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ZLB ZUKUNFTSWERKSTATT LINKE BILDUNGSPOLITIK - Die Linke

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<strong>ZLB</strong><br />

<strong>ZUKUNFTSWERKSTATT</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>BILDUNGSPOLITIK</strong><br />

-------------------------------------------------------------------------------------<br />

• 60 Jahre Grundgesetz<br />

• BAG Bildungspolitik tagte<br />

• Lässt PISA wirklich grüßen?<br />

• Krake Bertelsmann überall<br />

• Gewerkschaftstag beendet<br />

BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT <strong>BILDUNGSPOLITIK</strong><br />

Berlin 4/2009<br />

1


IMPRESSUM<br />

Herausgeber: BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand<br />

der Partei DIE <strong>LINKE</strong><br />

Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin<br />

V.i.S.d.P.: Maritta Böttcher, Tel.: 030 / 24009615,<br />

Fax: 030 / 24009645<br />

E-Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

Redaktion: Dr. Gerhard Sielski<br />

E-Mail: gerd_sielski@yahoo.de<br />

Bestellungen: Maritta Böttcher, BAG Bildungspolitik, PF 100,<br />

Redaktionsschluss:<br />

10122 Berlin<br />

Mai 2009<br />

2


Inhaltsverzeichnis Seite<br />

Editorial 5<br />

Thema<br />

60 Jahre Grundgesetz 6<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik tagte – ein Bericht 7<br />

red<br />

Zur Lage in der BAG-Bildungspolitik 10<br />

Gerd Sielski<br />

Eine Schule für alle – Wege zur Gemeinschaftsschule Anhang<br />

Präsentation von Matthias von Salvern (siehe Anhang)<br />

Pragmatische Scheinlösungen oder ein demokratisches Schulsystem?<br />

Wider die Zweigliedrigkeit 12<br />

Brigitte Schumann<br />

Leitlinien linker Ausbildungspolitik 17/18<br />

Beschluss der Parteivorstandes DIE <strong>LINKE</strong> vom 14.3.2009<br />

Aus den Bundesländern<br />

Lässt PISA wirklich grüßen? 22<br />

Manfred Auerswald<br />

Zur schulpolitischen Situation in Schleswig-Holstein Mai 2009 25<br />

Heiko Winckel-Rienhoff<br />

Bildung mit dem Blick auf Europa 26<br />

Gerrit Große<br />

Aus dem Ausland<br />

Gemeinsame bildungs- und jugendpolitische Aktionen<br />

der Sozialdemokraten, <strong>Linke</strong>n und Grünen Schwedens<br />

und ihrer Jugendverbände gegen die Krisenfolgen und die Rechtsregierung 27<br />

Übersetzung: Werner Kienitz<br />

Diskussion<br />

<strong>Die</strong> gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft 32<br />

Klaus Ahlheim<br />

Krake Bertelsmann überall 39<br />

Horst Bethge<br />

DIE <strong>LINKE</strong> im Bundestag<br />

Aus dem Bundestag 45<br />

Sonja Staack<br />

Schuldenbremse für die Länder ist eine falsche Weichenstellung 47<br />

3


Gemeinsame Erklärung von Vertretern der <strong>LINKE</strong>N<br />

Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe 48<br />

Volker Schneider<br />

Information über Ausbildungsmarkt und Berufsbildungsbericht 50<br />

Sonja Staack<br />

Information/ Rezension<br />

Gewerkschaftstag beendet 52<br />

Pm<br />

Recht auf Bildung – Leitschnur bildungspolitischen Handelns 53<br />

Beschluss des GEW-Gewerkschaftstages<br />

www.gew.de<br />

GEW und die Bertelsmann –Stiftung 55<br />

Beschluss des Gewerkschaftstages der GEW<br />

www.gew.de<br />

Erste Schritte auf dem Weg zum inklusiven Schulsystem 56<br />

www.gew.de<br />

Bildungsgewerkschaft zum Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen<br />

mit Behinderungen 58<br />

Pm www.gew.de<br />

Wolfgang Eichler: Was war unsere Schule wert?<br />

59<br />

Volksbildung in der DDR. Hrsg. Uwe Markus.<br />

Berlin: Das Neue Berlin, 2009. 256 S. ISBN 978-3-360-01965-3.-14.90€<br />

Veranstaltungen/ Termine<br />

Schule und Erziehungswissenschaften<br />

Veranstaltungen des Berlin-Brandenburger Forums<br />

„Schule, Pädagogik, Gesellschaft“ im 2.Halbjahr 2009 62<br />

In eigener Sache<br />

Vorbereitungstreffen für einen Arbeitskreis Weiterbildung<br />

der BAG-Bildungspolitik<br />

63<br />

Sonja Staack<br />

Was ist die Arbeitsgemeinschaft Bildungspolitik und was will sie? 66<br />

Teilnahmeerklärung<br />

Bunte Reihe/ Sonderhefte 69<br />

Bestellung 71<br />

Editorial<br />

4


6o Jahre Grundgesetz und noch immer gibt es Leerstellen im Text, gewollt oder ungewollt?<br />

Das Recht auf Bildung, die Kinderrechte, die Grundrechte der jungen Generation<br />

sucht man vergebens.<br />

Nun haben sich einige Autoren aus der Bundestagsfraktion der <strong>LINKE</strong>N daran gemacht einen Text zu<br />

formulieren, auch für das Recht auf Bildung. Ein Anfang.<br />

Das Recht auf hohe Bildung für alle und nicht nur für eine Elite, eine Schule für alle - Wege zur<br />

Gemeinschaftsschule, das waren Themen, denen sich die 2.Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik der <strong>LINKE</strong>N widmete. Eineinhalb Jahre besteht sie nun als bundesweiter<br />

Zusammenschluss auf dem Gebiet der Bildungspolitik.<br />

Ein relativ kurzer Zeitraum für die Gründung von Landesarbeitsgemeinschaften und die Klärung und<br />

Beschlussfassung über die bildungspolitischen Aufgabenstellungen der <strong>LINKE</strong>N in den Ländern und<br />

auf Bundesebene. Heute wurde nicht nur das Was weiter vertieft, sondern auch der<br />

Erfahrungsaustausch über das Wie, die Wege dorthin.<br />

Wir dokumentieren die Präsentation von Prof. Dr. Matthias Saldern.<br />

Brigitte Schumann geht der Frage nach, ob wir in Zukunft weiter pragmatische Scheinlösungen wollen<br />

oder ein demokratisches Schulsystem. Eine Polemik gegen die Zweigliedrigkeit.<br />

Ein Problem ist in den letzten Monaten in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Integration –<br />

Inklusion, die Gemeinschaftsschule als inklusive Schule. Das Problem ist so neu nicht, erhält aber<br />

durch die Ratifizierung der Kinderrechtskonvention der UNO durch die Bundesrepublik eine besondere<br />

politische Brisanz. Manfred Auerswald schreibt dazu aus der Sicht des Schulpraktikers.<br />

Zu den Wegen zur Gemeinschaftsschule gehört auch der eigentümliche Weg unter der Ägide von CDU<br />

und SPD in Schleswig – Holstein. Schon über 50 Gemeinschaftsschulen und die Eltern, Lehrer/innen<br />

und Schüler/innen wollen sie. Heiko Winckel-Rienhoff hat dazu eine reservierte Haltung und erklärt<br />

sie. Gerrit Große hat zudem Europa im Blick, wenn es um Bildung geht.<br />

Aus dem Ausland, diesmal Schweden haben wir einen interessanten Artikel übersetzt, der von<br />

gemeinsamen bildungs- und jugendpolitischen Aktionen von Sozialdemokraten, <strong>Linke</strong>n und Grünen<br />

Schwedens und ihrer Jugendverbände gegen die Krisenfolgen und die Rechtsregierung berichtet.<br />

Zur Diskussion melden sich Klaus Ahlheim, der über die gesellschaftliche Verantwortung von<br />

Wissenschaft nachdenkt und Horst Bethge, der sich mit dem Bertelsmann-Konzern auseinander setzt.<br />

Ein Thema, das auch die GEW auf ihrem Gewerkschaftstag bewegt hat.<br />

Aus dem Bundestag haben wir interessante Informationen bereit, wie auch vom GEW<br />

Gewerkschaftstag.<br />

Wir informieren in eigener Sache über das Vorbereitungstreffen für den Arbeitskreis Weiterbildung der<br />

BAG Bildungspolitik.<br />

Wir wissen, dass unsere Genoss/innen und Freund/innen im Wahlkampf stehen. Unser Parteitag in<br />

Berlin wird sich mit dem Wahlprogramm beschäftigen, das auch Aussagen zur Bildungspolitik der<br />

<strong>LINKE</strong>N enthält. Wir wünschen allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern interessante Gespräche mit den<br />

Wählerinnen und Wählern und recht viel Erfolg im Kampf um den Einzug in den neuen Bundestag.<br />

Euer Gerd Sielski<br />

5


Thema<br />

60 Jahre Grundgesetz<br />

60 Jahre Grundgesetz und noch immer eine Leerstelle, wenn es um das Recht auf Bildung geht.<br />

In der Bundestagsfraktion der <strong>LINKE</strong>N wurde ein erster Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes<br />

erarbeitet:<br />

„Artikel 3 e<br />

(Recht auf Bildung)<br />

(1) Alle Menschen haben das Recht auf Bildung. Das Recht umfasst die unentgeltliche, integrative<br />

vorschulische Bildung, Schulausbildung, berufliche Ausbildung und Weiterbildung,<br />

Hochschulbildung und die allgemeine kulturelle und politische Bildung und Weiterbildung.<br />

(2) <strong>Die</strong> Bildung ist auf die volle Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit gerichtet. Offene<br />

Bildungswege, pädagogische Freiheit der Lehrkräfte, das Recht der Bildungseinrichtungen auf<br />

Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze und das Recht auf Mitbestimmung der Lernenden<br />

sind zu gewährleisten.<br />

(3) Alle Menschen haben das Recht, sich ein Leben lang den eigenen Interessen folgend zu<br />

bilden.“<br />

Quelle: ND und RLS/ Sonderdruck,23.5.2009,S.3<br />

6


Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik der <strong>LINKE</strong>N tagte –Ein Bericht<br />

red<br />

Das Thema: „Eine Schule für alle – Wege zur Gemeinschaftsschule“ stand im Mittelpunkt einer<br />

Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik am 9. und 10.Mai 2009 in Berlin.<br />

Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaften, Mitglieder von Arbeitskreisen der BAG und Gäste führten<br />

einen angeregten und anregenden Erfahrungsaustausch.<br />

Als Gäste nahmen Prof. Dr. Matthias von Saldern von der Uni Lüneburg, der Vorsitzende der<br />

Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschulen und längeres gemeinsames Lernen (GGG), Lothar Sack<br />

und der Schulleiter der Fritz- Karsen- Oberschule Berlin-Neukölln, Robert Giese, teil.<br />

Gerd Sielski, geschäftsführender Sprecher der BAG, begrüßte die Teilnehmer und schätzte die Lage in<br />

der BAG nach ihrer Gründung in Hamburg vor eineinhalb Jahren ein. Es ist ein durchaus positives<br />

Ergebnis, dass die Grundorientierung von Hamburg durch Beschlüsse des Parteivorstandes untersetzt<br />

worden ist und nunmehr in allen Bundesländern anerkannte Landesarbeitsgemeinschaften (außer in<br />

Bayern, wo die Uhren langsamer ticken) gegründet wurden, die eine bildungspolitischen<br />

Beschlusslage in den Landesverbänden herbeigeführt haben. Alle Landesverbände, auch Bayern,<br />

treten heute für ein längeres gemeinsames Lernen, für eine Schule für alle ein. Wer hätte das vor<br />

einem Jahr gedacht.<br />

Prof. Dr. von Saldern ging in seinem Vortrag auf Faktoren ein, die nach seiner Sicht auf dem Wege<br />

zur Gemeinschaftsschule bedeutsam seien. Er stellte voran, das im internationalen Vergleich<br />

integrierte Schulsysteme eine ausgewogene Verteilung der Bildungschancen und stärkere<br />

Schülerleistungen mit sich brächten.<br />

Er nannte die Region, in der der starke Schülerrückgang zu Konsequenzen führen müsse. Schule sei<br />

nicht nur Schule, sondern Teil des öffentlichen Lebens und wenn sie gut gelinge, auch ein wichtiger<br />

kultureller Beitrag. Deshalb müsse man die Schule in der Region sichern.<br />

<strong>Die</strong> Eltern wollten eine wohnortnahe Schule, in der die Kinder gut aufgehoben wären. Je näher man an<br />

einer Gesamtschule wohne desto größer sei auch die Zustimmung zu integrierten Schulformen.<br />

Generell gäbe es zu solchen Formen bei Eltern eher Zustimmung als Ablehnung. In Niedersachsen<br />

läge in verschiedenen Städten die Zustimmung in der Spanne von 57-88%.<br />

Auch die Wirtschaft fordere immer mehr, dass die Schüler/innen länger gemeinsam Lernen und die<br />

frühe Selektion abgeschafft werde. Auch würden Forderungen nach einer Neugestaltung der<br />

Lehrerbildung hin zur Stufenlehrerausbildung laut.<br />

Aus der Wissenschaft komme der Hinweis, dass das Festhalten an Schulformen nach vorgeblichen<br />

Begabungstypen eine Fiktion sei. Das wurde an verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen. Das<br />

Fazit sei: In Deutschland wird zu früh selektiert. <strong>Die</strong> Grundschulempfehlung wie das Sitzenbleiben<br />

sind Instrumente, die auf den Schrott gehörten.<br />

<strong>Die</strong> Wissenschaft stelle fest, dass es keine starren Begabungstypen gibt, wohl aber vielfältige<br />

Begabungen. <strong>Die</strong> Konsequenz sei ein flexibles Schulsystem mit guter Diagnostik und Beratung, in<br />

dem der Einzelne im Mittelpunkt stehe und an seine Grenzen geführt werde – der Schwache ebenso<br />

wie der Hochbegabte.<br />

Ein besonderes Problem seien die Förderschulen, die es so nur in Deutschland gäbe. <strong>Die</strong> Diskussion<br />

um die inklusive Schule sei jetzt außerordentlich wichtig.<br />

Der Vortrag endete mit der Forderung nach einem flexiblen Schulsystem.<br />

Schülerrückgang und die breite Diskussion nach PISA führen zu Schulen mit längerem gemeinsamem<br />

Lernen. In diesen Schulen, so sie schon heute bestehen, werde Heterogenität akzeptiert und positiv<br />

genutzt. Lebensalter und Schulleistung müssten entkoppelt werden. Prinzipien der<br />

Gemeinschaftsschule Grundschule müssten nach oben getragen werden.<br />

Es würde in der Schule für alle die Betreuung und Förderung der Hochbegabten genauso geben, wie<br />

den Lift-Kurs für Schüler, die mal schwächeln.<br />

Gleichbehandlung sei die Ungleichbehandlung der Ungleichen. (Im Gegensatz zur Annahme, dass alle<br />

Haupt, -Realschüler und alle Gymnasiasten und alle Förderschüler gleich seien.)<br />

Vieles von dem sei den Politikern bekannt. „Vater verzeih’ ihnen, denn sie tun nicht, was sie wissen“,<br />

so Ursula Schneider von der Uni Graz.<br />

7


Lothar Sack (GGG) sieht sechs Gründe, das deutsche Schulsystem zu ändern.<br />

<strong>Die</strong> Gründe lägen in der Situation der Hauptschulen, der demographischen Entwicklung, der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung, den Ergebnissen der Lernforschung, der Schulleistungsstudien und im<br />

demokratischen Menschenbild.<br />

Ein Indikator in den Hauptschulen sei für ihn die Zahl der Abgänger der Hauptschule, die im<br />

Bundesgebiet 7,9% eines Jahrgangs ausmachen. Zwischen den Bundesländern schwankt die Zahl von<br />

6,6% bis 11,5%. In Berlin schlössen 27% der Schüler am Gymnasium aus Jg.7 im Jg. 10 nicht<br />

erfolgreich ab. In den alten Bundesländern werden Nachhilfeangeboten in den verschiedenen<br />

Schularten genutzt: Gymnasium 36%, Realschule 32% und Hauptschule 12%.<br />

Nachhilfe werde heute weniger wegen einer gefährdeten Versetzung in Anspruch genommen.<br />

<strong>Die</strong> Schüler/innen würden die Nachhilfe in Anspruch nehmen, weil sie sie benötigen, um den<br />

normalen schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Notwendige Ziele für das deutsche<br />

Bildungssystem seien nach Lothar Sack eine deutliche Höherqualifizierung aller. Das erfordere auch<br />

eine deutliche Reduzierung der „Risikogruppe“ (Kein Schüler ohne Schulabschluss, möglichst MSA),<br />

eine deutliche Steigerung des Schüleranteils mit Hochschulzugangsberechtigung und die Forcierung<br />

des lebenslangen Lernens.<br />

Er forderte eine deutliche Reduzierung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und<br />

Bildungserfolg.<br />

<strong>Die</strong>se Ziele sollten im Sinne „nationaler Bildungsziele“ in Umfang und Zeit quantifiziert werden.<br />

Lothar Sack stellte Hinweise aus der Lernforschung dar und entwickelte daraus Gedanken zur<br />

Lernkultur. Unterricht sei für ihn nie Selbstzweck, sondern hat Lernen zum Ziel<br />

Es gäbe viel Lernen ohne Unterricht und viel Unterricht ohne Lernen. Der Skandal sei nicht der<br />

Unterrichtsausfall, sondern der Lernausfall.<br />

Interessant war seine Analyse der Vergabe des Deutschen Schulpreises 2006, 2007 und 2008.Nach<br />

Schularten verglichen lagen die Gesamtschulen als Preisträger vor allen anderen Schularten vorn. Gute<br />

Schulen würden nicht selektiv arbeiten.<br />

Nach der Darstellung von einer Reihe Indikatoren für gute Schulen kam er zu dem Schluss, dass es<br />

trotz Mentalitätsproblemen (Rollenerwartung der Lehrer/innen, Erwartungen der Eltern und<br />

Schüler/innen, Befürchtungen des „Unterganges“ des Gymnasiums) es keine Alternative zur Schule<br />

für alle gäbe.<br />

Es müsse nicht mehr erprobt werden, ob die Schule für alle funktioniert.<br />

<strong>Die</strong>se Pionierarbeit sei längst getan und ihre Qualität (inter-) national nachgewiesen.<br />

Man müsse die Schule für alle politische wollen und Strategien zu ihrer Verbreitung entwickeln.<br />

Robert Giese stellte seine Schule vor. Wichtig waren seine Erfahrungen in der Arbeit mit den<br />

Pädagog/innen seiner Schule. Alles was neu ist, schaffe erst mal Angst davor, was denn nun wieder<br />

auf die Lehrer/innen zukommt. Strittig sei nicht die Annahme der Forderung nach einer Schule für<br />

alle, sondern die Frage nach den zu schaffenden Bedingungen dafür.<br />

<strong>Die</strong>se Informationen wurden von den Teilnehmern interessiert und zustimmend entgegengenommen.<br />

