sind, ihren systematischen Ort in<br />
der Triebtheorie verschafft zu haben.<br />
Freud blieb nämlich mit seiner bahnbrechenden<br />
Entdeckung der infantilen Sexualität auf halbem<br />
Wege stecken. Es gilt heute, seinen Diskurs weiter<br />
zu treiben, wo er stecken blieb. Der Stolperstein<br />
war, dass Freud von der These, dass Spannungsoder<br />
Erregungsabfuhr notwendig Lust, Spannungs-<br />
17
• Couch Thesen <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
oder Erregungserhöhung notwenig Unlust bereitet,<br />
geradezu wider besseres klinisches und theoretisches<br />
Wissen, nicht oder nur höchst widerwillig lassen<br />
konnte. Das gilt sogar für die genitale Sexualität<br />
nur eingeschränkt, und es gilt schon gar nicht<br />
für die infantile Sexualität. Natürlich hat er das<br />
Problem erkannt. Er unterschied die vollsinnliche,<br />
sprich orgastische und die zielgehemmte zärtliche<br />
Strömung der Libido. Die erste dient der reinen<br />
sexuellen Lust, und die Erregung erlöscht im Akt<br />
der Befriedigung; die zweite findet Befriedigung in<br />
der Erregung, die eine andere ist, als jene, die nach<br />
Abfuhr drängt, und dient dem Aufbau konstanter<br />
Objektbesetzungen. Von den vielen Stellen, in<br />
denen Freud durch sein ganzes Werk hindurch<br />
dieses bessere Wissen zumindest andeutet, aber<br />
sehr deutlich andeutet, will ich Sie lediglich auf<br />
zwei hinweisen: Bereits 1905 erkannte er, dass wir<br />
bei der infantilen Sexualität „eine ganz Strecke<br />
weit ‚sexuelle Erregung’ und ‚Befriedigung’<br />
unterschiedslos gebrauchen dürfen“ (Freud 1905d,<br />
102). Später dann, in der Massenpsychologie (1921c,<br />
127) findet er es immerhin „interessant zu sehen,<br />
dass gerade die zielgehemmten Sexualstrebungen<br />
so dauerhafte Beziehungen der Menschen<br />
untereinander erzielen“, gerade weil sie einer vollen<br />
(sprich: orgastischen) Befriedigung nicht fähig<br />
sind“.<br />
So hat in seinem ganzen Werk die „zärtliche<br />
Strömung der Libido“, die eigentliche Errungenschaft<br />
der infantilen Sexualität etwas Sekundäres,<br />
ja Pejoratives bewahrt, und eine Theorie der<br />
Objektbeziehung war so nicht zu gewinnen. Wie<br />
revolutionär seine Entdeckung auch immer war,<br />
Freud blieb noch zu sehr einem biologistischen<br />
und evolutionären Denken verhaftet, als dass er<br />
das neue Menschenbild, das er geschaffen hatte, bis<br />
in die letzten Konsequenzen hätte denken können.<br />
So etwas wie die intersubjektive Entstehung des<br />
Triebs war für ihn noch schlicht und im wahrsten<br />
Sinnes des Wortes undenkbar.<br />
Genau von diesem Punkt her gilt es, die<br />
Quelle des Triebs neu zu denken. Freud sah sie<br />
in somatischen Vorgängen im Körper und als das<br />
schlechthin Entscheidende des Triebes, aber gerade<br />
dieses Entscheidende würde dann in den Bereich<br />
der Biologie und nicht den der Psychoanalyse<br />
gehören. Wenn die Sexualität, der Trieb durch den<br />
Erwachsenen implantiert wird, in der Situation der<br />
Urverführung „entsteht“, liegt die Quelle nicht im<br />
Somatischen, ausser man bezeichne unspezifische<br />
die allgemeine Erregbarkeit des Köpers als Quelle,<br />
sondern in der frühen Beziehung des Anderen<br />
zum Infans, der Mutter zum Kind, der der Vater –<br />
wenn vielleicht auch nur repräsentiert im Denken<br />
der Mutter – abwesend anwesend, d.h. das Sexuelle<br />
abwesend präsent ist. Laplanche spricht vom<br />
Quell-Objekt des Triebs. Er meint damit beides: Die<br />
Situation der Urverführung und die Urverdrängung<br />
(1988, 142). Lacan spricht vom Objekt-Grund des<br />
Triebs. Vielleicht etwas differenzierter ausgedrückt:<br />
Die Quelle ist der Andere, der dann zum Objekt<br />
des Triebs werden wird.<br />
Weit davon entfernt, sich in den Stufen,<br />
Vorformen der genitalen Sexualität, des<br />
Geschlechtstriebes, zu erschöpfen, ist die infantile<br />
Sexualität, verstanden als intersubjektives und<br />
subjektives Geschehen, recht eigentlich die Basis<br />
des Zugangs des Subjekts zur Welt der Objekte<br />
und Triebe und zu sich selbst, seinem Körper<br />
und seiner Innenwelt. Die infantile Sexualität<br />
legt den Triebgrund, die konstante Besetzung, die<br />
nicht zur Abfuhr bestimmt ist, sondern – Freud<br />
hat es gesagt, er konnte es nur nicht hinlänglich<br />
theoretisieren – der dauerhafte Beziehungen<br />
unter den Menschen schafft. Nicht nur unter den<br />
Menschen auch zu Dingen der Aussenwelt, die<br />
dann zu Sachen zu libidinös besetzten Objekten<br />
werden, die ursprünglich nicht den Charakter<br />
libidinöser Objekte haben.<br />
Und der Affekt? Der Psychoanalyse im<br />
allgemeinen, Lacan im besonderen wird immer<br />
wieder vorgeworfen, sie habe keine Affekttheorie.<br />
Vielleicht hat sie keine und sollte sich gar nicht<br />
anmassen, eine zu haben, wie sie sich nicht anmassen<br />
soll, eine Theorie des Lernens oder Denkens<br />
zu haben. Gleichwohl hat ihre Libidotheorie zu<br />
einer Affekttheorie Gewichtiges beizutragen.<br />
Die Psychoanalyse ist sich lange schon gewohnt,<br />
den ökonomischen Gesichtspunkt nicht mehr<br />
energetisch sondern affekttheoretisch zu fassen.<br />
Die libidinöse Ausstattung der Welt der Objekte,<br />
wozu auch der Körper und das Ich gehören,<br />
ist der Kompetenzbereich der Psychoanalyse.<br />
Es war eine grenzüberschreitende Anmassung,<br />
wenn Psychoanalytiker behauptet haben, dass die<br />
Affekte, alle Affekte, triebhaften Ursprungs sind.<br />
Aber nach dem, was ich bisher gesagt habe, dürfte<br />
es leicht nachvollziehbar sein, dass alle Affekte, wo<br />
sie auch immer gründen, auch die Primäraffekt,<br />
18
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
sich intersubjektiv ausdrücken und libidinisiert,<br />
libidinös ausgestattet werden. Das und nur das liegt<br />
klinisch und theoretisch im Kompetenzbereich der<br />
Psychoanalyse.<br />
Die Aktualität der Triebtheorie: Das Subjekt<br />
des Triebs<br />
Ein Kernsatz bisher war, das Subjekt entsteht<br />
im Feld des Anderen. Subjekt und Trieb, habe ich<br />
gesagt, sind letztlich am selben Ort angesiedelt. Will<br />
das Subjekt Subjekt seines Unbewussten und seines<br />
Triebs werden, kann es nicht in der Hörigkeit des<br />
