wohnrechtliche blätter:wobl - Institut für Zivilrecht - Universität Wien
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Herausgegeben von:<br />
Univ.-Doz. DDr. Ludwig Bittner<br />
Dr. Wolfgang Dirnbacher<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Attila Fenyves<br />
RA Mag. Dr. Till Hausmann<br />
HR Dr. Elisabeth Lovrek<br />
Univ.-Prof. Dr. Paul Oberhammer<br />
Dir. Theodor Österreicher<br />
a. Univ.-Prof. Dr. Raimund Pittl<br />
Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer<br />
a. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch<br />
Hon.-Prof. Dr. Helmut Würth<br />
<strong>wohnrechtliche</strong><br />
blätter:<strong>wobl</strong><br />
Schriftleitung:<br />
RA Mag. Dr. Till Hausmann<br />
a. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch<br />
Redaktionsassistenz:<br />
Dr. Olaf Riss LL.M.<br />
Heft 9 September 2012 25. Jahrgang<br />
ISSN 0933-2766 WOBLEA 25 (9) 309–344<br />
Wohnrechtliche Blätter 25, 309–323 (2012)<br />
Printed in Austria<br />
<strong>wobl</strong><br />
Univ.-Ass. Mag. Philipp Fidler, <strong>Wien</strong><br />
Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen<br />
Eigentümer und Besitzer<br />
Der Beitrag untersucht die Frage, inwieweit sich der Bestandgeber für den Ersatz von<br />
Mietzinseinnahmen, die ihm durch die notwendige Einleitung eines Räumungsprozesses<br />
entgehen, auf das Haftungsregime des Eigentümer-Besitzer Verhältnisses berufen kann.<br />
Vom OGH wird die Anwendbarkeit der §§ 335, 338 ABGB in Räumungsprozessen verneint.<br />
Der Autor tritt dieser Auffassung unter Berücksichtigung der deutschen Rechtslage<br />
und mit einer ausführlichen historischen Analyse des § 338 ABGB entgegen.<br />
Deskriptoren: Eigentümer-Besitzer Verhältnis, Schadenersatz bei Verfahrenshandlungen, restituere-Grundsatz,<br />
Redlichkeit des Bestandnehmers.<br />
§ 326, § 335, § 338; § 1293 ff ABGB; § 987 ff BGB.<br />
Inhaltsübersicht<br />
A. Einleitung<br />
I. Anwendungsfälle der Räumungsklage<br />
II. Problemstellung<br />
III. Kurzer Aufriss zur Schadenersatzpflicht bei Verfahrenshandlungen<br />
B. Alternative Anspruchsgrundlage für den Ersatz der<br />
entgangenen Mietzinseinnahmen?<br />
C. Das Eigentümer-Besitzer Verhältnis<br />
I. Gesetzgeberisches Konzept<br />
1. Allgemein<br />
2. Dreipersonales Verhältnis<br />
3. Sachbesitz<br />
II. Bedeutung der Redlichkeit<br />
III. Inhalt und Umfang des § 335<br />
IV. Wegfall der Redlichkeit des Bestandnehmers<br />
D. Zwischenergebnis<br />
E. § 338 und sein Einfluss auf Redlichkeit und Haftung<br />
I. Folgen einer etwaigen Anwendbarkeit<br />
II. Missverständliche Rubrik<br />
III. Historische Interpretation<br />
1. Genese und Vorläufer<br />
2. Der restituere-Grundsatz des römischen Rechts<br />
3. Schlussfolgerung<br />
F. Einwände der Judikatur<br />
I. Rechtsbesitz<br />
II. Verletzung obligatorischer Rechte<br />
III. Abwicklung von Schuldverhältnissen<br />
1. Die E 3 Ob 544/95<br />
2. Der „nicht-so-berechtigte“ Besitzer<br />
3. Der „nicht-mehr-berechtigte“ Besitzer<br />
4. Stellungnahme<br />
G. Ergebnisse<br />
A. Einleitung<br />
I. Anwendungsfälle der Räumungsklage<br />
Unter der Vielzahl von mietrechtlichen Streitigkeiten<br />
finden sich häufig auch Räumungsverfahren.<br />
So werden Prozesse genannt, die durch eine Räu-<br />
© Verlag Österreich 2012
310<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
mungsklage des Bestandgebers eingeleitet werden.<br />
Gerichtet ist sie – nomen est omen – auf Räumung<br />
und damit einhergehend die Wiedererlangung der<br />
Bestandsache. Von ihr kann in unterschiedlichen<br />
Konstellationen Gebrauch gemacht werden. Dazu<br />
gehört auch das Vorliegen eines außerordentlichen<br />
Kündigungsgrunds iSd § 1118 ABGB 1 . In diesem<br />
Fall hat der Bestandgeber zwei Möglichkeiten.<br />
Entweder er erklärt vorerst außergerichtlich die<br />
sofortige Vertragsauflösung. Weigert sich der Bestandnehmer<br />
jedoch, die Wohnung zu verlassen, so<br />
wird der Bestandgeber aller Voraussicht nach seinen<br />
Anspruch gerichtlich geltend machen, es<br />
kommt also zum Räumungsprozess. Oder er wählt<br />
den direkten Weg und strengt sogleich das Verfahren<br />
an, ohne davor eine Erklärung abgegeben zu<br />
haben. Das schadet jedoch nicht, da nach stRsp 2<br />
das Einbringen der Räumungsklage gleichzeitig als<br />
Auflösungserklärung gilt. Deren Wirksamkeit wird<br />
im Räumungsprozess dann als Vorfrage geprüft 3 .<br />
Daneben berechtigen alle Fälle der titellosen Innehabung<br />
4 den Bestandgeber zur Geltendmachung<br />
der Räumungsklage. Materielle Grundlage ist dabei,<br />
sofern er auch Eigentümer 5 der Bestandsache<br />
ist, die rei vindicatio, mit der der Berechtigte seine<br />
durch § 354 verliehene Ausschließungsmacht verwirklicht<br />
(§ 366) 6 . Wehrt sich auf der anderen Seite<br />
der Bestandnehmer prozessual durch die Erhebung<br />
von Einwendungen, macht er materiell betrachtet<br />
regelmäßig ein obligatorisches Recht zur<br />
Innehabung geltend, wie zB das (noch andauernde)<br />
Bestehen eines Gebrauchsüberlassungsvertrags.<br />
Wird dem Anspruch im Verfahren schlussendlich<br />
stattgegeben und der Bestandnehmer zur Räumung<br />
verurteilt, kann es vorkommen, dass dieser immer<br />
noch nicht dazu bereit ist, dem richterlichen Ausspruch<br />
Folge zu leisten. Der Bestandgeber ist dann<br />
auf die exekutive Durchsetzung des Urteils angewiesen,<br />
die in diesen Fällen Delogierung genannt<br />
wird (vgl § 349 EO).<br />
Das unbedingte Erfordernis der Beschreitung<br />
dieses zeitlich intensiven Weges des Vermieters, der<br />
den Mieter nicht einfach eigenmächtig „aus der<br />
Wohnung werfen“ kann, ist charakteristisches<br />
Merkmal unserer staatlichen Gemeinschaft 7 . We-<br />
1<br />
§§ ohne Angabe sind in Folge solche des ABGB.<br />
2<br />
RIS-Justiz RS0021229.<br />
3<br />
Vgl OGH 7 Ob 88/97k.<br />
4<br />
Allgemein Schimetschek, Der titellose Wohnungsinhaber,<br />
ImmZ 1981, 211 ff.<br />
5<br />
Zwar ist selbstverständlich für die Vermietung ein<br />
dingliches (Voll)Recht an der Sache keine conditio sine qua<br />
non, aus Vereinfachungsgründen wird im weiteren Verlauf<br />
der Bestandgeber mit dem Eigentümer gleichgesetzt.<br />
6<br />
Spielbüchler in Rummel (Hrsg), ABGB³ (2000) § 366<br />
Rz 1; grundlegend Aicher, Das Eigentum als subjektives<br />
Recht (1975) passim. Im Fokus der Doktrin steht häufig<br />
die Frage, ob die Räumungsklage auch gegen den Dritten<br />
(zB Unterbestandnehmer) erfolgreich geltend gemacht<br />
werden kann, wenn die Weitergabe an diesen unzulässig<br />
war, dazu jüngst Spitzer, Das Verhältnis Eigentümer –<br />
Untermieter. Alte Strukturfragen zum abgeleiteten Recht<br />
zum Besitz, ÖJZ 2010, 10 ff.<br />
7<br />
Spitzer, Inländische Gerichtsbarkeit und Immunität,<br />
ÖJZ 2008, 871 ff (875).<br />
sentlich ist dabei vor allem das darin zum Ausdruck<br />
kommende und umfassende Selbsthilfeverbot,<br />
das nur in Ausnahmesituationen 8 durchbrochen<br />
werden darf, andernfalls eine Schadenersatzpflicht<br />
droht 9 . Man spricht in diesem Zusammenhang<br />
vom staatlichen Gewaltmonopol. Als Korrelat<br />
dazu muss der Staat für ausreichenden Rechtsschutz<br />
sorgen und zwar durch einen grundsätzlichen<br />
Anspruch auf Zugang zu den Gerichten. Dementsprechend<br />
besagt auch § 19 ABGB, dass es jedem,<br />
der sich in seinen Rechten gekränkt zu sein<br />
erachtet, frei steht, seine Beschwerde bei der durch<br />
das Gesetz bestimmten Behörde einzureichen.<br />
Schon Zeiller 10 erkannte: „Ein Recht, daß nicht<br />
durchgesetzt werden könnte, wäre kein Recht, keine<br />
rechtliche Freyheit, und wer nur sein Recht<br />
durchsetzt, beschränkt sich auf seinen rechtlichen<br />
Wirkungskreis, und tut niemanden Unrecht.“ Das<br />
österr <strong>Zivilrecht</strong> kennt damit eine Rechtsweggarantie<br />
11 .<br />
II. Problemstellung<br />
Dass der Vermieter angehalten ist, die Gerichte<br />
anzurufen und ein rechtskräftiges Urteil abzuwarten,<br />
bevor er über sein Bestandobjekt wieder wirksam<br />
verfügen kann, ist auch für den Mieter in vielen<br />
Fällen nicht unbedingt ein Nachteil. Er kann<br />
dadurch – je nach Dauer des Verfahrens – eine erheblich<br />
längere Zeit als vertraglich eigentlich vorgesehen<br />
das Bestandobjekt nutzen und sich währenddessen<br />
um eine Ersatzbeschaffung umsehen.<br />
Durch das Ausnützen der Möglichkeiten, die die<br />
ZPO bietet, werden diese Wirkungen verstärkt: Die<br />
Erhebung von Einwendungen gegen das geltend<br />
gemachte Räumungsbegehren kann das Verfahren<br />
nochmals strecken. Dem Bestandgeber andererseits<br />
erwachsen dadurch uU beträchtliche Schäden,<br />
wenn er in der Zwischenzeit schon andere<br />
Interessenten vorgefunden hat, die bereit wären,<br />
einen höheren, der Marktsituation entsprechenden<br />
Bestandzins zu zahlen. 12 Denkbar wäre weiters,<br />
dass der Bestandgeber wegen dem notwendig gewordenen<br />
Räumungsverfahren Leistungspflichten<br />
8<br />
Vordergründig muss staatliches Einschreiten zu<br />
spät kommen, umfassend Piskernigg, Die Selbsthilferegelung<br />
im ABGB (1999) passim. Überlange Verfahrensdauer<br />
des Räumungsverfahrens ermöglicht es dem Bestandgeber<br />
jedoch nicht, von seinem Selbsthilferecht<br />
Gebrauch zu machen, OGH 3 Ob 548/91 in SZ 64/97<br />
(gewerberechtliches Verfahren).<br />
9<br />
Vgl nur OGH 7 Ob 22/71 in EvBl 1971/328, wo der<br />
Verpächter die Delogierung „manuell“ vorgenommen<br />
hat.<br />
10<br />
Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch<br />
I (1811) 110.<br />
11<br />
Schauer in Kletečka/Schauer (Hrsg), ABGB-ON<br />
1.00 (2010) § 19 Rz 1.<br />
12<br />
Dass für die Zeit bis zur tatsächlichen Räumung<br />
Benützungsentgelt zugesprochen wird (RIS-Justiz<br />
RS0019883; RS0019909), mag den Schaden zwar vermindern,<br />
aber keinesfalls gänzlich aus der Welt schaffen.<br />
Zum Umfang Kerschner, Zur Höhe des Benutzungsentgelts<br />
bei Nichtrückstellung der Bestandsache nach Vertragsende,<br />
JBl 1978, 411 ff.<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 311<br />
gegenüber Nachmietern, mit denen im Vertrauen<br />
auf die fristgerechte Räumung bereits neue Bestandverträge<br />
abgeschlossen wurden, nicht zeitgerecht<br />
erfüllen könnte. Welches Schadenspotential<br />
ein Räumungsverfahren für den Eigentümer enthält,<br />
zeigt eine kürzlich ergangene Entscheidung 13<br />
des OGH mit aller Deutlichkeit. Der SV war wie<br />
folgt gelagert: Ein befristeter Mietvertrag stand<br />
kurz vor dem Auslaufen. Die beklagte Bestandnehmerin<br />
ersuchte den Bestandgeber und Kläger, den<br />
Vertrag zu verlängern. Dieser lehnte ab, weil er<br />
schon einen Nachmieter gefunden hatte. Da der<br />
Beklagte auch nach Vertragsablauf die Wohnung<br />
nicht räumte, war ein gerichtliches Verfahren notwendig,<br />
indem der Bestandgeber schließlich obsiegte.<br />
Der Prozess hinderte ihn jedoch daran, seine<br />
Leistungspflichten gegenüber dem Nachmieter zu<br />
erfüllen. Er begehrte Ersatz für den dadurch entstandenen<br />
Schaden in Form von entgangenen Mietzinseinnahmen.<br />
Es stellt sich somit die Frage, ob die durch den<br />
Räumungsprozess entstandenen Schäden im Wege<br />
eines selbstständig geltend gemachten Schadenersatzanspruchs<br />
noch auf den Prozessgegner überwälzt<br />
werden können. Mit anderen Worten: Kann<br />
die Einleitung, die Aufrechterhaltung, oder sonstige<br />
Handlungen im Rahmen eines Prozesses zu einer<br />
Schadenersatzpflicht führen?<br />
III. Kurzer Aufriss zur Schadenersatzpflicht bei<br />
Verfahrenshandlungen<br />
Dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, für<br />
Verfahrenshandlungen schadenersatzpflichtig zu<br />