Es gab Anfragen und es entwickelte sich ein anregender Erfahrungsaustausch über Wege zu einer<br />

Schule für alle, die je nach Lage in den Bundesländern natürlich unterschiedlich sind.<br />

Eins war klar: DIE <strong>LINKE</strong> tritt für ein längeres gemeinsames Lernen, für die Gemeinschaftsschule als<br />

Alternative zum Bestehenden ein. Dabei macht sie darauf aufmerksam, dass man mit einem Zwei-<br />

Säulen-Modell, wie es die anderen Parteien fordern, die Selektion nicht beseitigen kann.<br />

In der Diskussion, die Gerrit Große leitete, ging es vor allem um die verschiedenen Erfahrung , wie<br />

man mit Pädagog/innen und Eltern als auch mit den Schüler/innen ins Gespräch kommt, um den<br />

Gedanken der Schule für alle zu verbreitern und Verbündete im Ringen um die neue Schule zu finden.<br />

Es konnte eingeschätzt werden, dass in einigen Bundesländern dieser Prozess breitere Kreise erfasst<br />

hat.<br />

Es ist nur natürlich, dass es in den Diskussionen Probleme gibt, die weiterer Ausklärung bedürfen und<br />

unterschiedliche Auffassungen in Detailfragen. Auch manche Problemstellung enthalten neue<br />

Aspekte, wie z.B. die Forderung nach einer inklusiven Schule.<br />

8


Es wurde auch deutlich, dass es auch unter den <strong>LINKE</strong>N Klärungsbedarf gibt, dass von den<br />

Fachleuten noch mehr in die Partei hineingewirkt werden muss.<br />

Es zeigte sich, dass Wahlzeiten eine gute Gelegenheit sind, mit vielen Menschen ins Gespräch zu<br />

kommen. <strong>Die</strong> Volksinitiative „Eine Schule für alle“ in Hamburg hatte zwar nicht den erhofften Erfolg,<br />

die Hamburger Genoss/innen schätzten aber ein, dass sie ca.300 000 Gespräche geführt haben.<br />

<strong>Die</strong> Versammlung sprach sich dafür aus, den Bildungsstreik und einen Wahlaufruf der Hamburger<br />

Genoss/innen zu unterstützen.<br />

Abschließend ging Horst Bethge auf einige Fragen der Europa- und Bundestagswahlvorbereitung ein,<br />

ehe Gerd Sielski die Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft abschloss.<br />

Er wies darauf hin, dass es jetzt darauf ankäme die Beratung auf den Ebenen der BAG wie der LAG<br />

gründlich auszuwerten und den Mitstreiter/innen Materialien von der Beratung zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

9


Zur Lage in der BAG Bildungspolitik<br />

BAG-Beratung, Berlin 9./10.5.2009, Gerhard Sielski<br />

Liebe Genossinnen und Genossen, ich begrüße euch im Namen des Sprecherteams zu unserer<br />

2.Beratung der BAG-Bildungspolitik in Berlin.<br />

Wir freuen uns, dass Prof. Dr. Matthias von Saldern von der Uni Lüneburg, Kollege Lothar Sack,<br />

Vorsitzender der GGG (Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule und längeres gemeinsames Lernen)<br />

und Kollege Robert Giese, Schulleiter der Fritz-Karsen-Gesamtschule (Pilotprojekt Berlin) unserer<br />

Einladung gefolgt sind. Wir begrüßen sie herzlich.<br />

<strong>Die</strong> Tagesordnung ist bekannt. Gibt es Zusätze?<br />

Gestattet eingangs einige Bemerkungen zur Lage in der BAG Bildungspolitik.<br />

Mit der Gründung der Partei DIE <strong>LINKE</strong> war auch eine Neugründung der BAG Bildungspolitik<br />

notwendig geworden.<br />

Das geschah auf der 1.Bildungspolitischen Konferenz in Hamburg Ende 2007.<br />

Wir haben dort auch jene Punkte beschlossen, die im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen sollten.<br />

Danach begann die Neugründung von Landesarbeitsgemeinschaften in den Ländern. Das ist heute<br />

vollzogen. Außer Bayern (i.G) haben wir in allen anderen Ländern LAG.<br />

Viele neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter wurden in unsere nunmehr gemeinsame Arbeit<br />

einbezogen.<br />

Wichtig war in diesen Prozess die Ausklärung inhaltlicher bildungspolitischer Fragen.<br />

Heute sind die LAG von ihren Landesverbänden anerkannt und haben ihre bildungspolitischen<br />

Positionen ausgearbeitet, die teilweise von Parteitagen, meist von Landesvorständen beschlossen<br />

wurden.<br />

Das ging nicht ohne Probleme vor sich.<br />

Entsprechend dem Statut der Partei wurden wir auf Antrag als bundesweiter Zusammenschluss, als<br />

BAG Bildungspolitik, anerkannt.<br />

Der Gedanke, dass wir ein bundesweiter Zusammenschluss sind, muss noch stärker bewusst werden.<br />

Auch international gab es Kontakte mit den bildungspolitischen Sprechern der Parteien der EL. Das<br />

gemeinsame Manifest haben wir in der <strong>ZLB</strong> veröffentlicht.<br />

Das waren 1 ½ Jahre angestrengter, aber erfolgreicher Arbeit, an denen Ihr aktiv mitgewirkt habt.<br />

Herzlichen Dank dafür.<br />

Auf der ersten Beratung der BAG haben wir unsere Aufgaben und Arbeitsweise diskutiert und die<br />

Sprecher der BAG gewählt.<br />

<strong>Die</strong> LAG sind auf vielfältige Weise aktiv geworden und haben in Wahlkämpfen Bildungspolitik nach<br />

vorn gebracht. Bildungspolitik ist heute zu einem Top-Thema geworden.<br />

Auf Tagungen und Konferenzen wurde überdies mit breiter Kreis von interessierten Pädagogen,<br />

Eltern, Schüler, Wissenschaftler, Studenten, Gewerkschafter u.a. über unsere bildungspolitischen<br />

Ansichten und Forderungen diskutiert.<br />

Eins ist heute klar:<br />

DIE <strong>LINKE</strong> tritt für die in Hamburg beschlossene Orientierung ein, insbesondere auf schulpolitischem<br />

Gebiet für IGS und Gemeinschaftsschulen und das bundesweit in allen Bundesländern.<br />

Wer hätte das vor einem Jahr gedacht?<br />

Wir haben als Sprecherteam und in der Koordinierungsgruppe diesen Prozess, so gut es ging,<br />

unterstützt.<br />

10


Entsprechend dem Auftrag der 1.Bildungspolitischen Konferenz haben wir Beschlüsse für den<br />

Parteivorstand ausgearbeitet und unsere bildungspolitische Arbeit koordiniert.<br />

So hat der Parteivorstand zur frühkindlichen Bildung Stellung genommen. Es lief ja auch in einigen<br />

Bundesländern eine Kampagne dazu. Auf der Grundlage des Beschlusses wurde eine Broschüre<br />

ausgearbeitet und kam bundesweit zum Einsatz.<br />

So auch zum längeren gemeinsamen Lernen, zu schulpolitischen Positionen zur Gemeinschaftsschule.<br />

Auch hier liegt es eine Broschüre vor. (Schon erste Überarbeitung)<br />

So auch zu Leitlinien der Ausbildungspolitik. Eine Broschüre dazu ist in Arbeit.<br />

Und wir haben dazu Arbeitskreise auf Bundesebene gebildet mit Mitgliedern der BAG.<br />

Neu ist der Arbeitskreis Weiterbildung, der nunmehr ein Papier zu bildungspolitischen Forderungen<br />

auf diesem Gebiet ausarbeitet.<br />

Wir können heute sagen, dass wir die Neugründung und die inhaltliche Arbeit im Wesentlichen gut<br />

verbunden haben.<br />

Heute verfügen wir auf wichtigen Feldern der Bildungspolitik über Beschlüsse des Parteivorstandes<br />

und der Landesvorstände, über Positionen und ausgearbeitete bildungspolitische Alternativen und<br />

Forderungen. Auch für Wahlprogrammaussagen (EU-Wahl und Bundestagswahlprogramm) wie zum<br />

Entwurf des neuen Programms der Partei haben wir bildungspolitische Positionen ausgearbeitet.<br />

Vor uns steht wohl jetzt die Aufgabe, über ein bildungspolitisches Gesamtkonzept der <strong>LINKE</strong>N<br />

nachzudenken und auch die theoretischen Positionen für linke Bildungspolitik weiter auszuarbeiten<br />

Eine bestimmte Rolle spielte bei allem auch die Zukunftswerkstatt linke Bildungspolitik (<strong>ZLB</strong>).<br />

Wir konnten mit der <strong>ZLB</strong> den inhaltlichen Klärungsprozess unterstützen.<br />

Dank allen, die mitgearbeitet haben. Das ND war da kaum eine Hilfe.<br />

Wichtig erscheint uns, dass unser Heft alle Mitglieder der LAG und der BAG erreicht und auch<br />

zunehmend von jenen gelesen wird, die uns nahe stehen.<br />

Im Zentrum unserer inhaltlichen Arbeit standen die schulpolitischen Anforderungen an die<br />

Gemeinschaftsschule.<br />

Wie geht das mit dem längeren gemeinsamen lernen?<br />

Dazu haben wir auch Hefte der <strong>ZLB</strong> herausgebracht, eigentlich enthält jede Ausgabe etwas zu dem<br />

Thema.<br />

Begrüßt werden die Berichte aus den Ländern.<br />

Auch ein Sonderheft haben wir theoretischen Fragen gewidmet.<br />

Wichtig war auch die Hilfe bei der Auseinandersetzung mit dem sog. 2-Säulen- Modell.<br />

Mitarbeit und kritische Begleitung der <strong>ZLB</strong> sind erwünscht.<br />

Jetzt treten 2 Fragen mehr und mehr in den Mittelpunkt:<br />

1. Was muss geschehen, um den Inhalt dessen, was Schule vermittelt genauer oder neu zu<br />

bestimmen. ( Einheit von Inhalt und Struktur)<br />

2. Auf welchen Wegen erreichen wir unser Ziel?<br />

Das ist unser Thema heute, was wir gemeinsam diskutieren wollen.<br />

Ich bitte Prof. von Saldern um seinen Vortrag (Anlage).<br />

Pragmatische Scheinlösungen oder ein demokratisches Schulsystem?<br />

Wider die Zweigliedrigkeit<br />

Brigitte Schumann<br />

11


Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten haben um zu erkennen, dass die sog. Zweigliedrigkeit<br />

eine hohe Wahrscheinlichkeit hat, auch zum neuen Strukturmodell für alle westdeutschen<br />

Bundesländer zu werden. Nach Hamburg wollen auch Berlin und Bremen darauf zusteuern und<br />

schulstrukturellen Entwicklungen in Ostdeutschland folgen.<br />

Bildungspolitisch besticht diese Lösung wohl dadurch, dass die gefürchtete Kontroverse mit der<br />

Gymnasiallobby vermieden wird (Ratzki 2009). Das eigentliche Problem unseres Schulsystems lässt<br />

sich aber so nicht auflösen: die Unvereinbarkeit der hohen sozialen Selektivität mit dem Anspruch auf<br />

gleichberechtigten Zugang zu guter Bildung für alle in einer demokratischen Gesellschaft.<br />

Gesamtschulsysteme sind gerechter und besser<br />

Zu diesem Ergebnis kommt auch die in Deutschland leider kaum bekannte Untersuchung von Prof.<br />

Bacher (2007). Er ist Leiter der empirischen Sozialforschung am Institut für Soziologie der Universität<br />

Linz. In einer Re-Analyse der PISA-Daten von 2003 hat er alle europäischen Länder, in denen Schüler<br />

und Schülerinnen bis zum Alter von 15 bzw. 16 Jahren in eingliedrigen Gesamtschulsystemen<br />

miteinander lernen, mit den Ländern verglichen, in denen eine äußere Differenzierung über die<br />

Verteilung der Schüler/innen auf unterschiedliche Schulformen zu einem früheren Zeitpunkt<br />

stattfindet. Als Kriterien für den Vergleich wurden neben der Abhängigkeit der Testleistungen von der<br />

höchsten beruflichen Position der Eltern ausgewählt: das durchschnittliche Leistungsniveau, der Anteil<br />

der Risikoschüler/innen, der Anteil der Spitzenschüler/innen und die individuelle Unterstützung durch<br />

Lehrkräfte.<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse des Vergleichs stellt Bacher tabellarisch wie folgt dar (ebd., 23):<br />

Demnach gelingt es in den Ländern mit eingliedrigen Gesamtschulsystemen bis zum 16. Lebensjahr<br />

signifikant besser als in allen früher differenzierenden Systemen, die soziale Selektivität zu reduzieren.<br />

Signifikant ist auch der Unterschied in der individuellen Förderung. Darin erweisen sich eingliedrige<br />

Systeme gegenüber den differenzierten ebenfalls als deutlich überlegen. Hier wird die größere<br />

Heterogenität positiv wirksam, die eine Individualisierung geradezu „erzwingt“ (ebd., 24). Darüber<br />

hinaus wird in Gesamtschulsystemen die Zahl der sog. Risikoschüler/innen reduziert und das<br />

Durchschnittsniveau im Lesen erhöht. Eine Leistungsnivellierung durch gemeinsames Lernen ist nicht<br />

feststellbar. <strong>Die</strong>se Ergebnisse gelten nach Bacher auch für Gesamtschulsysteme bis zum 15.<br />

Lebensjahr. Außerdem bestätigt er in seiner Untersuchung die Erkenntnis: Je früher das<br />

Erstselektionsalter, desto höher die soziale Selektivität.<br />

12


Welche Verbesserung bringt die Zweigliedrigkeit?<br />

„<strong>Die</strong> Zweigliedrigkeit scheint eine Lösung für die notleidende Hauptschule zu bieten.“ In der<br />

Zusammenlegung mit anderen Schulformen entsteht eine heterogenere und damit leistungsfähigere<br />

„Zweitschule“ (Ratzki 2009). Dass Zweigliedrigkeit dennoch eine undemokratische Scheinlösung ist,<br />

lässt sich mit Blick auf Österreich zeigen, wo sich nach einer vierjährigen Grundschule ein<br />

zweigliedriges Schulsystem anschließt. <strong>Die</strong> enge Kopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft<br />

sowie der hohe Anteil der sog. Risikoschüler/innen sind auch für Österreich charakteristisch (Bacher,<br />

19). Bezogen auf die individuelle Unterstützung der Schüler/innen hat Österreich den geringsten Wert<br />

unter allen europäischen Ländern (ebd., 19). Im Übrigen erzeugt die hohe Attraktivität des<br />

Gymnasiums Creaming-Effekte, die insbesondere in Ballungsräumen die österreichische Hauptschule<br />

zur tendenziellen Restschule werden lassen.<br />

Auch das Bundesland Sachsen, das als deutscher Sieger in den PISA-Testleistungen als Beweis für die<br />

Vorteile der Zweigliedrigkeit angeführt wird, glänzt nicht durch größere Chancengleichheit. Im<br />

Gegenteil, die Abhängigkeit der Schülerleistungen von der sozialen Herkunft ist dort noch<br />

ausgeprägter als in vielen anderen deutschen Bundesländern. <strong>Die</strong> sächsische Quote der<br />

kompetenzarmen Schüler/innen liegt über dem Bundesdurchschnitt (Preuss-Lausitz 2006, 3). <strong>Die</strong><br />

guten Testleistungen in Sachsen werden erkauft mit einem hohen Anteil an Schülern, die durch die<br />

Überweisung in das Sonderschulsystem aus den Leistungserhebungen heraus gerechnet werden.<br />

Sachsen liefert das Beispiel dafür, dass die Zweigliedrigkeit auch keine Lösung demografischer<br />

Probleme für Schulträger darstellt. <strong>Die</strong> dortigen Mittelschulen können nicht mithalten mit der<br />

Attraktivität der Gymnasien und müssen gleichzeitig mit einem drastischen demografischen<br />

Schülerrückgang rechnen. <strong>Die</strong>se kumulativen Effekte gefährden viele Mittelschulen in ihrem Bestand<br />

und kleinen Schulträgern droht der Verlust ihres Schulstandorts (Jungmann 2008, 92f.).<br />

Zweigliedrigkeit erhöht den Druck auf die Grundschulkinder<br />

Im Falle der Zweigliedrigkeit ist nach den Erfahrungen in Österreich und Ostdeutschland<br />

anzunehmen, dass der Leistungsdruck auf die Grundschule steigen und sie noch stärker als<br />

„Durchgangsschule“ für das Gymnasium wahrgenommen werden wird. <strong>Die</strong>se Entwicklung ist aus der<br />

Perspektive des Kindes eine verheerende Entwicklung. Denn schon jetzt ist die Angst vor dem<br />

Scheitern in der Schule besorgniserregend groß. Je nach Studie wird davon ausgegangen, dass<br />

zwischen 15 % und 27 % der Kinder psychische Störungen aufweisen und dass Überbeanspruchung<br />

und Probleme in der Schule ursächlich dafür zu benennen sind.<br />

Mit dem Verzicht auf die Schuleinzugsbezirke werden Eltern mit einer gymnasialen Ambition, zu<br />

denen auch inzwischen gut integrierte Migrant/innenfamilien gehören, sich Grundschulen vermehrt<br />

nach dem Kriterium aussuchen, ob sich die gymnasialen Bildungschancen für ihr Kind dort optimal<br />

realisieren lassen. Schulen, die jetzt schon einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationsgeschichte<br />

und mit sozialer Benachteiligung haben, werden allein zurückgelassen, weil Eltern dort Nachteile für<br />

die Leistungsergebnisse ihrer Kinder vermuten. Für Ballungsregionen mit einem hohen Anteil von<br />

benachteiligten Kindern, die sich in bestimmten Stadtteilen konzentrieren, ist die Entwicklung zu<br />

einer drastischen sozialen Entmischung in den Grundschulen vorgezeichnet und besonders<br />

problematisch in ihren Auswirkungen.<br />

Zweigliedrigkeit verbaut die Reformperspektive „einer Schule für alle“<br />

<strong>Die</strong>se Lösung ist auch kein Zwischenschritt zu einer Schule für alle, wie manche meinen. Sie verbaut<br />

die Reformperspektive für ein eingliedriges System. Und das auf lange Sicht.<br />

Ganz deutlich wird das in den Bundesländern wie Hamburg, wo die Gesamtschule der<br />

Zweigliedrigkeit geopfert und abgeschafft wird, obwohl sie für immer mehr Eltern - nicht nur in<br />

Hamburg - eine Alternative zum herkömmlichen Gymnasium geworden ist. Mit ihr verschwindet<br />

gleichzeitig der Anspruch, dass im gemeinsamen Lernen alle Schulformen - auch das Gymnasium -<br />

ersetzt werden (Ratzki 2009). Ein Anspruch, der wie ein Stachel im Fleisch des selektiven<br />

Schulsystems die Vision von einer Schule für alle bislang wach gehalten und geprägt hat.<br />