Anderen verbleiben. Deshalb muss es aus dem Feld<br />
des Anderen heraus, „sich hier herausholen,... sich<br />
selbst daraus freikämpfen“ (Lacan 1964/1978, 197).<br />
Der erste Schritt dieses sich Freikämpfens<br />
ist das, was wir in klassischer Terminologie den<br />
Untergang des Ödipuskomplexes nennen. Das ist<br />
die Loslösung der ödipalen inzestuösen Wünsche<br />
von den primären Objekten und die Anerkennung<br />
des symbolischen Gesetzes: die Anerkennung<br />
der Urszene, der Geschlechtsdifferenz und der<br />
Generationenfolge. Also der Punkt, wo der Trieb,<br />
die Sexualität über das primordiale ödipale Dreieck<br />
hinausgreift und, um einen geglückten Terminus<br />
Lacans zu verwenden, seine Kreisbahn zu ziehen<br />
beginnt – ausserhalb des ödipalen Dreiecks.<br />
In einer faszinierenden, ebenso kühnen wie<br />
einmaligen Interpretation des zweiten Teils<br />
von Triebe und Triebschicksale gelingt es Lacan,<br />
aus Freuds Ringen mit dem Triebschicksal des<br />
Sadomasochismus eine Figur herauszuheben, die<br />
nicht den Sadomasochismus als solchen betrifft,<br />
sondern dem Trieb als solchem zu eigen ist. Freuds<br />
Text ist so rätselhaft, meint Lacan, weil er eine<br />
radikale Struktur des Triebs gibt, die – füge ich<br />
hinzu – Freud noch nicht zu erkennen vermag, „in<br />
welchem – so wieder Lacan – dem Subjekt noch<br />
kein Ort zugewiesen ist“, wohl aber dem Objekt<br />
und der Libido.<br />
Die ersten beiden Triebschicksale, die Freud<br />
beschreibt und die hier allein interessieren, sind<br />
die Verkehrung ins Gegenteil, die, so sagt er,<br />
allein das Ziel betriff – aktiv in passiv –, und die<br />
Wendung gegen die eigene Person, die allein<br />
das Objekt betrifft. Freud wäre nicht Freud, sähe<br />
er nicht sofort, dass die analytische Erfahrung<br />
• Couch Thesen<br />
keinen Zweifel daran lässt, dass diese beiden<br />
Schicksale isoliert nicht auftreten, und zeigt am<br />
Beispiel des Sadomasochismus, dass die Wendung<br />
gegen die eigene Person und die Verkehrung<br />
ins Gegenteil notwendig „zusammentreffen<br />
und zusammenfallen“. Er sagt es so: nach der<br />
„Machtbetätigung gegen eine andere Person“ und<br />
der „Wendung gegen die eigene Person“, „wird<br />
neuerdings eine fremde Person als Objekt gesucht,<br />
welche infolge der eingetretenen Zielverwandlung<br />
die Rolle des Subjekts übernehmen muss“ (Freud<br />
1915c, 220).<br />
Lacan denkt einen kleinen aber den<br />
entscheidenden Schritt weiter, der ihn vom<br />
Sadomasochismus weg und zur Konstituierung<br />
des Subjekt des Triebs hinführt: „nicht dass da<br />
schon eins wäre, das Subjekt des Triebes, das Neue<br />
ist vielmehr, ein Subjekt auftauchen zu sehen.<br />
Dieses Subjekt, das zunächst im Feld des Anderen<br />
auftaucht, erscheint, wenn es dem Trieb gelungen<br />
ist, seine Kreisbahn zu schliessen. Nur dadurch,<br />
dass dieses Subjekt zunächst auf der Ebene des<br />
anderen erscheint, ist zu realisieren, was es mit der<br />
Funktion des Triebes auf sich hat“ (Lacan 1978,<br />
186), nämlich jene kreisläufige Rückkehr zu sich<br />
selbst, zur Quelle, auf die erogene Zone.<br />
Es sind also nicht zwei Momente, Verkehrung<br />
ins Gegenteil und Wendung gegen die eigene<br />
Person das eine und Suche nach einer fremde<br />
Person, die die Rolle des Subjekts übernehmen<br />
muss, das andere. Vielleicht ist das ja tatsächlich<br />
die Formel das Sadomasochismus. Es kommt ein<br />
drittes hinzu, das bei Freud noch nicht erscheint,<br />
das Auftauchen des Subjekts an seinem Ort,<br />
herausgeholt, freigekämpft aus dem Feld des<br />
Anderen.<br />
Ich paraphrasiere interpretierend das Zitat<br />
um herauszuheben, was es meint: Nicht dass hier<br />
in diesem zweiten Schritt, der Suche nach einer<br />
fremden Person, die die Rolle des Subjekts zu<br />
übernehmen hat, das Subjekt des Triebs schon da<br />
wäre. Aber wir sehen es auftauchen im Feld des<br />
Anderen, und das markiert den Übergang von der<br />
infantilen zur genitalen Sexualität. Das Subjekt als<br />
Subjekt himself erscheint erst, wenn es dem Trieb<br />
gelungen ist, seine Kreisbahn zu schliessen, zur<br />
Quelle zurückzukehren. Das ist erst „postödipal“,<br />
d.h. mit nicht inzestuösen Objekten möglich.<br />
19
• Couch Thesen <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Freud sagt das auch. Das Ziel des Trieb ist die<br />
„Aufhebung des Reizzustandes an der Triebquelle“.<br />
Der markante und alles entscheidende Unterschied<br />
liegt darin, dass die Quelle nicht im Somatischen<br />
sondern im Anderen liegt, und der Triebablauf<br />
oder Triebkreislauf vom Subjekt zum Anderen, der<br />
zum Objekt des Triebs wird, zurück zum Subjekt<br />
geht.<br />
Kein Zweifel, Lacan spricht nicht mehr von<br />
Sadomasochismus als Perversion, er spricht<br />
vom Trieb und Subjekt in ihren ultimativen<br />
Bildungsschritten, von der Libido und vom<br />
Objekt in einer seiner ultimativsten Funktionen.<br />
Freud, der die infantile Sexualität als polymorph<br />
pervers bezeichnet hat, konnte aus mancherlei<br />
Gründen in der Figur, die er als Triebschicksal<br />
des Sadomasochismus beschreibt, nicht die<br />
entscheidende Position am Übergang von der<br />
infantilen zur genitalen Sexualität, sondern<br />
lediglich ihr perverses Scheitern.<br />
In dieser neuen Lesart entpuppt sich dieser<br />
Text als ein Angel-, Höhe- und Drehpunkt der<br />
Triebtheorie und ihrer Aktualität. Grundlegend<br />
und charakteristisch für jeden Trieb ist sein<br />
Aktiv und Passiv, sein Hin und Zurück, seine<br />
fundamentale Verkehrung, sein – wie Lacan es viel<br />
angemessener sagt – Zirkelcharakter, in dem der<br />
Trieb erst Struktur annimmt. Und diese Struktur<br />
ist im besten und präzisesten Sinne, den das Wort<br />
nur haben kann, intersubjektiv. Wenn wir von der<br />
libidinösen Besetzung des Objekts sprechen und<br />
das auch in Gegenseitigkeit meinen, bliebe da etwas<br />
wie eine „Spaltung“ oder Verdoppelung. Es wären<br />
eben lediglich zwei reziproke Objektbeziehungen.<br />
Aber zwei Menschen, die sich mögen, ist eine<br />
Relation zwischen Subjekten, die verschlungener<br />
und anders strukturiert ist als zwei gegenseitige<br />
