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pdf-Datei - Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas

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AUSSTELLUNGEN<br />

»DER PROZESS – ADOLF EICHMANN VOR GERICHT«<br />

Im April 1961 eröffnete das Jerusalemer Bezirksgericht das Verfahren gegen den ehemaligen SS-<br />

Obersturmbannführer und Leiter des Referats IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann.<br />

Die Verhandlung gegen einen Hauptverantwortlichen für <strong>die</strong> Durchführung des Holocaust,<br />

den »Spediteur des Todes«, wie ihn Generalstaatsanwalt Gideon Hausner bezeichnete, wurde zu<br />

einem großen Me<strong>die</strong>nereignis. Aus Anlass des 50. Jahrestages des Prozessbeginns konzipierten<br />

<strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Denkmal</strong>, <strong>die</strong> <strong>Stiftung</strong> Topographie des Terrors und <strong>die</strong> Gedenk- und Bildungsstätte<br />

Haus der Wannseekonferenz eine Ausstellung, <strong>die</strong> von April bis September 2011 in Berlin und<br />

anschließend für weitere drei Monate in Wien gezeigt wurde (Kuratoren: Dr. Ulrich Baumann und<br />

Lisa Hauff). Die Zusammenarbeit der drei Berliner Institutionen spiegelt sich im Konzept der Ausstellung<br />

wider, in das sie ihre jeweiligen Arbeitsschwerpunkte einbrachten. So geht es nicht nur<br />

um einen Täter, sondern auch um <strong>die</strong> Überlebenden des Holocaust: In Jerusalem begann <strong>die</strong> Ära<br />

der Zeitzeugen. Den Kern der Ausstellung bilden historische Fernsehaufzeichnungen aus dem<br />

Gerichtssaal, <strong>die</strong> seinerzeit durch den amerikanischen Dokumentarfilmer Leo Hurwitz erstellt wurden.<br />

Ihre Präsentation an acht Me<strong>die</strong>nstationen erlaubt es den Besuchern, <strong>die</strong> Vorgänge in Jerusalem<br />

aus nächster Nähe nachzuvollziehen. Die Dramatik <strong>die</strong>ses Prozessverlaufs spiegelt sich auch<br />

in der Ausstellungsarchitektur wieder, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Berliner Agentur m.o.l.i.t.o.r. entwickelt wurde.<br />

Den Gestaltern gelang es, eine »Gerichtsarena« zu schaffen, <strong>die</strong> den Jerusalemer Jahrhundertprozess<br />

auch baulich nachvollzog.<br />

Werkstattbericht<br />

Etwa 300 Stunden Filmmaterial blieben vom Verfahren erhalten. Als Kurator stand ich, gemeinsam<br />

mit meiner Kollegin Lisa Hauff, vor der Aufgabe, den Besuchern Schlüsselszenen zu präsentieren.<br />

Dabei ging es auch darum, <strong>die</strong> Strategien des Täters »freizulegen« und zu zeigen, wie es dem<br />

Gericht gelang, <strong>die</strong>se zu durchkreuzen. Da <strong>die</strong> Aufnahmen zum Zeitpunkt unserer Recherche noch<br />

nicht im Internet zugänglich waren, galt es zunächst, das Verfahrensprozessprotokoll durchzuarbeiten.<br />

Dann erst ging es zur Sichtung des Filmmaterials und damit näher an das Prozessgeschehen.<br />

Am Mitschnitt der Sitzung vom 21. Juli 1961 wird deutlich, welches Potential <strong>die</strong> bewegten<br />

Bilder für das Verständnis des Verfahrens besitzen. Richter Itzhak Raveh war an <strong>die</strong>sem Tag im<br />

Begriff, Eichmanns Selbstdarstellung als seelisch zerrissenes, »kleines Rädchen« im Reichssicherheitshauptamt<br />

in Frage zu stellen. Raveh sprach Eichmann auf Deutsch an. Er konfrontierte den<br />

ehemaligen SS-Obersturmbannführer mit den soldatischen Werten Mut und Härte. Dabei brachte<br />

der Richter einen Vergleich mit dem als schwach und skrupulös geltenden ehemaligen Kollegen<br />

Eichmanns, Albert Hartl, ins Spiel, den Gestapochef Heinrich Müller angeblich »Weichl« genannt<br />

hatte. Raveh wollte es wissen. »Und Ihnen hat Müller nie gesagt, Sie müssten nicht Eichmann<br />

heißen, sondern ›Weichmann‹ heißen?«, fragte er den Angeklagten. Im Protokoll steht als Antwort<br />

ein einfaches: »Nein«. War Eichmann empört über <strong>die</strong>sen Vergleich? Wollte er ihn weit von sich weisen?<br />

Erst im bewegten Bild erhalten wir <strong>die</strong> Auflösung. Eichmann lächelt, mit einer gewissen Zufriedenheit.<br />

Richter Ravehs Plan war aufgegangen, Eichmann wies den Vergleich amüsiert zurück –<br />

damit aber hatte er sich belastet. Als Kurator und Historiker faszinierte mich – bei aller gebotenen<br />

wissenschaftlichen Distanz zum Thema – dass der Jurist Raveh hier eine Frage stellte, für <strong>die</strong> sich<br />

<strong>die</strong> Geschichtswissenschaft erst Jahrzehnte in größerem Rahmen zu interessieren begann. Indem<br />

er auf Eichmanns Selbstbild als SS-Mann anspielte, fragte er (vielleicht intuitiv) nach seiner Männlichkeit<br />

und zielte auf seinen Ehrbegriff – in <strong>die</strong>sem Sinne also eine ganz besondere Schlüsselszene<br />

des Prozesses, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Besucher in der entsprechenden Me<strong>die</strong>nstation betrachten können.<br />

Dr. Ulrich Baumann<br />

34 ERINNERUNG AN DIE ERMORDETEN JUDEN EUROPAS 35

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