13


Historisch betrachtet ist es mehr als deprimierend, dass noch im 21. Jahrhundert die Bildungspolitik<br />

dem Geist der ständischen Tradition folgt und notwendige Strukturreformen zum Scheitern verurteilt,<br />

weil das deutsche Gymnasium nicht angetastet werden darf. Es ist daher auch kaum vorstellbar, dass<br />

ein wirklich gleichwertiges Nebeneinander von Gymnasium und einer Schule, die allen Kindern<br />

offensteht, sich entwickeln könnte, wie dies bei Merkelbach (2009) anklingt.<br />

Es stellt sich aber zu Recht die zentrale Frage, welche Interessen sich mit dem Gymnasium verbinden<br />

und so stark sind, dass die Bildungspolitik die Chance auf ein besseres System für alle Kinder<br />

ausschlägt und keine Skrupel hat, sich über die völkerrechtlich auch für Deutschland verbindliche UN-<br />

Behindertenrechtskonvention hinwegzusetzen (Schumann 2009). Das Modell der Zweigliedrigkeit<br />

blendet die Existenz des Sonderschulsystems und die Rechte von Schülern und Schülerinnen mit<br />

Behinderungen aus, als gäbe es keinen „Bildungskeller“ unterhalb der Hauptschule.<br />

Das Gymnasium sichert Bildungsprivilegien<br />

Es ist wahrhaftig nicht die Pädagogik des Gymnasiums, die seine Beliebtheit bei<br />

gymnasialorientierten Eltern ausmacht. Im Gegenteil, ist doch die pädagogische Qualität des Lernens<br />

mit der Verkürzung der Lernzeit bis zum Abitur auf 8 Jahre (G8) noch stärker gesunken. Nach einer<br />

aktuellen Untersuchung ist fast jeder zweite Schüler am Gymnasium inzwischen auf Nachhilfe<br />

angewiesen.<br />

Es scheint auch die gymnasiale Anhängerschaft wenig zu irritieren, dass das deutsche Gymnasium<br />

trotz seiner leistungsbezogenen und sozialen Auslese nur mäßige Leistungsergebnisse im Vergleich<br />

zu den Gesamtschulsystemen in Finnland oder Kanada mit einer unausgelesenen heterogenen<br />

Schülerschaft hervorbringt. <strong>Die</strong> relative Lernineffizienz des Gymnasiums ist soeben auch in einer<br />

Studie von Baumert, Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, nachgewiesen<br />

worden.<br />

Er hat - wie schon vor ihm Prof. Lehmann - die Leistungsfortschritte der nach Klasse 4 zu sog.<br />

grundständigen Gymnasien wechselnden Kinder mit der Lernentwicklung der Kinder verglichen, die<br />

die sechsjährige Grundschule bis zum Ende durchlaufen. Im Ergebnis stellt er fest, dass die besseren<br />

Leistungen der „Frühwechsler“ ihrer Herkunft geschuldet sind und nicht dem Gymnasium angerechnet<br />

werden dürfen. „<strong>Die</strong> Befunde sprechen gegen die Annahme, dass mit dem frühen Übergang auf ein<br />

grundständiges Gymnasium (...) eine generelle Förderung besonders leistungsfähiger Schüler erreicht<br />

wird.“ „Sie hätten, so sagt Baumert, „ihren Weg auch in der Grundschule gemacht“. Damit korrigiert<br />

er gleichzeitig die in ihrem wissenschaftlichen Wert stark angezweifelte Studie von Lehmann, der die<br />

Leistungsunterschiede mit einer Kritik an der Leistungsfähigkeit der sechsjährigen Grundschule<br />

verbindet.<br />

<strong>Die</strong> Anziehungskraft des Gymnasiums liegt entscheidend darin, dass mit der frühen Aufteilung nach<br />

der Grundschule, die in Deutschland in der Regel nach vier Jahren erfolgt, Kinder aus bildungsnahen<br />

Elternhäusern ihre Startvorteile oder Privilegien gegenüber Kindern aus der Unterschicht sichern<br />

können. Soziale Selektivität in Deutschland bedeutet, dass Kinder mit kulturellem und sozialem<br />

Kapital im Vergleich zu Kindern ohne dieses eine mehrfach bessere Aussicht auf den Besuch des<br />

Gymnasiums und den Erwerb des Abiturs haben. Z.B. haben in NRW Kinder aus akademischen<br />

Elternhäusern gegenüber Kindern aus der Facharbeiterschicht selbst bei gleichen Fähigkeiten noch<br />

eine 2,64 fache Chance, ein Gymnasium zu besuchen.<br />

Das Bedürfnis, sich über einen möglichst hohen Bildungsabschluss gesellschaftliche Chancen und<br />

persönlichen Erfolg zu sichern, ist innerhalb der bildungsnahen Mittelschichten erheblich gewachsen.<br />

Um die Aussichten des eigenen Kindes auf einen solchen Abschluss zu erhöhen, ist die Bereitschaft<br />

groß, in zusätzliche private Bildungsangebote zu investieren. <strong>Die</strong> Angst vor dem sozialen Abstieg<br />

angesichts der krisenhaften Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und des sozialstaatlichen Abbaus<br />

verstärkt den Wunsch, die Wettbewerbschancen des eigenen Kindes gegenüber anderen zu verbessern,<br />

und lässt das Gymnasium gerade auch wegen seiner sozialen Schließung vorteilhaft erscheinen.<br />

14


Milieustudien beobachten „in den letzten Jahren ein deutliches Auseinanderdriften der Milieus sowohl<br />

in räumlicher als auch in kultureller Hinsicht. Deutschland scheint auf dem Weg in eine neue Art von<br />

Klassengesellschaft zu sein, wobei die Trennungslinie eben nicht nur über Einkommen und<br />

Vermögen, sondern auch über kulturelle Dimensionen wie etwa Bildungskapital und<br />

Bildungsaspirationen, aber auch Werte und Alltagsästhetik verläuft“ (Merkle/Wippermann 2008, 8).<br />

Über das Gymnasium können also Milieus der Mittelschichten sich sowohl Bildungsprivilegien<br />

sichern als auch Wünsche nach einer sozialen Trennung vom unteren Rand der Gesellschaft<br />

realisieren. Vor diesem Hintergrund ist die Hoffnung, im fairen Wettbewerb zwischen dem<br />

Gymnasium und einer guten Schule für alle würde sich das bessere pädagogische Angebot bei den<br />

Eltern auf Dauer durchsetzen (Merkelbach 2009), unbegründet.<br />

Schule in der Demokratie sieht anders aus<br />

Aus diesen Motiven, Sicherung des Wettbewerbsvorteils und der sozialen Trennung, speist sich<br />

wesentlich die Beliebtheit des Gymnasiums bei seinen Anhängern heute. Sie bildungspolitisch zu<br />

bedienen, wie dies die Politik mit dem Modell der Zweigliedrigkeit tut, führt zu einem Konflikt mit<br />

den Werten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Eine Zwei-Klassen-Lösung vertieft im<br />

Angesicht der Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise schon vorhandene gesellschaftliche<br />

Segregationsprozesse, wie wir sie z.B. auch als Folge einer versäumten Integrationspolitik für<br />

Migranten in Deutschland heute wahrnehmen. Eine solche Entscheidung ist grundsätzlich<br />

dysfunktional zu dem Anspruch auf Bildung in einer demokratischen Gesellschaft.<br />

Eine solche Politik übersieht aber auch, dass gleichzeitig aus der Mitte der Gesellschaft die Kritik an<br />

dem selektiven Schulsystem wächst und inzwischen Vertreter aus allen Bereichen der Gesellschaft die<br />

Gerechtigkeitsfrage zum Gütekriterium für ein zukunftsfähiges Schulsystem erheben. Auch die<br />

Kirchen und ihre Mitglieder positionieren sich gegen die strukturell bedingte Chancenungleichheit,<br />

Diskriminierung und Bildungsarmut und halten eine umfassende Schulstrukturreform für<br />

unverzichtbar.<br />

Der sicherste Bestandsschutz für das Gymnasium ist der Glaube vieler Politiker, dass sie abgewählt<br />

werden, wenn sie das Gymnasium abschaffen wollen. Angst gilt als ein schlechter Ratgeber. Das<br />

stimmt in diesem Falle mit Sicherheit. Sie führt dazu, dass ja schon der politische Diskurs über<br />

schulstrukturelle Veränderungen vermieden wird, dass man lieber Tabus pflegt, als sich demokratisch<br />

herausgefordert zu sehen und die Probleme unseres Schulsystems ehrlich zu benennen und konsequent<br />

in Angriff zu nehmen.<br />

Eine demokratische Bewegung für eine Schule für alle, die jetzt durch die UN-Konvention über die<br />

Rechte von Menschen mit Behinderungen starke Impulse bekommt von vielen Elterninitiativen, von<br />

den unterschiedlichsten Verbänden gesellschaftlicher Interessengruppen und auch von Schülerinnen<br />

und Schülern, ist notwendig. Es scheint, dass nur so unsere Politiker aus ihrer „selbstverschuldeten<br />

Unmündigkeit“ herausgeführt werden können. Eine demokratische Bewegung hat die Chance, den<br />

Wunsch nach einer Schule für alle politisch zu bündeln und dieses Modell als Alternative gegen die<br />

Zweigliedrigkeit stark zu machen. Sie muss aber als Bewegung den Mut haben, sich als Anwalt aller<br />

Kinder mit denen anzulegen, die partikulare Eigeninteressen über das Recht auf Bildung für alle<br />

stellen.<br />

Bildung ist zum Schlüsselfaktor für gesellschaftlichen Zusammenhalt geworden. Sie darf in unserer<br />

Zeit nicht mehr als Privileg bestimmter Schichten verstanden werden. Prof. Vierlinger, ehemaliger<br />

Direktor der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz und ehemaliger Ordinarius für Schulpolitik<br />

an der Universität in Passau, begründet in seiner neuesten Buchveröffentlichung (2009) die Schule für<br />

alle mit der Feststellung: „<strong>Die</strong> drängenden Probleme unserer Zeit – von der Neuverteilung der Arbeit<br />

und des Reichtums bis zu den Fragen der Ökologie und vom kritischen Umgang mit den Medien bis<br />

zur Haltung gegenüber den Fremden – können nur bewältigt werden, wenn die Jugend zum<br />

Miteinander, zur gegenseitigen Achtung und zum Verständnis füreinander erzogen wird und nicht zur<br />

Ab- und Ausgrenzung“ (ebd., 279).<br />

15


Mit Vierlinger ist deshalb zu fordern und ggf. einzuklagen, dass ein halbes Jahrhundert nach dem<br />

revolutionären Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA gegen Rassentrennung in den Schulen die<br />

zuständigen Parlamente die Trennung unserer Schüler und Schülerinnen nach Leistung - die ja die<br />

Trennung nach sozialer Herkunft nach sich zieht - endlich gesetzlich verbieten (ebd., 281).<br />

Literatur:<br />

Bacher, J.: Effekte von Gesamtschulsystemen auf Testleistungen und Chancengleichheit. In: WISO<br />

2/2007, 16-34<br />

Jungmann, Ch.: <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule. Konzept und Erfolg eines neuen Schulmodells. Münster<br />

2008<br />

Merkelbach, V.: Chancen einer Schule für alle in der aktuellen Auseinandersetzung. In: PISA- INFO<br />

06/2009, GEW-Hauptvorstand Frankfurt<br />

Merkle, T./ Wippermann, C. : Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und<br />

Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten.<br />

Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung von Sinus Sociovision im Auftrag der Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung e.V., Stuttgart 2008<br />

Preuss-Lausitz, U.: <strong>Die</strong> zweigliedrige sächsische Schule – eine Alternative zur Schule für alle? Wie<br />

man mit Homogenität und Heterogenität in der Schule umgehen kann. Impulsreferat auf der<br />

Konferenz „Mehr Chancengleichheit durch längeres gemeinsames Lernen“ am 13. Mai 2006<br />

Ratzki. A.: Verlockende Zweigliedrigkeit. Kritische Nachfragen und Anmerkungen zum Hamburger<br />

Schulkonzept. Unveröffentlichtes Manuskript<br />

Schumann, B.: Inklusion statt Integration – eine Verpflichtung zum Systemwechsel. Deutsche<br />

Schulverhältnisse auf dem Prüfstand des Völkerrechts. In: Zeitschrift PÄDAGOGIK 2/2009, 51-53<br />

Vierlinger, R.: Steckbrief Gesamtschule. Böhlau Verlag Wien, Köln 2009<br />

Ungekürzte Fassung. Eine gekürzte Fassung wurde im Neuen Deutschland veröffentlicht.<br />

Brigitte Schumann<br />

ifenici@aol.com<br />

16


Leitlinien linker Ausbildungspolitik<br />

Beschluss des Parteivorstandes der Partei DIE <strong>LINKE</strong> vom 14.3.2009<br />

1. Der Parteivorstand bestätigt die nachstehenden „Leitlinien für eine linke Ausbildungspolitik“<br />

als Grundlage für die Diskussion und das politische Agieren der Partei DIE <strong>LINKE</strong>.<br />

2. Der Parteivorstand bittet die Fachpolitiker die Grundpositionen weiter zu konkretisieren und<br />

sie durch entsprechende konkrete Politikkonzepte zu untersetzen. Sie sollen als inhaltliche<br />

Grundlage einer möglichen Ausbildungskampagne entwickelt werden.<br />

3. <strong>Die</strong> Leitlinien linker Ausbildungspolitik sollen in geeigneter Form öffentlich bekannt gemacht<br />

werden.<br />

Der Beschluss ist im Internet zu veröffentlichen. Es ist zu prüfen, wie er im Bundestagswahlkampf<br />

verwendet wird.<br />

Einreicher/innen:<br />

Rosemarie Hein, Janine Wissler,<br />

Susanne Hennig, MdL Thüringen<br />

Achim Meves, MdL Sachsen-Anhalt<br />

Kerstin Bednarsky, MdL Brandenburg<br />

Cornelia Hirsch, MdB<br />

Abgestimmt mit:<br />

Berufsbildungspolitische Sprecher/innen der Landtagsfraktionen der <strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong>,<br />

Bundestagsfraktion DIE <strong>LINKE</strong>,<br />

Koordinierungsgruppe und Facharbeitskreis der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik der Partei<br />

DIE <strong>LINKE</strong>.<br />

17


Leitlinien linker Ausbildungspolitik<br />

Berufsbildungspolitische Sprecher/innen der <strong>LINKE</strong>N in den Landtagen und dem Bundestag,<br />

Februar 2009<br />

Berufsausbildung betrifft 70 Prozent der Menschen direkt, das heißt 70% aller Menschen durchlaufen<br />

in ihrem Leben eine „klassische“ Berufsausbildung. Berufliche Ausbildung soll zum einen für einen<br />

Beruf und die Arbeitswelt vorbereiten und befähigen, die Lebens- und Zukunftsplanung für junge<br />

Menschen zu gewährleisten als auch Selbstentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen.<br />

Zum anderen ist sie „Sozialisationsinstrument“ für das Erleben und Umsetzen „Guter Arbeit“ und<br />

damit Weiterentwicklung von Gesellschaft.<br />

Der Kern des deutschen Ausbildungssystems ist die in gemeinsamer Verantwortung von Unternehmen<br />

und Berufsschule gestaltete Duale Ausbildung. Politik befindet sich hier in einem besonderen<br />

Spannungsfeld von unternehmerischen Interessen mit einer möglichst hohen Profitspanne, dem Recht<br />

des einzelnen auf ein menschenwürdiges Leben und dem Ziel eines hohen Bildungsniveaus zum Wohle<br />

aller. <strong>Linke</strong> Politik in einem neoliberalen Zeitgeist und unter den Bedingungen neoliberal geprägter<br />

Wirtschaftspolitik kann nicht heißen, die Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche zu unterstützen,<br />

die Verwertungslogik in kapitalistischer Denkweise zu fördern oder sich der Zerstörung des<br />

gesellschaftlichen Lebens durch soziale Spaltung und Flexibilisierung der Produktion anzuschließen.<br />

Es gilt aber im derzeitigen Wirtschaftssystem Bedingungen zu schaffen, die tatsächliche<br />

Verbesserungen im Leben jeder und jedes einzelnen spürbar machen. <strong>Die</strong> Diskussion um<br />

ausreichende Ausbildungsplatzkapazitäten und ihre Qualität muss im Sinne der Perspektiven junger<br />

Menschen und Gesellschaft im Allgemeinen geführt werden. Immer mehr Jugendliche suchen<br />

vergeblich nach einem Ausbildungsplatz. Nur noch jedes vierte Unternehmen bildet aus. Von den<br />

Bewerberinnen und Bewerbern in 2008 waren fast 400.000 bereits seit über einem Jahr auf der Suche<br />

nach einem Ausbildungsplatz. Mit dieser Zahl hat die Ausbildungspolitik einen neuen Negativrekord<br />

erreicht. Der Ausbildungspakt von Bundesregierung und Wirtschaft ist ein Scheitern in Serie. <strong>Die</strong><br />

Notprogramme, mit denen die Bundesregierung reagiert, werden allzu oft zu Abstellgleisen für<br />

benachteiligte Jugendliche. <strong>Die</strong> Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Ausbildungssituation<br />

stehen noch vor uns.<br />

Konkrete Leitlinien für eine linke Ausbildungspolitik, beschreiben Maßstäbe, die an „Gute Arbeit“<br />

anzulegen sind: Der Mensch ist der Maßstab von Arbeit, nicht der flexible abhängig Beschäftigte.<br />

Unbefristete und sozial- und arbeitsrechtlich abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse sind die<br />

Grundlage für Lebens- und Zukunftsplanung. Männer und Frauen müssen gleichberechtigt an Arbeit<br />

teilhaben können. Von Arbeit muss man in Menschenwürde leben können, dass bedeutet u.a.<br />

Mindestlöhne bundesweit einzuführen. Ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium für „Gute Arbeit“ ist<br />

die Stärkung der kollektiven Mitbestimmung und die Stärkung der Rechte von Gewerkschaften und<br />

Betriebsräten. Eine qualitativ hochwertige berufliche Ausbildung ist aus linker Perspektive ein<br />

entscheidender Ansatzpunkt, um „Gute Arbeit“ dauerhaft zu festigen und zur gesellschaftlichen<br />

Selbstverständlichkeit auszubauen. <strong>Die</strong> Motivation zu Mitbestimmung und Demokratisierung von<br />

Arbeits- und Produktionsprozessen sollte Ergebnis einer engen und bewussten gewerkschaftlichen<br />

Sensibilisierung Jugendlicher in einer Ausbildung sein.<br />

1. Das Ziel linker Ausbildungspolitik orientiert sich am Konzept einer „Guten Ausbildung“ als<br />

biografisch betrachtetem Vorläufer „Guter Arbeit“. Sie will das Recht aller jungen Menschen<br />

auf ein selbstbestimmtes Leben und auf berufliche Teilhabe an der Gesellschaft sowie das<br />

Interesse der Gesamtgesellschaft an qualifizierten, selbstbewussten und selbstbestimmten<br />