libidinöse Objektbeziehungen. Diese Verbindung<br />
zweier Subjekte, die nicht Komplementarität, Yin<br />
und Yang, Ergänzung, Symmetrie ist, ist das, was<br />
wir Liebe nennen.<br />
Lacan hat dem „Kern“ oder „Fluchtpunkt“, den<br />
zwei Subjekte ultimativ verbindet, einen Namen<br />
gegeben: Objekt a. Freud ahnte wohl etwas von<br />
dieser Dimension, als er 1905 vom verlorenen und<br />
wiedergefundenen Objekt sprach. Obwohl oder<br />
gerade weil der berühmte Text, mit dem er die<br />
dritte Abhandlung eröffnet, vor Widersprüchen<br />
strotzt, hat er Generationen von Psychoanalytikern<br />
fasziniert und zu kreativen Interpretationen<br />
20<br />
angeregt und tut es noch heute. Die Aussage<br />
Lacans, die manche für eines seiner typischen<br />
Aperçus halten mögen, mag uns den Weg weisen:<br />
Das Begehren des Menschen ist das Begehren des<br />
Anderen. Deutlicher und weniger missverständlich:<br />
Die Ursache des Begehrens des Subjekts liegt im<br />
Anderen, im anderen Subjekt. Ich paraphrasiere<br />
die „Formel“ Lacans in der vollen Unbestimmtheit,<br />
die sie in Tat und Wahrheit hat: Die Ursache<br />
des Begehrens des Subjekts liegt irgendwo und<br />
irgendwie im Anderen, und das Subjekt sucht im<br />
Anderen, was es in sich selbst nicht finden kann.<br />
Das, und nur das, meint Lacan, wenn er sagt, dass<br />
im tiefsten Grund jede Liebe zunächst narzisstisch<br />
ist. Das Subjekt transzendiert aber gerade die<br />
imaginäre narzisstische reflexive Spiegelbeziehung,<br />
wenn er dem Anderen unterstellt und zubilligt, zu<br />
haben, was es selber nicht hat, und nie aufhören<br />
wird, es im Anderen zu suchen – und es nie finden<br />
wird, weil es der Andere auch nicht hat. Nicht ohne<br />
Grund wagt die strukturale Psychoanalyse den<br />
Schluss, dass gerade das die Liebe begründet.<br />
Nun ist es ein kleiner Schritt, Freuds verlorenes<br />
Objekt als grundsätzlich immer schon verlorenes,<br />
nie gehabtes, und grundsätzlich nie erreichbares,<br />
nie (wieder) zu findendes Objekt zu „definieren“<br />
und zu sehen, dass in der Objektbeziehung und<br />
in der Liebe etwas am Werk ist, das diesseits<br />
des Triebs und jenseits des Lustprinzips liegt,<br />
aber ohne den Trieb nicht funktioniert. Und<br />
doch bestimmt dieses fantasmatische aber nicht<br />
existierende, ja nicht einmal fantasierbare „Objekt“<br />
jede Objektsuche, Objektwahl, Objekt- und<br />
Liebesbeziehung. Dieses Unfassbare, das kein<br />
Objekt und doch Objekt ist, hat Lacan „Objekt<br />
a“ genannt, und eine psychoanalytische Theorie<br />
der Objektbeziehung bliebe auf halbem Wege<br />
stecken, wenn sie dem nicht Rechnung trägt,<br />
was Lacan damit umkreist, ob das nun in seiner<br />
Begrifflichkeit oder einer anderen geschieht. Ohne<br />
die Dimension des verlorenen Objekts und ohne<br />
eine sorgfältige Bestimmung dessen, was (wieder)<br />
gefunden, und was grundsätzlich „verloren“,<br />
unauffindbar ist, kann die Objektbeziehung nie<br />
als Liebesbeziehung erfasst werden. Das Begehren,<br />
sagt Lacan, richtet sich auf das Objekt. Die<br />
Liebe hingeben ist eine Funktion zwischen den<br />
Subjekten. Das „Höchste“, was dem Menschen<br />
beschieden ist, ist, dass er begehrt und anerkennt,<br />
dass das Objekt seines Begehrens Subjekt in seiner<br />
grundsätzlichen Alterität und Fremdheit ist, die er<br />
nie ergründen wird, und dass er es gerade deshalb
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
liebt, denn dort ist das unmöglich zu habende a.<br />
Und umgekehrt. Das kann nur in Gegenseitigkeit<br />
geschehen, in der Relation zwischen Subjekten<br />
eben, was etwas grundsätzlich anderes ist als<br />
Ergänzung und Reziprozität, oder, wie es der<br />
Intersubjektivismus ausdrückt, das Überschneiden<br />
• Couch Thesen<br />
zweier Subjektivitäten. Subjekt sein heisst, den<br />
Anderen als Subjekt in seiner grundlegenden<br />
Alterität, Andersheit, anzuerkennen. So verstanden<br />
ist es kaum mehr als blosser Aphorismus oder gar<br />
Leerformel abtun, wenn Lacan sagt: In der Liebe<br />
gebe ich, was ich nicht habe.<br />
Dr. phil. Heinz Müller-Pozzi<br />
Psychoanalytiker<br />
Mitglied der „Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse“ (SGP)<br />
Dozent am Freud-Institut Zürich<br />
Literatur:<br />
Altmeyer, M. (2003): Im Spiegel des Anderen. Anwendungen einer relationalen Psychoanalyse.<br />
Giessen: Psychosozial-Verlag.<br />
Ferruta, A. (2010): Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie und ihre Überarbeitungen.<br />
Psychoanalyse in Europa: Bulletin 64, 58 – 71.<br />
Freud, S.<br />
- (1905d): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. GW 5.<br />
- (1915c): Triebe und Triebschicksale. GW 10.<br />
- (1921c): Massenpsychologie und Ichanalyse. GW 13.<br />
Green, A. (1990): Geheime Verrücktheit. Grenzfälle der psychoanalytischen Praxis. Giessen:<br />
Psychosozial-Verlag 2000.<br />
Lacan, J. (1964): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar XI. Olten: Walter-Verlag<br />
1978.<br />
Laplanche, J. (1987): Neue Grundlagen für die Psychoanalyse. Giessen: 2011.<br />
- (1988): Die allgemeine Verführungstheorie. Tübingen: edition diskord.<br />
Müller-Pozzi, H. (2010): Intersubjektivität und die infantile Sexualität. Vom Schicksal der<br />
Libidotheorie. In. Jahrbuch der Psychoanalyse 61.<br />
21
• Couch Thesen <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Der Jubiläumskongress in <strong>Innsbruck</strong><br />
Im Lesekreis des SS 12 rief Dr. Schöpf die Tatsache in Erinnerung, dass auch <strong>Innsbruck</strong> Tagungsort eines<br />
internationalen psychoanalytischen Kongresses gewesen war und regte eine Recherche an. Die Vorstellung eines<br />
historisch bedeutsamen psychoanalytischen Kongresses mit all den bekannten Persönlichkeiten jener Zeit in<br />
meiner Heimatstadt, über den noch dazu laut Dr. Schöpf kaum Literatur existierte, weckte meine Neugier. Das<br />
Bestreben, dem sogenannten Jubiläumskongress in <strong>Innsbruck</strong> im Jahre 1927 einen historischen Kontext zu geben,<br />
führte mich in der Folge auch zur Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der Kongresse bzw. den<br />
Entwicklungen in den Jahren danach. Der erste Teil dieser Arbeit wurde in der letzten <strong>Ausgabe</strong> der COUCH<br />