werden, wird in Österreich von niemandem in Frage<br />
gestellt 14 . Für eine Haftung müssen nach derzeitigem<br />
Meinungsstand nicht die subjektiv strengen<br />
Voraussetzungen der vorsätzlich sittenwidrigen<br />
13<br />
1 Ob 153/11y. Diese E brachte auch eine längst überfällige<br />
Judikaturwende mit sich. Überwiegend verneint<br />
wurde in der Rsp (Nachweise bei R. Wolff/J. Wolff/<br />
L. Wolff, Schadenersatz wegen im Prozess verzögerter<br />
Räumung, <strong>wobl</strong> 2012, 135) nämlich bisher die Anwendbarkeit<br />
des § 1298 bei verzögerter Rückgabe des Bestandgegenstandes.<br />
Die Erhebung von Einwendungen<br />
im Räumungsprozess sei demnach im Zweifel nicht<br />
rechtswidrig, da die Vermutung dafür spreche, dass die<br />
Anrufung des Gerichts gutgläubig erfolgt sei. Der OGH<br />
(2 Ob 769/54) stützte sich dafür auf eine mE etwas „gewagte“<br />
Analogie zu § 328. Die Beweislastverteilung für<br />
Schadenersatzansprüche ist in den §§ 1296 ff abschließend<br />
geregelt, von einer planwidrigen Unvollständigkeit<br />
kann wohl keine Rede sein. Vollkommen zutreffend hat<br />
der OGH nun im Anschluss an Lovrek (Schadenersatz<br />
für Prozesshandlungen im Wohnrecht, <strong>wobl</strong> 2000, 281 ff)<br />
diese Position aufgegeben, da es sich bei der verspäteten<br />
Rückgabe um ein vertragswidriges Verhalten handelt<br />
(dazu gleich unten Pkt III.), auf das § 1298 Anwendung<br />
finden muss.<br />
14<br />
Anders noch einst der BGH in BGHZ 36, 18 in NJW<br />
1961, 2254. Der Grund dafür, dass hierzulande nie Überlegungen<br />
in Richtung vollkommener Haftungsfreistellung<br />
aufgetaucht sind, ist wohl in § 408 ZPO zu finden,<br />
der ausdrücklich Schadenersatz bei mutwilliger Prozessführung<br />
anordnet.<br />
Schädigung des § 1295 Abs 2 vorliegen, sondern es<br />
soll bereits fahrlässiges Verhalten ausreichen 15 .<br />
Verfahrensrechtliche Handlungen werden nach einer<br />
oftmals verwendeten Formel der Rsp 16 jedoch<br />
„insofern privilegiert gegenüber einer sonstigen<br />
Schädigung behandelt, als sie nicht bereits dann<br />
ersatzpflichtig machen, wenn erkennbar war, dass<br />
daraus Nachteile für die Güter der anderen Prozesspartei<br />
erwachsen können, sondern erst dann,<br />
wenn der eingenommene Prozessstandpunkt bei<br />
gehöriger Sorgfalt nicht bloß für zweifelhaft, sondern<br />
für aussichtslos gehalten werden musste.“<br />
Dagegen wandte sich eindringlich Lovrek 17 . Im<br />
Zuge ihrer schadenersatzrechtlichen Untersuchung<br />
zur verspäteten Rückgabe von Bestandgegenständen<br />
vertritt sie die Ansicht, dass eine unterschiedliche<br />
Behandlung von Verfahrenshandlungen nicht<br />
einzusehen sei und deshalb auch kein anderer Maßstab<br />
gelten könne. In Wahrheit gehe es zumeist<br />
auch nicht um die Beurteilung der Rechtswidrigkeit<br />
von Prozesshandlungen, sondern um den Verzug<br />
mit einer materiell-rechtlichen Leistungspflicht,<br />
also zB der Rückgabe des Mietobjekts, weswegen<br />
es darauf ankomme, ob der Schuldner aus<br />
vertretbaren Gründen glauben durfte, sich nicht in<br />
Verzug zu befinden. Eine Auseinandersetzung mit<br />
diesen überzeugenden Thesen soll an dieser Stelle<br />
nicht erfolgen. Das Abstellen auf die Vertretbarkeit<br />
verlangt freilich häufig eine Beantwortung der<br />
auch von Lovrek aufgeworfenen Frage, ab wann<br />
von der Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums gesprochen<br />
werden kann. Nun erscheint es aber<br />
durchaus erwägenswert, auf die Aussichtslosigkeit<br />
der Prozessführung abzustellen 18 . Auch sonst ist<br />
der OGH im Zusammenhang mit Haftungsfragen<br />
beim Verschuldensvorwurf bei unklarer Rechtslage<br />
ja eher zurückhaltend 19 . Ob eine Diskrepanz zur<br />
15<br />
Das ergibt sich nach einhelliger Lehre (F. Bydlinski,<br />
Schadenersatz wegen materiell rechtswidriger Verfahrenshandlungen,<br />
JBl 1986, 627, 628; Wolff in Klang,<br />
ABGB 2 VI 69; Reischauer in Rummel, ABGB 3 § 1305<br />
Rz 1; Ehrenzweig, System 2 II/1, 53; Mayrhofer, Schuldrecht<br />
AT 3 270; Klang, Die Rechtssprechung des OGH, JBl<br />
1936, 290) und stRsp (RIS-Justiz RS0027159) aus der<br />
Nichtanwendbarkeit des § 1305 auf Verfahrenshandlungen,<br />
der „den Gebrauch der Rechte“ bis zur Grenze des<br />
Rechtsmissbrauchs iSd § 1295 Abs 2 von jeglicher Schadenersatzpflicht<br />
freistellt. Damit seien nach dieser hA<br />
jedoch nur materielle Rechte gemeint, womit verfahrensrechtliche<br />
Maßnahmen nicht unter diesem „Schutz“<br />
stünden, OGH 2 Ob 585/32 in SZ 14/193. Die Begründung<br />
dafür, die sich wohl auf Wolff zurückführen lässt und<br />
von F. Bydlinski aaO abgesichert wurde, ist mE überprüfungsbedürftig<br />
(krit auch Rummel, Wettbewerb<br />
durch Umweltschutz, RZ 1993, 34 [37]).<br />
16<br />
ZB OGH 5 Ob 261/02x; 1 Ob 223/03f.<br />
17<br />
Wobl 2000, 281 ff.<br />
18<br />
Anders wird es zu sehen sein, wenn die wahrheitswidrige<br />
Aufstellung von Tatsachenbehauptungen zu beurteilen<br />
ist, vgl OGH 7 Ob 115/97f in immolex 1998, 41.<br />
19<br />
Keine Haftung für vertretbare Gesetzesauslegung,<br />
auch wenn diese vom Gericht nicht geteilt wird: OGH<br />
4 Ob 506/95 in JBl 1995, 530. Auffällig ist jedenfalls die<br />
vollkommen gegenteilige ständige Rsp in Deutschland,<br />
nach der der Schuldner schon dann fahrlässig und damit<br />
schuldhaft handelt, wenn er eine von der eigenen Ein-<br />
© Verlag Österreich 2012
312<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
Linie des OGH insofern tatsächlich besteht, ist daher<br />
mE zweifelhaft.<br />
B. Alternative Anspruchsgrundlage für den<br />
Ersatz der entgangenen Mietzinseinnahmen?<br />
Die hier gegenständliche Haftung wegen verspäteter<br />
Rückgabe von Bestandgegenständen beschäftigt<br />
die Judikatur bereits seit langer Zeit 20 Sie<br />
zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus, auf<br />
die an dieser Stelle näher eingegangen werden soll.<br />
Wie oben (Pkt A. I.) erwähnt, kann materielle<br />
Grundlage des Räumungsbegehrens das Eigentumsrecht<br />
des Bestandgebers sein. Somit bietet<br />
sich bei Räumungsprozessen ein ganz anderer Anknüpfungspunkt<br />
für die Begründung der Haftung<br />
an. Angesprochen sind damit die Auseinandersetzungsregeln<br />
für das Verhältnis Eigentümer – Besitzer.<br />
Kann sich der Bestandgeber im Rahmen seines<br />
Herausgabeanspruchs auf die §§ 329 ff berufen, so<br />
kommt er – vorbehaltlich näherer Prüfung – augenscheinlich<br />
in den Genuss diverser Haftungsverschärfungen<br />
zulasten des Bestandnehmers. Denn<br />
§ 335 verhält den einem Herausgabeanspruch des<br />
Eigentümers ausgesetzten unredlichen Besitzer<br />
zum Ersatz aller durch seinen Besitz entstandenen<br />
Schäden, sowie zur Zurückstellung nicht nur der<br />
erlangten, sondern auch derjenigen Vorteile, die<br />
der Verkürzte (= Herausgabegläubiger) erlangt<br />
hätte. § 338 erstreckt diese Rechtsfolgen auch auf<br />
den redlichen Besitzer, wenn er durch richterlichen<br />
Ausspruch zur Zurückstellung der Sache verurteilt<br />
wird, schränkt die Haftung für zufällige Schäden<br />
allerdings auf den Fall mutwilliger Prozessführung<br />
ein. Da zwar die bloße Zustellung der Klage den<br />
redlichen Besitzer nicht in jedem Fall zum unredlichen<br />
macht 21 , er aber bei Verlust des Verfahrens<br />
ex post als solcher behandelt wird, käme es für die<br />
Ersatzpflicht auf ein schuldhaftes Prozessieren<br />
schätzung abweichende Beurteilung durch die Gerichte<br />
in Betracht ziehen muss, siehe nur mwN Ernst in Münch-<br />
Komm-BGB 6 (2012) § 286 Rz 108. Bergmann, Der allgemeine<br />
materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch,<br />
AcP Bd 211 (2011) 804 (813), rechtfertigt dies damit, dass<br />
der Geltungsanspruch des objektiven Rechts vom<br />
Schuldner verlange, nicht gegen die obligatorische Güterzuordnung<br />
zu verstoßen. Das ist freilich eine petitio<br />
principii, da es ja gerade fraglich ist, ob die Güterzuordnung<br />
für den Schuldner im relevanten Zeitpunkt zur<br />
Einleitung des Verfahrens schon feststehen muss.<br />
20<br />
Soweit ersichtlich, wurde der OGH erstmals Ende<br />
des 19. Jahrhunderts mit Fragen zur Schadenersatzpflicht<br />
wegen Verzögerung der Räumung durch die ge -<br />
gen die Kündigung erhobenen Einwendungen befasst,<br />
GlUNF 15953. Schon hier zeichnete sich eine restriktive<br />
Haltung des Höchstgerichts gegenüber Schadenersatzpflichten<br />
bei Verfahrenshandlungen ab, das eine „widerrechtliche<br />
Handlung in der Erhebung von erfolglosen<br />
Einwendungen nicht zu erkennen vermag“. Die Möglichkeit<br />
erschien aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Einen<br />
Überblick über die Entwicklung der Rsp geben R. Wolff/<br />
J. Wolff/L. Wolff, <strong>wobl</strong> 2012,135. Deshalb werden nur<br />
ausgewählte Entscheidungen herausgegriffen.<br />
21<br />
Siehe noch ausführlich unten Pkt E. II.<br />
nach der derzeitigen Formel von der „erkennbaren<br />
Aussichtlosigkeit“ nicht mehr an. In gleicher Weise<br />
könnte es den Bestandnehmer nicht exkulpieren,<br />
wenn er aus vertretbaren Gründen glauben durfte,<br />
er befinde sich nicht in Verzug. In gemeinsamer<br />
Zusammenschau der §§ 335, 338 kommt also uU<br />
eine zusätzliche Regelung für die haftpflichtrechtlichen<br />
Folgen einer Prozessführung in Betracht,<br />
und zwar eine aus den gerade gennannten Gründen<br />
in Teilbereichen deutlich schärfere. Bejaht man die<br />
Anwendbarkeit der Nebenfolgen der Vindikation,<br />
stellt sich in Folge unweigerlich das Konkurrenzproblem<br />
in Bezug auf das Verhältnis zu den allgemeinen<br />
Bestimmungen. Würde man dabei zu Gunsten<br />
der Eigentümer-Besitzer Regelungen zu einer<br />
normverdrängenden Konkurrenz gelangen, oder<br />
dem Geschädigten zumindest die Wahl iS alternativer<br />
Anspruchskonkurrenz lassen, hätte dies weitreichende<br />
Konsequenzen.<br />
Beispielhaft lässt sich dafür die Entscheidung<br />
SZ 7/396 22 ins Treffen führen. Der Pächter eines<br />
Kaffeehauses weigerte sich, den Pachtgegenstand<br />
zu räumen und den Verpächtern zu übergeben und<br />
führte den Räumungsanspruch durch alle Instanzen,<br />
jedoch ohne Erfolg. Die Kläger begehrten nun<br />
vom Beklagten Schadenersatz für den entgangenen<br />
Pachtzins, der ihnen durch die verzögerte Rückstellung<br />
des Bestandgegenstandes entgangen war.<br />
Vom Berufungsgericht wurde die Haftung allein<br />
mit der Anwendbarkeit der §§ 335, 338 begründet,<br />
da sonstiges Verschulden an der Prozessführung<br />
nicht vorliege. Das Berufungsgericht traf deshalb<br />
nicht einmal mehr Feststellungen darüber, ob im<br />
geltend gemachten Begehren nicht eigentlich entgangener<br />
Gewinn zu sehen sei, der aufgrund des<br />
§ 1324 bekanntlich erst ab grober Fahrlässigkeit<br />
ersetzt wird. Denn nach Ansicht der zweiten Instanz<br />
sei er aufgrund des hier herangezogenen § 335<br />
jedenfalls zu vergüten 23 . Der OGH wies die Klage<br />
schlussendlich jedoch ab, da seiner Ansicht nach<br />
die Regeln auf den Rechtsbesitzer nicht übertragbar<br />
seien, zu denen der Bestandnehmer ja unstrittig<br />
zählt. Ob dieser Einwand zutrifft, kann vorerst<br />
dahingestellt bleiben, die Entscheidung zeigt aber<br />
das Potential der §§ 329 ff für Ansprüche des Vermieters<br />
in Räumungsverfahren. Nicht nur Vorteile,<br />
die der Bestandgeber erlangt hätte, wären davon<br />
betroffen, sondern auch solche, die der Bestandnehmer<br />
tatsächlich gezogen hat, wie zB Untermietzinse.<br />
Auf welche Grundlage – ob dinglich oder obligatorisch<br />
– sich der Bestandgeber bei Rückforderung<br />
seiner Sache stützt, ist damit nicht mehr eine rein<br />