Menschen gegen die Dominanz der Verwertungsinteressen des Kapitals durchsetzen. Das<br />

bedeutet, das Recht auf Ausbildung verbindlich zu verankern und jedem und jeder eine<br />

seinen/ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechende berufliche Erstausbildung zu<br />

ermöglichen. „Gute Ausbildung“ bedeutet dabei, eine umfassende und moderne Ausbildung zu<br />

erfahren, die nach Maßstäben der Jugendlichen die Verwirklichung eigener Interessen und<br />

Neigungen, transparente Entwicklungsmöglichkeiten und guten Verdienst mit einem<br />

vollwertigen und anerkannten Abschluss verbinden.<br />

18


2. <strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong> tritt für ein Recht aller Jugendlichen ein, die berufliche Erstausbildung<br />

gebührenfrei zu absolvieren. Alle Auszubildenden in betrieblicher wie in staatlicher<br />

Ausbildung haben das Recht auf eine Ausbildungsvergütung. Schulgebühren jeder Art sind<br />

auszuschließen. Für in dualer Ausbildung Befindliche werden bundesweit einheitlich<br />

Mindestausbildungsentgelte geregelt. Mitbestimmung im Ausbildungsunternehmen und in<br />

der Berufsschule ist zu gewährleisten, gewerkschaftliches und gesellschaftliches Engagement<br />

zu befördern. <strong>Die</strong> Nutzung von Auszubildenden als billige Arbeitskräfte ist auszuschließen.<br />

Deshalb will die <strong>LINKE</strong> eine duale Ausbildung unter staatlicher Aufsicht, um Scheinausbildung<br />

zu verhindern und die Qualität der beruflichen Bildung von neutraler Stelle zu beaufsichtigen<br />

und zu unterstützen.<br />

3. Als Kern beruflicher Ausbildung betrachtet die <strong>LINKE</strong> nach wie vor das duale<br />

Ausbildungssystem mit seinen Vorzügen einer praxisnahen Ausbildung. Es wird ergänzt<br />

durch voll berufsqualifizierende schulische Ausbildungsgänge. Über die Entwicklung neuer<br />

Berufsbilder und einen in Abstimmung mit Akteuren, Wissenschaft und Sozialpartnern<br />

geführten qualitativen Prozess wird es inhaltlich ständig an neue Erfordernisse angepasst.<br />

Innerhalb der dualen Ausbildung ist die Stellung der Berufsschule deutlich zu stärken.<br />

Gleichzeitig gilt es, den kaum überschaubaren Bereich alternativer Ausbildungsformen zu<br />

ordnen und zu entwickeln, wobei die Erfüllung qualitativer Parameter wie reale und möglichst<br />

breite Einsetzbarkeit der Abschlüsse, hohe Qualität erworbener Spezial- und<br />

Allgemeinbildungen und Stärkung von Sprach- und Sozialkompetenzen Voraussetzung für die<br />

Anerkennung von Bildungsgängen werden müssen. Es ist zu prüfen, ob beispielsweise im<br />

<strong>Die</strong>nstleistungsbereich duale Berufsbilder geschaffen werden können. <strong>Die</strong> Verantwortung für<br />

die Berufsbildung soll grundsätzlich in die Hände des Bundes gelegt werden.<br />

4. <strong>Die</strong> Übergänge aus der Schule in die Ausbildung und aus der Ausbildung in die<br />

Berufstätigkeit oder in eine weitere Bildungsphase sind derzeit immer noch von unzähligen<br />

Barrieren geprägt. Bildungsgänge, die nicht berufsqualifizierend sind oder sich nicht auf<br />

berufsqualifizierende Bildungsgänge beziehen, sind abzuschaffen. Schulisch erworbene<br />

Qualifikationen müssen im Ausbildungssystem anerkannt werden. Wer eine Berufsausbildung<br />

abgeschlossen hat, soll auch studieren dürfen - hierzu braucht es ein<br />

Hochschulzulassungsgesetz auf Bundesebene. Erforderlich ist hierzu auch eine engere<br />

Kooperation der verschiedenen Akteure im Ausbildungsprozess. <strong>Die</strong> Angebote der Berufs- und<br />

Bildungsberatung müssen deutlich ausgebaut werden, Berufsorientierung muss in den<br />

allgemeinbildenden Schulen flächendeckend zum Angebot gehören. Praktika müssen<br />

gesetzlich geregelt werden, damit sie nicht länger als Deckmantel für Dumping-Löhne für<br />

Berufseinsteigerinnen und -einsteiger missbraucht werden. Damit Fort- und Weiterbildung<br />

unabhängig vom Geldbeutel zugänglich sind, muss das Meister-BAföG zu einem Erwachsenen-<br />

BAföG ausgebaut werden. Für Berufserfahrene ohne Hochschulzugangsberechtigung ist der<br />

Zugang zu Hochschulen bundesweit einheitlich zu regeln.<br />

5. Im Europäisierungsprozess der beruflichen Bildung wendest sich die <strong>LINKE</strong> gegen die<br />

eindimensionale Ausrichtung von Bildungsinhalten auf die kurzfristige Verwertbarkeit auf dem<br />

Arbeitsmarkt und eine überhastete Verregelung der Bildungsqualifikationen mit einem<br />

ausufernden Zertifizierungsgeschäft mit großen Risiken für Beschäftigte und Auszubildende.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung eines nationalen Qualifikationsrahmens muss die europäische<br />

Anschlussfähigkeit der dualen Ausbildung gewährleisten. Sie muss dazu genutzt werden,<br />

berufliche Abschlüsse europaweit anzuerkennen, soziale Ungleichheit abzubauen und eine<br />

verbesserte Durchlässigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zu erreichen. <strong>Die</strong><br />

europäische Debatte muss genutzt werden, um Berufliche Bildung und ihre tatsächliche<br />

Einbindung in die vor- und nachgelagerten Bildungsbereiche zu fördern.<br />

6. <strong>Die</strong> berufliche Erstausbildung legt die Grundlage für individuelle Bildungswege und<br />

Erwerbsbiographien. <strong>Die</strong> Qualität der Ausbildung hat daher oberste Priorität. Um allen<br />

Jugendlichen eine gute Ausbildung bieten zu können, braucht es unter anderem eine bessere<br />

finanzielle Ausstattung der Schulen, mehr und gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer,<br />

19


essere Beschäftigungsbedingungen und Fortbildungsmöglichkeiten. Alle Berufsschulen sind<br />

in die Lage zu versetzen, auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung<br />

einzugehen und den im Einzelfall erforderlichen sonderpädagogischen Förderbedarf<br />

sicherzustellen. Eine Reform des Ausbildungssystems muss sicherstellen, dass jedes<br />

Ausbildungsprogramm auch berufliche Perspektiven eröffnet. Dazu gehört auch, die Breite der<br />

Berufspalette zu hinterfragen und gegebenenfalls Kernberufe anzustreben.<br />

7. <strong>Die</strong> Kammern sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts ‚zuständige Stelle’ im Sinne<br />

des Berufsbildungsgesetzes. Ihre Aufgabe ist es, die Berufsbildung zu fördern und die<br />

Durchführung zu überwachen. Gleichzeitig verstehen sich die Kammern als<br />

Interessenvertreter der Arbeitgeberseite. <strong>Die</strong>se Doppelfunktion hat sich nicht bewährt. <strong>Die</strong><br />

<strong>Linke</strong> fordert deshalb, die Beratungs- und Überwachungsfunktion einer neutralen<br />

Institution zu übertragen. <strong>Die</strong>se neutrale Institution soll sowohl die Ausbildungsfähigkeit der<br />

Unternehmen als auch die Qualität der Ausbildung überwachen. <strong>Die</strong> Qualitätssicherung der<br />

beruflichen Bildung ist eine öffentliche Aufgabe und sollte von den Akteuren der beruflichen<br />

Bildung gemeinsam wahrgenommen werden. <strong>Die</strong> Gremien der Institution sollen daher<br />

paritätisch besetzt werden. Bis dieses Ziel erreicht ist, soll die Demokratisierung innerhalb<br />

bestehender Strukturen vorangetrieben werden. Dazu gehören die klaren Kompetenzen der<br />

Berufsbildungsausschüsse in wichtigen Fragen der beruflichen Bildung, einschließlich der<br />

Kontrolle der Ausbildungsbetriebe, der Klagemöglichkeit aller Bänke und stärkere<br />

Einflussnahme auf das Prüfungswesen und die Personal- und Finanzhoheit.<br />

8. In der beruflichen Bildung sollen inklusive Angebote für Menschen mit Behinderungen<br />

Vorrang haben. Eine qualifizierte Berufsausbildung ist für junge Menschen mit Behinderung<br />

besonders notwendig. Das Menschenrecht, Beruf, Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz frei<br />

wählen zu können, darf spätestens mit dem Beschluss der Bundesregierung, die UN-<br />

Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu ratifizieren, kein rein<br />

theoretischer Anspruch bleiben. Darüber hinaus ist derzeit ein flächendeckendes und<br />

bedarfsgerechtes Angebot an Berufsförderungswerken und Berufsbildungswerken<br />

unerlässlich. Hier müssen hochwertige und angemessene Qualifikationsangebote vorgehalten<br />

werden. Ziel muss allerdings sein, Menschen mit Behinderungen zukünftig nicht mehr<br />

auszusondern, sondern ein gemeinsames Aufwachsen und Lernen behinderter und nicht<br />

behinderter Jugendlicher zu ermöglichen. Menschen mit Behinderungen müssen deutlich mehr<br />

Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnet werden. Dazu gehören auch flexible<br />

Übergangsmöglichkeiten von Werkstätten für behinderte Menschen auf den Arbeitsmarkt.<br />

Unterstützungsangebote müssen dem im SBG IX verankerten individuellen Wunsch- und<br />

Wahlrecht dieser Personengruppe entsprechen. Eine differenzierte und zielstrebige Förderung<br />

von Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigung oder mit sozialer Benachteiligung gehört nach<br />

Auffassung der <strong>LINKE</strong>N zu den öffentlichen bildungspolitischen Aufgaben. Für die berufliche<br />

Inklusion von Menschen mit Behinderung tragen alle öffentlichen und privaten<br />

Arbeitgeber/innen eine besondere Verantwortung. Sie müssen ihrer gesetzlich verankerten<br />

Beschäftigungspflicht endlich in vollem Umfang nachkommen.<br />

9. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im gesamten Bildungssystem vielfach<br />

benachteiligt. Für sie müssen spezifische Förderangebote bereitgestellt werden, hierzu sind<br />

konkrete Konzepte der Berufsbildenden Schulen zu entwickeln. Zur Verbesserung der<br />

Ausbildungs- und Berufsintegration junger Migrant/innen bedarf es eines qualifizierten Netzes<br />

von Beratungsstellen für ausländische Nachwuchskräfte, von Jugendmigrationsdiensten und<br />

von Programmen zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und AusländerInnenhass.<br />

Umfassende Teilhabe lässt sich nur durch eine rechtliche Gleichstellung in allen Bereichen<br />

erreichen. Durch faktische Arbeitsverbote und das Vorrangprinzip darf Jugendlichen mit<br />

Migrationshintergrund der Zugang zu betrieblichen Ausbildungen nicht versperrt werden.<br />

10. Das Ausbildungssystem muss aus Sicht der <strong>LINKE</strong>N zur Überwindung überkommener<br />

geschlechtlicher Rollenzuweisungen beitragen. <strong>Die</strong> Berufswahl ist entscheidend für die<br />

späteren Verdienstaussichten und Aufstiegsmöglichkeiten. <strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong> macht sich dafür stark,<br />

20


dass die Berufsberatung stärker auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet wird. Es gilt junge<br />

Frauen und Männer besser dahingehend zu beraten, ihre geschlechtsspezifischen Präferenzen<br />

zu überwinden. Hierzu müssen auch die Berufsberaterinnen und -berater fortgebildet werden.<br />

Von Frauen dominierte Ausbildungsberufe müssen mehr Anerkennung finden und der<br />

schlechten Bezahlung in diesem Bereich entgegen gewirkt werden.<br />

11. <strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong> hält grundsätzlich an der Beruflichkeit in der Ausbildung fest. Beruf ist dabei mehr<br />

als eine aktuelle Arbeitstätigkeit. Mit Berufen werden u. a. Tradition, Gemeinsamkeit,<br />

Ganzheitlichkeit, umfassende Kompetenz, Sinn und Ordnung assoziiert. Gelernte Berufe<br />

unterstützen die berufliche Sozialisation und Identität und wirken sich positiv auf die soziale<br />

und tarifliche Absicherung aus. Bestrebungen der Arbeitgeber, die Berufsausbildung durch<br />

Modularisierung in isolierte Abschnitte zu zerschlagen und Kurzausbildungen zu stärken,<br />

erteilt die <strong>LINKE</strong> eine klare Absage.<br />

In einer sinnvoll umgesetzten didaktischen Modularisierung sieht die <strong>LINKE</strong> in bestimmten<br />

Bereichen der beruflichen Bildung Chancen, insbesondere für die lebenslange Weiterbildung,<br />

die horizontale und vertikale Verknüpfungen von Bildungsgängen, die Anerkennung von<br />

beruflicher Bildung beim Übergang zur Hochschule oder umgekehrt oder auch in der<br />

Anwendung modularisierter Qualifizierungsbausteine für benachteiligte SchülerInnengruppen.<br />

Eine Binnendifferenzierung von Ausbildungsgängen durch die Bildung von Modulen kann<br />

didaktische Reformen begünstigen. Modularisierte Ausbildungen beinhalten allerdings die<br />

Gefahr der einseitigen Ausrichtung an betrieblichen Bedarfen, der Vernachlässigung von<br />

allgemeinbildenden Inhalten und der Einschränkung von Freiräumen für selbstbestimmtes<br />

Lernen. Modularisierung darf nicht zu Schmalspurausbildung und einer Qualifizierung in den<br />

Niedriglohnsektor führen. <strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong> hält an einer geschlossenen beruflichen<br />

Erstausbildung fest.<br />

12. <strong>Die</strong> Weiterbildung ist eine tragende Säule der lebenslangen beruflichen Bildung. An eine<br />

berufliche Erstausbildung muss sich ein umfassendes berufliches Fort- und<br />

Weiterbildungssystem anschließen. Für die berufliche Fort- und Weiterbildung sind in erster<br />

Linie die Arbeitgeber zuständig, Politik muss hierfür die Rahmenbedingungen schaffen, zum<br />

Beispiel mit Freistellungsregelungen. In der beruflichen Weiterbildung muss insbesondere in<br />

den Vergabeverfahren der Bundesagentur für Arbeit erreicht werden, dass nicht<br />

Kostenminimierung, sondern Qualität als Maßstab dient.<br />

Berufliche Fort- und Weiterbildung steht in engem Zusammenhang mit allgemeiner und<br />

politischer Weiterbildung. DIE <strong>LINKE</strong> fordert ein Bundesweiterbildungsgesetz, das<br />

Weiterbildung als öffentliche Aufgabe definiert und einen Rechtsanspruch sichert. Wir wollen<br />

die vielfältige Trägerstruktur erhalten und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der<br />

Weiterbildung verbessern. Weiterbildungsangebote können modularisiert und<br />

kompetenzorientiert sein, dabei kommt es darauf an, dass Zertifikate horizontal wie vertikal<br />

anerkannt werden können. Umkehrt sollte ein modulartiger Charakter des Hochschulstudiums<br />

eine Anerkennung einer Teilausbildung und einen leichteren Einstieg in die Fort- und<br />

Weiterbildung ermöglichen.<br />

13. Für die <strong>LINKE</strong> besteht der finanzielle Kern eines künftigen europäischen und deutschen<br />

Ausbildungssystems in einer solidarischen Finanzierung dualer Ausbildungsplätze durch die<br />

Unternehmen selbst. Als geeignete Grundlage sieht sie eine Umlagefinanzierung an, die alle<br />

Unternehmen und Institutionen nach ihren Möglichkeiten einbezieht und an alle Ausbildenden<br />

ausgeschüttet wird. In öffentlicher Verantwortung liegen im Bereich der beruflichen Bildung<br />

insbesondere die institutionelle Gewährleistung von Ausbildung, ihre infrastrukturelle<br />

Unterstützung und juristische Absicherung sowie die finanzielle Förderung. <strong>Die</strong> vorhandenen<br />

Mittel müssen gezielt gebündelt und für umfassend qualifizierende und qualitativ hochwertige<br />

Ausbildung eingesetzt und alternative Modelle der Mittelaufbringung entwickelt werden, die<br />

alle Unternehmen in die Pflicht nehmen.<br />

21


Aus den Bundesländern<br />

Lässt Pisa wirklich grüßen?<br />

Manfred Auerswald<br />

Im Dezember 2008 unterzeichnete die Bundesregierung die UN- Konvention „über die Rechte von<br />

Menschen mit Behinderungen“ nach zwei Jahren der Zögerlichkeit. Und alle, die beteiligt waren und<br />

auch den Originaltext in englischer Sprache kannten, haben einen gravierenden Übersetzungsfehler<br />

nicht bemerkt? Pisa lässt grüßen – oder waren das „Teilleistungsschwächen“? Ich habe immer beim<br />

Erwerb der englischen Sprache eine 5 als Schulnote erhalten, aber ich bin mir sicher: Das im<br />

Originaltext vorkommenden Wort „Inklusion“ hätte ich nicht mit „Integration“ verwechselt. Und<br />

dieser „Fehler“ ist nicht auf Pisa zurückzuführen und auch nicht auf kollektive<br />

„Teilleistungsschwäche“.<br />

<strong>Die</strong>ser Übersetzungsfehler ist Interessen geleitet. Was ist der Unterschied zwischen „Inklusion“ und<br />

„Integration“?<br />

Integration und Inklusion<br />

- Bei der „Integration“ haben alle Kinder, seien sie „behindert“ oder „nicht- behindert“, das Recht<br />

auf gemeinsame Beschulung, aber nur dann ,wenn sie in der Lage sind ,sich den Bedingungen , die das<br />

System „allgemeine Schule“ vorgibt, anzupassen.<br />

- „Inklusion“ meint die gemeinsame Beschulung Aller, ohne dass Bedingungen der Anpassung an das<br />

System Schule für die Schülerinnen und Schüler gestellt werden. Vielmehr hat sich die Schule auf die<br />

Kinder einzustellen, und die Schule hat alle materiellen und ideellen Voraussetzungen für eine<br />

optimale Förderung aller ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler bereitzustellen.<br />

Wenn wir ein inklusives Schulsystem aufbauen wollen, hat das erhebliche Folgen materieller und<br />

ideologischer Art .Zur herrschenden Bildungsideologie: Wenn im Schulsystem behinderte Kinder mit<br />

anderen Kindern zusammen beschult werden können, warum muss es dann überhaupt noch ein<br />

gegliedertes Schulwesen geben? Und zu den materiellen Folgen: Ein konsequent inklusives<br />

Schulsystem muss dafür sorgen, dass alle behinderten Kinder wohnortnah fachlich angemessen<br />

schulisch versorgt werden können. Das bedeutet Bereitstellung von therapeutischen Räumen und<br />