abgedruckt. Im Anschluss ist der zweite Teil zu lesen.<br />
Das Hotel Tirol, das „größte Hotel ersten Ranges“, in der<br />
Bahnstraße (heute Meraner Straße) auf einer Ansichtskarte<br />
um 1900 (Stadtarchiv <strong>Innsbruck</strong>)<br />
Dies berichtet das Korrespondenzblatt der<br />
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung<br />
von 1927 (redigiert von Anna Freud) 4 , in dem die<br />
offiziellen Bekanntmachungen, die Vorgänge in<br />
den einzelnen Zweigvereinigungen und Instituten<br />
sowie die Kongressberichte veröffentlicht wurden,<br />
unter „Mitteilungen des Vorstands“ über den<br />
sogenannten Jubiläumskongress in <strong>Innsbruck</strong>.<br />
Ursprünglich war als Kongressort ein Ort an der<br />
Adria vorgesehen gewesen, denn am letzten Kongress<br />
in Bad Homburg wurde (gegen den Vorschlag von<br />
Dr. Jones, der nach England einlud) für den Antrag<br />
von Dr. Federn gestimmt, der „einen später zu<br />
bestimmenden Ort an der Küste der Adria (Abbazia,<br />
Lovrana, Brioni oder Venedig)“ 5 vorschlug. Dies<br />
erwies sich jedoch als „undurchführbar, weil die<br />
meisten Orte daselbst für zu viele unserer Kollegen<br />
zu schwer zugänglich sind“, argumentiert das<br />
Korrespondenzblatt in seinen Mitteilungen. Seit<br />
dem ersten Kongress in Salzburg 1908 wurden<br />
die folgenden „meist an kleinen, historisch oder<br />
1<br />
Eitingon wurde in <strong>Innsbruck</strong> offiziell zum Präsidenten der IPV gewählt, Sándor Ferenczi und Ernest Jones wurden Vizepräsidenten, Anna Freud<br />
Zentralsekretärin (sie redigierte das Korrespondenzblatt bis 1934, wo sie auf dem Luzerner Kongress ihre Ämter abgab), Johann van Ophuijsen Kassierer.<br />
Damit wurden Mitglieder des nun aufgelösten Geheimen Komitees als Zentralleitung der IPV eingesetzt.<br />
2<br />
Es handelte sich um das „Hotel Tirol“ am Hauptbahnhof, das im Krieg einem Bombenangriff zum Opfer fiel. (Mdl. Auskunft Stadtarchiv <strong>Innsbruck</strong>)<br />
3<br />
Federn war einer der bekanntesten Wiener Psychoanalytiker (Vgl. Handlbauer S. 40) und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges einer der führenden<br />
Lehranalytiker der WPV. Außerdem war er Vorsitzender des Lehrausschusses und von 1924-1938 stellvertretender Obmann der WPV. Er wurde von<br />
Freud – nach dessen Erkrankung – zu seinem persönlichen Nachfolger ernannt und stand immer loyal zu ihm. (www.psyalpha.de)<br />
4<br />
Korrespondenzblatt IZP/XIII/1927/128 als download bei www.luzifer-amor.de (Das Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung,<br />
„erschien ab der Gründung der IPV im Jahre 1910 bis zur Einstellung der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 1941. Es umfasst insgesamt<br />
ca. 1500 Seiten und wurde vom jeweiligen Zentralsekretär der IPV redigiert. Die ersten sechs <strong>Ausgabe</strong>n (1910/1911) erschienen als Einzeldrucke.<br />
Von Ende 1911 bis Anfang 1913 war das Korrespondenzblatt dann dem Zentralblatt für Psychoanalyse angegliedert. Mit der Gründung der Internationalen<br />
Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse 1913 wurde es Teil dieser Zeitschrift.“ (Zitiert nach der Einleitung des Herausgebers Michael Giefer.)<br />
5<br />
IZP / XI / 1925 / 395<br />
22
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
landschaftlich anziehenden Orten gehalten, also<br />
gleichsam fern von der Heerstraße der offiziellen<br />
Wissenschaft, vermieden Universitätsstädte, mit<br />
Ausnahme der Kongresse von München, Budapest<br />
und Berlin“, sagt Dr. Eitingon erklärend zur Wahl der<br />
Kongressorte anlässlich der Eröffnung des nächsten<br />
Kongresses in Oxford im Juli 1929, der damit „ein<br />
Novum“ in der Chronik darstellte. 6 Wodurch die<br />
Wahl schließlich auf <strong>Innsbruck</strong> fiel, geht aus den<br />
Unterlagen nicht hervor.<br />
• Couch Thesen<br />
glaubten, an Stelle unseres letzten, unvergesslichen<br />
Präsidenten Karl Abraham.“<br />
Karl Abraham<br />
Die Eröffnung<br />
Quelle: Stadtarchiv <strong>Innsbruck</strong><br />
Dr. Max Eitingon eröffnet den Kongress am<br />
Donnerstag, den 1. September 1927 um 9 Uhr im<br />
Stadtsaal mit einem bewegenden Nachruf auf Karl<br />
Abraham, den „innerlich so gefestigten Mann mit<br />
dem bronzenen Antlitz“ 7 , der bald nach seiner<br />
Wiederwahl zum Präsidenten 1925 der Krankheit,<br />
mit der er so schwer gerungen hatte“ 8 erlag:<br />
„Geehrter Kongress, verehrte Gäste, liebe<br />
Kollegen und Kolleginnen, wenn ich jetzt den X.<br />
Psychoanalytischen Kongress eröffne, tue ich es<br />
an Stelle eines Mannes, dem wir auf dem letzten<br />
Kongress die Leitung der Schicksale unserer<br />
Bewegung auf lange wieder anvertrauen zu können<br />
23<br />
Es folgt eine Würdigung seiner Tätigkeit<br />
als Präsident, der „langen Kette seiner<br />
wissenschaftlichen Arbeiten, die, in konsequentester<br />
Weise die Entwicklung unserer wichtigsten Probleme<br />
grundlegend fördernd, wie eine hohe Leiter bis<br />
zu den Gipfeln des Baues unserer Wissenschaft<br />
hinaufreichen“, sowie seines einzigartigen Charakters<br />
und seiner Bedeutung als „unvergleichlicher“<br />
Führer der psychoanalytischen Bewegung.<br />
Den Weg in die Zukunft weise die Trauerarbeit<br />
selbst, denn „in den Identifizierungen mit ihm (d.h.<br />
dem Verstorbenen) müssen wir das zentripetale Streben<br />
zum Zusammenhalt finden und Kraft durch Einigkeit“.<br />
Dann begrüßt Eitingon mit den Worten „je<br />
suis heureux de vous saluer, chèrs confrères des<br />
pays d’adorable langue française“ 9 zum ersten<br />
Mal Vertreter einer französischen Gruppe, der<br />
neugebildeten Psychoanalytischen Vereinigung von<br />
Paris. 10<br />
6<br />
„Mit einem Gefühl eigentümlicher Scheu sind wir nach Oxford gekommen, an diese Stätte so altehrwürdiger wissenschaftlicher Tradition. [...]<br />
Sie alle wissen, wie die Wissenschaft sich zur Analyse verhalten hat, mit Misstrauen, mit Kritik, die durch ernsthaftes Wissen um das Kritisierte<br />
nicht sonderlich beschwert war, teilweise mit Affekten, die schon durch ihre Intensität fragwür-dig waren, und vor allem mit einer Aberkennung<br />
der wissenschaftlichen Bürgerrechte dem neu-en Zweig gegenüber, der sich so energisch und zukunftversprechend zu regen begann. Die Analyse<br />