pragmatische Frage. Mag es für ihn allgemein<br />
„bequemer“ 24 sein, sich den Eigentumsnachweis zu<br />
ersparen und stattdessen die Erfüllung der obligatorischen<br />
Rückstellungsverpflichtung zu fordern,<br />
kann es für den Ersatz von Schäden durch das<br />
notwendig gewordene Verfahren uU umgekehrt<br />
22<br />
OGH 3 Ob 928/25.<br />
23<br />
Eine Abweichung von § 1324 ist in § 335 aber nicht<br />
zu erblicken, siehe unten Pkt C. III.<br />
24<br />
Gschnitzer, Sachenrecht (1968) 122.<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 313<br />
entscheidend sein, sich auf das Eigentumsrecht zu<br />
berufen, anstatt eine entsprechende Haftung des<br />
Bestandnehmers aus Vertrag zu behaupten.<br />
Der OGH hat die Anwendung der Eigentümer –<br />
Besitzer Regelungen in der eben zitierten Entscheidung<br />
zwar abgelehnt, ist aber nicht dabei geblieben.<br />
Jahrzehnte später wurden entgangene Mietzinseinnahmen<br />
auf dieser Grundlage zugesprochen<br />
25 . Um das Hin-und-Her in dieser Frage perfekt<br />
zu machen, ist der 1. Senat 26 kurze Zeit danach<br />
wieder zurückgeschaukelt und hat die Anwendbarkeit<br />
der §§ 335, 338 in einem Räumungsverfahren<br />
verneint, dieses Mal jedoch mit einer anderen Begründung.<br />
Er sprach aus, dass diese Vorschriften<br />
auf die Verletzung obligatorischer Rechte nicht<br />
anzuwenden seien. Auch aus der Abwicklung von<br />
Schuldverhältnissen resultierende Herausgabeansprüche<br />
würden deren Heranziehung verhindern 27 .<br />
Es erscheint daher dringend notwendig, die<br />
Anwendbarkeit der Auseinandersetzungsregelungen<br />
in Räumungsprozessen und die dazu vorgebrachten<br />
Argumente zu überprüfen. Die neueste<br />
Entscheidung 1 Ob 153/11y ist auf diese sachenrechtlichen<br />
Aspekte der Sachverhaltskonstellation<br />
nicht eingegangen. Das soll nun nachgeholt werden.<br />
C. Das Eigentümer-Besitzer Verhältnis<br />
I. Gesetzgeberisches Konzept<br />
1. Allgemein<br />
In den §§ 329 ff wird unter der Marginalie „Fortdauer<br />
des Besitzes. Rechte des redlichen Besitzers“<br />
die Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und<br />
Besitzer normiert. Der Gesetzgeber legt damit ein<br />
eigen geregeltes Anspruchskonzept für die Nebenfolgen<br />
der Vindikation einer Sache durch den Eigentümer<br />
vor. Dieses ist nur anwendbar, wenn zur<br />
Zeit des Umstands, aus dem die Rechtsfolgen der<br />
§§ 329 ff hergeleitet werden, eine Vindikationslage<br />
bestand 28 . Der Herausgabeanspruch des Eigentümers<br />
darf also nicht durch ein Recht zur Innehabung<br />
des Besitzers gehindert sein, wie das bei aufrechtem<br />
Bestandvertrag der Fall ist. Bestimmt<br />
wird die Zuweisung der mittlerweile gezogenen<br />
Nutzungen (§§ 330, 335), inwieweit der Besitzer auf<br />
die Sache gemachten Aufwand ersetzt bekommt<br />
(§§ 331, 332, 333, 336), endlich wie sich Gebrauch<br />
sowie Schädigungen der Sache während aufrechten<br />
Besitzes haftpflicht- und bereicherungsrecht-<br />
25<br />
OGH 4 Ob 507/65 in MietSlg 17.004; OGH 6 Ob<br />
180/68 in MietSlg 20.007.<br />
26<br />
OGH 1 Ob 523/78 in MietSlg 30.240. Krit bereits<br />
F. Bydlinski, JBl 1986, 629 FN 9. Anders wieder OGH 7<br />
Ob 115/97f in immolex 1998, 41.<br />
27<br />
OGH 3 Ob 544/95 in SZ 68/115; zust Eccher in KBB,<br />
ABGB³ § 338 Rz 1; unklar Klicka in Schwimann (Hrsg),<br />
ABGB³ (2006) § 338 Rz 2 u 3.<br />
28<br />
Wolff/Raiser, Sachenrecht 10 (1957) § 85 I. 1.; Westermann,<br />
Sachenrecht 7 (1998) § 30 I. 1.; Gursky in Staudinger,<br />
BGB 5 (2006) Vor §§ 987–993 Rz 7; Baldus in Münch-<br />
Komm-BGB 5 (2009) Vor zu §§ 983–1003 Rz 8.<br />
lich auswirken (§§ 329, 335, 338). Im gegebenen<br />
Zusammenhang interessieren ausschließlich die<br />
letztgenannten Vorschriften, da diese als Grundlage<br />
für die entgangenen Mietzinseinnahmen des Bestandgebers<br />
in Frage kommen.<br />
2. Dreipersonales Verhältnis<br />
Bei der Überprüfung der Anwendbarkeit besagter<br />
Regelungen im Räumungsprozess zwischen Bestandgeber<br />
und Bestandnehmer ist zunächst zu<br />
beachten, dass der Gesetzgeber im Rahmen der<br />
§§ 329 ff wertungsmäßig eigentlich ein dreipersonales<br />
Verhältnis vor Augen hatte 29 . Er ging davon<br />
aus, dass der Besitzer von einer vom Eigentümer<br />
verschiedenen Person (zB vom Dieb) und nicht von<br />
diesem selbst entgeltlich erworben hatte, der gutgläubige<br />
Erwerb nach § 367 mangels Vorliegen der<br />
Voraussetzungen aber fehlschlug. Nur so lässt sich<br />
zB der umfassende Ausschluss von Bereicherungsansprüchen<br />
gegen den redlichen Besitzer gem § 329<br />
erklären. Der Eigentümer wird insofern an den<br />
Vormann des Besitzers verwiesen. Das schließt die<br />
Anwendbarkeit im zweipersonalen Verhältnis<br />
schon dem Wortlaut nach zwar nicht aus (vgl auch<br />
§ 1437), der Rechtsanwender kommt um einen teleologischen<br />
Abgleich aber nicht herum. Bezeichnend<br />
dafür versteht die hL den globalen und undifferenzierten<br />
Verweis des § 1437 für die Haftung<br />
des Kondiktionsschuldners auf das Eigentümer-<br />
Besitzer Verhältnis keinesfalls so, dass der redliche<br />
Kondiktionsschuldner im Zweipersonenverhältnis<br />
gem § 329 keinerlei Bereicherungsansprüchen ausgesetzt<br />
wäre, sondern es komme in § 1437 lediglich<br />
dessen erwünschte Besserbehandlung zum Ausdruck<br />
30 .<br />
3. Sachbesitz<br />
Die Zuschneidung auf den fehlgeschlagenen Erwerb<br />
lässt bereits erahnen, dass der Gesetzgeber<br />
bei Einführung der Regelungen wohl nur den Sachbesitz<br />
vor Augen hatte 31 . Will sich der Bestandgeber<br />
auf sie berufen, so fragt sich, ob sie auch zur<br />
Anwendung kommen, da er vom Bestandnehmer<br />
und damit von jemanden vindiziert, der die Sache<br />
nicht mit dem Willen inne hat, diese als seine eigene<br />
zu behalten (§ 309), aber immerhin ein besitzfähiges<br />
Recht im eigenen Namen daran ausübt, er<br />
also als Rechtsbesitzer zu qualifizieren ist 32 . Das ist<br />
29<br />
Spielbüchler in Rummel, ABGB 3 § 329 Rz 1; Kodek<br />
in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 329 Rz 12.<br />
30<br />
F. Bydlinski in Klang, ABGB² IV/2, 518; Mader in<br />
Schwimann, ABGB³ § 1437 Rz 2; Apathy, Das Recht des<br />
redlichen Besitzers an den Früchten, JBl 1978, 517 (524);<br />
ders, Der Verwendungsanspruch (1988) 101 ff; Ehrenzweig,<br />
System 2 II/1, 726.<br />
31<br />
Iro, Besitzerwerb durch Gehilfen (1982) 114; Spielbüchler,<br />
Der Dritte im Schuldverhältnis (1972) 255.<br />
32<br />
Koziol/Welser, Bürgerliches Recht 13 I (2006) 259;<br />
zur Frage, ob „offene“ Ausübung Voraussetzung für den<br />
Rechtsbesitz ist, siehe Kodek, Die Besitzstörung (2002)<br />
154; ders, Besitzstörung 104 ff, zum Erfordernis der<br />
Innehabung.<br />
© Verlag Österreich 2012
314<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
entsprechend der hA 33 zu bejahen und kann mE<br />
keinen durchgreifenden Einwänden ausgesetzt<br />
sein. Systematisch ist nämlich zu bedenken, dass<br />
trotz der unpassenden Einordnung der §§ 329 ff im<br />
Hauptstück über den Besitz eigentlich Nebenfolgen<br />
der Vindikation geregelt werden sollen. Diese<br />
richtet sich bekanntlich gegen jeden Inhaber einer<br />
körperlichen Sache (§ 369). Die Willensrichtung<br />
des Inhabers kann dabei keine Rolle spielen. Ein<br />
Hinweis auf die Gleichbehandlung von Sach- und<br />
Rechtsbesitz ist schon einer Vorläuferbestimmung<br />
im Codex Theresianus zu entnehmen 34 . Die gesetzliche<br />
Zuschneidung auf den Sachbesitzer erfordert<br />
jedoch ähnlich wie bei der schon oben bejahten<br />
Anwendbarkeit im Zweipersonenverhältnis teleologische<br />
Modifikationen, denn die Kenntnis der<br />
Fremdheit der Sache kann die Interessensbewertung<br />
zum Nachteil des Besitzers ausschlagen lassen<br />
35 . Maßgeblich ist der Inhalt des ausgeübten<br />
Rechts. Ein Pfandgläubiger, der unter Berufung<br />
auf § 330 gezogene Früchte behalten darf, ist also<br />
nicht denkbar (vgl § 1372 36 ). Aus demselben Grund<br />
kann der redliche Bestandnehmer keinesfalls nach<br />
§ 329 frei von jeder Haftung auf den Bestandgegenstand<br />
einwirken, da ihm im Regelfall nur ein Nutzungsinteresse,<br />
nicht aber ein Substanzinteresse<br />
zukommt, das ihm nicht erlaubt, mit der Sache wie<br />
der Eigentümer zu verfahren 37 . Für die Haftungsanordnung<br />
des § 335 (unten Pkt C. III.) gilt damit<br />
jedenfalls, dass diese in vollem Umfang auf unredliche<br />
Rechtsbesitzer und somit Inhaber anwendbar<br />
ist, deren ausgeübtes Recht einen Nahebezug zu<br />
einer körperlichen Sache aufweist 38 . Das trifft auf<br />
Bestandnehmer zweifellos zu.<br />
Mit dieser Klarstellung ist gleichzeitig der erste<br />
bereits oben angeführte Einwand des OGH 39 gegen<br />
33<br />
Iro, Besitzerwerb 114; Spielbüchler, Schuldverhältnis<br />
255 f; Eccher in KBB, ABGB³ § 329 Rz 2; Lurger in<br />
Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 329 Rz 5; Gursky in<br />
Staudinger, BGB 5 Vor §§ 983–1003 Rz 32.<br />
34<br />
In II 3 Nr. 78 heißt es: „Dann durch die ihm zugekommene<br />
Eigentumsklage höret sein Guter Glauben insoweit<br />
auf, dass, obschon er berechtigt bleibt sein vermeintliches<br />
Eigentum oder sonstiges Recht zu schätzen<br />
und zu vertheidigen, er jedennoch in die Schuldigkeit<br />
versetzt werde, allen auch zufälligen Schaden an der<br />
Sache, so viel in seiner Macht stehet, zu verhüten.“ Vgl<br />
auch die Mat zum heutigen § 379: „Die Frage, was jeder<br />
Besitzer zu vergüten haben …“, Ofner, Der Ur-Entwurf<br />
und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen<br />
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Band I (1889)<br />
253.<br />
35<br />
Westermann, Sachenrecht 7 § 31 III.<br />
36<br />
Die Vereinbarung der Fruchtziehung ist nicht erlaubt<br />
(Verbot des pactum antichreticum), ausführlich<br />
Spitzer, Die Pfandverwertung im Zivil- und Handelsrecht<br />
(2004) 40 ff.<br />
37<br />
Vgl Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1090<br />
Rz 1.<br />
38<br />
Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 335 Rz 6;<br />
Eccher in KBB, ABGB³ § 335 Rz 3; anschaulich OGH 7<br />
Ob 22/71 in EvBl 1971/328: „Wer den Mangel seiner<br />
Berechtigung kennt, wird sich nicht damit ausreden<br />
können, er habe nicht die Sache, sondern nur ein Recht<br />
beansprucht.“<br />
39<br />
SZ 7/396.<br />
die Anwendbarkeit der Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer<br />
Verhältnis in Räumungsprozessen<br />
widerlegt. Dass der Bestandnehmer uU „nur“<br />
unredlicher Rechtsbesitzer ist, schützt ihn daher<br />
nicht vor den Folgen des § 335. Damit ist man bei<br />
Räumungsprozessen an einem zentralen Punkt angelangt.<br />
II. Bedeutung der Redlichkeit<br />
Fundamental in Hinblick auf die Rechtsfolgen<br />
der §§ 329 ff ist die Frage der Redlichkeit des Besitzers.<br />
Gem § 326 ist ein redlicher Besitzer derjenige,<br />
der aus wahrscheinlichen Gründen die Sache,<br />
die er besitzt, für die seinige hält. Redlich ist demnach<br />
allgemein der Sach- oder Rechtsbesitzer, der<br />
sich zur Ausübung der betreffenden Besitzhandlungen<br />
an der Sache berechtigt halten durfte 40 .<br />
Langwierige Diskussionen 41 um die Frage, ob erst<br />
positive Kenntnis im Hinblick auf den jeweiligen<br />
Gegenstand der Überzeugung zur Unredlichkeit<br />
führt 42 , oder diese bereits bei jeglichem Vorliegen<br />
von Verschulden eintritt 43 , konnte uU durch das<br />
HaRÄG 2005 44 ein Ende bereitet werden. Der im<br />
Zuge dessen geänderte § 368 Abs 1 bestimmt nun,<br />
dass der Besitzer redlich ist, wenn er weder weiß<br />
noch vermuten muss, dass die Sache nicht dem<br />