Bereitstellung von Fachpersonal praktisch für jede Schule.<br />

<strong>Die</strong> Situation in Hamburg<br />

In Hamburg gibt es neben dem sehr differenziert ausgebauten Sonderschulsystem (darin sind wir<br />

Weltmeister! Aber: Immerhin hat die extreme Ausdifferenzierung dazu geführt, dass per Definitionem<br />

kein Mensch mehr „bildungsunfähig“ ist. ) zwei weitere hauptsächliche Beschulungsarten für<br />

Schülerinnen und Schüler mit „Behinderungen“, das sind<br />

die „Integrationsklassen“ (I-Klassen) , die es in Hamburg Dank des Engagements an Bildung<br />

interessierter Eltern bereits seit 1983 gibt . In diese I-Klassen werden nach Beschlüssen durch<br />

Aufnahmekommissionen (ein Kriterium für die mögliche Aufnahme ist die voraussichtliche<br />

„Fähigkeit“ der Eltern zur Zusammenarbeit mit der Schule) Kinder mit Körper-, Sinnes – und oder<br />

geistiger Behinderung nach einem Quotierungsschlüssel und mit festgelegter pädagogischer<br />

Versorgung durch Sozial – und Sonderpädagogik in eine „Regel“- Schulklasse – also in eine<br />

„normale“ Schulklasse mit reduzierter Schüler/innnenzahl– aufgenommen.<br />

Nicht erfasst von diesem System I-Klassen sind Kinder mit Lernproblemen, mit<br />

Sprachentwicklungsproblemen und Kinder mit „emotionalen Entwicklungsstörungen“. <strong>Die</strong>se Kinder,<br />

die ca.75% der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausmachen, haben auf Grund der sozial<br />

schwierigen Situation ihrer Eltern keine Lobby, die ihre bildungspolitischen Ansprüche auf schulische<br />

und gesellschaftliche Integration durchsetzen könnten.<br />

Durch eine engagierte Gruppe von Sonderpädagog7innen aus der GEW und engagierte Uni-<br />

Dozent/innen der Fachrichtung Sonderpädagogik wurden die Interessen dieser SchülerInnengruppe so<br />

in die Öffentlichkeit getragen, dass die die damals bildungspolitisch Verantwortlichen (SPD)<br />

schließlich auch aus eigener Überzeugung 1991 mit der Installierung erster Integrativer<br />

Regelschulklassen—Standorte (IR-Klassen) begannen.<br />

An IR- Standorten (35 Schulen gibt es davon derzeit in Hamburg) gibt es keine<br />

Aufnahmekommissionen, alle Kinder aus dem Schuleinzugsgebiet, die angemeldet sind, werden<br />

22


aufgenommen. Jede Klasse erhält- statistisch gesehen – eine halbe Stelle „Sonderschullehrer/in“<br />

zusätzlich zur Regelversorgung. <strong>Die</strong> Schule kann über die Sonderpädagogikstellen frei verfügen und<br />

sie entsprechend der Situation in den Klassen einsetzen.<br />

Es ist nicht die Aufgabe der sonderpädagogischen Lehrkräfte in den IR-Klasse, „Behinderungen“ zu<br />

ertesten und aktenkundig zu machen, also Kinder zu etikettieren. Damit kein Kind diskriminiert<br />

werden kann, sind in diesen Grundschulen auch Notenzeugnisse abgeschafft. Dafür gibt es<br />

Entwicklungsberichte, die auf prozessbegleitender Lernbeobachtung basieren und keine<br />

weitreichenden Prognosen erstellen, sondern Zugangsweisen für die „Zone der nächsten Entwicklung“<br />

bestimmen. (Wenn das um sich greift, wird die Testindustrie aber sauer werden!) Im Lehrplan ist<br />

verbindlich als didaktisches Moment die „Zieldifferenz“ (entspr. „Individualisierung) festgeschrieben.<br />

Sitzenbleiben gibt es entsprechend nicht. <strong>Die</strong> IR- Klassen weisen wesentliche Strukturelemente von<br />

inklusiven Schulen auf, zumal alle Klassen an einem IR- Standort IR- Klassen sind, während an den<br />

Standorten von I-Klassen die Parallelklassen normale Regelklassen sind, es sei denn, ein IR-Standort<br />

führt auch I-Klassen. Das inklusive Element hört aber leider bisher am Ende der vierten Klasse auf.<br />

Hat da ein Kind sonderpädagogischen Förderbedarf, hat es „Glück“, wenn es in eine Sekundarstufe I<br />

mit völlig unzureichender sonderpädagogischer Versorgung kommen kann und nicht auf eine<br />

Förderschule oder eine Sprachheilschule muss.<br />

Politische Angriffe gegen die IR-Klassen<br />

<strong>Die</strong> starken inklusiven Elemente des IR-Klassensystems waren es auch , die die CDU in Hamburg<br />

nicht haben ruhen lassen, gegen die Existenz dieser Schulen gefährdende Angriffe zu fahren, sei es mit<br />

dem Rechnungshof, sei es durch Drohung der direkten Auflösung (mit der abenteuerlichen<br />

Begründung der ungerecht guten Versorgung gegenüber normalen Schulen – dabei muss man wissen,<br />

dass die IR- Standorte weit überwiegend in sozialen Brennpunktgebieten liegen, was auch Teil des<br />

Gesamtkonzeptes war). Alle diese Angriffe wurden abgewiesen, insbesondere durch den Widerstand<br />

der Eltern aus diesen sozialen Problemgebieten (!). Ein weiterer Angriff gegen das IR- Klassensystem<br />

reicht ebenfalls in die Zeit der CDU-Alleinherrschaft hinein und wirkt noch heute fort: Es sind die<br />

euphemistisch genannten „Sonderpädagogischen Förderzentren.“ Zwei dieser Förderzentren wurden<br />

als Pilotprojekte eingerichtet und es gibt sie immer noch. <strong>Die</strong>se „Förderzentren“ sind der Traum aller<br />

ständisch orientierten Sonderpädagogen, reichen sie doch qua Amt in die Grundschulen hinein, testen<br />

Kinder , ob sie „behindert“ sind und „wie schwer“, ob sie also an ihrer Grundschule weiter betreut<br />

werden können oder stationär am Förderzentrum beschult werden sollen. <strong>Die</strong>se Situation führt zu dem,<br />

was vielfach als „Ressourcen- Etikettierungs- Dilemma“ beschrieben wurde. Nicht mehr geht es um<br />

das Kind, sondern um Interessen der Institutionen, um Ressourcen, bis hin um das Überleben dieser<br />

sonderpädagogischen Einrichtung. Außerdem dienen solche „Integrativen Förderzentren“ einer<br />

Zementierung der Trennung von Kindern mit Hilfe einer institutionalisierten Trennung von<br />

„allgemeiner Pädagogik“ zur „Sonderpädagogik“. In Hessen und im Saarland gibt es reichliche<br />

Erfahrungen der beschriebenen Art. So stieg in Hessen z.B. die Zahl der gemeldeten Kinder mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf nach Implementierung der sonderpädagogischen Förderzentren<br />

rapide an. In Hamburg gibt es einflussreiche Kräfte, die die Integrativen Förderzentren gegen eine<br />

flächendeckende Ausweitung der IR- Klassenstandorte unterstützen sollen.<br />

Bezeichnend ist, dass die CDU in Hamburg (Gott sei Dank) keinen Angriff gegen die I-Klassen<br />

gestartet hat. <strong>Die</strong> Erklärung ist wohl da zu finden, wo die CDU ihr Wählerklientel vermutet.<br />

<strong>Die</strong> Novellierung des Hamburger Schulgesetzes und der geplante Umbau des Hamburger<br />

Schulwesens<br />

Nun sind wir gerade in der Diskussionsphase zur Novellierung des Hamburger Schulgesetzes.<br />

Aus dem Entwurf der schwarz – grünen Koalition zum neuen Schulgesetz entnehmen wir, dass sich<br />

auch Hamburg entsprechend der KMK- Vereinbarung auf den gefälschten Text des Art.24 des<br />

Übereinkommens der Vereinten Nationen bezieht , von Integration statt Inklusion redet, mit fatalen<br />

Folgen: Zwar wird den Schülerinnen und Schülern ein Rechtanspruch auf den Besuch einer<br />

allgemeinen Schule mit Anspruch auf integrative sonderpädagogische Förderung zugesprochen.<br />

Allerdings folgen sofort Einschränkungen materieller und inhaltlicher Art: „... soweit nicht aus<br />

inhaltlichen oder organisatorischen Gründen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel eine<br />

Förderung in Lerngruppen mit sonderpädagogisch ausgerichtetem Unterricht (gemeint sind damit<br />

Sonderschulen) zweckmäßig oder von den Sorgeberechtigten gewünscht wird.“ Allein schon ,wenn<br />

diese Passage in das Schulgesetz aufgenommen würde , wäre das ein Bruch des Völkerrechtes, denn<br />

23


es gilt ja wohl der Originaltext und nicht die falsche Übersetzung (Integration statt Inklusion) der UN-<br />

Konvention „über das Recht von Menschen mit Behinderung“ , der die Bundesrepublik Deutschland<br />

beigetreten ist.<br />

Was wir fordern<br />

Bezogen auf die Kinder mit Problemen des Lernens, der Sprachentwicklung und der sozial-<br />

emotionalen Entwicklung wird eine flächendeckende Ausweitung der IR-Standorte in allen sozialen<br />

Brennpunkten gefordert bei gleicher Versorgung wie bei den bestehenden IR- Standorten und unter<br />

Verwendung der freiwerdenden Planstellen der auslaufenden Förder – und Sprachheilschulen und die<br />

ambulante Betreuung der Schulen , an denen kaum „Problemkinder“ beschult werden. <strong>Die</strong>sen Plan<br />

gibt es schon seit Jahren, er wurde im Auftrag der GEW ( einschließlich der Fachgruppe<br />

Sonderpädagogik) erarbeitet und er wird von der SPD und den <strong>LINKE</strong>N und der Initiative “Eine<br />

Schule für Alle“ unterstützt, und wie wir gehört haben , auch von der amtierenden Bildungssenatorin .<br />

Aus der Planungsgruppe wurde bereits verlautet, dass die IR-Klassen mit der Installierung der<br />

Primarschulen (bis einschließlich Klasse 6) ebenfalls bis zum Ende der Primarschulzeit weiterlaufen<br />

sollen. Über die Sekundarstufe I (Klasse 7 – 10) wurde noch nicht gesprochen. Aber selbstverständlich<br />

fordern wir die Fortsetzung der IR- Klassen bis zur 10. Klassenstufe unter den<br />

Versorgungsbedingungen der jetzigen IR- Klassen.<br />

Für Haushälter hat dieser Plan noch den Vorteil, dass er mindestens kostenneutral ist, wenn nicht<br />

sogar gewinnbringend, weil durch die Schließung von Sonderschulen Immobilien frei werden.<br />

Für die Kinder, die in Integrationsklassen beschult werden, fordern wir eine wohnortnahe<br />

Beschulungsmöglichkeit in Schulen , die auf Barrierefreiheit umgerüstet sind, mit Räumen für Physio-<br />

und Ergotherapie ausgestattet werden ( dazu sind pro Schule etwa zwei bis drei Räume nötig): <strong>Die</strong>sen<br />

Schulen muss auch das fachlich notwendige therapeutische Fachpersonal zur Verfügung stehen. So<br />

lange die Schulen nicht alle so ausgerüstet sind, haben die Erziehungsberechtigten das Recht,<br />

zwischen der Beschulung in einer Integrationsklasse und der Beschulung in einer „Speziellen<br />

Sonderschule“ zu wählen.<br />

Eine daraus resultierende Forderung ist die Aufnahme der I- Klassen und IR- Klassen in das neue<br />

Schulgesetz.<br />

Sollten diese Forderungen erfüllt werden, käme das Bildungswesen in Hamburg dem auch von den<br />

GRÜNEN erklärten skandinavischen Vorbild einen Schritt näher. Auch der inklusiven Schule? Dazu<br />

gehört einiges mehr, z.B.:<br />

- der Verzicht auf Fachleistungsdifferenzierung bereits ab Klasse 4,<br />

- der Verzicht auf die für die Schullaufbahn vorentscheidende Profilbildung ab der gleichen<br />

Klassenstufe<br />

und<br />

- ebenfalls in der gleichen Klassenstufe das Recht von Erziehungsberechtigten, ihr Kind auf<br />

eine andere Schule umzumelden – alles Forderungen der CDU, mit denen sie versuchen<br />

werden, die gut gemeinten Reformansätze des Koalitionspartners GAL hin zu einem längeren<br />

gemeinsamen Lernen zu konterkarieren und letztlich ihren Koalitionspartner über den Tisch<br />

ziehen werden.<br />

- Vor allen Dingen gehört dazu ein Schulsystem, das alle Kinder und Jugendlichen bis Klasse<br />

10 zusammen lernen lässt.<br />

Manfred Auerswald, pensionierter Sonderpädagoge, Mitglied der LAG Bildungspolitik Hamburg<br />

24


Zur schulpolitischen Situation in Schleswig-Holstein im Mai 2009<br />

Heiko Winckel- Rienhoff<br />

In der Tat geht der Umgestaltungsprozess der Schulen in Schleswig-Holstein recht schnell voran. <strong>Die</strong><br />

Große Koalition konnte sich ja nur auf eine skurrile Dreigliedrigkeit einigen: Gymnasien,<br />

Regionalschulen (= Realschulen und Hauptschulen fusioniert; Klassen 5./ 6. integriert, dann wieder<br />

getrennt) und Gemeinschaftsschulen. <strong>Die</strong> Schulträger- und Elternentscheidungen haben sich<br />

mehrheitlich für Gemeinschaftsschulen entschieden, <strong>Die</strong> bestehenden ca. 30 Gesamtschulen werden<br />

zum Schuljahr 2010/11 automatisch zu Gemeinschaftsschulen. Mit den gerade jetzt zum nächsten<br />

Schuljahr genehmigten neuen Schulen gibt es dann insgesamt 92 Gemeinschaftsschulen und 55<br />

Regionalschulen. Ab dem Schuljahr 2010/2011 gibt es keine Haupt- und Realschulen mehr, weil bis<br />

dann alle Schulen umgewandelt sein müssen.<br />

Das klingt zunächst ganz gut, verschleiert aber 5 gravierende Mängel:<br />

1. <strong>Die</strong> Weiterexistenz der Gymnasien ist eine bildungspolitische und pädagogische<br />

Katastrophe. Tatsächliche haben fast alle Gemeinschaftsschulen einen ganz geringen<br />

Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einer Gymnasialempfehlung im Gutachten der<br />

Grundschulen zum Übergang in die 5. Klassen. Echte Gemeinschaftsschulen werden sie<br />

erst, wenn die Gymnasien integriert wären. Da das nicht passiert, muss man befürchten,<br />

dass die Regional- und die Gemeinschaftsschulen zu Restschulen werden; auf die<br />

Gymnasien ist entsprechend ein richtiger Run entstanden.<br />

2. <strong>Die</strong> Vorbereitung der Umgestaltung der Schulen ist schlecht; die Fortbildungsangebote<br />

sind nicht ausreichend, die Lehrkräfte sind auf die Veränderung des schulischen Lernens<br />

nicht eingestellt.<br />

3. <strong>Die</strong> Lehrer/innenausbildung erfolgt immer noch nach den Schularten Hauptschule,<br />

Realschule, <strong>Die</strong> CDU hat sich durchgesetzt: <strong>Die</strong> Lehrer/innen müssen ab 2010 (im<br />

Moment behilft man sich Gymnasien, es ist nicht erkennbar, dass die Landesregierung<br />

daran etwas ändern will und endlich Gemeinschaftsschullehrer/innen ausbilden lässt.<br />

4. zum Ausgleichen noch mit umgewidmeten Förderstunden) je nach Ausbildung in den<br />

Gemeinschaftsschulen unterrichten: Grund- und Hauptschullehrer/innen 28<br />

Wochenstunden, Realschullehrer/innen 27 Wochenstunden, Gymnasiallehrer/innen 25<br />

Wochenstunden. Und sie werden weiterhin am selben Arbeitsplatz unterschiedlich<br />

bezahlt!<br />

5. Für die bestehenden Gesamtschulen verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen: <strong>Die</strong><br />

Kollegen/innen müssen mehr Wochenstunden leisten und es werden ihnen jede Menge<br />

Stunden für Differenzierung, Doppelbesetzung und Individualisierung gekürzt.<br />

Also: Ja, es ist ein Schritt zur Gemeinschaftsschule, aber zufrieden kann man mit dieser Reform<br />

nicht sein.<br />

Heiko Winckel-Rienhoff ist Sprecher der LAG Schleswig-Holstein<br />

25


Bildung mit dem Blick auf Europa<br />

Gerrit Große<br />

Menschen brauchen in einer Gesellschaft, die in zunehmendem Maße auf Wissen beruht, mehr denn je<br />

sozial gleichen Zugang zu Bildung, Wissenschaft und Kultur. <strong>Die</strong> Verfügung über diese Freiheitsgüter<br />

entscheidet schon heute und mehr noch künftig über die Möglichkeiten selbstbestimmten Lebens in<br />

sozialer Sicherheit, über Beschäftigung, Teilhabe<br />

an Entscheidungsprozessen, Flexibilität in Zeiten permanenten Wandels und über die<br />

Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Lebensweisen. Teilhabe an Bildung und Kultur soll nicht<br />

Vorrecht weniger, sondern Möglichkeit für alle sein. Das ist gleichzeitig auch die Voraussetzung für<br />

die Gestaltung der Zivilgesellschaft, für eine Beendigung des Raubbaus an der Natur, für die<br />

Schaffung friedlicher, demokratischer Verhältnisse, für mehr Toleranz und gegen Rassismus und<br />

Fremdenfeindlichkeit und nicht zuletzt für die Gestaltung eines demokratischen Europas.<br />

Zu den in der Landesverfassung, im Schulgesetz und in europäischen Vereinbarungen verankerten<br />

Bildungszielen gehören auch interkulturelle Themen, wie die Festigung der Beziehungen zu den<br />

europäischen Partnerländern – insbesondere Polen – oder die Rechte für Minderheiten wie Sorben<br />

(Wenden). Hinsichtlich ihrer Realisierung gibt es in Brandenburg jedoch erhebliche Defizite, die es zu<br />

beseitigen gilt. Europäische Kultur und Geschichte, vor allem die unseres Nachbarlandes Polen, und<br />

umfassende Kenntnisse über die Entstehung, die Gegenwart und die Perspektiven der Europäischen<br />

Union müssen zum Grundwissen aller gehören, die Brandenburgs Schulen verlassen.<br />

Europapolitische Bildungsangebote müssen daher in allen Schulen einen größeren Stellenwert<br />

erhalten. Europa-Schulen, Europa-Projekttage oder Exkursionen in EU Ländermüssen ausgebaut und<br />

zielstrebig genutzt werden, damit der Kontakt zu den europäischen Nachbarn für Brandenburger<br />

