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Diskussion – Kapitel 5.1.<br />
5. Diskussion<br />
5.1. Bestandsaufnahme und Mindestindividuenzahl<br />
Bereits in der Bestandsaufnahme der Langknochen zeigte sich, dass ein starkes Ungleichgewicht<br />
zwischen den Knochentypen herrscht, wobei die größeren Langknochen<br />
in der Überzahl vorliegen. Darüber hinaus weisen die meisten Knochen aus<br />
dem Massengrab postmortale Beschädigungen auf, z.T. sind nur Diaphysenfragmente<br />
überliefert. Von den fragileren Elementen, etwa Fibulae, Schädel oder Scapulae,<br />
liegen nur wenige unbeschadet vor. Der schlechte Zustand kann dabei teilweise<br />
durch den Bergungsprozess und die anschließende Lagerung erklärt werden. Die<br />
Polizeischüler, die im Januar bei schlechtem Wetter und mehr oder weniger unter<br />
Zeitdruck die Knochen bargen, können nicht als qualifiziertes Bergungspersonal gelten.<br />
Die Wiederbestattung in einfachen Särgen, die durch den Erddruck eingebrochen<br />
waren, dürfte für einen Teil der Beschädigungen verantwortlich sein. Dennoch gibt<br />
es auch Hinweise, dass das Massengrab schon bei der Ausgrabung im Januar 2008<br />
gestört vorlag:<br />
Nach einigen Augenzeugenberichten sind die gefundenen Skelette nur ein Teil eines<br />
ursprünglich größeren Grabes gewesen, das bereits früher gestört wurde. Dabei geht<br />
die älteste Erwähnung auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück, als Kinder auf<br />
dem Gelände Höhlen gebaut haben und dabei auf Gebeine gestoßen sein sollen. Zeitungsartikel<br />
aus dem Jahr 1936 berichten von einem großen Skelettfund in der Bernhardistraße<br />
beim Neubau der Henschelwerke, die sich auf dem Grundstück etwas<br />
nördlich der aktuellen Knochenfunde befanden (Kasseler Neuesten Nachrichten vom<br />
21./22.10.1936). Insgesamt ist von etwa 50 Skeletten die Rede. Was mit den damals<br />
gefundenen Skeletten geschehen ist, ist jedoch nicht überliefert. Ein weiteres Ereignis,<br />
das den Fundort betrifft, fand ein paar Jahre später statt: Im Zweiten Weltkrieg<br />
wurde das Areal der Henschelwerke von Bomben getroffen.<br />
Somit ist es höchst wahrscheinlich, dass die vorliegenden Skelettelemente ein weiterer<br />
Teil der Knochenfunde aus den 30er Jahren ist, der vermutlich auch noch durch<br />
Bombentreffer gestört wurde. Auch die Diskrepanz zwischen morphologisch und<br />
genetisch ermittelter Mindestindividuenzahl könnte auf eine bereits gestörte Fundsituation<br />
hinweisen. Während nur 106 linke bzw. rechte Femora gefunden wurden,<br />
konnten genetisch 126 Individuen identifiziert werden. Somit können nicht alle Individuen<br />
repräsentativ überliefert worden sein. 22 Knochen konnten bisher mit keinen<br />
weiteren Skelettelementen assoziiert werden. Insgesamt ist durch die historischen<br />
Begebenheiten sowie die Fund- und Bergungssituation das Knochenmaterial stark in<br />
Mitleidenschaft gezogen worden. Wie viele Informationen dadurch zerstört wurden,<br />
lässt sich nicht abschätzen.<br />
Durch den hohen Fragmentierungsgrad der Knochen war eine sichere Zuordnung der<br />
Skelettelemente zu einem Individuum nur bedingt möglich. So z.B. wird die Rekonstruktion<br />
von Extremitäten entscheidend durch die Überprüfung auf funktionale Ge-<br />
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