Veräußerer gehört, womit nach dem insoweit klaren<br />
Wortlaut bereits leichte Fahrlässigkeit schadet.<br />
Dieses Verständnis muss nun auch auf die Auslegung<br />
des § 326 durchschlagen 45 . Im Ergebnis reicht<br />
daher jede Form von Verschulden, um den Besitzer<br />
als unredlich zu qualifizieren, womit der älteren<br />
Lehre durchaus entsprochen wird 46 . Die oben angedeutete<br />
unterschiedliche Behandlung des redlichen<br />
und unredlichen Besitzers zeigt bereits eine<br />
Gegenüberstellung von §§ 329, 330 u § 335. Während<br />
nach ersteren der redliche nicht nur „die Sache<br />
ohne Verantwortung nach Belieben brauchen,<br />
verbrauchen, auch wohl vertilgen kann“, speziell<br />
§ 329 ihn also für nachteilige Verfügungen über die<br />
40<br />
Für alle Iro, Sachenrecht 4 (2010) Rz 2/22.<br />
41<br />
Ausführlich Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb<br />
(2004) 396 ff; Apathy, Redlicher oder unredlicher Besitzer,<br />
NZ 1989, 137 ff.<br />
42<br />
Unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte<br />
Spielbüchler, Schuldverhältnis 287 f; ders in Rummel,<br />
ABGB³ § 326 Rz 2; nach dem zusätzlich dazu speziell für<br />
den Ausschluss des Gutglaubenserwerbs nach § 367<br />
objektive Verdächtigkeit des Erwerbs genügen soll.<br />
43<br />
Gewichtige systematische Argumente zur Vermeidung<br />
von Wertungswidersprüchen zwischen Besitz- und<br />
Schadenersatzrecht bei Iro, Besitzerwerb 147 ff; weiters<br />
Karner, Mobiliarerwerb 400 f; ebenso Apathy, NZ 1989,<br />
142 f; davor Gschnitzer, Sachenrecht 11; F. Bydlinski in<br />
Klang, ABGB 2 IV/2, 888.<br />
44<br />
BGBl I 2005/120.<br />
45<br />
Iro, Sachenrecht 4 Rz 2/21; Schauer in Krejci (Hrsg),<br />
RK ABGB § 368 Rz 10; zust Kodek in Fenyves/Kersch -<br />
ner/Vonkilch (Hrsg), Klang³ § 326 Rz 13, 16 mit der ergänzenden<br />
Absicherung, dass beide Bestimmungen Erwerbsvorgänge<br />
regeln und auch deshalb ein abweichendes<br />
Verständnis nicht in Betracht komme.<br />
46<br />
Vgl Wolff, Grundriß des österreichischen bürgerlichen<br />
Rechts 4 (1948) 248.<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 315<br />
Sache freistellt 47 , gehören ihm weiters „alle schon<br />
eingehobenen Nutzungen, insofern sie während<br />
des ruhigen Besitzes bereits fällig gewesen sind<br />
(§ 330).“ Darunter fallen auch Zivilfrüchte, die auf<br />
vom Besitzer mit Dritten abgeschlossenen Verträgen<br />
beruhen (res inter alios acta), zB Mietzinseinnahmen<br />
aus Unterbestandverträgen 48 . Der Redliche<br />
wird durch diese Bestimmungen folglich stark<br />
geschützt. Hingegen sieht § 335 für den unredlichen<br />
Besitzer weitreichende Sanktionen vor. Da<br />
Schadenersatzansprüche des Bestandgebers als<br />
Eigentümer nur auf dieser Grundlage denkbar<br />
sind, wird auf § 335 genauer eingegangen.<br />
III. Inhalt und Umfang des § 335<br />
Nach § 335 Satz 1 ist der unredliche Besitzer<br />
verbunden, nicht nur alle durch den Besitz einer<br />
fremden Sache erlangten Vorteile zurückzustellen;<br />
sondern auch diejenigen, welche der Verkürzte erhalten<br />
haben würde, und allen durch seinen Besitz<br />
entstandenen Schaden zu ersetzen. Erfasst sind<br />
dadurch mehrere Anspruchskategorien. Die Verpflichtung<br />
zur Vorteilsherausgabe, also Fall 1 des<br />
ersten Satzes, ist dogmatisch betrachtet ein Verwendungsanspruch<br />
iSd § 1041 49 . Beim Ersatz für<br />
die Vorteile, die der Verkürzte erlangt hätte (Fall 2,<br />
fructi neglecti), handelt es sich dagegen – durch den<br />
undeutlichen Wortlaut etwas verschleiert – um eine<br />
schadenersatzrechtliche Regelung, auf das tatsächliche<br />
Vorliegen einer Bereicherung kommt es nicht<br />
an 50 . Darunter fallen nun zB die entgangenen Mietzinseinnahmen,<br />
die ohne den Räumungsprozess<br />
hätten erlangt werden können und die auch in 1 Ob<br />
151/11y das Klagsbegehren bildeten.<br />
Auch der dritte Fall normiert einen Schadenersatzanspruch,<br />
wobei der Gesetzestext an dieser<br />
Stelle keine Zweifel aufkommen lässt. Erfasst sind<br />
hierbei nicht nur Substanzschäden, sondern auch<br />
durch das bloße Vorenthalten entstandene Folge-<br />
47<br />
Ein Recht über die Sache zu verfügen, wird durch<br />
§ 329 nicht geschaffen, der Wortlaut der Marginalie ist<br />
insoweit ungenau, Schey/Klang in Klang, ABGB² II 95.<br />
Die Reichweite des Ausschlusses von Bereicherungsansprüchen<br />
ist umstritten, dazu ausführlich mwN Kodek<br />
in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 329 Rz 10 ff.<br />
48<br />
Beim Rechtsbesitzer richtet sich die Möglichkeit<br />
der Zuweisung nach Maßgabe des Besitzrechts. Wurde<br />
die Untervermietung vertraglich untersagt, kommt ein<br />
Behalten der Mietzinse deshalb nicht in Betracht. Kodek<br />
in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 330 Rz 11 will<br />
die Bestimmung des § 330 für zweipersonale Bestandverhältnisse<br />
nicht anwenden, da § 1107 diese Frage als<br />
lex specialis regle. Das ist mE nicht überzeugend. Es<br />
handelt sich dabei nämlich um eine Gefahrtragungsregel<br />
(vgl Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1107<br />
Rz 1: „Ausdruck einer bestandrechtlichen Sphärentheorie“),<br />
die Norm will hingegen nicht die Zuweisung von<br />
gezogenen Früchten regeln.<br />
49<br />
Spielbüchler in Rummel, ABGB³, § 335 Rz 1.<br />
50<br />
Schey, Über den redlichen und unredlichen Besitzer<br />
im österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuche, FS<br />
Unger (1898, Neudruck 1974) 438 f; Iro, Besitzerwerb 116;<br />
Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 335<br />
Rz 4.<br />
schäden 51 . Letztere überschneiden sich zum Großteil<br />
mit dem zweiten Fall, da der Vorenthaltungsschaden<br />
typischerweise in der Möglichkeit der<br />
Fruchtziehung besteht. Andere denkbare Folgeschäden,<br />
wie zB Nachforschungskosten 52 , spielen<br />
wenigstens bei Räumungsverfahren keine Rolle.<br />
Soweit es nun um die Beurteilung dieser Schadenersatzansprüche<br />
gegen den unredlichen Besitzer<br />
geht, könnte man geneigt sein, im Vergleich zu<br />
den allgemeinen Bestimmungen der §§ 1293 ff Unterschiede<br />
auf zwei Ebenen zu finden. Da nach hA<br />
(oben C. II.) Unredlichkeit bereits bei leichter<br />
Fahrlässigkeit vorliegt, würde der in § 335 Satz 1<br />
Fall 2 u 3 angeordnete Anspruch entgegen den<br />
§ 1323 f immer zur Haftung für entgangenen Gewinn<br />
führen. Den Weg zur Vermeidung dieses Wertungswiderspruchs<br />
und Bestehens einer Art „Sonderhaftpflichtrecht<br />
für Besitzer“ 53 hat Iro 54 gewiesen.<br />
Er hat dargelegt, dass in gewissen Fällen die<br />
verlorene abstrakte Nutzungs- und Gebrauchsmöglichkeit<br />
des Eigentümers einer Sache nicht jedenfalls<br />
einen entgangenen Gewinn bedeutet, sondern<br />
es sich gleichfalls um einen positiven Schaden<br />
handeln kann. Das sei immer dann gegeben, wenn<br />
der Nutzungsentfall aus einer Sachentziehung, wie<br />
sie ja im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis regelmäßig<br />
vorliegt, resultiert. Denn in diesen Fällen geht<br />
es nicht um Ersatz des sich nach der Gebrauchsmöglichkeit<br />
bestimmenden Substanzwertes (§ 305),<br />
womit auch nicht die Gefahr besteht, dass die Berücksichtigung<br />
der Nutzungsmöglichkeit zu einer<br />
doppelten Vergütung des Schadens führt 55 . Dem ist<br />
uneingeschränkt zu folgen.<br />
Ebenso lässt sich die zweite Ebene der vermeintlichen<br />
Haftungsverschärfung, nämlich eine Ersatzpflicht<br />
des Besitzers für Zufallsschäden in Hinblick<br />
auf die Substanz der Sache ohne Rücksicht auf<br />
vorhandene Adäquität friktionsfrei in allgemeines<br />
Schadenersatzrecht eingliedern 56 . Jedenfalls dann,<br />
wenn Schadenersatzansprüche wegen verspäteter<br />
Räumung von Bestandgegenständen geltend gemacht<br />
werden, stehen inhaltlich zumeist entgangene<br />
Mietzinseinnahmen im Mittelpunkt und keine<br />
Schäden an der Sache selbst, sodass auch die Bejahung<br />
57 dieser dann tatsächlich verschärften Haf-<br />
51<br />
Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 335<br />
Rz 5; Iro, Sachenrecht 4 Rz 7/6; Spielbüchler in Rummel,<br />
ABGB³ § 335 Rz 5.<br />
52<br />
OGH 2 Ob 391/21 in SZ 3/67: Kosten für das Auffinden<br />
des Pferdediebes.<br />
53<br />
Oberhofer, Sonderhaftpflicht für Besitzer? JBl 1996,<br />
152 ff.<br />
54<br />
Besitzerwerb 116 f.<br />
55<br />
Ausführlich F. Bydlinski, Der unbekannte objektive<br />
Schaden, JBl 1966, 439 ff.<br />
56<br />
Iro, aaO. AA jedoch Kodek in Fenyves/Kerschner/<br />
Vonkilch, Klang³ § 335 Rz 23 ff, der die Haftung zur<br />
Vermeidung von Wertungswidersprüchen auf grob<br />
schuldhafte Besitzer reduziert. Siehe auch Karollus,<br />
Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung<br />
(1992) 389 f.<br />
57<br />
Spielbüchler in Rummel, ABGB 3 § 335 Rz 1, der<br />
freilich ein von der hA abweichendes Verständnis der<br />
Redlichkeit hat und dadurch zum selben Ergebnis wie<br />
Kodek (FN 56) kommt.<br />
© Verlag Österreich 2012
316<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
tung in unseren Fällen mE keine sonderlich hohe<br />
praktische Relevanz hätte, zumal der Zufallsschaden<br />
bei unbeweglichen Sachen oftmals in gleicher<br />
Weise beim herausfordernden Eigentümer eintreten<br />
wird, womit die Kausalität des Besitzers für<br />
den Schaden zu verneinen wäre.<br />
IV. Wegfall der Redlichkeit des Bestandnehmers<br />
Kommt damit die Haftung nach § 335 mit Eintritt<br />
der Unredlichkeit des Besitzers nach vorläufigem<br />
Stand grundsätzlich in Betracht, so muss der<br />
Zeitpunkt des erstmaligen Vorliegens festgestellt<br />
werden. Nun betrifft die Uneinigkeit der Streitparteien<br />
von Räumungsprozessen zumeist nur das tatsächliche<br />
Ende der obligatorischen Berechtigung,<br />
das zum Verlassen der Bestandsache zwingt. Im<br />
Regelfall war aber zum Zeitpunkt des erstmaligen<br />
Besitzerwerbs der Bestandnehmer redlich, da die<br />
Einräumung des Mietrechts durch vertragliche<br />
Einigung mit dem Bestandgeber (= Eigentümer)<br />
erfolgte, womit der Bestandnehmer natürlich zunächst<br />
befugt ist, den Mietgegenstand seinem Vertrag<br />
entsprechend zu benutzen. Sieht man das gesetzgeberische<br />
Konzept der §§ 329 ff im Bereich der<br />
Haftung darin, dass diese eigentlich an den (un)<br />
redlichen Besitzerwerb anknüpfen 58 , kommt es<br />
abermals (neben der Vorstellung von Sachbesitz in<br />
dreipersonalen Verhältnissen, oben C. I. 2. und 3.)<br />
zu einer Abweichung davon.<br />
Die Redlichkeit ist aber auch nicht durch den<br />
rechtmäßigen Erwerb in Stein gemeißelt, sie ist<br />
also kein „statischer Zustand“ 59 , womit die §§ 329<br />
ff auch nach dem Besitzerwerb zur Anwendung<br />
gelangen können und insofern der Haftungsfreistellung<br />
eigener normativer Gehalt verbleibt 60 .<br />
Denn für die Zeit danach („mala fides superveniens“)<br />
reicht fahrlässiges Nichterkennen der eigenen<br />
Berechtigung zur Begründung der Unredlichkeit<br />
nicht mehr aus, es muss vielmehr deren positive<br />
Kenntnis vorliegen, oder Tatsachen, aus denen<br />
man darauf hätte schließen müssen 61 . Somit stellen<br />
sich für diesen Zeitraum besondere Anforderungen<br />
an den Nachweis der Unredlichkeit für den Bestandgeber.<br />
Informiert dieser zB den Bestandnehmer<br />
über das Vorliegen von Auflösungs- oder Beendigungsgründen<br />
und fordert er ihn daraufhin<br />
58<br />
Iro, Besitzerwerb 112; aA Spielbüchler, Schuldverhältnis<br />
277, 286, nach dem die Verantwortung während<br />
des Besitzes klargestellt werden soll; ebenso Oberhofer,<br />
JBl 1996, 154, der § 329 aber auf die fahrlässige Besitzergreifung<br />
nicht anwenden will. Richtigerweise ist wohl<br />
