FUTURES
Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann. Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011
Publikation zum 2. Jubiläum von PLATFORM3 München, als Ergänzung zum Künstlerkatalog PLATFORM3 works. Die Natur dieser Publikation ist ausdrücklich dokumentarisch. Fotografien: Jörg Koopmann.
Herausgeber: Birgit Pelzmann, Nikolai Vogel, Marlene Rigler für PLATFORM3-Räume für zeitgenössische Kunst. München, 2011
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Patricia Lincke<br />
„The future is wide open“ –<br />
vom Wahrsagen und Hochrechnen<br />
Sara Duana Meyer<br />
Wahrsager haben heutzutage kein sonderlich hohes Ansehen.<br />
Und auch Propheten haben es schwer, obgleich das Bedürfnis der<br />
Menschen zu wissen, was geschehen wird, nicht geringer geworden<br />
ist seit den Tagen, als Delphi als Mittelpunkt der Welt galt –<br />
bestimmt durch das zugegebenermaßen eher vage GPS zweier<br />
Adler, ausgesandt von Zeus, vom jeweils anderen Ende der Welt.<br />
Bereits in diesem Bild, das den Ort des Wissens über die Zukunft zum<br />
Zentrum der Welt bestimmt, überlappen sich die Zeit- und Raumkoordinaten,<br />
oder vielmehr, wird das Verständnis von Zeit als vierter<br />
Dimension des Universums deutlich.<br />
Was lässt sich über den Begriff der Zukunft sagen?<br />
Zunächst nicht viel – schließlich ist ihre spezifischste Eigenschaft<br />
ihre Unbestimmtheit. Sie kann düster sein oder rosig, verheißungsvoll<br />
oder furchteinflößend. Nichts ist aufregender als die Frage nach der<br />
Zukunft, und solange Zukunft das bleibt, was sie ausmacht – nämlich<br />
noch nicht hier – ist alles möglich, kann man sogar vom Plural, von<br />
multiplen Wahrscheinlichkeiten sprechen.<br />
In einem Gedankensystem, das den Gesetzen der Physik<br />
und einer linearen Zeitrechnung folgt, ist sie aber noch etwas –<br />
nämlich in jedem Fall unvermeidbar. Hier liegt auch ihr ureigenstes<br />
Paradoxon: Zukunft folgt auf die Gegenwart, wodurch sich der<br />
Blick zwangsläufig auf ein ‚danach‘ statt ein ‚voraus‘ richtet. Dies<br />
bedeutet auch, dass das, was wir als Gegenwart verstehen, jener<br />
flüchtige Moment des Transits, des Dazwischen, unvermeidbar<br />
da endet, wo die Zukunft beginnt – nicht umsonst drückt sich die ambivalente<br />
Furcht vor der Ungewissheit dessen, was sein wird, in Endzeitreporten<br />
und apokalyptischen Weltuntergangszenarien aus.<br />
Auch in der Kunst, oder eher, den Künsten, Experimentierfeld<br />
und Projektionsfläche dessen, was die Gesellschaft bewegt,<br />
gab es immer wieder intensive Auseinandersetzungen mit dem, was<br />
‚Zukunft‘ sein kann und wird. Leidenschaftlich verachteten beispielsweise<br />
die Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts all das, was<br />
ihnen traditionell und damit reaktionär, vergangen schien, und<br />
begeisterten sich stattdessen für technologische Entwicklungen, für<br />
Geschwindigkeit und Aggression als Mittel zur Veränderung.<br />
Utopien standen allgemein hoch im Kurs und damit immer auch der<br />
Gegenentwurf zum Ist-Zustand, zum Jetzt.<br />
Doch im Heute des 21. Jahrhunderts stellt sich die Frage:<br />
Sind wir womöglich mittlerweile in der Zukunft angekommen?<br />
Haben dem Raum-Zeit-Kontinuum ein Schnippchen geschlagen?<br />
Die letzten paar Jahrzehnte haben massive Umbrüche und<br />
radikale Veränderungen in einem Ausmaß mit sich gebracht, das<br />
noch vor hundert Jahren niemand vorhersehen konnte. Oder etwa<br />
doch? Hätte man einem Propheten geglaubt, der unseren heutigen<br />
Alltag weissagte? Globale Entgrenzungen oder, mit einem<br />
Begriff Gilles Deleuzes, Deterritorialisierung und damit transnationale<br />
Mechanismen, die sich in einem ständigen Fluss von Waren,<br />
Menschen und Information aller Art ausdrücken. Globale Ströme,<br />
19