ZLB ZUKUNFTSWERKSTATT LINKE BILDUNGSPOLITIK - Die Linke
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Zweitens: <strong>Die</strong> Universität der Zukunft braucht einen Bildungsbegriff, der gesellschaftliche<br />
Verantwortung, auch politische Orientierung nicht aus-, sondern einschließt, ja kritische,<br />
gesellschaftskritische universitäre Bildung wird zur Überlebensfrage. Allgemeinbildung, so hat mein<br />
früherer Marburger Kollege Wolfgang Klafki schon vor fast einem Vierteljahrhundert formuliert,<br />
"muss gerade heute, neu aufkommenden Entpolitisierungsbestrebungen entgegen, auch als politische<br />
Bildung zur aktiven Mitgestaltung eines weiter voranzutreibenden Demokratisierungsprozesses<br />
verstanden werden." 9 Wer den Begriff der allgemeinen Bildung, das hat Klafki in der pädagogischen<br />
Debatte über Jahrzehnte wirkungsmächtig formuliert, "retten" will, besser ihn trotz aller historischen<br />
Begrenztheit, ins Zentrum pädagogischer Theorie stellen will, muss ihn notwendig um die Dimension<br />
des Politischen erweitern. Themen und Probleme, die, nimmt man sie überhaupt wahr, gemeinhin der<br />
politischen Bildung zugeschrieben werden, werden dann auch Themen der allgemeinen Bildung,<br />
natürlich auch an den Universitäten. Was beispielsweise der Landesverband Hessen der Deutschen<br />
Vereinigung für politische Bildung schon 1988, lange vor der gegenwärtigen Krise aber noch immer<br />
ganz aktuell, in einer bildungspolitischen Stellungnahme formulierte, gilt noch immer für die<br />
politische Bildung, und es gilt auch für Wissenschaft und Universität. "Es ist fast schon eine<br />
Binsenwahrheit", heißt es in seiner bildungspolitischen Stellungnahme von damals, "dass die<br />
Menschheit heute weltweit, insbesondere aber auch in den entwickelten Industriegesellschaften, vor<br />
außerordentlich großen Herausforderungen steht, für die es keine historischen Beispiele gibt. <strong>Die</strong><br />
zentralen Probleme, die in den kommenden Jahrzehnten gelöst werden müssen, sind im wesentlichen<br />
bekannt. Es sind dies vor allem:<br />
- das Problem der dauerhaften Friedenssicherung angesichts der Möglichkeit zur Selbstvernichtung<br />
der Gattung;<br />
- das Problem einer ökologisch verantwortbaren Politik angesichts der Möglichkeit irreparabler<br />
Schäden an der Biosphäre;<br />
- die Überwindung der Verelendung der Mehrheit der Menschen in der Dritten Welt angesichts einer<br />
weiterwachsenden Bevölkerung;<br />
- die fortdauernde Arbeitslosigkeit und die Folgen des Einsatzes der Neuen Technologien in<br />
Arbeitswelt, Kommunikationswesen, Freizeit, die die industrielle Gesellschaft tief bleiben ändern<br />
werden;<br />
- die Chancen und Gefahren der Bio- und Gen-Technologie, die erstmals den gezielten Eingriff in die<br />
menschliche Evolution ermöglicht;<br />
- die Neubestimmung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander angesichts der Emanzipation der<br />
Frauen;<br />
- die weitreichenden Folgen eines veränderten generativen Verhaltens der Bevölkerung in der<br />
Bundesrepublik." 10<br />
Gesellschaftliche, ja politische Verantwortung der Wissenschaft und Freiheit und Objektivität der<br />
Wissenschaft? Auch da ergibt sich am Ende ein nur scheinbar paradox er Befund. Erst eine<br />
Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, erst eine in diesem Sinne politische Wissenschaft,<br />
gibt der Wissenschaft und der Universität jenen Freiraum des Forschens, des Lehrens und Lernens, die<br />
Freiheit vor allem und nicht zuletzt vor den jeweils aktuellen ökonomischen Zwängen und Zwecken,<br />
die sie mit dem einfachen Rückgriff auf die „alte" Universität Humboldtscher Prägung zu gewinnen<br />
sucht. Ja erst die politisch bewusst wahrgenommene Distanz zu den Mächten und Akteuren des<br />
politischen (und ökonomischen!) Status quo schützt die Wissenschaft als kritische Wissenschaft vor<br />
affirmativen Fehlschlüssen und politischer Instrumentalisierung und Selbstinstrumentalisierung, wie<br />
nicht zuletzt die Geschichte der Universität während des sogenannten Dritten Reiches schmerzlich<br />
und dramatisch gezeigt hat.<br />
Vielleicht sollte über der Universität von morgen, für die Studierende Lehrende schon heute eintreten,<br />
ja angesichts der Macht des Faktischen kämpfen müssen, ein Satz stehen, den der Marxist Bertolt<br />
9 Wolfgang Klafki, <strong>Die</strong> Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner<br />
Bildung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 4 1986, S. 455-476, hier: S. 475<br />
10 Zitiert nach: Klaus Ahlheim, Mut zur Erkenntnis. Über das Subjekt politischer Erwachsenenbildung,<br />
erweiterte Neuausgabe Schwalbach/Ts. 2008, S. 15 f.<br />
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