beides erfasst: Wie Apathy, Verwendungsanspruch 35<br />
FN 146 zutreffend ausführt, kann die Haftung während<br />
aufrechten Besitzes sinnvollerweise nicht von den Umständen<br />
beim Besitzerwerb getrennt werden.<br />
59<br />
Iro, Sachenrecht 4 Rz 2/23.<br />
60<br />
Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 329<br />
Rz 6.<br />
61<br />
Ehrenzweig, System 2 I/2, 198. Siehe auch OGH 7 Ob<br />
22/71 in MietSlg 23.009: „Solange er mit gutem Gewissen<br />
vom Bestehen bzw Fortbestehen des Bestandverhältnisses<br />
überzeugt ist, kann der Bestandnehmer als redlich<br />
bezeichnet werden“.<br />
zum Verlassen der Wohnung auf, so ist dies nicht<br />
in allen Fällen geeignet, die Redlichkeit des Bestandnehmers<br />
zu zerstören. Zwar kann das Mitteilen<br />
eines Rechtsstandpunktes zum Wegfall der<br />
Redlichkeit führen, es ist aber nicht notwendige<br />
Folge davon 62 .<br />
D. Zwischenergebnis<br />
Mit den bisher gewonnen Erkenntnissen zeigt<br />
sich, dass die §§ 329 ff in zweipersonalen Verhältnissen,<br />
in denen der Besitzerwerb einvernehmlich<br />
stattgefunden hat, weitgehend nicht zur Anwendung<br />
kommen. Auch weil die Zuweisung der Früchte<br />
beim Rechtsbesitzer nicht nach § 330, sondern<br />
nach Maßgabe des ausgeübten Rechts erfolgt, geht<br />
es dann, wenn sich das Recht zur Innehabung dem<br />
Ende zuneigt und erstmalig eine potentielle Vindikationslage<br />
gegeben ist, hauptsächlich um die Haftungsanordnung<br />
des § 335. Dafür bedarf es der<br />
Feststellung der Unredlichkeit. Diese Bestimmung<br />
ist nach hA auch für den Rechtsbesitzer einschlägig<br />
(oben Pkt C.I.3). Kommt es zur Einleitung des Räumungsverfahrens,<br />
ist daneben § 338 zu beachten.<br />
Eine genauere Betrachtung dieser Vorschrift ist –<br />
soweit ersichtlich – noch nicht erfolgt. Der normative<br />
Gehalt bietet jedoch einiges an Sprengkraft,<br />
sodass deren Untersuchung nicht nur im Zuge der<br />
Einbettung in Räumungsverfahren lohnenswert erscheint.<br />
E. § 338 und sein Einfluss auf Redlichkeit und<br />
Haftung<br />
I. Folgen einer etwaigen Anwendbarkeit<br />
Unmissverständlich erklärt § 338 den rechtskräftig<br />
zur Herausgabe verurteilten Inhaber für<br />
den Zeitraum zwischen Zustellung der Klage und<br />
Verfahrensende zum unredlichen Besitzer. Die<br />
Subsumtion des Sachverhalts eines Räumungsprozesses,<br />
der zugunsten des Bestandgebers entschieden<br />
wurde, unter den Wortlaut von § 338 würde<br />
prima vista Folgendes zu Tage fördern: Sämtliche<br />
entgangenen Mietzinseinnahmen, dh die „klassischen“<br />
versäumten Vorteile vom Tag der Streitanhängigkeit<br />
an, müssen vom Bestandnehmer ersetzt<br />
werden. Dies aufgrund der entsprechenden Anwendung<br />
des § 335 Satz 1 Fall 2 iVm § 338. Lediglich<br />
die Haftung für Zufallsschäden ist auf den<br />
62<br />
Vgl dazu OGH 5 Ob 2090/96f (Ersitzung). Ist zwischen<br />
Eigentümer – Hauptmieter – Untermieter die Beendigung<br />
des Hauptmietvertrages strittig, wird der Untermieter<br />
im Regelfall dadurch nicht selbst auch unredlich,<br />
da es zumeist völlig außerhalb seiner Sphäre liegt,<br />
die jeweils vorgebrachten Standpunkte überprüfen zu<br />
können, überzeugend auch Vonkilch, Verspätete Räumung,<br />
Drittnutzung des Bestandobjekts und Benützungsentgelt,<br />
<strong>wobl</strong> 2008, 352 (356); Kerschner, JBl 1978,<br />
418 FN 71. Zu der Frage, ob der redliche Untermieter<br />
gegen Verwendungsansprüche des Eigentümers § 330<br />
einwenden kann, siehe differenzierend Fischer-Czermak,<br />
Zum Verwendungsanspruch gegen den redlichen<br />
Besitzer, FS 200 Jahre ABGB (2011) 955 ff (972 ff).<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 317<br />
mutwillig Prozessierenden eingeschränkt. Wie der<br />
Wortlaut nahelegt („der Zufall, der die Sache beim<br />
Eigentümer nicht getroffen hätte“) geht es bei der<br />
Eingrenzung um Substanzschäden, die die Sache<br />
erlitten hat. Die damit einhergehenden Folgen<br />
wurden oben (Pkt B.) schon skizziert: Man käme<br />
entgegen der derzeit hA zur Schadenersatzpflicht<br />
bei Verfahrenshandlungen schon viel schneller zu<br />
einer Haftung des prozessierenden Besitzers, sogar<br />
wenn ihm mangels erkennbarer Aussichtslosigkeit<br />
der Prozessführung ein Verschulden nicht anzulasten<br />
ist. Konsequent fortgeführt, schützt den Bestandnehmer<br />
nicht einmal redlichstes Vertrauen<br />
auf sein Recht zum Besitz bis zum Ende des Verfahrens,<br />
sollte die Entscheidung des Richters gegen<br />
ihn ausfallen. Während isoliert betrachtet in der<br />
Norm des § 335 kein Systembruch zu erblicken ist<br />
(Pkt III.C), kann es durch die in § 338 enthaltene<br />
Fiktion aus den genannten Gründen offenbar doch<br />
dazu kommen. Es stellt sich sofort die Frage, wie<br />
sich eine doch relativ weitreichende und uU sogar<br />
verschuldensunabhängige 63 Haftung rechtfertigen<br />
lässt, die sowohl Sach- als auch Rechtsbesitzer<br />
gleichermaßen erfasst. Für die Beantwortung ist<br />
die Gesetzesratio herauszuarbeiten, die gerade bei<br />
den Regelungen im Eigentümer-Besitzer Verhältnis<br />
eng mit dem historischen Verständnis verknüpft<br />
ist.<br />
II. Missverständliche Rubrik<br />
Bevor den Wurzeln von § 338 nachzugehen ist,<br />
sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass die Marginalrubrik<br />
zu § 338 („Inwiefern durch die Klage<br />
der Besitz unredlich werde“) fälschlich suggeriert,<br />
schon die Zustellung der (Räumungs)Klage würde<br />
in jedem Fall ausreichen, um das Ende der Redlichkeit<br />
zu bewirken. Davon auszugehen besteht jedoch<br />
kein Grund. Bereits der Wortlaut des § 338<br />
selbst zwingt keineswegs zu einem solchen Verständnis.<br />
Er spricht nur davon, dass der redliche<br />
Besitzer, wenn er durch richterlichen Ausspruch<br />
zur Zurückstellung der Sache verurteilt wird, von<br />
dem Zeitpunkt der ihm zugestellten Klage gleich<br />
einem unredlichen Besitzer zu behandeln ist. Vielmehr<br />
wird damit sogar umgekehrt nahegelegt, dass<br />
bis zur Urteilsverkündung selbst, die naturgemäß<br />
zeitlich der Klagezustellung nachgelagert ist, sehr<br />
wohl redlicher Besitz möglich ist. Im Extremfall<br />
könnte ja der die Herausgabe verlangende Kläger<br />
einen mutwilligen Prozess anstrengen, wodurch die<br />
Rechtsstellung des Besitzers keinesfalls verschlechtert<br />
werden kann. Man muss also nach dem Grundsatz<br />
rubrica legis non est lex jener keine Beachtung<br />
schenken, die durch einen römisch-rechtlichen<br />
Grundsatz 64 in Verbindung mit einer entsprechen-<br />
63<br />
Ebenso OGH 6 Ob 220, 221/70 in JBl 1972, 144 mit<br />
Anm Mayer-Maly; aA wohl Spielbüchler in Rummel,<br />
ABGB³ § 338 Rz 4; Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,<br />
Klang³ § 338 Rz 11.<br />
64<br />
Der sich freilich auf einen anderen Zeitpunkt bezog:<br />
siehe im Zusammenhang mit der der rei vindicatio<br />
nachgebildeten Erbschaftsklage (hereditatis petitio) „Post<br />
den Vorschrift aus dem Preußischen Landrecht 65 in<br />
das ABGB gerutscht sein dürfte 66 . Das entspricht<br />
auch der hA 67 . Umgekehrt ist es selbstverständlich<br />
aber auch denkbar, dass vor Klagszustellung der<br />
Besitzer als unredlich qualifiziert werden muss 68 .<br />
Zu beachten ist weiters, dass die Klage als Prozesshandlung<br />
die Unredlichkeit nicht jedenfalls bewirkt,<br />
durch das darin enthaltene Vorbringen aber<br />
durchaus erhebliche Zweifel an der Berechtigung<br />
des Besitzers hervorgerufen werden können, die uU<br />
an der Grenze zur Unredlichkeit anzusetzen sind 69 .<br />
III. Historische Interpretation<br />
1. Genese und Vorläufer<br />
Vorläuferbestimmungen von § 338 finden sich in<br />
allen älteren Kodifikationen, zumeist über mehrere<br />
Vorschriften verteilt. So im auch ansonsten kasuistischen<br />
und überfrachteten Codex Theresianus 70 ,<br />
sowie in ähnlicher Art und Weise, aber bereits gestraffter<br />
im Entwurf Horten 71 . Dort gab es die dem<br />
deutschen BGB immanente Dreiteilung zwischen<br />
gutgläubigen, bösgläubigen und verklagten Besitzern.<br />
Missverständnisse wie solche, die durch die<br />
Rubrik des § 338 entstehen, wurden so vermieden,<br />
auch wenn der verklagte dem bösgläubigen Besitzer<br />
im Wesentlichen gleichgestellt wurde. Inhaltlich<br />
rezipierte das ABGB nur die den Vorläufern<br />
bekannte umfassende Vergütungspflicht für entgangene<br />
Nutzungen und Vorteile ab Zeitpunkt der<br />
Klagezustellung 72 . Dieses Ergebnis durch die in<br />
litem contestatum omnes incipiunt malae fidei possessores<br />
esse“, D. 5, 3, 31, 3.<br />
65<br />
ALR I 7 § 222: „Wenn kein früherer Zeitpunkt der<br />
Unredlichkeit des Besitzes ausgemittelt werden kann, so<br />
wird der Tag der dem Besitzer durch die Gerichte geschehenen<br />
Behändigung der Klage dafür angenommen.“<br />
66<br />
Vgl Unger, System des österreichischen allgemeinen<br />
Privatrechts 5 II (1892) 541.<br />
67<br />
A. Ehrenzweig, Der Einfluss des Rechtsstreits auf<br />
das streitige Recht, GrünhutsZ 25 (1896) 281 (311 f);<br />
Schey/Klang in Klang, ABGB² II 101; Spielbüchler in<br />
Rummel, ABGB³ § 338 Rz 1; unklar Gschnitzer, Sachenrecht<br />
125.<br />
68<br />
Zutreffend OGH 1 Ob 211/73 in SZ 47/3; Lurger in<br />
Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 338 Rz 2.<br />
69<br />
Vgl Nippel, Erläuterungen des ABGB III (1831) 132;<br />
A. Ehrenzweig, GrünhutsZ 25, 281 (311 FN 54).<br />
70<br />
Codex Theresianus II 3 Nr. 76–78.<br />
71<br />
Entwurf Horten II 2 §§ 18 u 19. Bis zum Entwurf<br />
Martini befinden sich die Regelungen im Hauptstück<br />
über das Eigentum, danach in dem von dem Besitze, II 2<br />
§ 20. Auch das deutsche BGB hat das Eigentümer-Besitzer<br />
Verhältnis – systematisch besser – gleich hinter den<br />
Herausgabeanspruch des Eigentümers gereiht.<br />
72<br />
Instruktiv Codex Theresianus II 3 Nr. 82 u 83:<br />
„Nicht nur die Sache selbst (…) sondern auch alle ihre<br />
Zugänge, Zugehörungen, Nutzungen (…) müssen Klägern<br />
zurückgestellt oder ersetzt werden. Bei Erstattung<br />
der Nutzungen ist jedoch der Unterschied zwischen einem<br />
Besitzer mit gutem Glauben und zwischen jenem<br />
mit üblen Glauben zu beobachten. Ersterer macht sich<br />
aus dem Besitzrecht alle bis zur Zeit der erhobenen Klage<br />
eingesammelten Nutzungen und verzehrte eigen. Diejenigen<br />
aber, welche davon zur Zeit der angestrengten<br />
© Verlag Österreich 2012
318<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
§ 338 enthaltene Fiktion zu erzielen, ist eine Eigenart<br />
des ABGB.<br />
Hintergrund der Vorläuferbestimmungen war<br />
augenscheinlich das Bemühen, den Eigentümer so<br />
zu stellen, wie er stünde, hätte er ohne Anstrengung<br />
eines Verfahrens sofort wieder mit seiner Sache<br />
disponieren können. Weiters wurden Regelungen<br />
über die Zufallsgefahr getroffen 73 .<br />
Im Urentwurf des ABGB war § 338 noch gar<br />
nicht enthalten und wurde erst in 1. Lesung deswegen<br />
eingefügt, weil der Referent Zeiller wissen<br />
wollte, wie man durch die Klage zum unredlichen<br />
Besitzer werde 74 . Als Antwort darauf wird die bis<br />
auf einen kleinen, in der Revision eingefügten Unterschied<br />
geltende Fassung des § 338 gegeben, ohne<br />
Hinweise auf Vorläuferregelungen, die Pate hätten<br />
stehen können. Die Superrevision ergab keine weiteren<br />
Änderungen. Erläuterungen finden sich insgesamt<br />
keine, die Beratungsprotokolle sind daher<br />
wenig aussagekräftig. Zeiller 75 führt in seiner<br />
Kommentierung zu der Bestimmung aus, dass der<br />
Besitzer durch die Zustellung der Zurückforderungsklage<br />
auf die Unrechtmäßigkeit oder Zweifelhaftigkeit<br />
