pdf-Datei - Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

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INFORMATIONEN ZUM DENKMAL 18 »Meine Lieben! Ich habe schon eine Karte an euch geschrieben über das Schicksal, das uns getroffen hat. Sie bringen uns nach Chelmno und vergasen uns. Dort liegen schon 25.000 Juden. Das Gemetzel geht weiter. ›Habt ihr denn kein Erbarmen mit uns?‹ Natan, das Kind, Mutter und ich haben uns gerettet, sonst niemand. Ich weiß nicht, was mit uns weiter sein wird, ich habe keine Lebenskraft mehr. Wenn Tante Bronia schreibt, dann schreibt ihr über alles. Ich grüße euch herzlich, Fela« Quelle: Żydowski Instytut Historyczny – Instytut Naukowo-Badawczy, Warschau Die kommunistische Untergrundzeitung »Morgnfrajhajt« veröffentlichte den Wortlaut von Felas Nachricht am 9. Februar 1942. Es war eine der ersten Nachrichten über die Massenmorde durch Giftgas. Das weitere Schicksal Felas ist nicht bekannt. Eine weitere Notiz, die von einem sowjetischen Soldaten in Byten nahe Baranowicze in Ostpolen (heute Weißrussland) gefunden wurde, berichtet von der Todesangst der zwölfjährigen Judith Wischnjatskaja. »31. Juli 1942 – Lieber Vater! Vor dem Tod nehme ich Abschied von dir. Wir möchten so gerne leben, doch man lässt uns nicht, wir werden umkommen. Ich habe solche Angst vor diesem Tod, denn die kleinen Kinder werden lebend in die Grube geworfen. Auf Wiedersehen für immer. Ich küsse dich inniglich. Deine J.« Quelle: Yad Vashem, Jerusalem In den nur teilweise erhaltenen Aufzeichnungen von Lejb Langfus (um 1910 bis 1944) sind die Zustände in den Deportationszügen beschrieben worden. »Die zusammengepresste Menschenmasse (...) konnte wegen des großen Gedränges die Menschen in der (...) Luft hängend halten; dreißig Stunden lang ermöglichte das ihnen, auf den [Beinen] zu stehen. Keine Unterhaltungen, keine Diskussionen wurden unterwegs (...) geführt. Alle waren nur halb bei Sinnen vor Müdigkeit und Erschöpfung. Diese Enge drückte den [Stempel] der Ermüdung und Entkräftung allen auf [und] trug [im entscheidenden] Augenblick den Sieg über den Geist davon. Ein einziges Mal wurde die Tür des Waggons geöffnet; es kamen zwei Gendarmen herein, die auf dem Tauschwege für Eheringe, die ihnen von den Frauen gegeben wurden, diesen erlaubten, etwas zu trinken.« Quelle: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Oświęcim Der Rabbiner Lejb Langfus wurde aus dem Ghetto Maków Mazowiecki (Polen) Ende 1942 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und zur Arbeit im Krematorium gezwungen. Am 26. November 1944 wurde er mit hundert weiteren Häftlingen aus diesem Kommando ermordet.

INFORMATIONEN ZUM DENKMAL 19 RAUM DER FAMILIEN (RAUM 2) Anhand von 15 jüdischen Familienschicksalen werden in diesem Raum unterschiedliche soziale, nationale, kulturelle und religiöse Lebenswelten dargestellt. Dadurch wird der Kontrast zwischen dem Leben vor, während und nach der Verfolgung, die Zerstörung dieser Kultur sowie der damit verbundene Verlust veranschaulicht. Fotos und persönliche Dokumente berichten von Auflösung, Vertreibung und Vernichtung dieser Familien und ihrer Mitglieder. Die Geschichten jüdischer Familien spiegeln die Vielfalt der Lebenswelten der europäischen Juden vor dem Holocaust. In der Familie wurden religiöse Traditionen gepflegt und weitergegeben. Die hier gezeigten Geschichten machen aber auch den Wandel deutlich, den die europäischen Juden seit dem Erstarken religiöser und politischer Reformbewegungen im 19. Jahrhundert durchliefen. Die Veränderungen zwischen den Generationen sind in den ausgestellten Porträts deutlich erkennbar. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus in den 1930er Jahren bot die Familie – neben der jüdischen Gemeinde – einen wichtigen Rückhalt für die Verfolgten. Die deutsche Besatzungsherrschaft in großen Teilen Europas riss nahezu alle familiären Verbindungen auseinander. Die wenigen Überlebenden haben häufig ihre gesamte Verwandtschaft verloren. Ihre Lebenswelt und ihr kulturelles Umfeld waren ausgelöscht. Im Gegensatz zu den hier ausgestellten Familiengeschichten blieben häufig nicht einmal einzelne Photographien erhalten. Familie Haberman So steht zum Beispiel die Familiengeschichte der Habermans für die jüdische Geschichte in Galizien, einst ärmste Provinz Österreich- Ungarns, ab 1918 wieder Teil Polens. Die Familie lebte in Boryslaw, einem Zentrum der Erdölförderung. Die Habermans betrieben dort ein Getreidegeschäft. Der Sohn Joseph gehörte der zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hatzair an. Im Sommer 1941 geriet die Stadt unter deutsche Besatzung. Wie in ganz Galizien errichtete die SS auch in Boryslaw ein Terrorsystem. Im August 1942 wurden die Habermans auseinander gerissen. Die Mutter starb mit zehntausenden anderen Juden aus der Region im Vernichtungslager Belzec. Der Vater Fischel und die Kinder wurden in einem Zwangsarbeiterlager der kriegswichtigen Erdölindustrie interniert. Immer wieder führte die SS Massenerschießungen, sogenannte Aktionen, durch. Den Familienmitgliedern gelang es, sich zum Bau von Verstecken zeitweise aus dem Lager zu entfernen. Kurz vor der Befreiung der Stadt ließ der SS-Lagerkommandant Fischel Haberman und seinen Sohn erschießen. Familie Demajo Die Geschichte der Familie Demajo aus Belgrad, Jugoslawien (heute Serbien), steht hingegen für Lebenswelten der sephardischen Juden auf dem Balkan. Die Vorfahren der Demajos waren um 1500 als Flüchtlinge aus Spanien nach Belgrad gekommen. In der Familie wurde, neben Serbokroatisch, auch noch Ladino gesprochen, die

