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Diskussion – Kapitel 5.2.<br />

Die zwei sich ergänzenden Methoden für die Ermittlung des Sterbealters und des<br />

Geschlechts der Individuen zeigen trotz des hohen Fragmentierungsgrads ein sehr<br />

detailliertes Bild des Kollektivs: Von 126 Individuen ließ sich nur eines als weiblich<br />

identifizieren, über 80% der Individuen sind zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr<br />

verstorben. Überreste von Kindern und sehr alter Individuen fehlen völlig. Ein militärischer<br />

Hintergrund der Individuen liegt somit nahe (vgl. Kap. 4.2. und 4.3.).<br />

Durch den Fragmentierungsgrad sowie die in einigen Fällen unsichere Zuordnung<br />

wurde gerade die Ermittlung des Sterbealters durch die histologischen Untersuchungen<br />

entscheidend gestützt. Während bei jugendlichen Individuen durch die morphologischen<br />

Kriterien das Sterbealter sehr genau bestimmt werden konnte, liefern bei<br />

Erwachsenen die histologischen Untersuchungen zuverlässige Näherungen. Ähnlich<br />

verhält es sich bei der Geschlechtsdiagnose. Zwar fallen nur wenige Skelettelemente<br />

morphologisch in das Spektrum weiblicher Individuen, doch letztlich liefern die genetischen<br />

Untersuchungen die Bestätigung, dass sich unter den Individuen mindestens<br />

eine Frau befindet.<br />

Die gefundene Alters- und Geschlechtsverteilung bestätigt die Tendenzen aus den<br />

ersten Stichproben der Rechtsmedizin Gießen und der Anthropologie Mainz und<br />

sorgt dennoch für neue Erkenntnisse. Nicht alle Individuen sind jung verstorben, es<br />

befinden sich mehrere Individuen fortgeschrittenen Alters darunter. Ein Vergleich zu<br />

dem Massengrab napoleonischer Truppen, das in Vilnius, Litauen, gefunden wurde<br />

und auf das Jahr 1812 datiert werden konnte, zeigt jedoch eine sehr ähnliche Verteilung<br />

(Signoli et al. 2004): von den 430 Individuen, von denen das Sterbealter genauer<br />

bestimmt werden konnte, waren 46 (10,7%) unter 20 Jahre alt, 326 (75,8%) zwischen<br />

20 und 30 Jahre alt, 58 (13,5%) waren älter (darunter 8 [1,6%] in der Altersklasse<br />

Maturitas). Das jüngste Individuum war ca. 15 Jahre alt. Dies deckt sich auffallend<br />

mit der Altersverteilung des Kasseler Kollektivs.<br />

Im Kollektiv befanden sich auch die Überreste einer jungen Frau. Wie sie zu den<br />

restlichen Individuen stand, kann an dieser Stelle nicht definitiv beantwortet werden.<br />

Ein mögliches Szenario ist, dass die Frau zum Tross der Truppen gehörte und selbst<br />

eine Fremde in Kassel war. Frauen waren damals ein integraler Bestandteil der französischen<br />

Armee und wurden als cantinières, blanchisseuses et vivandières bezeichnet;<br />

ihre Aufgaben war das Kochen, Waschen, die medizinische Assistenz oder der<br />

Verkauf von Waren (Signoli et al. 2004, vgl. Kap. 1.2.). Im erwähnten Massengrab<br />

aus Vilnius war das Geschlechterverhältnis 29 Frauen zu 1338 Männern (2,1%), welches<br />

damit sogar einen höheren Frauenanteil aufweist als im Kasseler Kollektiv.<br />

Durch ihre Assoziation mit den französischen Truppen wäre die Frau dann bei einer<br />

Infektion ebenfalls in das Notlazarett eingeliefert worden (vgl. Kap. 1.1.). Allerdings<br />

ist nicht bekannt, ob ein solcher Tross zur fraglichen Zeit im Winter 1813 auch in<br />

Kassel war. Weiterhin erwähnen die historischen Unterlagen keine Unterbringung<br />

von Frauen in dem Lazarett, sondern nur Soldaten (persönliches Gespräch v. Klobuczynski).<br />

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Frau zum Pflegepersonal im<br />

Lazarett gehörte und sich ebenfalls mit dem Nervenfieber angesteckt hatte (vgl. Kap.<br />

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