seines Rechts aufmerksam gemacht<br />
würde. Von diesem Zeitpunkt an müsse er sich als<br />
Verwalter einer fremden Sache betrachten 76 , der<br />
den durch richterlichen Ausspruch erklärten rechtmäßigen<br />
Besitzer sowohl für die Substanz, als die<br />
Nutzungen und sein Versehen Rechenschaft zu geben<br />
schuldig sei. Weil aber einem solchen Besitzer,<br />
sofern ihm die Unrechtmäßigkeit seines Widerspruchs<br />
nicht sogleich einleuchten müsse nicht zugemutet<br />
werden könne, dass er vor der Entscheidung<br />
sich seines Besitzrechts begeben solle, so sei<br />
er für einen bloß zufälligen Schaden keineswegs<br />
verantwortlich.<br />
Zeiller unterscheidet also bewusst in den Rechtsfolgen<br />
und knüpft die Zufallshaftung für Substanzschäden<br />
an strengere Voraussetzung für den<br />
im Prozess Unterlegenen. Letztere tritt erst bei<br />
Prozessführung im Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit<br />
(„litigare maluit quam restituere“) ein 77 .<br />
Die Gefahr, dass die regelmäßig gegebene sonstige<br />
Haftung zu weit gehen könnte, sieht er entweder<br />
nicht oder hat sie bewusst in Kauf genommen. Er<br />
erkennt aber jedenfalls, dass ein Prozessausgang<br />
oftmals schwer voraussehbar ist und schließt dar-<br />
Klage noch vorhanden sind, ist derselbe samt allen von<br />
Zeit der angestrengten Klage erhobenen und zu erheben<br />
gewesenen (…) Nutzungen dem Kläger zurückzustellen<br />
verbunden.“<br />
73<br />
Siehe vor allem Codex Theresianus II 3 Nr. 78.<br />
74<br />
Vgl Ofner, Protokolle I 236 f.<br />
75<br />
Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch<br />
II (1812) 84; zustimmend Stubenrauch, Commentar<br />
zum österreichischen allgemeinen bürgerlichen<br />
Gesetzbuche 8 I (1902) 406.<br />
76<br />
Ganz gleichlautend die Begründung zu § 987 BGB<br />
bei Mugdan, Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch<br />
III (1899) 978.<br />
77<br />
Unger, System 5 II 542; Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,<br />
Klang³ § 338 Rz 7; aA Spielbüchler in<br />
Rummel, ABGB³ § 338 Rz 3: „Bei verständiger Würdigung<br />
aller Umstände nicht in den Streit eingelassen.“<br />
aus, dass der Besitzer einer Sache allein auf Grund<br />
der Zustellung der Klage nicht dazu verpflichtet<br />
sei, dem Herausgabeanspruch Folge zu leisten.<br />
Lässt er sich auf den Prozess ein, so liegt jedoch<br />
insoweit Handeln auf eigene Gefahr vor: Es droht<br />
ein „Verantwortlichwerden ex post“ 78 , zurückbezogen<br />
auf den Zeitpunkt der Klagszustellung.<br />
2. Der restituere-Grundsatz des römischen Rechts<br />
Die Bestimmung des § 338 ist eine Verbindungsstelle<br />
zwischen materiellem und formellem Recht,<br />
da durch dessen Rechtsfolgen der Streitbeginn erheblichen<br />
Einfluss auf das zugrunde liegende<br />
Rechtsverhältnis zeitigt. Dabei handelt es sich keineswegs<br />
um einen Einzelfall im System des ABGB.<br />
In ähnlicher Weise drückt sich dieser Gedanke zB<br />
in den §§ 1497 (Unterbrechung der Verjährung bei<br />
gehöriger Fortsetzung der Klage) oder § 892 (Gebundenheit<br />
des Beklagten an den klagenden Gesamtgläubiger<br />
79 ) aus 80 . Diese Wirkungen waren<br />
bereits dem römischen Recht bekannt, die jedoch<br />
erst im Zeitpunkt der Streiteinlassung („litis contestatio“)<br />
eintraten 81 . Vor allem durch Savigny 82<br />
wurden diese antiken Lehren in die Prozessrechtswissenschaft<br />
des 19. Jahrhunderts hineingetragen<br />
und gleichzeitig die Wirkungen bereits auf die<br />
Klagszustellung vorbezogen. Diesem Weg folgte<br />
auch zu großen Teilen das österreichische Recht,<br />
der Zeitpunkt der litis contestatio hat demgegenüber<br />
nur mehr geringe Bedeutung. Speziell § 338<br />
lässt sich als Ausfluss der restituere-Regel begreifen.<br />
Der Kläger soll alles erhalten, was er hätte,<br />
wenn ihm die eingeklagte Sache im Augenblick der<br />
Klagszustellung herausgegeben worden wäre 83 .<br />
Das wird auch mit der Haftung des beklagten Besitzers<br />
für omnis causa ausgedrückt 84 . Zwar macht<br />
ihn die Klagszustellung nicht jedenfalls unredlich,<br />
er muss aber beachten, dass der Richter gegen ihn<br />
entscheiden könnte („sub judice lis est“), womit<br />
seine „Sicherheit“ aufhört und alle Momente gegeben<br />
sind, die zumindest in Hinblick auf Fruchtund<br />
Aufwandersatz den unredlichen Besitzer charakterisieren,<br />
der ja jedenfalls schuldhaft handelt 85 .<br />
78<br />
A. Ehrenzweig, GrünhutsZ 29, 314.<br />
79<br />
Der Gläubiger, der den Schuldner zuerst „angeht“,<br />
zu diesem Tatbestandsmerkmal Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,<br />
Klang³ § 892 Rz 8 ff.<br />
80<br />
Siehe dazu weiterführend die Aufzählung bei<br />
Krainz/Pfaff, System des österreichischen allgemeinen<br />
Privatrechts 2 (1894) I 411 f.<br />
81<br />
Umfassend Schlinker, Litis contestatio. Eine Untersuchung<br />
über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses<br />
in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (2008)<br />
passim; siehe auch Kaser/Hackl, Das Römische Zivilprozessrecht<br />
2 (1996) 297.<br />
82<br />
System des heutigen römischen Rechts VI (1847) 54.<br />
83<br />
Mit der Einschränkung für Zufallsschäden, § 338<br />
letzter HS.<br />
84<br />
MwN Schlinker, Litis contestatio 568; vgl auch Unger,<br />
System 5 II 542; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches<br />
Recht 4 (1987) 438; Kreller, Römisches Recht II:<br />
Grundlehren des gemeinen Rechts (1950) 207.<br />
85<br />
Schey, FS Unger (1974) 476 FN 2. Von einer Fiktion<br />
will er aber nicht sprechen. Ähnlich die Begründung in<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 319<br />
Während die Haftung für Untergang, Verschlechterung<br />
oder Verlust der Sache nach der litis contestatio<br />
in der klassischen Zeit im Einzelnen strittig<br />
bzw unterschiedlich ausgestaltet war 86 , so gab<br />
es für den Bereich der Fruchtziehung nach Prozessbeginn<br />
wohl keine Zweifel, dass jeder Besitzer, der<br />
im Prozess unterlag, zur Herausgabe sämtlicher<br />
Vorteile verpflichtet wurde 87 . Der rei vindicatio<br />
kommt damit in gewisser Weise eine haftungsrechtliche<br />
Funktion zu, die sich dadurch erklären<br />
lässt, dass aus Gründen der Prozessökonomie Ansprüche<br />
aus deliktischen Klagen den actiones in<br />
rem „aufgepfropft“ wurden, um mehrere Verfahren<br />
zu vermeiden 88 .<br />
3. Schlussfolgerung<br />
Durch § 338 wird einem römisch-rechtlichen<br />
Grundsatz zum Durchbruch verholfen, der gleichzeitig<br />
den Kläger vor Einbußen durch ein rechtsstaatliches<br />
Verfahren bewahren soll 89 . Dieses Anliegen<br />
ist bereits den entsprechenden Bestimmungen<br />
in den Vorläufern des § 338 zu entnehmen.<br />
Schon früh wurde erkannt, dass eine uneingeschränkte<br />
Durchführung dieses Grundsatzes zu<br />
großen Unbilligkeiten führt 90 , weswegen der Ausschluss<br />
der Haftung für Zufallsschäden in § 338<br />
Satz 2 dringend notwendig erscheint. Ermöglicht<br />
man dem Eigentümer aber jedenfalls den Ersatz<br />
von Schäden durch die entgangenen Fruchtziehungsmöglichkeiten,<br />
ist das wohl nur ein schwacher<br />
Trost für den Besitzer, der auch dadurch noch<br />
immer erheblichen Forderungen gegenüberstehen<br />
kann. Vor allem dann, wenn er in vertretbarer Weise<br />
davon ausgehen durfte, dass sein Recht noch gar<br />
nicht erloschen ist und er deswegen das Verfahren<br />
führt. Die Substitution des Verschuldenserfordernisses<br />
durch die besondere Bewusstseinslage, in der<br />
sich der auf Herausgabe geklagte Inhaber befindet,<br />
soll anscheinend die Abweichung vom allgemeinen<br />
System rechtfertigen. Hält man sich die Wirkungen<br />
des § 338 vor Augen, bekommt dieser sogar Züge<br />
einer Art „Gefährdungshaftung für Prozessführung“.<br />
Ob tradiertes Gedankengut aus dem gemeinen<br />
Recht ausreicht, um dieses Ergebnis als sachgerecht<br />
empfinden zu können, bleibt Ansichtssache.<br />
Deutschland zur Haftung des sog Prozessbesitzers: Die<br />
Rechtsstellung muss nach Erhebung der Herausgabeklage<br />
kritischer betrachtet werden als zuvor, er muss damit<br />
rechnen, dass er zur Herausgabe verurteilt wird, Baur/<br />
Stürner, Sachenrecht 18 (2009) § 11 A. II. 2. Rz 7.<br />
86<br />
Kurze Übersicht bei Sturm, Rezension zu Schipani,<br />
Responsabilita del convenuto per la cosa oggetto di azione<br />
reale, SZ 90 (1973) 442 FN 2. Das ABGB stellt für die<br />
Zufallsgefahr auf mutwillige Prozessführung ab (§ 338<br />
Satz 2), die Folgen der Besitzaufgabe nach Klagszustellung<br />
richten sich nach § 378.<br />
87<br />
Kaser, Restituere als Prozeßgegenstand² (1968) 9 ff;<br />
ebenso Levy, Zur Lehre von den sog. actiones arbitrariae,<br />
SZ 36 (1915) 55 ff.<br />
88<br />
Sturm, SZ 90, 442.<br />
89<br />
Iro, Sachenrecht 4 Rz 7/7.<br />
90<br />
So bereits Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts<br />
I² (1867) 328.<br />
F. Einwände der Judikatur<br />
I. Rechtsbesitz<br />
Es verwundert daher nicht, dass die Rsp der<br />
Anwendbarkeit in Räumungsverfahren mit verschiedenen<br />
Argumenten entgegengetreten ist. Den<br />
Rechtsbesitz des Bestandnehmers dafür ins Treffen<br />
zu führen 91 , den der Gesetzgeber bei Schaffung der<br />
§§ 329 ff nicht vor Augen gehabt habe, reicht nach<br />
hA nicht aus (Pkt C.III.3, siehe aber noch unten<br />
Pkt F.III.4).<br />
II. Verletzung obligatorischer Rechte<br />
Angeknüpft wurde deshalb in weiterer Folge<br />
auch gar nicht mehr an den Rechtsbesitz, sondern<br />
an die Verletzung obligatorischer Rechte, auf die<br />
sich die §§ 329 ff nicht beziehen würden 92 . Diese<br />
Formulierung ist missverständlich, da dadurch die<br />
Gefahr besteht, verschiedene Fallgruppen, die sich<br />
aber deutlich unterscheiden und die sich dort stellenden<br />
Probleme miteinander zu vermischen. Der<br />
Rechtssatz ist damit mit Vorsicht zu genießen. Angesprochen<br />
sind zum einen Eingriffe in das Mietrecht<br />
durch einen Dritten im Zuge einer erfolgten<br />
Doppelvermietung durch den Bestandgeber. Frühere<br />
Rsp gewährte dem Mieter bei dieser Konkurrenz<br />
von Mietverhältnissen mangels dinglicher<br />
Rechtsstellung des Mieters Schadenersatz nur über<br />
die §§ 1295 ff 93 . Das hat mit Räumungsprozessen<br />
selbstverständlich nicht viel zu tun.<br />
Andererseits wird unter diesem Aspekt die Anwendbarkeit<br />
des § 338 auf den säumigen Schuldner<br />
einer nicht in Geld bestehenden Leistung diskutiert.<br />
Hier besteht tatsächlich eine partielle Überschneidung,<br />
da der Bestandnehmer auch aus dem<br />
Bestandvertrag und damit schuldrechtlich zur Herausgabe<br />
verpflichtet ist. So ist es wohl zu erklären,<br />
warum sich auch der OGH 94 bemüßigt fühlte, in<br />
einem Räumungsprozess auf die Anwendbarkeit<br />
des § 338 bei schuldrechtlichen Pflichten überhaupt<br />
einzugehen. Die Begründung für die Beja-<br />
91<br />
OGH in SZ 7/396.<br />
92<br />
OGH in MietSlg 30.240.<br />
93<br />
OGH 1 Ob 286/50 in SZ 23/191; 2 Ob 860/50 in SZ<br />
24/8; 1 Ob 350/55 in JBl 1956, 258 mit zust Anm Gschnitzer.<br />
Alle diese E betrafen einen vor dem zeitlichen Hintergrund<br />
zu sehenden, speziellen und ähnlich gelagerten<br />
Sachverhalt. So wurden Mietwohnungen von Personen,<br />
die in der Kriegszeit flüchteten, entweder zwischenzeitlich<br />
nochmals vermietet oder waren Gegenstand von<br />
Einweisungsbescheiden des Sozialministeriums. Kehrten<br />
die Mieter nach Kriegsende in die Heimat zurück,<br />
waren ihre Wohnungen belegt und wurden auch ohne<br />
Verfahren nicht sofort freigegeben, woraus Schäden entstanden.<br />
Im Lichte der heutigen Rsp zum quasi-dinglichen<br />