INFORMATIONEN ZUM DENKMAL<br />

18<br />

»Meine Lieben! Ich habe schon eine Karte an euch geschrieben über<br />

das Schicksal, das uns getroffen hat. Sie bringen uns nach Chelmno<br />

und vergasen uns. Dort liegen schon 25.000 <strong>Juden</strong>. Das Gemetzel<br />

geht weiter. ›Habt ihr denn kein Erbarmen mit uns?‹ Natan, das<br />

Kind, Mutter und ich haben uns gerettet, sonst niemand. Ich weiß<br />

nicht, was mit uns weiter sein wird, ich habe keine Lebenskraft mehr.<br />

Wenn Tante Bronia schreibt, dann schreibt ihr über alles. Ich grüße<br />

euch herzlich, Fela«<br />

Quelle: Żydowski Instytut Historyczny – Instytut Naukowo-Badawczy, Warschau<br />

Die kommunistische Untergrundzeitung »Morgnfrajhajt« veröffentlichte<br />

den Wortlaut von Felas Nachricht am 9. Februar 1942. Es war<br />

eine der ersten Nachrichten über <strong>die</strong> Massenmorde durch Giftgas.<br />

Das weitere Schicksal Felas ist nicht bekannt.<br />

Eine weitere Notiz, <strong>die</strong> von einem sowjetischen Soldaten in Byten<br />

nahe Baranowicze in Ostpolen (heute Weißrussland) gefunden<br />

wurde, berichtet von der Todesangst der zwölfjährigen Judith<br />

Wischnjatskaja.<br />

»31. Juli 1942 – Lieber Vater! Vor dem Tod nehme ich Abschied von<br />

dir. Wir möchten so gerne leben, doch man lässt uns nicht, wir werden<br />

umkommen. Ich habe solche Angst vor <strong>die</strong>sem Tod, denn <strong>die</strong><br />

kleinen Kinder werden lebend in <strong>die</strong> Grube geworfen. Auf Wiedersehen<br />

für immer. Ich küsse dich inniglich. Deine J.«<br />

Quelle: Yad Vashem, Jerusalem<br />

In den nur teilweise erhaltenen Aufzeichnungen von Lejb Langfus<br />

(um 1910 bis 1944) sind <strong>die</strong> Zustände in den Deportationszügen beschrieben<br />

worden.<br />

»Die zusammengepresste Menschenmasse (...) konnte wegen des<br />

großen Gedränges <strong>die</strong> Menschen in der (...) Luft hängend halten;<br />

dreißig Stunden lang ermöglichte das ihnen, auf den [Beinen] zu<br />

stehen. Keine Unterhaltungen, keine Diskussionen wurden unterwegs<br />

(...) geführt. Alle waren nur halb bei Sinnen vor Müdigkeit und<br />

Erschöpfung. Diese Enge drückte den [Stempel] der Ermüdung und<br />

Entkräftung allen auf [und] trug [im entscheidenden] Augenblick<br />

den Sieg über den Geist davon. Ein einziges Mal wurde <strong>die</strong> Tür des<br />

Waggons geöffnet; es kamen zwei Gendarmen herein, <strong>die</strong> auf dem<br />

Tauschwege für Eheringe, <strong>die</strong> ihnen von den Frauen gegeben wurden,<br />

<strong>die</strong>sen erlaubten, etwas zu trinken.«<br />

Quelle: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Oświęcim<br />

Der Rabbiner Lejb Langfus wurde aus dem Ghetto Maków Mazowiecki<br />

(Polen) Ende 1942 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt<br />

und zur Arbeit im Krematorium gezwungen. Am 26. November<br />

1944 wurde er mit hundert weiteren Häftlingen aus <strong>die</strong>sem Kommando<br />

ermordet.

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