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ZLB ZUKUNFTSWERKSTATT LINKE BILDUNGSPOLITIK - Die Linke

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Brecht seinem Galilei in den Mund gelegt hat, ein Satz der ganz menschlich, ganz politisch und<br />

gleichwohl ganz unideologisch ist, der Wissenschaft in die gesellschaftliche und politische<br />

Verantwortung nimmt und ihr damit zugleich erst die nötige Freiheit gibt von dem, was ist: "Ich halte<br />

dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen<br />

Existenz zu erleichtern." 11<br />

Aber, gerät eine solche durchaus parteiliche, gesellschaftskritische, ja politische Wissenschaft nicht in<br />

Widerspruch zu jener grundsätzlichen Forderungen der Objektivität, die wir gemeinhin und mit gutem<br />

Recht von der Wissenschaft auch fordern? Ich kann dieses grundlegende Problem in diesem Rahmen<br />

nicht ausführlich erörtern, aber gleichwohl einen Lösungsweg aufzeigen. Missversteht man den<br />

Begriff der Objektivität nicht als ganz und gar positivistischen, dann hat eine kritische Wissenschaft<br />

im Gegenteil einen Wahrhaftigkeitsvorteil. Denn es gehört zum Selbstverständnis (selbst-) kritischen<br />

Wissenschaft, die wissenschaftstheoretischen, methodologischen, politischen und gesellschaftlichen<br />

Positionen und Optionen, die die eigene Darstellung und den Forschungsverlauf bestimmen, offen zu<br />

legen und damit diskutierbar zu machen, wie Jürgen Habermas schon früh in „Erkenntnis und<br />

Interesse“ dargelegt hat. Eine praktikable kritische wissenschaftstheoretische Position wird davon<br />

ausgehen, dass weder die Logik des zu untersuchenden Gegenstandes selbst, noch die den Forscher<br />

bestimmenden Praxis- und Wertzusammenhänge eindeutig Forschungsgegenstand, Kategorien und<br />

Fragestellung bestimmen; sie weiß zugleich, dass die Strukturen der untersuchten Sache wiederum<br />

nicht indifferent sind gegenüber dem leitenden Erkenntnisinteresse; sie wird vom Wissenschaftler<br />

verlangen, im Untersuchungsvorgang zugleich auch die eingebrachten Wertgesichtspunkte und<br />

theoretischen Vorentscheidungen und Implikationen zur Disposition zu stellen. <strong>Die</strong> Sachlichkeit des<br />

Erkenntnisvorgangs bleibt gleichwohl in dem Maße gewährleistet, in dem das Erkenntnissubjekt nicht<br />

nur den Gegenstand selbst, sondern zugleich auch seinen eigenen Bildungsprozess zu durchschauen<br />

lernt. In der Auseinandersetzung mit der Position Wilhelm Diltheys, eines für die für das<br />

Selbstverständnis vor allem der Geisteswissenschaften noch immer bedeutsamen Philosophen, hält<br />

Habermas fest: "Wenn der praktische Lebensbezug der Geisteswissenschaften , der sowohl ihre<br />

historische Entstehung als auch ihren faktischen Verwendungszusammenhang bestimmt, der<br />

hermeneutischen Verfahrensweise nicht nur äußerlich anhaftet, wenn vielmehr das praktische<br />

Erkenntnisinteresse die Ebene der Hermeneutik selber a priori in derselben Weise definiert wie das<br />

technische Erkenntnisinteresse den Rahmen der empirisch-analytischen Wissenschaften, dann kann<br />

daraus eine Beeinträchtigung der Objektivität der Wissenschaft nicht entstehen - denn das<br />

erkenntnisleitende Interesse legt die Bedingungen mögliche Objektivität der Erkenntnis erst fest.“ 12<br />

Etwas einfacher ausgedrückt: Eine kritische Wissenschaft, die darüber nachdenkt und sagt, was sie<br />

wie, warum und vor allem in welchem Interesse betreibt, ist näher an der Wahrheit als jene<br />

Wissenschaft, die ihre Objektivität beteuert und durch (empirische)Methoden gesichert glaubt,<br />

faktisch aber sich als instrumentalisierbar, ja mißbrauchbar erweist.<br />

11 Bertolt Brecht, Leben des Galilei, Frankfurt/Main 1962, S.152<br />

12 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/Main 1968, S. 223 f.<br />

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