antwortete auf diese langjährige Aberkennung ihrer Ansprüche, ja ihrer Daseinsberechtigung, damit, daß sie sich zurückzog, ihre Tagungen, die<br />
frei von propagandistischer Absicht rein der Arbeit gewidmet waren, in geschlossenem Kreise abhielt ...“ (IZP / XV / 1929 / 510)<br />
7<br />
Alle folgenden Zitate, wenn nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich auf das Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.<br />
8<br />
Laut Ernst Freud et al. (S. 230) verstarb Abraham (erst 48-jährig) vermutlich infolge einer Blutvergiftung aufgrund einer Rachenverletzung<br />
durch eine Fischgräte. „Abrahams Tod ist vielleicht der größte Verlust, der uns treffen konnte, und er hat uns getroffen. ... Ich fühlte mich sicher<br />
in dem absoluten Zutrauen, das er mir wie allen andern einflößte“, schreibt Freud in einem Brief vom 30.12. 1925 an Ernest Jones, laut dem sich<br />
„im Lichte späterer medizinischer Erkenntnisse“ alle einig waren, dass das „undiagnostizierte Leiden“ ein Krebs war, „der in etwas mehr als sechs<br />
Monaten unaufhörlich seinen Lauf nahm.“ (Zitiert nach: Meyhöfer S. 618f.)<br />
9<br />
„Ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen, liebe Kollegen aus den Ländern der anbetungswürdigen französischen Sprache.“ (Übers. E.R.)<br />
10<br />
Aus dem Interview, das Freud dem französischen Journalisten Raymond Recoully gab und das 1923 auf englisch in der Zeitschrift „Outlook“<br />
erschien: „It is in France that I have the least number of followers,“ Freud remarks. „My theories have been least studied and made public in<br />
France.“ How do you explain this?“ I ask. „I do not really know. I believe that there are many reasons for it. Perhaps politics have something to do<br />
with it.“ „I can assure you that this is not the case“, I say, energetically. „There is no country in the world where people are so ready as in France to<br />
welcome ideas from outside, no matter from where they come. Besides, your doctrines have been much talked of lately. A certain number of books<br />
and studies and articles have been devoted to them.“ „I foresee another explanation,“ he adds. „As my theories, at least at the commencement, were<br />
connected with those of your great Charcot, the French have been less anxious to follow their development on foreign ground, in a foreign spirit<br />
and language. They were content with the development that these ideas had taken in your country.“ (Zitiert nach: Sigmund Freud Chronologie.)
• Couch Thesen <strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Gegen Ende seiner Eröffnungsrede hebt der<br />
IPV-Präsident die besondere Bedeutung des<br />
<strong>Innsbruck</strong>er Kongresses als „Jubiläumskongress“ 11<br />
hervor. Als zehnter schließe er eine Dekade von<br />
Tagungen ab, „die stille, aber immer anwachsende<br />
Marksteine eines sich mächtig entwickelnden Weges<br />
sind, eines immer unaufhaltsamer werdenden<br />
Marsches in die Eroberung des Menschen, in die<br />
Humanität hinein“. Die vorangegangen Tagungsorte<br />
Salzburg, Nürnberg, Weimar, München, Budapest,<br />
Haag, Berlin und Homburg repräsentierten eine<br />
„Schau des Erreichten und Getanen, Sammlung<br />
zu weiterem Aufbruch“, und an den müsse immer<br />
gedacht werden.<br />
Freud habe „in seiner unnachahmlich<br />
seherischen Weise“ mit folgenden Worten<br />
gemahnt, die Anerkennung und den Erfolg, der der<br />
psychoanalytischen Bewegung beschieden zu werden<br />
beginne, nicht zu überschätzen: „Die Widerstände<br />
gegen die Analyse seien im Kerne noch riesengroß<br />
und die Friedensgeneigtheit der wissenschaftlichen<br />
Umwelt mehr oder weniger bewusste Taktik.“<br />
werden, die von neuer Arbeit, von neuem Fortschritt,<br />
von neuem Erfolg zeugen sollen. [...] Und nun gute<br />
Arbeit!“<br />
Die erste „wissenschaftliche Sitzung“ beginnt<br />
mit einem „Gruß Freuds an die Versammlung<br />
in Form einer kleinen Arbeit“ über den Humor,<br />
die „Frl. Anna Freud“ stellvertretend für den<br />
„Meister“ vorträgt, den „seit dem Berliner Kongress<br />
sein Gesundheitszustand verhindert, an [den]<br />
Zusammenkünften teilzunehmen.“ 13<br />
Die Vorträge<br />
Es folgen Referate u.a. von Paul Federn (Der<br />
Narzissmus im Ich-Gefüge), Theodor Reik (Das<br />
ubw. Schuldgefühl als libidinöser Faktor), Ernest<br />
Jones (On Suicidal Mechanisms; The Development<br />
of Female Sexuality), Helene Deutsch (Über<br />
Zufriedenheit, Glück und Ekstase), Sándor Radó<br />
(Das Problem der Melancholie), Karen Horney (Zur<br />
Problematik der monogamen Forderung), Hanns<br />
Sachs (Die Grundlagen der Charakterbildung),<br />
Franz Alexander (Der neurotische Charakter), S.<br />
Ferenczi (Die Beendigung der Analyse), I. Sadger<br />
(Erfolge und Dauer der psychoanalytischen<br />
Neurosenbehandlung) und Otto Fenichel (Über<br />
organlibidinöse Begleiterscheinungen der<br />
Triebabwehr).<br />
Max Eitingon<br />
Schließlich beendet Eitingon seine Ansprache<br />
mit dem Appell:<br />
„Halten wir darum auch an unserer eigenen<br />
bisherigen Taktik fest, daran denkend, dass auch mit<br />
der siegreich fortschreitenden Psychoanalyse der<br />
Friede in absehbarer Zeit nur unter neuen vierzehn<br />
Wilson-Punkten 12 geschlossen werden könnte. Möge<br />
also der X. Kongress in diesem Sinne der erste einer<br />
neuen Dekade von psychoanalytischen Kongressen<br />
Anna Freud<br />
Vorträge internationaler Psychoanalytiker<br />
erstrecken sich über den ganzen Donnerstag und<br />
werden am Samstag, dem letzten Kongresstag,<br />
wieder aufgenommen.<br />
11<br />
Die „<strong>Innsbruck</strong>er Nachrichten“ (die Tageszeitung jener Zeit) vom 1. September 1927 schreibt zu Beginn ihres Berichts: „Der zehnte Internationale<br />
Psychoanalytische Kongress bedeutet ein neuerliches Jubiläum des großen Forschers Professor Freud.“<br />
12<br />
Als 14-Punkte-Programm werden die Grundzüge einer Friedensordnung für das vom Ersten Weltkrieg erschütterte Europa bezeichnet, die<br />
Präsident Woodrow Wilson am 8. Januar 1918 in einer programmatischen Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses umriss. (Wikipedia)<br />
13<br />