Schülerinnen und Schüler zur Alltagserfahrung wird.<br />

Es gilt die Umsetzung der von der Europäischen Kommission angeregten Strategie zum Ausbau der<br />

Mehrsprachigkeit zügig in Angriff zu nehmen. Mehrere Sprachen zu beherrschen, ist eine<br />

Bereicherung für das eigene Leben, erhöht das Verständnis für andere Kulturen, vergrößert die<br />

Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erhöht nicht zuletzt die Fähigkeit, den europäischen politischen<br />

Dialog durch mehrsprachige Kommunikation aktiv mit zu gestalten.<br />

Aus: LINKSdruck 4<br />

Gerrit Große ist Mitglied des Landtages Brandenburg und Sprecherin der BAG Bildungspolitik<br />

26


Aus dem Ausland<br />

Gemeinsame bildungs- und jugendpolitische Aktionen der Sozialdemokraten, <strong>Linke</strong>n und<br />

Grünen Schwedens und ihrer Jugendverbände gegen die Krisenfolgen und die Rechtsregierung<br />

Übersetzung: W. Kienitz, 04/09<br />

Nach längerem Hin und Her einigten sich die drei Parteien Ende 2008 auf ein gemeinsames Vorgehen<br />

gegen die seit 2006 regierende bürgerlich/konservative Regierungskoalition. Anfang April 2009<br />

beschlossen die Vorsitzenden der drei Oppositionsparteien, eine gemeinsame schulpolitische<br />

Arbeitsgruppe mit Blick auf die Wahlen 2010 zu bilden. Zur Wahlniederlage der bis dahin regierenden<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) vor drei Jahren hatten übrigens gerade auch Schwächen in<br />

ihrer Bildungspolitik, besonders für die Altersgruppe ab 15, beigetragen .Doch unter den Bürgerlichen<br />

war nichts besser geworden im Bildungswesen. Finanzierungen wurden gekürzt und Privatisierungen<br />

nahmen zu.<br />

<strong>Die</strong> Vorsitzenden der drei oppositionellen Parteien (SAP/V/MP) verabschiedeten am 2.4.09 einen<br />

gemeinsamen Initiativvorschlag zur Verbesserung der Lage der Jugend, gegen deren wachsende<br />

Arbeitslosigkeit und für die Überwindung der schlimmsten Ausbildungsdefizite , die unter der rechten<br />

Regierung deutlich zugenommen haben.. Gleichzeitig einigten sich die Vorsitzenden der rot-rotgrünen<br />

Jugendverbände auf gemeinsame Anstrengungen gegen die Folgen der Krise für die<br />

Jugendlichen in Schweden und stellten dem Ministerpräsidenten Reinfeldt entsprechende<br />

Forderungen.<br />

Wir bringen im Folgenden Arbeitsübersetzungen der beiden beschlossenen Dokumente:<br />

„Ge alla unga en chans“ und „Gemensammma tag mot ungdomskrisen“<br />

---------------------------------<br />

Gebt allen Jugendlichen eine Chance<br />

<strong>Die</strong> heute jung sind, müssen morgen die Gesellschaft voranbringen. Sie sind eine große und positive<br />

Kraft in unserer Gesellschaft, sie sind kreativ und zu neuen Lösungen bereit. Der heutigen jungen<br />

Generation Zukunftschancen und Zukunftsvertrauen zu vermitteln ist eine wichtige Investition in<br />

unsere Zukunft.<br />

Wissen und Bildung sind ein Weg zur persönlichen Selbstständigkeit und ein Mittel, Wohlstand zu<br />

schaffen sowie unsere Kraft in der internationalen Konkurrenz zu stärken, was immer mehr an<br />

Bedeutung gewinnt.<br />

<strong>Die</strong> Regierung hat die guten Jahre hoher Konjunktur nicht genutzt, weder für eine erforderliche gute<br />

Ausbildung der Individuen, noch für die Schwedische Nation als Ganzes. Stattdessen wurden die<br />

Ausbildungsplätze verringert, von denen für einfachere Arbeiten bis zu denen an Hochschulen.<br />

Wir stehen in den nächsten Jahren vor enormen Herausforderungen. Der Jahrgang der Jugendlichen,<br />

die jetzt unsere beruflichen und allgemeinen Bildungsstätten der Sekundarstufe II (schwedisch:<br />

gymnasium) verlassen, ist so zahlenstark wie lange nicht. Aber ihre Möglichkeiten auf dem<br />

Arbeitsmarkt verschlechtern sich enorm. Allerdings sind diese Jugendlichen keine homogene Gruppe<br />

und sie werden nicht alle gleich hart von der Krise getroffen. Besonders schwer wird es für die<br />

Jugendlichen, die kein Abgangszeugnis erworben haben und jene mit Behinderungen. <strong>Die</strong> schon jetzt<br />

sehr hohe Arbeitslosigkeit von Jugendlichen wird sich dramatisch weiter erhöhen, wenn nichts<br />

dagegen unternommen wird. Noch härter wird es die treffen, die schon länger nicht in Arbeit sind.<br />

Und zusammen mit der Wirtschaftskrise steigen die demografischen Herausforderungen; denn die<br />

Anzahl unserer alten Menschen wächst.<br />

Jetzt müssen alle guten Kräfte unserer Gesellschaft mobilisiert werden Es wird zu einem Schlüssel für<br />

die Bewältigung unserer künftigen Herausforderungen, unserer Jugend Möglichkeiten und Zuversicht<br />

in die Zukunft zu schaffen. Jetzt ist Führungsstärke vonnöten, damit die Jugend erkennt: Wir tun<br />

27


etwas für sie. Wir brauchen eine Politik, die unseren Heranwachsenden eine gute Zukunft sichert, so<br />

dass sie alle ihre Potenziale einbringen können.<br />

A. GEBT ALLEN JETZT NEUNZEHNJÄHRIGEN EINE CHANCE<br />

Alle die 1990, im Jahr des Rekordgeburtenhochs geboren wurden, treten jetzt ins Erwachsenenleben<br />

ein, ca. 19O OOO werden im Juni die verschiedenen Richtungen der Sekundarstufe II verlassen. Eine<br />

Zahl so hoch wie lange nicht.<br />

Aber gleichzeitig schrumpft der Arbeitsmarkt enorm. <strong>Die</strong> Abiturienten stehen vor einem<br />

Konjunkturtief, so dass es selbst für die mit guten Voraussetzungen schwer sein wird, eine Arbeit zu<br />

finden, Nach den Angaben unseres Statistischen Zentralbüros ist jeder vierte junge Mensch bei uns<br />

arbeitslos. Nach der EU-Statistik hat Schweden in der EU die zweithöchste Jugendarbeitslosigkeit.<br />

Seit sie an die Macht kam, hat die bürgerlich-konservative Regierung viele Türen für unsere<br />

Menschen versperrt, besonders für die jüngeren. Sie hat drei Tausend Hochschulplätze<br />

wegrationalisiert, die Entwicklung von Fachhochschulen gebremst und die Ressourcen für die<br />

Ausbildung in qualifizierten Berufen gekürzt. <strong>Die</strong> Plätze in der Erwachsenenweiterbildung wurden um<br />

ein Drittel verringert. Da rudert man jetzt zwar wieder zurück, aber bis die Weiterbildung wieder auf<br />

den Stand von vor 2006 zurückkommt, dauert es noch.<br />

Da es sehr wichtig ist, dass unsere Neunzehnjährigen einen guten Start ins Erwachsenenleben finden,<br />

schlagen wir folgendes vor:<br />

Erstens: Sommerpausenunterricht für Sek.II –Absolventen, deren Abschlusszeugnis nicht für<br />

bestimmte höhere Ausbildungen reicht…..Sie sollen ihre Lücken füllen können. Im Zusammenhang<br />

damit soll eine Berufs- und Studienwegberatung erfolgen.<br />

Zweitens: Sommerarbeit. Ein Ferienjob ergibt praktische Erfahrungen in der Arbeitswelt und<br />

erbringt neue Kontakte. Dafür sollen den Kommunen oder Bezirken, die solche Jobs anbieten,<br />

insgesamt 300 Millionen Kronen zur Verfügung gestellt werden, wenn sie die Hälfte der Kosten selbst<br />

aufbringen.<br />

Drittens: 10 000 mehr Sommerferienplätze an Hochschulen. Letztes Jahr sind an den Hochschulen und<br />

Universitäten etwa neuntausend Bewerber für Kurse in den Sommerferien (die in Skandinavien etwas<br />

länger sind als in Mitteleuropa. W.K) zurückgewiesen worden. Auf Grund der Arbeitsmarktsituation<br />

und des besonders starken Absolventenjahrgangs wird sich dieses Jahr der Druck erhöhen. Deshalb<br />

wäre eine Erhöhung der angebotenen Plätze erforderlich.<br />

Viertens: Mehr Berufs- und Studienwegeberatung: In der Gymnasialstufe bekommen die jungen Leute<br />

gegenwärtig zu wenig Informationen über die Arbeitswelt. Sie sollen erfahren, in welchen Branchen<br />

der Bedarf an Arbeitskräften für sie günstig wäre. Um das im kommenden letzten Gymnasialhalbjahr<br />

durchzuführen, müssten zusätzliche Mittel bereit gestellt werden.<br />

B. INVESTITIONEN IN AUSBILDUNGEN UND PRAKTIKA, DIE ZU BERFSCHANCEN FÜHREN<br />

Das Risiko ist hoch, dass demnächst Jugendliche große Probleme haben werden, in Arbeit zu gelangen<br />

und die erste Begegnung mit dem Arbeitsmarkt eine Enttäuschung wird. Wir wissen, dass es jetzt<br />

mehr Arbeitssuchende gibt, die schon Arbeitserfahrungen haben und die Chancen der Newcomer<br />

verringern. werden. <strong>Die</strong> jugendlichen Arbeitslosen haben sich in den letzten neun Monaten fast<br />

verdoppelt.<br />

Deshalb schlagen wir eine breite Palette von Investitionen in Ausbildungen und Praktika vor, die zu<br />

mehr Arbeit führen können.<br />

Erstens: Mehr nachholende Lernanreize schaffen.<br />

Eine der wichtigsten Ursachen für die Schwierigkeit, Arbeit zu finden, ist ein Mangel an<br />

Bildung/Ausbildung. Vielen, die im Arbeitsmarkt nicht ankommen, fehlt die entsprechende<br />

Vorbildung in der Gymnasialstufe oder schon in der Grundschule. <strong>Die</strong> Arbeitsämter schätzen, dass<br />

2009 bis 2012 insgesamt 120 000 Jugendliche ohne Abschlusszeugnisse der Gymnasialstufe auf dem<br />

Arbeitsmarkt erscheinen werden. Der Bedarf an besonderen Maßnahmen im Interesse dieser<br />

Jugendlichen ist also groß. Dementsprechend müsste schon jetzt für den Sommer 2009 ein Programm<br />

mit einer entsprechenden Zahl von Plätzen in Gang gesetzt werden, das junge Arbeitslose zu einer<br />

28


Grundkompetenz führt. Da sollen junge Leute zwischen 20 und 24 Jahren ihre unabgeschlossene<br />

Grundschul- oder Gymnasialschulbildung komplettieren können. Das sollte auch als zweijähriges<br />

Programm mit entsprechenden finanziellen Beihilfen möglich sein. Solche Ausbildung könnte in<br />

Einrichtungen der Weiterbildung oder an Volkshochschulen arrangiert werden.<br />

Zweitens: Mehr Ausbildungsplätze in Schulen für besonders qualifizierte Berufe, den KY, sowie in<br />

Erwachsenen –bzw. Weiterbildungseinrichtungen und an Hochschulen.<br />

Obwohl stärkere Jahrgänge zu erwarten waren, hat die Regierung Plätze gekürzt. Nun haben wir ein<br />

großes Risiko, dass der bisherige Trend des steigenden Zugangs zum Studium erstmalig ins Gegenteil<br />

verkehrt wird. Wir müssen zu Übereinkommen mit jenen Branchen kommen, die eigentlich einen<br />

künftigen Mangel an geschultem Personal gesehen haben. Wenn jetzt in der Krisenzeit die Ausbildung<br />

nicht vernachlässigt wird, werden sie künftig konkurrenzfähig bleiben. (Es werden Zahlen<br />

vorgeschlagen. Da deren Bedeutung für uns deutsche Leser nicht nachvollzogen werden kann, werden<br />

sie hier und im Folgenden. ausgelassen. W.K.)<br />

Drittens: Trainingsprogramme in Wohlfahrtberufen<br />

Auf diesem Gebiet wird es in kommenden Jahren im öffentlichen Sektor der Kommunen und Bezirke<br />

einen beachtlichen Nachwuchsbedarf geben, u.a. durch Abgänge in den Ruhestand. Wir brauchen die<br />

Mittel für ca. dreitausend Plätze.<br />

Viertens: Praktika und Karrieretraining auf Hochschulniveau.<br />

Wir sehen einen großen Bedarf, die Verbindungen zwischen der Ausbildung und der Berufswelt zu<br />

verbessern. Dafür müssen die Mittel aufgestockt werden.<br />

Fünftens: Praktika für Studenten, die ihre Examina abgeschlossen haben.<br />

Auch Hochausgebildete trifft die Krise auf dem Arbeitsmarkt hart. In den staatlichen Einrichtungen<br />

sollen für Absolventen Überbrückungsplätze geschaffen werden.<br />

Sechstens:: Möglichkeiten für junge Leute Unternehmen zu gründen.<br />

Der Wunsch, ein Unternehmen zu gründen, ist bei jungen Leuten groß. Aber gegenwärtig können<br />

Personen unter 25 Jahre dafür keine Anleihen erhalten. Da Schweden ein stärkeres Unternehmertum<br />

braucht, sollte man die jungen Einsteiger besser unterstützen.<br />

C, SCHNELLERE UND FLEXIBLERE HILFEN FÜR JUNGE ARBEITSLOSE<br />

<strong>Die</strong> Langzeitarbeitslosigkeit unter den jungen Leuten steigt gegenwärtig schnell, und ein weiterer<br />

dramatischer Anstieg wird erwartet. Im Februar gab es mehr als 30 000 junge Leute, die mehr als drei<br />

Monate arbeitslos waren. <strong>Die</strong> Gegenmaßnahmen müssen moderner und flexibler werden.<br />

Wir meinen , dass jeder individuelle Fall entsprechend den jeweiligen Voraussetzungen auch<br />

individuell behandelt werden muss. <strong>Die</strong> Arbeitsvermittlungsämter brauchen auch eigene Mittel für<br />

Förderbildungsmaßnahmen.<br />

Erstens: Schnellere und flexiblere Wege für den Wiedereinstieg.<br />

Wer gegenwärtig arbeitslos wird, bleibt sechs Monate ohne Hilfen der Arbeitsvermittlung für die<br />

Wiedereingliederung. <strong>Die</strong>se Zeit muss verkürzt werden.<br />

Zweiten: Bessere Hilfen für Jugendliche mit Behinderungen.<br />

Solche Jugendlichen sind auf dem Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt und unter den<br />

Langzeitarbeitslosen überrepräsentiert. Um ihnen besser helfen zu können, benötigt die<br />

Arbeitsvermittlung zusätzliche Mittel<br />

Drittens: Möglichkeiten für längere Praxis- und Ausbildungszeiten.<br />

Gegenwärtig erhalten junge Leute, die arbeitslos waren, drei Monate theoretische bzw. praktische<br />

Einarbeitungszeit. Nicht alle, aber einige brauchen länger. <strong>Die</strong>se Zeit müsste auf maximal neun<br />

Monate erhöht werden.<br />

Viertens: Lehrlingsstellen für langzeitsarbeitslose Jugendliche<br />

Viele junge Leute, die aus dem Arbeitsleben hinausgeflogen sind, müssen ihre Berufskompetenz<br />

auffrischen. Aber sie haben wenig selbständige Fertigkeiten oder Kontakte zur Arbeitswelt, um das<br />

selbst zu bewältigen. Dafür sollen viertausend Lehrlingsplätze eingerichtet werden, und zwar direkt in<br />

Betrieben. Dafür sollen diese entsprechende Mittel erhalten.<br />

Fünftens; Ausbildungsvervollständigung<br />

Viele junge Arbeitslose haben eine lückenhafte Ausbildung. Wir erneuern unseren früheren Vorschlag<br />

für Maßnahmen zur Vervollständigung<br />

Sechstens: Jobeinstiegsermäßigung<br />

29


Für junge Langzeitarbeitslose, denen Kontakte und Erfahrungen fehlen, um wieder in Arbeit zu<br />

kommen, soll es für Arbeitgeber einen Einstiegsbonus geben. Sie können dann bis zu maximal zwölf<br />

Monaten zwei Drittel des Lohnes von der Steuer absetzen. <strong>Die</strong> Ämter für Arbeitsvermittlung können<br />

Plätze anweisen und sollen für Löhne gemäß den geltenden Kollektivvereinbarungen sorgen,<br />

<strong>Die</strong> für alle geforderten in Maßnahmen A-C veranschlagten Mittel betragen insgesamt 2921 Millionen<br />

Schwedenkronen<br />

-------------------------------------------------<br />

Gemeinsame Anstrengungen gegen die Folgen der Krise für die Jugend<br />

Heute beschlossen die Jugendverbände der drei Oppositionsparteien ein gemeinsames Vorgehen<br />

gegen die Jugendkrise. Angesichts der galoppierenden Arbeitslosigkeit unter der Jugend beschlossen<br />

die Vorsitzenden eine gemeinsame Liste von Forderungen an die Regierung für eine bessere Politik<br />

zur Sicherung von Arbeitsplätzen für die junge Generation unseres Landes. <strong>Die</strong>se Liste wollten wir im<br />

Finanzministerium abgeben aber niemand im Regierungsapparat war bereit, sie anzunehmen.<br />

---<strong>Die</strong> Krise der Finanzen hat sich zu einer Krise für die Jugend entwickelt und die Regierung lässt uns<br />

mit Massenarbeitslosigkeit dafür bezahlen. Der Arbeitsminister Littorin erklärt, dass es eben ein<br />

Unglücksjahr („beschissenes Jahr“) sei.<br />

Doch wenn die Regierung nicht umschaltet und für Arbeit für die Jugend sorgt, so wird sich die Junge<br />

<strong>Linke</strong> dafür einsetzen, dass das ein Unglücksjahr für die Regierung werden kann, sagte Ida<br />

Gabrielsson von den Jungen <strong>Linke</strong>n.<br />

---Vor der Wahl 2006 hat Frederik Reinfeldt gesagt, die Arbeitslosigkeit sei kein Problem und nun<br />

sieht er keine Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu brechen. <strong>Die</strong> Passivität der Regierung ist ein<br />

Verbrechen gegen die Arbeitslosen. Wenn es der Regierung an Ideen für Maßnahmen gegen die<br />

Arbeitslosigkeit mangele, legen unsere drei Jugendverbände hier eine Liste zur Schaffung von<br />

Arbeitsplätzen vor, die sie sofort annehmen könnte, sagte Jytte Guteland vom Sozialistischen<br />