Recht des Mieters (OGH 7 Ob 654/89 [verst Senat]<br />
in JBl 1990, 447) erscheint es äußerst zweifelhaft, ob<br />
diese Rsp aufrecht erhalten würde, siehe auch Spielbüchler<br />
in Rummel, ABGB 3 § 335 Rz 3 und § 339 Rz 11,<br />
der eine Analogie nach Maßgabe des durch den Besitz<br />
gestörten Rechts befürwortet.<br />
94<br />
OGH 4 Ob 507/65 in MietSlg 17.004. Zust daraufhin<br />
auch OGH 6 Ob 180/68 in MietSlg 20.007.<br />
© Verlag Österreich 2012
320<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
hung dieser Frage beschränkte sich auf einen Verweis<br />
auf Lehre und Rsp, § 338 wurde vom OGH<br />
sogar zur „allgemeinen Rechtsregel“ erhoben 95 .<br />
Deswegen bejahte er die Haftung für den entgangenen<br />
Zins, den der Bestandgeber infolge anderweitiger<br />
Vermietung der Bestandräume erhalten<br />
hätte.<br />
In der Sache selbst ist zwischen verschiedenen<br />
nicht auf Geld gerichteten Leistungspflichten zu<br />
differenzieren: Obligatorische Herausgabeansprüche<br />
(zB Beschenkter klagt Geschenkgeber) verpflichten<br />
nach Unger im Falle des Prozessverlustes<br />
den Schuldner dazu, für die gezogenen und versäumten<br />
Früchte ab Zustellung der Klage Ersatz zu<br />
leisten, für Zufallsschäden an der Sache hingegen<br />
nur, wenn er sich schuldhaft in Verzug befindet 96 .<br />
Da letzteres für ihn erst ab mutwilliger Prozessführung<br />
gegeben ist, entstünde ein wertungsmäßiger<br />
Gleichklang zu dinglichen Herausgabeansprüchen,<br />
auf die § 338 unmittelbar anwendbar ist. Folgt man<br />
dieser Ansicht, wäre auf einen Schlag die gesamte<br />
gegenständliche Problematik hinfällig, da der Bestandgeber<br />
auf jeden Fall die entgangenen Vorteile<br />
ersetzt bekäme. Das kann hier nicht näher untersucht<br />
werden.<br />
Auf die verzögerte Erfüllung sonstiger Handlungspflichten<br />
lässt sich § 338 mE aber nicht sinnvoll<br />
übertragen. Soweit es nur darum geht, auszudrücken,<br />
dass der Kläger jedenfalls so gestellt werden<br />
soll, wie er bei sofortiger Erfüllung stünde und<br />
somit der Ersatz eines Verspätungsschadens in<br />
Frage steht, ist jedenfalls in irgendeiner Form auch<br />
die Haftungseinschränkung von § 338 Halbsatz 2<br />
zu beachten 97 , andernfalls man zu einer völlig uferlosen<br />
Ersatzpflicht für jede Form der Prozessführung<br />
käme. Für eine solche schrankenlose Erweiterung<br />
des Klageanspruchs ist nicht im Entferntesten<br />
ein Grund ersichtlich.<br />
Bei Räumungsprozessen hilft diese Diskussion<br />
aber nicht weiter. Auch wenn man die §§ 335, 338<br />
nicht auf die Verletzung obligatorischer Rechte, dh<br />
in unserem Zusammenhang die Nichterfüllung von<br />
Herausgabepflichten, bezieht 98 , kann ja der Be-<br />
95<br />
Klang in Klang, ABGB² II 102, der sich an dieser<br />
Stelle ua auf Wolff in Klang, ABGB² VI 180 beruft, der<br />
selbst wiederum auf Hasenöhrl, Das österreichische Obligationenrecht<br />
II² (1899) 339 und Kransopolski, Österreichisches<br />
Obligationenrecht III (1910) 122 verweist.<br />
Von einer „allgemeinen Rechtsregel“ ist im Übrigen bei<br />
den genannten Autoren keine Rede. Die zitierten und<br />
generell kurz gehaltenen Entscheidungen GlUNF 3208<br />
und SZ 3/67 begnügen sich hingegen mit Verweisen auf<br />
die eben wiedergegebene Lehre.<br />
96<br />
Unger, System 5 II 544 f. Mangels gegenteiliger Vereinbarung<br />
hat der Gläubiger davor grundsätzlich keinen<br />
Anspruch auf die Früchte, vgl § 913 Satz 2, der ansonsten<br />
wohl keine selbstständige Bedeutung hat, vgl Reischauer<br />
in Rummel, ABGB³ §§ 912, 913 Rz 1.<br />
97<br />
AA Klang in Klang, ABGB² II 102. Der Schuldner<br />
hat nach ihm den gesamten nach Einbringung der Klage<br />
eingetretenen Schaden zu ersetzen, um leichtfertiges<br />
Prozessieren zu vermeiden, siehe auch ders, Die Rechtssprechung<br />
des OGH, JBl 1937, 319.<br />
98<br />
OGH 6 Ob 220, 221/70 in JBl 1972, 144 mit Anm<br />
Mayer-Maly.<br />
standgeber immer noch sein Eigentumsrecht geltend<br />
machen, womit sich abermals das Konkurrenzproblem<br />
zu den allgemeinen Regeln stellt. Das<br />
lässt sich auch nicht dadurch lösen, indem man –<br />
wie Mayer-Maly 99 – von § 335 eindeutig erfasste<br />
Schadensposten „weginterpretiert“. Nach ihm sei<br />
§ 335 streng objektbezogen zu verstehen, er erfasse<br />
nur Schäden an der Sache. Andererseits erkennt er<br />
wiederum, dass in dieser Bestimmung für die Verteilung<br />
der Früchte Vorsorge getroffen werden soll.<br />
Soweit es nun um den Ersatz für die entgangenen<br />
Vorteile geht, die nach dem ganz eindeutigem<br />
Wortlaut des § 335 iVm § 338 vom im Prozess Unterliegenden<br />
jedenfalls zu ersetzen sind, handelt es<br />
sich bestimmt nicht um Schäden an der Sache.<br />
Nach § 335 werden also entgegen Mayer-Maly<br />
zweifellos gewisse Arten von Vorenthaltungsschäden<br />
ersetzt, die im Vermögen des Herausgabeberechtigten<br />
eintreten 100 .<br />
III. Abwicklung von Schuldverhältnissen<br />
1. Die E 3 Ob 544/95<br />
Somit bleibt noch die Überprüfung der These,<br />
nach der die §§ 335, 338 nur im Falle der alleinigen<br />
Vindikation, nicht aber bei der Abwicklung von<br />
Schuldverhältnissen anwendbar seien.<br />
Aufgestellt wurde sie erstmals in der E 3 Ob<br />
544/95 101 . In einem gerichtlichen Kündigungsverfahren,<br />
das aufgrund der Anwendbarkeit des MRG<br />
notwendig gewesen war, wehrte sich ein Bestandnehmer<br />
mit verschiedenen Einwänden gegen die<br />
geltend gemachten Kündigungsgründe, unterlag<br />
aber schlussendlich im Verfahren. Das Gericht<br />
stellte fest, er hätte den Bestandgegenstand entgegen<br />
einem vertraglichen Verbot zur Gänze untervermietet.<br />
Der Bestandgeber brachte vor, er sei<br />
dadurch verhindert gewesen, den Bestandgegenstand<br />
zu ortsüblichen Bedingungen vermieten zu<br />
können und verlangte auch eine Abschöpfung des<br />
eingehobenen Untermietzinses. Er stützte seine<br />
Ansprüche auf § 335 iVm § 338, der 3. Senat lehnte<br />
das geltend gemachte Begehren ab. Für seine<br />
Begründung verwies der OGH abermals auf den<br />
von ihm vertretenen Grundsatz, wonach § 338 auf<br />
die Verletzung von obligatorischen Rechten nicht<br />
anzuwenden sei und sicherte sie ergänzend mit dem<br />
neuen Hinweis, die Abwicklung eines bereits beendeten<br />
Schuldverhältnisses bewirke keine Verbindlichkeit<br />
des Vertragspartners nach sachenrechtlichen<br />
Vorschriften, ab. Zitiert wurden ausschließlich<br />
deutsche Autoren.<br />
99<br />
JBl 1972, 144.<br />
100<br />
Spielbüchler in Rummel, ABGB³ § 335 Rz 2 bezeichnet<br />
diese als entgangenen Gewinn. Es wurde bereits<br />
gezeigt, dass es sich eigentlich um positiven Schaden<br />
handelt (Pkt III.C).<br />
101<br />
SZ 68/115; sich dem anschließend OGH 3 Ob 54/98g<br />
in SZ 72/125; Verneinung der Anwendung der §§ 335, 338<br />
auf den Fall der Exzindierungsklage OGH 3 Ob 260/02k.<br />
© Verlag Österreich 2012
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 321<br />
2. Der „nicht-so-berechtigte“ Besitzer<br />
In Hinblick auf die erhobenen Ansprüche bis<br />
zum Erreichen des Kündigungstermins hat der<br />
OGH im Ergebnis sicher richtig entschieden. Dass<br />
die Regeln des Eigentümer-Besitzer Verhältnisses<br />
hier nicht greifen können, ergibt sich mE ganz<br />
zwanglos aus dem Fehlen einer Vindikationslage,<br />
die vor erfolgreicher Kündigung noch nicht gegeben<br />
ist. Der OGH wollte dies wahrscheinlich mit<br />
der Formulierung, solange der Besitz nicht titellos,<br />
sondern rechtmäßig sei, bestünde keine Haftung<br />
nach §§ 335, 338 zum Ausdruck bringen. Man käme<br />
also wohl in der Tat nur zu deren Anwendbarkeit,<br />
wenn man sie auf die Verletzung obligatorischer<br />
Rechte überträgt. Ganz ausgeschlossen erscheint<br />
die analoge Heranziehung des Normenkomplexes<br />
bis zum tatsächlichen Vorliegen der Vindikationslage<br />
jedoch nicht. Das Höchstgericht ist darauf<br />
zwar nicht eingegangen, aber der an sich rechtmäßige<br />
Fremdbesitzer, der die vertraglichen Grenzen<br />
seines Besitzrechts (zB eben durch verbotene Untervermietung)<br />
überschreitet, wird in Deutschland<br />
als „Nicht-so-Berechtigter“ Besitzer bezeichnet.<br />
Die mittlerweile ganz hM 102 in Deutschland lehnt<br />
die Heranziehung der Vindikationsnebenfolgen auf<br />
den solcherart exzedierenden Fremdbesitzer jedoch<br />
ab. In diesen Fällen bestünde keine Notwendigkeit,<br />
neben allgemeinen schadenersatz- und bereicherungsrechtlichen<br />
Regeln, die diesen Sachverhalt<br />
abdecken, noch zusätzlich das Eigentümer-<br />
Besitzer Verhältnis heranzuziehen. Das Argument,<br />
eine notwendige Gliederung des Besitzes in einen<br />
rechtmäßigen und einen unrechtmäßigen Teil aufzugliedern<br />
könne nicht sinnvoll erfolgen, ist mE in<br />
den Fällen nicht überzeugend, wenn sich aufgrund<br />
der vertraglichen Vereinbarung die Grenzen des<br />
Besitzrechts relativ problemlos eruieren lassen.<br />
Trotz dieses Einwands kann dem OGH sicher zugestimmt<br />
werden, wenn er die Anwendung der<br />
Eigentümer-Besitzer Regeln bis zum Vorliegen der<br />
Vindikationslage und damit im Ergebnis beim<br />
„nicht-so-Berechtigten“ Besitzer ablehnt 103 .<br />
3. Der „nicht-mehr-berechtigte“ Besitzer<br />
Da die Aufkündigung jedoch das Mietverhältnis<br />
rückwirkend ab dem Kündigungstermin beseitigt,<br />
wären die Voraussetzungen ab diesem maßgeblichen<br />
Zeitpunkt grundsätzlich gegeben 104 . Will man<br />
die Anwendung der §§ 335, 338 in diesem Zeitraum<br />
102<br />
Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung<br />
und Delikt (1934) 190 ff; mwN Gursky in Staudinger,<br />
BGB 5 Vor zu §§ 987–993 Rz 16; Wolff/Raiser, Sachenrecht<br />
10 § 85 I. 1 FN 2 (gegen die Vorauflage!); aA Zeuner,<br />
Zum Verhältnis zwischen Vindikation und Besitzrecht,<br />
FS Felgentraeger (1969) 423 ff.<br />
103<br />
Zum Verwendungsanspruch nach § 1041 in diesen<br />
Fällen Apathy, Verwendungsanspruch 71. Da es sich<br />
hierbei um einen Vorteil handelt, den der Bereicherte<br />
erlangt hat, nicht aber um einen Nachteil im Vermögen<br />
des Verkürzten, kommt ein Schadenersatzanspruch<br />
nicht in Betracht.<br />
104<br />
So auch BGH in WM 1977, 893, 894.<br />
ebenso vermeiden, benötigt man die zweite angeführte<br />
These des OGH, dass die Abwicklung von<br />
Schuldverhältnissen keine Verbindlichkeit nach<br />
sachenrechtlichen Vorschriften bewirke. Der OGH<br />
hat sich dafür– wie ausgeführt – auf deutsche Lehre<br />
berufen. Die Heranziehung der Vindikationsnebenfolgen<br />
ist dort freilich heftig umstritten 105 ,<br />
wenn das Besitzrecht durch Zeitablauf bereits<br />
(rückwirkend) beendet und das Rechtsverhältnis in<br />
ein Abwicklungsstadium getreten ist. Hier geht es<br />
also folglich um den „Nicht-mehr-berechtigten Besitzer“<br />
und damit um Fallgruppen, in denen es<br />
auch zu Räumungsprozessen kommt. In Kündigungsverfahren<br />
ist dies aufgrund der Rückwirkung<br />
der Kündigung dann denkbar, wenn das Verfahren<br />
über den Beendigungstermin hinaus reicht. Dabei<br />
wird so ziemlich jede in Betracht kommende Position<br />
vertreten: Angefangen von vollkommener Verdrängung<br />
der Vindikationsnebenfolgen 106 , deren<br />
zusätzlicher Heranziehung 107 , bis hin zu anderen<br />
Stimmen in der Lehre, die dem Eigentümer nur die<br />
dingliche Herausgabeklage belassen, die Nebenansprüche<br />
mangels Eignung für eine sachgerechte<br />
Abwicklung jedoch nicht berücksichtigen wollen,<br />
die also insofern ident mit der erstgenannten Ansicht<br />
ist 108 .<br />
4. Stellungnahme<br />
Der OGH ist im Ergebnis der Verdrängungstheorie<br />
gefolgt, die Entscheidung erscheint aber angesichts<br />