„... dessen gegenwärtiges Befinden uns dennoch die gute Zuversicht gibt, ihn demnächst doch wieder einmal unter uns erscheinen zu sehen...“,<br />
ergänzt Eitingon laut Korrespondenzblatt. Der Bericht in den „<strong>Innsbruck</strong>er Nachrichten“ vom 1.9.1927 kommentiert: „... sein Geist und seine<br />
Lehren werden aber auch diesen Kongress leiten.“<br />
24
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Am Vormittag folgt Anna Freuds Referat „Über<br />
die Theorie der Analyse von Kindern“ unmittelbar<br />
jenem ihrer zukünftigen Kontrahentin 14 Melanie<br />
Klein, in dem diese über „Frühstadien des<br />
Ödipuskonfliktes“ spricht, den sie bereits „anfangs<br />
des zweiten Lebensjahres in Wirksamkeit“ sieht,<br />
„zugleich aber in der Abwehr gegen diesen auch das<br />
Auftreten von Schuldgefühlen, also den Beginn des<br />
Über-Ichs“. 15<br />
Anna Freud versucht, anhand von zwei Fällen<br />
den spezifischen Begriff der Kinderanalyse und<br />
die Existenzberechtigung einer „pädagogischen<br />
Einstellung“ des Kinderanalytikers zu erläutern.<br />
Der Kinderanalytiker brauche für einen Teil<br />
• Couch Thesen<br />
seiner Aufgabe „die theoretische und praktische<br />
pädagogische Kenntnis“. Diese ermögliche ihm, „die<br />
Erziehungseinflüsse, unter denen das Kind steht, zu<br />
durchschauen, zu kritisieren und – wenn es sich als<br />
notwendig erweist – den Erziehern des Kindes für<br />
die Dauer der Analyse ihre Arbeit aus der Hand zu<br />
nehmen, um sie selbst zu verrichten.“ 16<br />
Annette Meyhöfer (S. 654) bemerkt in ihrer<br />
Biografie, Freud sei stolz auf Annas Vorträge<br />
gewesen, wenngleich ihre Ansichten, verglichen mit<br />
denen Melanie Kleins, „konservativ, ja reaktionär“<br />
zu nennen wären, „aber es steht zu vermuten, dass<br />
sie recht hat.“ (Brief an Max Eitingon)<br />
Mag. Eva Rogina, Jahrgang 1958<br />
Studium der Anglistik und Germanistik<br />
AHS-Lehrerin<br />
Ausbildungskandidatin am <strong>PSI</strong><br />
In der 3. <strong>Ausgabe</strong> der COUCH:<br />
„Die Geschäftliche Sitzung“ des „Jubiläumskongresses“ in <strong>Innsbruck</strong><br />
14<br />
Für Melanie Klein waren bereits Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren «analysierbar», denn auch sie sollten eine Übertragungsbeziehung<br />
zum Analytiker herstellen können. Anna Freud hielt jedoch an der klassischen Position fest, die eine Analysierbarkeit erst in einem Alter ab etwa<br />
fünf Jahren für möglich erachtete und für die Kinderanalyse die Möglichkeit einer Übertragung negierte. Doch zu den sogenannten Controversial<br />
Discussions der Jahre 1942 bis 1946 kam es erst nach der Zwangsemigration der deutschen und österreichischen Psychoanalytiker, insbesondere<br />
der Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. (Nach: “Streit um die Phantasie: Die Kontroverse Anna Freud - Melanie Klein”, NZZ<br />
online vom 1.3.2002.)<br />
16<br />
In einem Brief an die befreundete Lou Andreas-Salomé vom 15.1.1928 schreibt die Autorin: „Meine liebe Lou, ich schicke Dir den Vortrag,<br />
den ich auf dem <strong>Innsbruck</strong>er Kongress gehalten habe und ich möchte sehr gerne wissen, ob der Dir gefällt. Ich habe ihn in der letzten Woche<br />
aufgeschrieben, denn er soll in der übernächsten Nummer der Zeitschrift erscheinen.“ (Lou Andreas-Salomé – Anna Freud Briefwechsel, S. 554)<br />
Der Text wird schließlich unter dem Titel „Zur Theorie der Kinderanalyse“ in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse publiziert (IZ 14,<br />
1928, 153-162).<br />
25
• Couch REview<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Der „Toskana-Fraktion“<br />
auf der Spur<br />
Impressionen vom Traumseminar von<br />
Dr. Christoph Fischer<br />
Eine alte Zypressenallee ist das Wahrzeichen des Landgutes Il Poggio<br />
Jedes Jahr um dieselbe Zeit (Mai/Juni)<br />
zieht ein handverlesenes, bunt gemischtes,<br />
aber deutlich weiblich dominiertes Grüppchen<br />
Psychoanalyse-affiner Personen aus verschiedensten<br />
Lebensbereichen gegen Süden, um dem Lockruf<br />
der Seminarausschreibung zu folgen. Diese preist<br />
das „tiefgreifende toskanische Kulturerbe mit seiner<br />
sinnesfreudigen Ess- und Weinkultur“ sowie das<br />
„friedfertige Geschlechterverhältnis“ der ehemals<br />
hier ansässigen Etrusker, die zusammen mit den sanft<br />
sich wiegenden Zypressen, knorrigen Olivenbäumen<br />
und weitläufigen Weingärten im „Herzen des<br />
Städte-Dreiecks Florenz-Pisa-Siena” 1 den Rahmen<br />
für die leidenschaftliche Analyse eigener und fremder<br />
Träume bilden sollen.<br />
Es hat sich herumgesprochen in der Alpenrepublik<br />
und darüber hinaus, dass an jenem gottverlassenen<br />
(angeblich 150-Seelen-) Ort Sughera, nicht mehr<br />
als eine „schmale Hauptstraße, an deren Ende die<br />
langgestreckte Zypressenallee des Landgutes Il<br />
Poggio beginnt“, 2 sowohl hedonistischen Freuden<br />
gefrönt, als auch, unter geduldiger Führung von<br />
dottore Fischer, bei archäologischen Grabungen in die<br />
eigene Seele – passend für dieses uralte etruskische<br />
Kulturland – wertvolle Fundstücke zu Tage befördert<br />
werden können, die „Hinweise geben, wo unsere<br />
Entwicklung, unsere Individuation steht – und wo<br />
bzw. wie sie weiter gehen kann“. 3<br />
Und so verlassen einige Alpenbewohner sowie<br />
einzelne SFU-Elevinnen 4 – der Landessprache ihrer<br />
südlichen Nachbarn in den wesentlichen Dingen<br />
des Lebens mächtig (Un cappucchino, per favore!<br />
Vino bianco, mezzo litro!) - für die Zeitdauer von<br />
einer Woche die raue Gebirgs- bzw. von Abgasen<br />
geschwängerte Großstadtluft, um in der Früh von<br />
Hahnen- und Eselsschrei und dem lauten „buon<br />
giorno“ der Patrona 5 geweckt zu werden. Das ruft<br />
jene dem Seminarleiter entgegen, der, Kraft und gute<br />
1<br />
Homepage Landgut Il Poggio<br />
2<br />
Homepage Sughera<br />
3<br />
Seminarausschreibung<br />
4<br />
SFU = Sigmund Freud Privatuniversität Wien<br />
5<br />
Hier ital. für: Vermieterin<br />
26
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Laune verströmend, meist erfolglos zum Morgensport<br />
auffordert, während er um Punkt sieben im schwarzen<br />
Nylondress die Allee hinunterläuft, knirschenden<br />
Kies unter den überraschend leichtfüßigen Schritten.<br />
Nachdem der Tag unter anderem mit frischem<br />