Jugendverband.<br />

---<strong>Die</strong> Arbeitslosigkeit unter der jungen Generation wird sich weiter erhöhen, wenn man nichts<br />

dagegen unternimmt. Wir wollen, dass die Regierung etwas unternimmt, etwa für die Erweiterung des<br />

Schienennetzes, zur Erweiterung des Naturschutzprogramms oder für Vertretungsarbeitsplätze für<br />

junge Leute, wenn man ältere für Weiterbildungen beurlauben würde. Das erklärte Maria Ferm,<br />

Sprecherin der Grünen Jugend.<br />

Schweden hat in Europa die zweithöchste Arbeitslosigkeit unter der jungen Generation<br />

Schweden befindet sich mitten in der schwersten Arbeitsplatzkrise (jobbkrise) seit Jahrzehnten. Unter<br />

der Jugend ist die Arbeitslosigkeit jetzt die zweithöchste in Europa. Mehr als 100 000 Schweden sind<br />

in den jüngsten Monaten gekündigt worden. Mehr als eine Million Lohnabhängige fürchten um ihren<br />

Arbeitsplatz.<br />

Eine solche Lage erfordert Initiativen, aber Sie, Fredrik Reinfeldt und die Regierung bleiben bei<br />

derselben Rhetorik und denselben Ansichten wie vor der Krise. Sie schieben eben alles auf die<br />

ökonomische Lage in der Welt und hoffen so, mit Ihrer Untätigkeit von Schuld frei gesprochen zu<br />

werden.<br />

Unsere Jugendverbände glauben an unser Schweden und die Möglichkeit, etwas zu tun, um aus der<br />

Krise heraus zu kommen. Damit Schweden nicht weiter Schaden nimmt, richten wir hiermit 5<br />

Forderungen an die Regierung für eine bessere Arbeitsbeschaffungspolitik:<br />

1. Durchgreifende Subventionierungen für die Lohnkosten im ersten Jahr der Wiedereinstellung<br />

von langfristig arbeitslosen jungen Arbeitsnehmern.<br />

30


2. Einführung eines Ausbildungsvikariats. Dabei sollen die Jungen Arbeitschancen erhalten,<br />

während sich die Älteren weiterbilden können. Das ergibt Erwerb von Kompetenzen und<br />

Arbeitserfahrungen für beide und lockert die Sperren im Arbeitsmarkt.<br />

3. Investieren in die Infrastrukturen; das Umweltschutzprogramm ausbauen und den<br />

Eisenbahnverkehr erweitern. Das wäre eine Investition sowohl in Arbeitsplätze als auch in die<br />

Entwicklung von Wohlfahrt und Klima.<br />

4. Ein Bündel von Aktionen im Bildungssektor: Mehr Plätze in den Hochschulen sowie im<br />

kommunalen Berufsschulwesen und der Weiterbildung.. Mehr Stipendien, damit mehr<br />

studieren können. <strong>Die</strong> Förderung von Forschung und Entwicklung schafft auch mehr<br />

Arbeitsplätze. Solche Effekte hat die Senkung der Steuern für die Reichen nicht.<br />

5. Mehr Ausbildungsplätze für mehr Kräfte im Wohlfahrtswesen. <strong>Die</strong> Kommunen und Bezirke<br />

brauchen dafür erheblich mehr Mittel. Dann gibt es nicht nur mehr Jobs, sondern werden auch<br />

verschiedene negative Prozesse im öffentlichen Sektor vermindert.<br />

Prof. Dr. Werner Kienitz ist Mitglied der BAG Bildungspolitik<br />

31


Diskussion<br />

"<strong>Die</strong> gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft"<br />

Prof. Dr.Klaus Ahlheim, Berlin<br />

<strong>Die</strong> eher unaufgeregt konservative "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nannte es ein „Fanal" 1 , als am<br />

Anfang dieses Jahres Marius Reiser, Professor für Neues Testament am Fachbereich Katholische<br />

Theologie der Universität Mainz, seine Professur "aus Widerstand gegen die unter dem Titel<br />

‚Bologna-Prozess’ - betriebene und ihm als unerträglich erscheinende Hochschulreform" niederlegte.<br />

In Deutschland habe man, so Reisers Urteil, den europäischen Bologna-Prozess "als Vorwand"<br />

benutzt, "um den Universitäten endlich etwas zu geben, was erstaunlicherweise ebenfalls mit dem<br />

Namen Bolognas verbunden ist: ‚die straffe Ordnung einer Lern-Fabrik‘ “. Das kennzeichnete nämlich<br />

„nach Arno Borst die Universität Bologna im Gegensatz zu der von Paris im Mittelalter". Das<br />

modularisierte, in enge, festgelegte Bachelor-und Masterstudiengänge gezwängte Bologna-gemäße<br />

Studium an deutschen Universitäten sei ohne erkennbaren Widerstand etabliert worden, maßgeblich<br />

vorangetrieben von der Hochschulrektorenkonferenz, deren „Bologna-Reader“ von 2004 2 sich schon<br />

durch „grauenhaftes Deutsch“ – ich kann das bestätigen - und eine merkwürdige Wort- und<br />

Begriffswahl ausgezeichnet habe. In der Tat feiern in diesem Dokument Floskeln ihre<br />

bildungspolitische Anerkennung, die eher der Sprache der Betriebswirtschaft, des<br />

Betriebsmanagements und - in Anklängen - des Militärs entstammen. Da ist die Rede von<br />

"Marketing-Strategien", "Wettbewerbsfähigkeit", "Management der Hochschulen" und der "Schaffung<br />

eines wissensbasierten Wirtschaftsraums", da geht es um "Effizienz" und "passgenaue Konzeption des<br />

Studiums", um "Synergien" und "das Potenzial für Innovation und soziale und wirtschaftliche<br />

Entwicklung", um "Rekrutierungsverfahren" schließlich und die "europaweite Rekrutierung von<br />

Hochschullehrern". An keiner Stelle, so resümiert Reiser, gehe es "um den Geist, der nach Bildung<br />

verlangt".<br />

Reiser hat Recht. Auch wenn sein konsequenter Schritt spektakulär war, in seiner Kritik an den<br />

bamafizierten (so bisweilen die Formulierung der Hochschulmacher und -verwalter) der universitären<br />

Studiengänge steht er nicht allein, in der Konsequenz seines Handelns freilich schon.<br />

Interessanterweise kamen die kritischen Stimmen zum Bologna-Prozess bislang vor allem vom nicht<br />

gerade fortschrittseifrigen deutschen Hochschul-Verband oder aus seinem Umfeld, ein Hinweis, dass<br />

die traditionellen bildungspolitischen Fronten nicht mehr stimmen und dass es gerade auch die<br />

sozialdemokratischen Reformer waren, die den unseligen Bologna-Prozess vorangetrieben haben. In<br />

der Zeitschrift des Hochschulverbandes "Forschung & Lehre" hat der verantwortliche Redakteur Felix<br />

Grigat unter der Überschrift „Universität ohne Bildung“ 3 einmal von "politisch und ökonomisch<br />

motivierten Begründungssurrogaten" gesprochen, "die an die Stelle einer Humboldtschen Universität<br />

so etwas wie eine Kampfmaschine für den internationalen Wettbewerb" setzten und Humboldt so neu<br />

dächten, "dass von ihm nichts mehr übrig bleibt. Das Resultat der gegenwärtigen Hochschulreform“ -<br />

wobei der Begriff der Reform meines Erachtens ein Euphemismus ist, Hochschuldeform wäre<br />

vielleicht richtiger - ist, so Grigat, "die Universität als Betrieb... eine Universität ohne Bildung, die mit<br />

Humboldt nun wirklich nichts mehr gemein hat und für die sich das Denken erübrigt." 4 <strong>Die</strong><br />

Verbetriebswirtschaftlichung des bildungspolitischen Denkens und Handelns hat Gestalt gewonnen,<br />

längst auch in anderen Bildungsbereichen, über die Universitäten hinaus. <strong>Die</strong> in den gegenwärtigen<br />

Umstrukturierungen der Universitäten zu höheren Berufsbildungsanstalten spürbare Dominanz des<br />

1 Marius Reiser, Warum ich meinen Lehrstuhl räume. Gegen die Selbstauflösung der deutschen Universität<br />

durch Verwandlung in eine Lernfabrik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Januar 2009, S. N 5<br />

2 Hochschulrektorenkonferenz (Hg.), Bologna-Reader. Texte und Hilfestellungen zur Umsetzung der Ziele des<br />

Bologna-Prozesses an deutschen Hochschulen, HRK Service-Stelle Bologna, Beiträge zur Hochschulpolitik<br />

8/2oo4<br />

3 Felix Grigat, Universität ohne Bildung. Anmerkungen zum Symposion „Humboldt neu denken“, in: Forschung<br />

& Lehre, Heft 3 2005, S.140 f., hier: S. 140<br />

4 Ebd. S. 141<br />

32


ökonomisch Nützlichen, individuell und gesellschaftlich unmittelbar Verwertbaren und<br />

Gewinnbringenden macht ja nicht einmal vor der Kleinkindererziehung halt.<br />

<strong>Die</strong> in der Tat dringend nötige in Diskussion um öffentliche Kindererziehung wird in der Regel so<br />

geführt, als sei sie nur ein Annex der ökonomischen Hochrüstung der Republik. In meinen Ohren<br />

klingt es schon ein wenig nach nicht unbedingt einfühlsamer und kinderfreundlicher pädagogischer<br />

Verfolgung, wenn eine Redakteurin der noch immer eher als links-liberal geltenden "Frankfurter<br />

Rundschau" (sie ist jetzt übrigens Chef-Redakteurin der "Berliner Zeitung") in einem Kommentar<br />

fragte: "reicht es, zu sagen, das letzte Kindergartenjahr solle obligatorisch sein und möglichst<br />

kostenfrei?" und dann fordert, "dass wir die Kinder vom zweiten Lebensjahr an (also ab dem 13.<br />

Monat ihres Lebens!) bilden, nicht betreuen sollten. Und zwar obligatorisch..." 5 <strong>Die</strong>ter Lenzen,<br />

gelernter Pädagogikprofessor und Präsident der FU Berlin, hat schon früh die Zeichen der Zeit erkannt<br />

und ausgerechnet in einem Kommentar der GEW-Monatsschrift "Erziehung und Wissenschaft"<br />

beklagt, dass seit der "Mitte des 19. Jahrhunderts... ein Typus von Erziehungsverständnis Oberhand<br />

gewonnen" habe, "der durch die Erfindung des Kindes in der Erzeugung von ‚Schonräumen’<br />

Lebensvermeidung kultiviert" habe. Und dann skizziert Lenzen sein eigenes pädagogisches<br />

Programm: "Wir müssen schon in der Grundschule, mit großer Konsequenz aber in der Sekundarstufe<br />

II, in der Hochschule und Berufsausbildung die nachwachsende Generation mit allen Elementen des<br />

Lebensernstes konfrontieren: mit Arbeit, mit ökonomischem Druck, mit sozialen Erwartungen, mit<br />

Rechtfertigungspflicht, mit Verantwortungsübernahme, mit der Verpflichtung, für sich selbst<br />

zuständig sein zu wollen und nicht eine der vielen Opfernischen bewohnen zu wollen, die unser<br />

Gesellschaft bietet." 6 Mehr ökonomischer Druck, pädagogisch gewollt und gefordert schon in der<br />

Grundschule? Das Konzept, entspräche es nicht doch dem bildungspolitischen Zeitgeist, könnte man<br />

als Zynismus abtun angesichts der Hausaufgaben-und anderer schulisch bedingter Dramen, die sich in<br />

Deutschlands Familien täglich abspielen, von dem Drogenkonsum auch der Jüngsten ganz abgesehen,<br />

die mit Pillen schon früh gepäppelt werden, damit sie den Druck wegstecken, der von ihnen verlangt,<br />

einmal mindestens so erfolgreich zu werden wie Papi und Mami. Aber ich fürchte, stünde es zur<br />

Abstimmung, Lenzens Konzept wäre am Ende mehrheitsfähig.<br />

In der Kritik an der modernen Berufszurichtungsanstalt Universität, an einer Bildungspolitik und<br />

einem Bildungsdenken und -system, das die allseitige Verfügbarkeit und Verwertbarkeit des<br />

Menschen zu seinen Zielen erklärt hat, wird immer wieder und meist reflexhaft - auch ich habe mich<br />

daran schon hin und wieder beteiligt - auf das Humboldtsche Bildungsideal und die Idee der<br />

Universität, auf die Freiheit und den Freiraum der Forschung, die Unverfügbarkeit, ja auch<br />

Zweckfreiheit von Bildung verwiesen, wie sie eben bis vor kurzem an den Universitäten noch Realität<br />

gewesen sein soll. In Reisers Begründung seines Rückzugs klingt das so: „Es war einmal eine<br />

Institution, die nannte man ‚Universität’. Da zogen viele junge Leute hin, um das zu genießen, was<br />

man die ‚akademische Freiheit‘ nannte. Sie lasen Bücher, diskutierten und tranken Kaffee. Sie<br />

besuchten die Vorlesungen der Professoren oder auch nicht, denn es bestand keine Pflicht dazu. Es<br />

gab Übungen und Seminare, bei denen man tunlichst nicht allzu oft fehlen sollte. Man schrieb<br />

Seminararbeiten, ab und zu war eine Prüfung zu bestehen und am Ende noch eine Abschlussarbeit zu<br />

schreiben. Dann erhielt man eine Urkunde und hatte damit alle Chancen, eine gute Stelle zu erhalten.<br />

So vergingen 200 Jahre. Da setzte auf einmal ein Unwetter ein, und es hagelte Bestimmungen zur<br />

Umstrukturierung sämtlicher Studiengänge. Das Unwetter erhielt den Namen ‚Bologna’ und machte<br />

dem schönen Leben schnell ein Ende."<br />

Sieht man einmal von der - allerdings nicht unwichtigen - Frage ab, ob es die von Reiser beschriebene<br />

Vor-Bologna-Universität in den Naturwissenschaften, in der Medizin, auch in der juristischen Fakultät<br />

je gegeben hat, solche Verklärung der Universität vor dem Bologna-Prozess erweist sich bei näherem<br />

Hinsehen als unhaltbar, unbegründet, wenn nicht als grob fahrlässig. Ich fange mit einem gewichtigen,<br />

aber nicht unbedingt dramatischen Befund an: Schon vor dem Bologna-Prozess, schon vor 1999,<br />

schon in den letzten Jahrzehnten war die Welt der Universität alles andere als in Ordnung. <strong>Die</strong> so<br />

genannte Massenuniversität, mit vielerorts deutlichen Zügen nicht nur der baulichen Verwahrlosung,<br />

wurde kaputtgespart, von der Politik sehenden Auges heruntergewirtschaftet und trotzdem von der<br />

5 Brigitte Fehrle, Köhler-Rede. Keinem weh und niemand wohl, in: Frankfurter Rundschau, 22. Sept. 2006, S. 3<br />

6 <strong>Die</strong>ter Lenzen, Veränderung als Pflicht, in: Erziehung & Wissenschaft, Heft 3 / 2001, S. 2<br />

33


Mehrzahl der Lehrenden und Lernenden meist klaglos (Ausnahme waren die Proteste gegen die<br />

Studiengebühren) erduldet, hingenommen, ertragen. Und rosig waren die Berufsaussichten der<br />

Universitätsabgänger schon längst nicht mehr. <strong>Die</strong> Universität vor Bologna war längst gescheitert, ehe<br />

sich die Politik fälschlicherweise als Retter aufspielen konnte, und es war - gerade unter uns<br />

Professoren - das Zusammenspiel von opportunistischem, bisweilen elitärem Wegschauen und auf<br />

kurzen Vorteil bedachtem strammem Modernisierungsstreben, das die Universität zu dem gemacht<br />

hat, was sie heute ist: zu einer höheren Berufsschule, einer „Kampfmaschine für den internationalen<br />

Wettbewerb“ eben. Angesichts des Bologna-Prozesses haben Lehrende und Lernende an der<br />

Universität versagt, ja ihr geduldiges Schweigen konnten Politiker als Ermutigung missverstehen.<br />

Reiser sieht das eigentlich. "<strong>Die</strong> Ungeheuerlichkeit der staatlichen Zumutungen an die Studierenden<br />

und Professoren", schreibt er, "wird nur noch übertroffen von der Bereitwilligkeit, mit der sich die<br />

Betroffenen alles gefallen lassen. Ohne diese Bereitwilligkeit der Betroffenen wäre die Umwandlung<br />

der Universität in eine Tretmühle und Lernfabrik gar nicht möglich. Widerstand? Demonstrationen?<br />

Boykott? Der berühmte ‚Aufschrei’? Nichts oder fast nichts von alledem. Man versichert mir von<br />

verschiedener Seite, gegen das Hochschulestablishment und die Bildungsbürokratie seien die<br />

Hochschullehrer praktisch machtlos. Leben wir denn in einer Diktatur? Nun können Hochschullehrer<br />

als Beamte nicht streiken. Und ihre persönliche Unabhängigkeit und Freiheit wird schon seit Jahren<br />

immer mehr beschnitten durch Drittmittelabhängigkeit, leistungsorientierte Besoldung und<br />

fragwürdige Evaluationen. Aber nicht einmal die immer noch gegebenen Möglichkeiten des<br />

Widerstands sind wirklich ausgeschöpft worden."<br />

Widerstand? Professoren und Widerstand? Es ist, und daran führt kein Weg der Erkenntnis vorbei,<br />

eben die Universität im Geiste und in der Tradition Humboldts gewesen - und jetzt komme ich zu<br />

einem gravierenden, ja dramatischen Einwand gegen den vorschnellen allzu blinden Rückgriff auf die<br />

Humboldtsche Tradition - die die deutschen Professoren in ihrer Mehrheit gesellschaftlich<br />

verantwortungslos und politisch korrumpierbar gemacht hat, zu Duldern, bisweilen zu Komplizen<br />

schließlich von Völkermord und Barbarei in der Zeit des Nationalsozialismus. Schon 1945, als das<br />

faschistische Deutschland, das einen Weltbrand verursacht und den "Zivilisationsbruch Auschwitz"<br />

(Dan Diner) zu verantworten hatte, selbst besiegt und in Trümmern gelegt war, hätte man, wenn man<br />

nur gewollt hätte, bilanzieren und innehalten können: Es war gerade die (scheinbare) Zweckferne<br />

"reinen“ wissenschaftlichen Strebens, die der politischen Instrumentalisierung Tür und Tor geöffnet<br />

hat. Ungefähr zwei Drittel der Professoren, mehr als in fast allen anderen Berufsgruppen, waren im<br />

Jahr 1945 Mitglied der der NSDAP, ein alles in allem eher noch harmloser Befund. Gravierender<br />

waren da die schrecklichen Gräueltaten, Menschenversuche und Euthanasie, Verbrechen einer<br />

„Medizin ohne Menschlichkeit“ (Alexander Mitscherlich), die Untaten von Ingenieuren und<br />

Managern, ihre Beihilfe zum Mord bei der Vernichtung durch Arbeit nicht nur in der<br />

