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ZLB ZUKUNFTSWERKSTATT LINKE BILDUNGSPOLITIK - Die Linke

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ökonomisch Nützlichen, individuell und gesellschaftlich unmittelbar Verwertbaren und<br />

Gewinnbringenden macht ja nicht einmal vor der Kleinkindererziehung halt.<br />

<strong>Die</strong> in der Tat dringend nötige in Diskussion um öffentliche Kindererziehung wird in der Regel so<br />

geführt, als sei sie nur ein Annex der ökonomischen Hochrüstung der Republik. In meinen Ohren<br />

klingt es schon ein wenig nach nicht unbedingt einfühlsamer und kinderfreundlicher pädagogischer<br />

Verfolgung, wenn eine Redakteurin der noch immer eher als links-liberal geltenden "Frankfurter<br />

Rundschau" (sie ist jetzt übrigens Chef-Redakteurin der "Berliner Zeitung") in einem Kommentar<br />

fragte: "reicht es, zu sagen, das letzte Kindergartenjahr solle obligatorisch sein und möglichst<br />

kostenfrei?" und dann fordert, "dass wir die Kinder vom zweiten Lebensjahr an (also ab dem 13.<br />

Monat ihres Lebens!) bilden, nicht betreuen sollten. Und zwar obligatorisch..." 5 <strong>Die</strong>ter Lenzen,<br />

gelernter Pädagogikprofessor und Präsident der FU Berlin, hat schon früh die Zeichen der Zeit erkannt<br />

und ausgerechnet in einem Kommentar der GEW-Monatsschrift "Erziehung und Wissenschaft"<br />

beklagt, dass seit der "Mitte des 19. Jahrhunderts... ein Typus von Erziehungsverständnis Oberhand<br />

gewonnen" habe, "der durch die Erfindung des Kindes in der Erzeugung von ‚Schonräumen’<br />

Lebensvermeidung kultiviert" habe. Und dann skizziert Lenzen sein eigenes pädagogisches<br />

Programm: "Wir müssen schon in der Grundschule, mit großer Konsequenz aber in der Sekundarstufe<br />

II, in der Hochschule und Berufsausbildung die nachwachsende Generation mit allen Elementen des<br />

Lebensernstes konfrontieren: mit Arbeit, mit ökonomischem Druck, mit sozialen Erwartungen, mit<br />

Rechtfertigungspflicht, mit Verantwortungsübernahme, mit der Verpflichtung, für sich selbst<br />

zuständig sein zu wollen und nicht eine der vielen Opfernischen bewohnen zu wollen, die unser<br />

Gesellschaft bietet." 6 Mehr ökonomischer Druck, pädagogisch gewollt und gefordert schon in der<br />

Grundschule? Das Konzept, entspräche es nicht doch dem bildungspolitischen Zeitgeist, könnte man<br />

als Zynismus abtun angesichts der Hausaufgaben-und anderer schulisch bedingter Dramen, die sich in<br />

Deutschlands Familien täglich abspielen, von dem Drogenkonsum auch der Jüngsten ganz abgesehen,<br />

die mit Pillen schon früh gepäppelt werden, damit sie den Druck wegstecken, der von ihnen verlangt,<br />

einmal mindestens so erfolgreich zu werden wie Papi und Mami. Aber ich fürchte, stünde es zur<br />

Abstimmung, Lenzens Konzept wäre am Ende mehrheitsfähig.<br />

In der Kritik an der modernen Berufszurichtungsanstalt Universität, an einer Bildungspolitik und<br />

einem Bildungsdenken und -system, das die allseitige Verfügbarkeit und Verwertbarkeit des<br />

Menschen zu seinen Zielen erklärt hat, wird immer wieder und meist reflexhaft - auch ich habe mich<br />

daran schon hin und wieder beteiligt - auf das Humboldtsche Bildungsideal und die Idee der<br />

Universität, auf die Freiheit und den Freiraum der Forschung, die Unverfügbarkeit, ja auch<br />

Zweckfreiheit von Bildung verwiesen, wie sie eben bis vor kurzem an den Universitäten noch Realität<br />

gewesen sein soll. In Reisers Begründung seines Rückzugs klingt das so: „Es war einmal eine<br />

Institution, die nannte man ‚Universität’. Da zogen viele junge Leute hin, um das zu genießen, was<br />

man die ‚akademische Freiheit‘ nannte. Sie lasen Bücher, diskutierten und tranken Kaffee. Sie<br />

besuchten die Vorlesungen der Professoren oder auch nicht, denn es bestand keine Pflicht dazu. Es<br />

gab Übungen und Seminare, bei denen man tunlichst nicht allzu oft fehlen sollte. Man schrieb<br />

Seminararbeiten, ab und zu war eine Prüfung zu bestehen und am Ende noch eine Abschlussarbeit zu<br />

schreiben. Dann erhielt man eine Urkunde und hatte damit alle Chancen, eine gute Stelle zu erhalten.<br />

So vergingen 200 Jahre. Da setzte auf einmal ein Unwetter ein, und es hagelte Bestimmungen zur<br />

Umstrukturierung sämtlicher Studiengänge. Das Unwetter erhielt den Namen ‚Bologna’ und machte<br />

dem schönen Leben schnell ein Ende."<br />

Sieht man einmal von der - allerdings nicht unwichtigen - Frage ab, ob es die von Reiser beschriebene<br />

Vor-Bologna-Universität in den Naturwissenschaften, in der Medizin, auch in der juristischen Fakultät<br />

je gegeben hat, solche Verklärung der Universität vor dem Bologna-Prozess erweist sich bei näherem<br />

Hinsehen als unhaltbar, unbegründet, wenn nicht als grob fahrlässig. Ich fange mit einem gewichtigen,<br />

aber nicht unbedingt dramatischen Befund an: Schon vor dem Bologna-Prozess, schon vor 1999,<br />

schon in den letzten Jahrzehnten war die Welt der Universität alles andere als in Ordnung. <strong>Die</strong> so<br />

genannte Massenuniversität, mit vielerorts deutlichen Zügen nicht nur der baulichen Verwahrlosung,<br />

wurde kaputtgespart, von der Politik sehenden Auges heruntergewirtschaftet und trotzdem von der<br />

5 Brigitte Fehrle, Köhler-Rede. Keinem weh und niemand wohl, in: Frankfurter Rundschau, 22. Sept. 2006, S. 3<br />

6 <strong>Die</strong>ter Lenzen, Veränderung als Pflicht, in: Erziehung & Wissenschaft, Heft 3 / 2001, S. 2<br />

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