insalata, prosciutto und Melone aus eigener<br />
Produktion der agricultura begrüßt wurde, nehmen<br />
alle mehr oder weniger Sportlichen zum vereinbarten<br />
Zeitpunkt, der auch hartgesottenen Spätaufstehern<br />
die Stimmung nicht verdirbt, ihren Platz im Sitzkreis<br />
der sonnenbeschienenen Terrasse ein.<br />
• Couch REview<br />
gruppenanalytischen Geschehen, so legen sich<br />
einem die rundum herrschende, nur durch den<br />
Chor unermüdlicher Zikaden durchdrungene<br />
Stille, die sanfte Hügellandschaft und aquarellblaue<br />
Himmelskuppel beruhigend und tröstlich aufs<br />
Gemüt, sowie, mit etwas Glück, der Arm einer<br />
empathischen Leidensgenossin um die Schulter.<br />
Zuerst wird noch kurz hartnäckig, als käme es<br />
einer Weltanschauung gleich, um entweder Sonne<br />
oder Schatten verhandelt, dann Sonnencreme<br />
Faktor 20 aufgetragen (schließlich will man mehrere<br />
Stunden wenigstens gegen UVA/UVB geschützt<br />
sein), bevor man sich dem „Prozess“ und, mehr oder<br />
weniger einsichtig, den Interventionen von dottore<br />
überlässt, der nach dem Vorbild des „Gründervaters“<br />
stetig der verwaschenen Spur des Unbewussten folgt.<br />
So wie sich der Archäologe der baulichen oder<br />
monumentalen Frühzeit des Menschen zuwendet,<br />
schreibt Freud in einer der zentralen Metaphern<br />
seines gesamten Werkes, beschäftigt sich der<br />
Psychoanalytiker mit der seelischen Frühzeit des<br />
Menschen, in der das Un-bewusste seine Prägung<br />
erfährt, das in Form des Traumes wiederkehrt.<br />
Deshalb liegt es nahe, dessen Analyse als eine Art<br />
„Archäologie der Seele“ zu betreiben. Ist diese<br />
Affinität zwischen den beiden Wissenschaften einer<br />
der Gründe dafür, dass Traumarbeit gerade auf<br />
diesem uralten Kulturboden so gut gedeiht und solch<br />
wohlgeformte süße Früchte trägt?<br />
Und geht’s mal besonders „heiß“ her im<br />
Und dann gibt’s da ja auch noch die vormittägliche<br />
halbstündige Pause mit gemeinsamem Besuch von<br />
„Fossetti’s Bar“ am Anfang oder Ende des Ortes -<br />
das ist so ziemlich eines, gerade mal fünf Minuten<br />
jene eingangs schon erwähnte, begrüßenswert<br />
unasphaltierte Allee hinunter. Hier wird nun nicht<br />
nur, je nachdem welchem Ernährungspabst man -<br />
ganz unneuro-tisch natürlich - gerade eben huldigt,<br />
entweder die drohende Dehydration erfolgreich<br />
bekämpft oder Zucker- und Koffeinspiegel wieder<br />
auf Vordermann gebracht (von anderen „Spiegeln“<br />
sei gar nicht erst die Rede!).<br />
6<br />
“... wie der Archäologe aus stehengebliebenen Mauerresten die Wandungen des Gebäudes aufbaut, (...) aus den im Schutt gefundenen<br />
Resten die einstigen Wandverzierungen und Wandgemälde wiederherstellt, genauso geht der Analytiker vor, wenn er seine Schlüsse aus<br />
Erinnerungsbrocken, Assoziationen und aktiven Äußerungen des Analysierten zieht.“ (S. Freud, zitiert nach Ch. Tögel)<br />
27
• Couch REview<br />
Auch für Nachschub solch existentieller Artikel<br />
wie Toilettenpapier (von der Patrona geizig gehortet)<br />
wird gesorgt, sowie für pane, Mozzarella und pomodori<br />
fürs mittagszeitliche pranzo mit wohlgesonnenen<br />
Appartement- und GruppengenossInnen auf der<br />
jeder Wohnung zugedachten kleinen Terrasse. Der<br />
Gang zu „Fossetti“ ist ein Ritual, das sich nun jeden<br />
der sechs Tage genauso verlässlich wiederholen wird,<br />
wie das zeitgleiche Erscheinen der drei Arbeiter von<br />
den Feldern, des guardia forestale 7 im Jeep, der die<br />
paar hungrigen Katzen großzügig mit Trockenfutter<br />
versorgt sowie der freundlich nickenden Hausfrau<br />
im ärmellosen Kittel, die gerade ihre Arbeit<br />
im bescheidenen Gemüsegarten gegenüber<br />
unterbrochen hat.<br />
Am langen freien Nachmittag machen<br />
die angeblich von Neidern etwas abschätzig<br />
„Toskananixen“ Betitelten nun endlich ihrem Namen<br />
Ehre und geben sich, so es der Wettergott zulässt,<br />
leicht bekleidet der Siesta am Pool hin.<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Wer kann es den eifrigen Seminarteilnehmern,<br />
die sich so großer Hingabe an die Psychoanalyse<br />
befleißigen, verübeln, auch in diesem Punkte Freud<br />
zum Vorbild zu nehmen, der es schätzte, wenn<br />
er „göttlich untergebracht und gefüttert“ 9 wurde,<br />
und der die Fähigkeit besaß, „den hedonistischen<br />
Aspekt seiner Reisen durch gastronomische Freuden<br />
auszubauen“? 10<br />
Der Abend nach dem opulenten Mahl (und<br />
dem wievielten Glas Wein eigentlich?) geht<br />
aber erst zu Ende, wenn entweder an der langen<br />
Tafel alle Erinnerungen an vorangegan-gene<br />
Seminare (mittlerweile schon ein Dutzend an der<br />
Zahl) ausgetauscht wurden oder nach hitzigen<br />
Wortgefechten, dem behelfsmäßigen Ausmessen<br />
erreichter Weiten und hastigen Punktezählen<br />
die Müdigkeit die Letzten von der schwach<br />
ausgeleuchteten Bocciabahn unter den Pinien in die<br />
Betten treibt, während ihre aufgeregten Schreie noch<br />
lange in der Stille der Nacht nachhallen.<br />
Während der Blick über die weite, wahrlich<br />
bukolisch 8 anmutende Landschaft sowie umliegende<br />
etruskische Städte schweift, die in vorchristlicher<br />
Zeit strategisch günstig auf Hügeln errichtet wurden,<br />
kommt die aufgewühlte Seele zur Ruhe. Gibt es<br />
einen geeigneteren Ort, um das zuvor in der Gruppe<br />
Erlebte und -arbeitete (auch „Erlittene“) erfolgreich<br />
und gewinnbringend zu „metabolisieren“?<br />
Die kurze „Abendrunde“ in der Gruppe steht<br />
dann schon merklich im Zeichen bedürftiger Mägen<br />
sowie der Neugier auf das 4-gängige landestypische<br />
Menü, fraglos der von allen mit freudiger Erregung<br />
erwartete Höhepunkt jeden Tages.<br />
7<br />
Ital. für: Waldhüter<br />
8<br />
Idyllisch<br />
10<br />
Zitiert nach: Christfried Tögel, http://www.freud-biographik.de/berg2-2.htm<br />
11<br />
Zitiert nach: Christfried Tögel, http://www.freud-biographik.de/bergvor.htm<br />
Es ist kein Gerücht, dass in jenen Wochen<br />
bereits nicht nur Freund-, sondern auch Lieb- und<br />
Partnerschaften begründet wurden, jedoch, so wurde<br />
28
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
der Verfasserin aus verlässlicher Quelle zugetragen,<br />