des Meinungsstandes und mangels eigener<br />
Begründungen eher nach gewünschtem Ergebnis<br />
erfolgt zu sein. Gerade L. Raiser für die vom OGH<br />
vertretene Ansicht (Vorrang des Abwicklungsverhältnisses)<br />
ins Feld zu führen, ist mE als etwas<br />
unglücklich zu bezeichnen; dies vor dem Hintergrund<br />
eines sehr speziellen Vorverständnisses vom<br />
Anwendungsbereich der rei vindicatio selbst. So<br />
geht L. Raiser in der vom OGH zitierten Abhandlung<br />
109 im Anschluss an Siber 110 davon aus, dass<br />
vertragliche Rückgabeansprüche die Vindikation<br />
ausschließen. Selbiges vertritt er für den Fall, dass<br />
ein Schuldverhältnis durch Zeitablauf erlischt und<br />
sich damit in das Abwicklungsverhältnis umwandelt.<br />
Von dieser Warte aus betrachtet erscheint es<br />
105<br />
MwN Chr. Berger in Jauernig, BGB 14 (2011) Vor<br />
§§ 987 – 993 Rz 8.<br />
106<br />
ZB Wolff/Raiser, Sachenrecht 10 § 84 I. FN 3; Stadler<br />
in Soergel, BGB 13 (2007) Vor § 987 Rz 11.<br />
107<br />
BGH in NJW 1968, 197; Gursky in Staudinger,<br />
BGB 5 Vor §§ 983–1003 Rz 22; Westermann, Sachenrecht 7<br />
§ 31 II. 3.<br />
108<br />
Köbl, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis im Anspruchssystem<br />
des BGB (1970) 152 f; Lent, Die Gesetzeskonkurrenz<br />
im bürgerlichen Recht und Zivilprozeß I<br />
(1912) 258.<br />
109<br />
Eigentumsanspruch und Recht zum Besitz, FS<br />
Wolff (1952) 122.<br />
110<br />
Siber, Die Passivlegitimation bei der Rei Vindicatio<br />
als Beitrag zur Lehre von der Aktionenkonkurrenz<br />
(1907) 227 (237 ff); zuletzt ders, Eigentumsanspruch und<br />
schuldrechtliche Herausgabeansprüche vom Standpunkte<br />
der Rechtsneuordnung, JherJB 89 (1941) 1 ff.<br />
© Verlag Österreich 2012
322<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer<br />
<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
nur konsequent, auch die Nebenfolgen nicht zur<br />
Anwendung kommen zu lassen. Freilich konnte<br />
sich diese Ansicht, die zu einer weitgehenden Entwertung<br />
der Eigentumsklage führt, in der deutschen<br />
Literatur nicht durchsetzen und ist fast<br />
ausschließlich auf Ablehnung gestoßen 111 . In Österreich<br />
wurde daran – soweit ersichtlich – noch nicht<br />
einmal gedacht. Hierzulande ist es seit jeher hL,<br />
dass ein neben der Vindikation bestehendes Schuldverhältnis<br />
auf Rückgabe (vertraglich oder gesetzlich,<br />
§ 1431) diese nicht unzulässig macht 112 . Folgte<br />
man dem Vorverständnis von L. Raiser, würde<br />
man entgegen der einhelligen Ansicht an Fundamenten<br />
der Aktionenkonkurrenz rütteln, wofür jedenfalls<br />
kein Grund ersichtlich ist.<br />
Bleibt man daher als Grundannahme beim herkömmlichen<br />
Verständnis der freien Konkurrenz<br />
von dinglichen und obligatorischen Herausgabeansprüchen,<br />
sofern kein Recht zur Innehabung (mehr)<br />
besteht, kann die Ansicht der Verdrängung der<br />
Eigentümer-Besitzer Regeln nur durch schwerwiegende<br />
teleologische Gründe gerechtfertigt werden,<br />
da eine Vindikationslage nach Erlöschen des<br />
Schuldverhältnisses zweifellos besteht und der Eigentumsanspruch<br />
grundsätzlich der stärkere ist.<br />
ME ist es vor dieser gesetzlichen Ausgangslage<br />
nicht als ausreichend zu erachten, für die Verdrängung<br />
einfach auf die Vorrangigkeit der dogmatisch<br />
wenig aussagekräftigen Figur des Abwicklungsverhältnisses<br />
zu verweisen, das letztlich nur den<br />
Zustand des Bestehens schuldrechtlicher Herausgabeansprüche<br />
und somit einer Anspruchskonkurrenz<br />
beschreibt. Die maßgeblichen Wertungen, die<br />
hinter einer Verdrängung stehen könnten, werden<br />
so nicht offengelegt. Das Argument, die Heranziehung<br />
der Vindikationsnebenfolgen sei überflüssig,<br />
weil sich der Eigentümer auf die „speziellen schuldrechtlichen<br />
Rückabwicklungs- sowie Schadenersatznormen<br />
stützen kann und mit denen das Auslangen<br />
zu finden sei 113 ,“ lässt sich genauso gut umdrehen<br />
und für die gegenteilige Ansicht verwerten.<br />
Vergleiche mit Deutschland hinken aber schon<br />
dem Grunde nach 114 : Der Vorrang rechtsgeschäftlicher<br />
Regelungen würde durch die Nichtanwendbarkeit<br />
der Vindikationsnebenfolgen (vor allem<br />
§ 987 BGB bzw § 338) dazu führen, dass der Eigentümer<br />
schlechter gestellt ist, nur weil er zufällig<br />
auch Vermieter ist. Daraus erklären sich die als<br />
Stütze der Subsidiaritätstheorie gedachten Versuche,<br />
für das deutsche Recht nachzuweisen, dass<br />
dem bei Anwendung allgemeiner Regeln eben nicht<br />
so sei 115 . Der OGH bedient sich nun geradezu gegenteilig<br />
dieser Ansicht, um für den Besitzer ein<br />
111<br />
Als Vorreiter Oertmann, Dingliche und persönliche<br />
Herausgabeansprüche, JherJB Bd 61 (1912), 44 ff;<br />
mwN Köbl, Eigentümer-Besitzer 116 ff.<br />
112<br />
Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00<br />
§ 366 Rz 5; Klang in Klang, ABGB 2 II 217; Iro, Sachenrecht<br />
4 Rz 7/1 uva.<br />
113<br />
Stadler in Soergel, BGB 13 (2007) Vor § 987 Rz 11.<br />
114<br />
Zumindest allgemein beruhen die § 987 ff BGB auf<br />
ähnlichen Überlegungen wie die §§ 329 ff, Fischer-Czermak,<br />
FS 200 Jahre ABGB 969.<br />
115<br />
Köbl, Eigentümer-Besitzer 152 f.<br />
vorteilhaftes Ergebnis zu erzielen. Noch dazu ebnen<br />
sich die Auffassungsunterschiede in Deutschland<br />
ab Rechtsanhängigkeit ein, weil ab diesem<br />
Zeitpunkt, egal ob auf obligatorischer oder dinglicher<br />
Grundlage, jedenfalls eine verschärfte Haftung<br />
eingreift (§§ 292, 989 BGB). Auch die Vertreter<br />
der Subsidiaritätstheorie können hier nicht<br />
mehr zu einem anderen Ergebnis kommen 116 . Der<br />
Meinungsstreit bezieht sich diesfalls nur mehr auf<br />
das Zwischenstadium vom Erlöschen des Besitzrechts<br />
bis hin zur Rechtshängigkeit des Vindikationsanspruchs,<br />
sofern der Besitzer bis zur Klagszustellung<br />
redlich geblieben ist. In Österreich existiert<br />
zwar keine dem § 292 BGB vergleichbare<br />
Norm, es wird aber auch bei uns die – bisher nicht<br />
widerlegte – Ansicht vertreten, den obligatorischen<br />
Herausgabeschuldner einer Haftung für entgangene<br />
Früchte nach Klagszustellung zu unterwerfen<br />
(oben Pkt F.II.). Das hätte der OGH zumindest in<br />
Räumungsprozessen berücksichtigen müssen.<br />
Richtigerweise kann mE nur in der potentiellen<br />
Abweichung der §§ 335, 338 von allgemeinen<br />
Grundsätzen der Verschuldenshaftung der Grund<br />
für eine restriktive Interpretation zu erblicken<br />
sein, sowie in der Tatsache, dass man sich beim<br />
„nicht-mehr-berechtigten“ Besitzer und damit<br />
beim Räumungsprozess, auch wenn tatbestandsmäßig<br />
der Wortlaut erfüllt ist, vom gesetzlichen<br />
Ausgangsfall bereits sehr weit entfernt hat 117 (oben<br />
Pkt III.A.2 und 3) und es eigentlich nur mehr um<br />
die Anwendbarkeit des Haftungsregimes geht. Somit<br />
wäre zu überlegen, zumindest auf den Rechtsbesitzer<br />
§ 338 nicht zu übertragen. Das würde aber<br />
wohl eine sachlich nicht zu rechtfertigende Bevorzugung<br />
des Rechtsbesitzers gegenüber dem Sachbesitzer<br />
bedeuten, sodass dieser Ansatz wegfällt.<br />
Muss deswegen aber der Rechtsbesitzer auch § 338<br />
unterstellt werden, kann die Tatsache, dass zusätzlich<br />
ein obligatorischer Anspruch des Eigentümers<br />
besteht, mE nichts daran ändern. Man käme ansonsten<br />
zum Ergebnis, dass jemand, der aufgrund<br />
eines fehlerhaften Besitzerwerbs (zB nichtiger<br />
Mietvertrag) innehat, dh von Anfang an fehlerhaft<br />
besitzt, anders behandelt wird als derjenige, dessen<br />
Besitzrecht nachträglich erlischt. Auch diese Differenzierung<br />
erscheint mE nicht sonderlich gut begründbar<br />
zu sein.<br />
Bleibt es dann aber bei einer Haftung nach<br />
§§ 335, 338, lässt sich dies wohl nur mehr durch die<br />
weitgehende Übernahme des restituere-Konzepts<br />
erklären. Das ist zumindest dann in sich schlüssig,<br />
wenn man zusätzlich die ratio dieser Bestimmungen<br />
in einer haftungssteigernden Auffangregelung,<br />
als Statuierung einer gesetzlichen Mindesthaftung,<br />
bedungen durch die „Signalwirkung“ der Klageerhebung,<br />
zu Gunsten des Eigentümers sieht 118 . De<br />
116<br />
Gursky in Staudinger, BGB 5 Vor §§ 987–1003 Rz 22.<br />
117<br />
Ähnlich Berger in Jauernig/BGB 14 Vorbemerkungen<br />
zu den §§ 987–993 Rz 7: Der Normenkomplex sei nur<br />
auf den erstmaligen Besitzerwerb zugeschnitten; dagegen<br />
jedoch Köbl, Eigentümer-Besitzer 140 ff.<br />
118<br />
Gursky in Staudinger, BGB 5 Vorbemerkung zu<br />
§§ 987–1003 Rz 22.<br />
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<strong>wobl</strong><br />
2012, Heft 9<br />
September<br />
P. Fidler, Der Räumungsprozess als Auseinandersetzung zwischen Eigentümer und Besitzer 323<br />
lege lata hat es nach alldem dabei zu bleiben, dass<br />
in Räumungsprozessen die §§ 335, 338 zur Anwendung<br />
kommen und obligatorische Rückforderungsansprüche<br />
diese auch nicht ausschließen können.<br />
G. Ergebnisse<br />
1. In Räumungsprozessen macht der Bestandgeber<br />
regelmäßig sein Eigentumsrecht geltend, das<br />
ihm erlaubt, seine daraus zukommende Ausschließungsmacht<br />
zu verwirklichen. Alternative<br />
Anspruchsgrundlage für den Bestandgeber,<br />
der zugleich Eigentümer ist und Schadenersatzansprüche<br />
gegen den Bestandnehmer geltend<br />
macht, sind neben allgemeinen Regeln daher die<br />
Bestimmungen über das Eigentümer-Besitzer<br />
Verhältnis nach den §§ 329 ff.<br />
2. Bei Rechtsbesitzern sind in zweipersonalen Verhältnissen<br />
sowie im Falle des einvernehmlichen<br />
Besitzerwerbs die § 329 ff weitgehend nicht beachtlich.<br />
Erst gegen Ende des Rechts zur Innehabung<br />
werden diese virulent.<br />
3. In § 338 kommt der aus dem römischen Recht<br />
stammende restituere-Grundsatz zum Ausdruck,<br />
die Marginalrubrik des ABGB ist missverständlich.<br />
Der Beklagte soll auf omnis causa<br />
haften, der Kläger dadurch so gestellt werden,<br />
wie er stünde, wenn sein Anspruch sofort erfüllt<br />
wäre. Er ist damit gleichzeitig eine Verbindungsstelle<br />
zwischen materiellem und formellem<br />
Recht. Auch die Vorläuferkodifikationen des<br />
ABGB kennen entsprechende Bestimmungen.<br />
4. Durch das Heranziehen von § 338 kann es zu<br />
Abweichungen von allgemeinen Grundsätzen<br />
der Verschuldenshaftung kommen, falls der Inhaber<br />
bis zum Ende des Prozesses redlicherweise<br />
an sein Recht zur Innehabung glauben durfte.<br />
5. Der Grundsatz der Rsp, die §§ 335, 338 seien auf<br />
die Verletzung obligatorischer Rechte nicht anwendbar,<br />
hilft bei Räumungsprozessen nicht<br />
weiter, da der Bestandgeber ebenso sein Eigentumsrecht<br />
geltend machen kann.<br />
6. Auch der Einwand, die Abwicklung von Schuldverhältnissen<br />
bewirke keine Verbindlichkeit<br />
nach sachenrechtlichen Vorschriften, lässt sich<br />
de lege lata wohl nicht aufrecht erhalten. Obligatorische<br />
Rückforderungsansprüche schließen<br />
nach in Österreich einhelliger Lehre die Vindikation<br />
nicht aus. Zur Verdrängung der Nebenfolgen<br />
bedarf es dann aber gewichtiger teleologischer<br />
Argumente. Diese können mE nicht gefunden<br />
werden, sodass es bei der Haftung des<br />
Bestandnehmers in Räumungsprozessen nach<br />
§§ 335, 338 zu bleiben hat. Das ist Konsequenz<br />
einer weitgehenden Übernahme des restituere-<br />
Konzepts.<br />
Korrespondenz: Univ.-Ass. Mag. Philipp Fidler,<br />
<strong>Institut</strong> für <strong>Zivilrecht</strong>, Universität <strong>Wien</strong>, Schottenbastei<br />
10–16, 1010 <strong>Wien</strong>. Email: philipp.fidler@<br />
univie.ac.at.<br />
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