soll es auch zur “Feindschaft” schon einmal gereicht<br />
haben.<br />
Wer nun noch Näheres etwa zur Traumarbeit<br />
selbst, den Ausflügen in die Umgebung, den<br />
Malaktionen (legendär jene, bei der bodypainting<br />
mal verkehrt herum aufgefasst wurde!), den<br />
Abschlussabenden sowie Anekdotisches erfahren<br />
möchte, das sich aus Gründen der Diskretion der<br />
Veröffentlichung entzieht, möge sich tunlichst im<br />
persönlichen Kontakt kundig machen oder, besser<br />
noch, das nächste Seminar buchen!<br />
Vieles entzieht sich nämlich der kruden<br />
Verbalisierung und so bedauert man das jedes Jahr<br />
wieder zu jähe Seminarende, fragt sich etwas bange,<br />
ob man der Rückkehr ins laute Weltengetümmel<br />
gewachsen bzw. überhaupt jemals wieder geneigt ist,<br />
sich dem kollektiven Wahn der Leistungsgesellschaft<br />
zu beugen, bevor man sich bei den anderen<br />
hoffnungsvoll versichert: “Kommst nächstes<br />
Jahr wieder?”<br />
„Sughera e basta“, 11 verheißt das<br />
Ortsschild emphatisch, nachdem es, wohl<br />
von einem enthusiastischen Ortsansässigen mit<br />
deutlicher Tendenz zum Größenwahn, in frecher<br />
schwarzer Schmierschrift ergänzt wurde. Dem hat die<br />
Verfasserin als mittlerweile 4-malige „Seminaristin“<br />
nichts hinzuzufügen. Das Frühjahr möge kommen!<br />
Ci vediamo!<br />
• Couch REview<br />
Mag. Eva Rogina, Jahrgang 1958<br />
Studium der Anglistik und Germanistik<br />
AHS-Lehrerin<br />
Ausbildungskandidatin am <strong>PSI</strong><br />
11<br />
Ital. für: „Es reicht!“, in Anspielung auf die Tatsache, dass die Straße hier endet.<br />
29
• Let‘s Couch<br />
<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
Ein Passant fragt: „Wo geht‘s denn hier zum Bahnhof?“<br />
Es antworten ihm ein:<br />
Pädagoge: „Ich weiß natürlich, wo der Bahnhof ist. Aber ich denke, dass es besser für dich ist, wenn du es selbst<br />
herausfindest.“<br />
Sozialpädagoge: „Ich weiß es auch nicht, aber ich finde es total gut, dass wir beide so offen darüber reden können.“<br />
Sozialarbeiter: „Keine Ahnung, aber ich fahre Sie schnell hin.“<br />
Bioenergetiker: „Ihr Körper kennt die Antwort schon. Machen Sie mal: sch... sch... sch...“<br />
Gesprächspsychotherapeut: „Sie wissen nicht, wo der Bahnhof ist und das macht Sie nicht nur traurig, sondern auch<br />
ein Stück weit wütend.“<br />
Psychoanalytiker: „Sie meinen diese dunkle Höhle, wo immer was Langes rein und raus fährt?“<br />
Tiefenpsychologe: „Sie wollen verreisen?“<br />
Verhaltenstherapeut: „Heben Sie zuerst den rechten Fuß und schieben Sie ihn vor. Setzen Sie ihn auf. Sehr gut. Super!“<br />
Gestalttherapeut: „Du, lass es voll zu, dass du zum Bahnhof willst.“<br />
Familientherapeut: „Was glauben Sie, denkt Ihre Schwester, was Ihre Eltern fühlen, wenn die hören, dass Sie zum<br />
Bahnhof wollen?“<br />
Psychodramatherapeut: „Zum Bahnhof. Fein. Das spielen wir mal durch. Geben Sie mir Ihren Hut, ich geben Ihnen<br />
meine Jacke und dann...“<br />
Hypnotherapeut: „Schließen Sie die Augen. Entspannen Sie sich. Fragen Sie ihr Unterbewusstsein, ob es Ihnen<br />
bei der Suche behilflich sein will.“<br />
NLP‘ler: „Stell dir vor, du bist schon im Bahnhof - welche Schritte hast du zuvor getan?“<br />
Reinkarnationstherapeut: „Geh zurück in der Zeit - bis vor deine Geburt. Welches Karma lässt dich immer wieder auf<br />
die Hilfe anderer Leute angewiesen sein?“<br />
Provokativtherapeut: „Ich wette, da werden Sie nie drauf kommen!“<br />
Lösungsorientierter Therapeut: „Gab es schon mal die Ausnahme, dass Sie den Bahnhof gefunden hatten? Was haben<br />
Sie da anders gemacht?“<br />
Esoteriker: „Wenn du da hin sollst, wirst du den Weg auch finden.“<br />
Neurologe: „Sie haben also die Orientierung verloren. Passiert Ihnen das öfter?“<br />
Psychiater: „Bahnhof? Zugfahren? Welche Klasse?“<br />
Mediator: „Welche Lösungswege haben Sie sich schon überlegt? Schreiben Sie bitte alles hier auf diese Kärtchen.“<br />
Kreativitätstherapeut: „Hüpfen Sie so lange auf einem Bein, bis ihr Kopf eine Idee freigibt.“<br />
Rational Emotiver Therapeut: „Nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, warum sie zum Bahnhof wollen.“<br />
Coach: „Wenn ich Ihnen die Lösung vorkaue, wird das Ihr Problem nicht dauerhaft beseitigen.“<br />
Zeitplanexperte: „Haben Sie genügend Pufferzeit für meine Antwort eingeplant?“<br />
Manager: „Fragen Sie nicht lange - gehen Sie einfach los!“<br />
Lehrer: „Wenn Sie aufgepasst hätten, müssten Sie mich nicht fragen?“<br />
Zahnarzt: „Das kann ich Ihnen sagen, aber das zahlt Ihnen keine Kasse!“<br />
Priester: „Heiliger Antonius, gerechter Mann, hilf, dass er ihn finden kann. Amen!“<br />
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Neurotiker, einem Psychotiker und einem Psychoanalytiker?<br />
Der Neurotiker baut Luftschlösser, der Psychotiker wohnt darin und der Psychoanalytiker kassiert die Miete!<br />
Eine Mutter holt ihren Sohn vom Psychoanalytiker ab.<br />
„Und“, fragt sie neugierig, „was hat er gesagt?“<br />
„Ich hätte einen Ödipus- Komplex“, antwortet der Sohn.<br />
„Ach so ein Quatsch! Hauptsache, du hast deine Mami lieb.“<br />
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<strong>Ausgabe</strong> 2 / März <strong>2013</strong><br />
• Let‘s Couch<br />
It must be something psychological<br />
It may be something very physical<br />
That makes me feel the way I do<br />
Whenever I‘m in touch with you<br />
I think it‘s something strange and mystical<br />
It might be something very chemical<br />
What is this force between us two<br />
That makes me gravitate to you<br />
I know you‘re not my ego ideal<br />
You aren‘t like my father or brother<br />
But the way I feel __ not become<br />
A sister, a pal or a mother<br />
Still...<br />
It must be something psychological<br />
It may be something very physical<br />
That makes me feel the way I do<br />
Whenever I’m in touch with you<br />
It‘s something psychological<br />
I know you‘re not my ego ideal<br />
You aren‘t like my father or brother<br />
But the way I feel __ not become<br />
A sister, a pal or a mother<br />
My yearning‘s really quite explainable<br />
I want you ‚cause you‘re unattainable<br />
Just let me get my hands on you<br />
And then I want somebody new<br />
With me it‘s psychological<br />
31