Rüstungsforschung, die lange unterschätzte Volkstumsforschung, eine der Vorläuferinnen der<br />

bundesrepublikanischen Soziologie, die die Vertreibung und Vernichtung von Juden, Polen und<br />

anderen im Rücken der Ostfront akribisch wissenschaftlich vorbereitet und begleitet hat, ganz zu<br />

schweigen von den allenthalben wirkenden „furchtbaren Juristen“ (Rolf Hochhuth). Das und vieles<br />

andere fiel nach dem Kriegsende einer intellektuellen Amnesie anheim. Da ist es schon erstaunlich,<br />

wenn Reiser reichlich verharmlosend feststellt: "So vergingen 200 Jahre", offenbar, so muss man<br />

lesen, gute Jahre, bis das „Unwetter Bologna“ über die Universitäten hereinbrach.<br />

So mutig der Schritt von Reiser auch war, so konsequent er erscheinen mag, im beschwörenden<br />

Rückgriff auf das Humboldtsche Bildungsideal, der bei vielen, ja bei fast allen Bologna-Kritikern zu<br />

beobachten ist, steckt doppelte Ideologie. Solcher Rückgriff verklärt nicht nur die Universität der<br />

letzten fast 200 Jahre und der jüngsten zwei Jahrzehnte als voll und ganz gelungene, unbedingt<br />

erhaltenswerte Institution, er verkennt auch, das macht Ideologien eben aus, die gesellschaftliche<br />

Realität, er verdrängt die gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben von Wissenschaft und<br />

Universität in zweifacher Weise.<br />

Erstens: <strong>Die</strong> Studenten, die Studentinnen (die es ja trotz Aufklärung und neuhumanistischem<br />

Bildungsideal noch gar nicht so lange gibt, erst seit gut 100 Jahren), Studierende also, die sich über<br />

Jahre und ohne Zwang fast ausschließlich und leidenschaftlich dem puren Erkenntnisgewinn, der<br />

Wissenschaft, dem wissenschaftlichen Eros hingeben können und dann auch noch, wie<br />

selbstverständlich, einen Beruf, neuer: einen Job finden, sind, wenn es diese wirklich je gegeben hat,<br />

länger schon Geschichte. Der Widerspruch zwischen humanistischer Bildungsidee und<br />

34


gesellschaftlicher (und individueller) Funktionalisierung ist für die Universität schon der letzten<br />

Jahrzehnte konstitutiv gewesen, und er bleibt es. <strong>Die</strong> Universität der Jetztzeit ist, notwendig, was sie<br />

eigentlich gar nicht recht sein kann: Bildungs-und Ausbildungsinstitution zugleich. Das ist ihre<br />

Aufgabe und ihr Dilemma. Theodor W. Adorno hat das schon vor mehr als einem halben Jahrhundert<br />

ebenso realistisch wie dramatisch beschrieben. “Aufklärung ohne Phrasen“, so betitelte Adorno einen<br />

Aufsatz, den er 1956 in der Wochenzeitung "<strong>Die</strong> Zeit " aus Anlass des Ersten Deutschen<br />

Volkshochschultages geschrieben hatte und in dem er auch die Krise der Universität, eben schon im<br />

Jahr 1956, das Scheitern der alten Bildungsidee und die Fragwürdigkeit des traditionellen<br />

Bildungsbegriffs konstatiert. 7 Ich zitiere diesen weithin vergessenen Text etwas ausführlicher: "<strong>Die</strong><br />

alte Bildungsidee", schreibt Adorno, "hat sich nicht retten lassen, indem man sie, wie die Lehre<br />

Wilhelm von Humboldts es möchte, auf die Persönlichkeit zentrierte. In der verwalteten Welt, in der<br />

die Tugenden der Persönlichkeit: unabhängiges Urteil, allseitige Entfaltung der Kräfte, Widerstand<br />

gegen das bloß von außen Aufgezwungene, geduldige Selbstversenkung nicht mehr honoriert werden,<br />

erschienen jene Tugenden als Sand in der Maschinerie. Der Funktionszusammenhang der Gesellschaft<br />

hat jedem einzelnen gegenüber so überwältigende Übermacht angenommen, dass es läppisch und<br />

ideologisch wäre, jemanden zur Persönlichkeit erziehen zu wollen; der modische Begriff des ganzen<br />

Menschen klingt nicht umsonst kunstgewerblich verblasen." "<strong>Die</strong> Universitäten als<br />

Bildungsanstalten“, so argumentiert Adorno dann folgerichtig, "haben es schwer. Was man aber unter<br />

dem Namen Universitätskrise beredet - welcher Lebensbereich möchte heute nicht seine eigene Krise<br />

haben -, ist nichts anderes als Ausdruck der gesamtgesellschaftlichen Krise von Bildung überhaupt.<br />

Der Anspruch fachlicher, berufsgerechter Ausbildung und der traditionelle, humanistische der Bildung<br />

treten an den Universitäten unterm gesellschaftlichen Druck immer unversöhnlicher auseinander. In<br />

dieser Spaltung droht die Bildungsidee auch dort, wo sie noch festgehalten wird, zur antiquarischen<br />

Spezialität oder zur unverbindlichen und darum in weitem Maß irrationalen ‚Weltanschauung‘<br />

herabzusinken, die man sich je nach Bedarf wählt und die um solcher Unverbindlichkeit willen nur<br />

allzuleicht in starre, aber auswechselbare totalitäre Parolen übergeht."<br />

Will man dem Bologna-Prozess noch etwas Vernünftiges abgewinnen, dann wäre er zumindest der<br />

Versuch gewesen, mit dem Dilemma der ebenso fatalen wie notwendigen Doppelfunktion der<br />

heutigen Universität umzugehen und auch die Verantwortung gegenüber den Studierenden<br />

wahrzunehmen, die ein Recht auf Bildung ebenso haben wie ein Recht auf Ausbildung und auf einen<br />

späteren Beruf. Der Versuch des Bologna-Prozesses freilich ist grundsätzlich und grandios gescheitert.<br />

Er hat die Berufsorientierung und Berufsausbildung ins Zentrum gesetzt und die Bildung eben<br />

abgeschafft - und er hat auch den Studierenden, anders als immer wieder behauptet, damit keinen<br />

Gefallen getan. Denn es scheint nur auf den ersten Blick paradox: Eine Universität, die konsequent auf<br />

Berufsausbildung und -vorbereitung setzt und sich vom Bildungsgedanken ebenso konsequent<br />

verabschiedet, weil der Widerspruch von Bildung und Ausbildung eben schwer auszuhalten ist, ist<br />

auch als Ausbildungsinstitut miserabel und produziert letztlich, ich sage es drastisch, trainierte<br />

Idioten! 8 Sie liefert (der Begriff ist dann angemessen) Absolventen die angepasst sind und sich<br />

anpassen an das, was "die Wirtschaft "(Wie oder was ist das eigentlich?) vorgibt, für richtig erklärt,<br />

was also vor allem und letztlich einem einzigen Zweck dient, der Geldvermehrung nämlich - und das<br />

eben, was wir nicht erst seit der aktuellen Krise wissen, in den Taschen weniger. Nötig wäre<br />

stattdessen so etwas wie eine "kritische Qualifikation der Arbeitskraft" (Oskar Negt) auch und gerade<br />

an den Universitäten. Wir sind den Studierenden und recht verstanden auch der ganzen Gesellschaft<br />

nämlich in ganz anderer Weise verpflichtet. Wir müssen, im Interesse der Studierenden und im Sinne<br />

des Gemeinwohls, mit den beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten im weitesten Sinne auch eine<br />

kritische Kompetenz (Hier macht der inflationär gebrauchte Kompetenzbegriff Sinn) vermitteln, die<br />

zum Durchschauen, zum Gestalten, ja zum Verändern der beruflichen und ökonomischen Realitäten<br />

(beides hängt eng zusammen) befähigt. Ausbildung braucht Bildung und Bildung ohne Ausbildung<br />

verkommt zur Ideologie - ohne diese Erkenntnis wird es keine Universität der Zukunft geben.<br />

7 Theodor W. Adorno, Aufklärung ohne Phrasen. Zum Deutschen Volkshochschultag 1956 – Ersatz für das<br />

„Studium Generale“?, in: <strong>Die</strong> Zeit, Nr. 41 vom 11.10.1956, S. 4<br />

8 Im Sinne des altgriechischen idiótes = „Privatmann“, jemand, der sich um die Belange des Gemeinwesens (der<br />

polis) nicht kümmert<br />

35


Zweitens: <strong>Die</strong> Universität der Zukunft braucht einen Bildungsbegriff, der gesellschaftliche<br />

Verantwortung, auch politische Orientierung nicht aus-, sondern einschließt, ja kritische,<br />

gesellschaftskritische universitäre Bildung wird zur Überlebensfrage. Allgemeinbildung, so hat mein<br />

früherer Marburger Kollege Wolfgang Klafki schon vor fast einem Vierteljahrhundert formuliert,<br />

"muss gerade heute, neu aufkommenden Entpolitisierungsbestrebungen entgegen, auch als politische<br />

Bildung zur aktiven Mitgestaltung eines weiter voranzutreibenden Demokratisierungsprozesses<br />

verstanden werden." 9 Wer den Begriff der allgemeinen Bildung, das hat Klafki in der pädagogischen<br />

Debatte über Jahrzehnte wirkungsmächtig formuliert, "retten" will, besser ihn trotz aller historischen<br />

Begrenztheit, ins Zentrum pädagogischer Theorie stellen will, muss ihn notwendig um die Dimension<br />

des Politischen erweitern. Themen und Probleme, die, nimmt man sie überhaupt wahr, gemeinhin der<br />

politischen Bildung zugeschrieben werden, werden dann auch Themen der allgemeinen Bildung,<br />

natürlich auch an den Universitäten. Was beispielsweise der Landesverband Hessen der Deutschen<br />

Vereinigung für politische Bildung schon 1988, lange vor der gegenwärtigen Krise aber noch immer<br />

ganz aktuell, in einer bildungspolitischen Stellungnahme formulierte, gilt noch immer für die<br />

politische Bildung, und es gilt auch für Wissenschaft und Universität. "Es ist fast schon eine<br />

Binsenwahrheit", heißt es in seiner bildungspolitischen Stellungnahme von damals, "dass die<br />

Menschheit heute weltweit, insbesondere aber auch in den entwickelten Industriegesellschaften, vor<br />

außerordentlich großen Herausforderungen steht, für die es keine historischen Beispiele gibt. <strong>Die</strong><br />

zentralen Probleme, die in den kommenden Jahrzehnten gelöst werden müssen, sind im wesentlichen<br />

bekannt. Es sind dies vor allem:<br />

- das Problem der dauerhaften Friedenssicherung angesichts der Möglichkeit zur Selbstvernichtung<br />

der Gattung;<br />

- das Problem einer ökologisch verantwortbaren Politik angesichts der Möglichkeit irreparabler<br />

Schäden an der Biosphäre;<br />

- die Überwindung der Verelendung der Mehrheit der Menschen in der Dritten Welt angesichts einer<br />

weiterwachsenden Bevölkerung;<br />

- die fortdauernde Arbeitslosigkeit und die Folgen des Einsatzes der Neuen Technologien in<br />

Arbeitswelt, Kommunikationswesen, Freizeit, die die industrielle Gesellschaft tief bleiben ändern<br />

werden;<br />

- die Chancen und Gefahren der Bio- und Gen-Technologie, die erstmals den gezielten Eingriff in die<br />

menschliche Evolution ermöglicht;<br />

- die Neubestimmung des Verhältnisses der Geschlechter zueinander angesichts der Emanzipation der<br />

Frauen;<br />

- die weitreichenden Folgen eines veränderten generativen Verhaltens der Bevölkerung in der<br />

Bundesrepublik." 10<br />

Gesellschaftliche, ja politische Verantwortung der Wissenschaft und Freiheit und Objektivität der<br />

Wissenschaft? Auch da ergibt sich am Ende ein nur scheinbar paradox er Befund. Erst eine<br />

Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung, erst eine in diesem Sinne politische Wissenschaft,<br />

gibt der Wissenschaft und der Universität jenen Freiraum des Forschens, des Lehrens und Lernens, die<br />

Freiheit vor allem und nicht zuletzt vor den jeweils aktuellen ökonomischen Zwängen und Zwecken,<br />

die sie mit dem einfachen Rückgriff auf die „alte" Universität Humboldtscher Prägung zu gewinnen<br />

sucht. Ja erst die politisch bewusst wahrgenommene Distanz zu den Mächten und Akteuren des<br />

politischen (und ökonomischen!) Status quo schützt die Wissenschaft als kritische Wissenschaft vor<br />

affirmativen Fehlschlüssen und politischer Instrumentalisierung und Selbstinstrumentalisierung, wie<br />

nicht zuletzt die Geschichte der Universität während des sogenannten Dritten Reiches schmerzlich<br />

und dramatisch gezeigt hat.<br />

Vielleicht sollte über der Universität von morgen, für die Studierende Lehrende schon heute eintreten,<br />

ja angesichts der Macht des Faktischen kämpfen müssen, ein Satz stehen, den der Marxist Bertolt<br />

9 Wolfgang Klafki, <strong>Die</strong> Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner<br />

Bildung, in: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 4 1986, S. 455-476, hier: S. 475<br />

10 Zitiert nach: Klaus Ahlheim, Mut zur Erkenntnis. Über das Subjekt politischer Erwachsenenbildung,<br />

erweiterte Neuausgabe Schwalbach/Ts. 2008, S. 15 f.<br />

36


Brecht seinem Galilei in den Mund gelegt hat, ein Satz der ganz menschlich, ganz politisch und<br />

gleichwohl ganz unideologisch ist, der Wissenschaft in die gesellschaftliche und politische<br />

Verantwortung nimmt und ihr damit zugleich erst die nötige Freiheit gibt von dem, was ist: "Ich halte<br />

dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen<br />

Existenz zu erleichtern." 11<br />

Aber, gerät eine solche durchaus parteiliche, gesellschaftskritische, ja politische Wissenschaft nicht in<br />

Widerspruch zu jener grundsätzlichen Forderungen der Objektivität, die wir gemeinhin und mit gutem<br />

Recht von der Wissenschaft auch fordern? Ich kann dieses grundlegende Problem in diesem Rahmen<br />

nicht ausführlich erörtern, aber gleichwohl einen Lösungsweg aufzeigen. Missversteht man den<br />

Begriff der Objektivität nicht als ganz und gar positivistischen, dann hat eine kritische Wissenschaft<br />

im Gegenteil einen Wahrhaftigkeitsvorteil. Denn es gehört zum Selbstverständnis (selbst-) kritischen<br />

Wissenschaft, die wissenschaftstheoretischen, methodologischen, politischen und gesellschaftlichen<br />

Positionen und Optionen, die die eigene Darstellung und den Forschungsverlauf bestimmen, offen zu<br />

legen und damit diskutierbar zu machen, wie Jürgen Habermas schon früh in „Erkenntnis und<br />

Interesse“ dargelegt hat. Eine praktikable kritische wissenschaftstheoretische Position wird davon<br />

ausgehen, dass weder die Logik des zu untersuchenden Gegenstandes selbst, noch die den Forscher<br />

bestimmenden Praxis- und Wertzusammenhänge eindeutig Forschungsgegenstand, Kategorien und<br />

Fragestellung bestimmen; sie weiß zugleich, dass die Strukturen der untersuchten Sache wiederum<br />

nicht indifferent sind gegenüber dem leitenden Erkenntnisinteresse; sie wird vom Wissenschaftler<br />

verlangen, im Untersuchungsvorgang zugleich auch die eingebrachten Wertgesichtspunkte und<br />

theoretischen Vorentscheidungen und Implikationen zur Disposition zu stellen. <strong>Die</strong> Sachlichkeit des<br />

Erkenntnisvorgangs bleibt gleichwohl in dem Maße gewährleistet, in dem das Erkenntnissubjekt nicht<br />

nur den Gegenstand selbst, sondern zugleich auch seinen eigenen Bildungsprozess zu durchschauen<br />

lernt. In der Auseinandersetzung mit der Position Wilhelm Diltheys, eines für die für das<br />

Selbstverständnis vor allem der Geisteswissenschaften noch immer bedeutsamen Philosophen, hält<br />

Habermas fest: "Wenn der praktische Lebensbezug der Geisteswissenschaften , der sowohl ihre<br />

historische Entstehung als auch ihren faktischen Verwendungszusammenhang bestimmt, der<br />

hermeneutischen Verfahrensweise nicht nur äußerlich anhaftet, wenn vielmehr das praktische<br />

Erkenntnisinteresse die Ebene der Hermeneutik selber a priori in derselben Weise definiert wie das<br />

technische Erkenntnisinteresse den Rahmen der empirisch-analytischen Wissenschaften, dann kann<br />

daraus eine Beeinträchtigung der Objektivität der Wissenschaft nicht entstehen - denn das<br />

erkenntnisleitende Interesse legt die Bedingungen mögliche Objektivität der Erkenntnis erst fest.“ 12<br />

Etwas einfacher ausgedrückt: Eine kritische Wissenschaft, die darüber nachdenkt und sagt, was sie<br />

wie, warum und vor allem in welchem Interesse betreibt, ist näher an der Wahrheit als jene<br />

Wissenschaft, die ihre Objektivität beteuert und durch (empirische)Methoden gesichert glaubt,<br />

faktisch aber sich als instrumentalisierbar, ja mißbrauchbar erweist.<br />

11 Bertolt Brecht, Leben des Galilei, Frankfurt/Main 1962, S.152<br />

12 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/Main 1968, S. 223 f.<br />

37


Krake Bertelsmann überall<br />

Horst Bethge<br />

Der letzte GEW- Kongress hat nach intensiven Diskussionen aufgefordert, die Zusammenarbeit mit<br />

Bertelsmann zu beenden. Vor allem, weil die gesellschaftspolitischen Zielstellungen der Bertelsmann-<br />

Stiftung mit denen der GEW nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.. Übertrieben? Notwendig?<br />

Überfällig? Dazu dies Dossier.<br />

Ob durch die Kampagne „Wir sind Deutschland!“, durch SEIS, den Schulmonitor, RTL, SAT I und<br />

PRO 7, Gruner und Jahr, Bücher aus Wissenschaftsverlagen, CHE (das Hochschulzentrum), HARTZ<br />

IV oder die EU- Verfassung- überall hat Bertelsmann seine Fangarme wie eine Krake ausgelegt. Das<br />

ist noch nicht alles, weil Vieles im Verborgenen läuft oder von Bertelsmann-Töchtern oder in<br />

Kooperation mit anderen..<br />

<strong>Die</strong> Bertelsmann Stiftung (BS) ist die einflussreichste deutsche Stiftung. Sie ist fest in der Hand der<br />

Familie Mohn, hat sich zum größten deutschen neoliberalen Think- Tank entwickelt und „berät“ auf<br />

vielen gesellschaftlichen Feldern. Sie wird aktiv geführt von Liz Mohn und bis vor kurzem, Prof.<br />

Werner Weidenfeld, dem ehemaligen Kanzlerberater.<br />

Durch ihre Tochter CHE steuert sie die Hochschullandschaft in mehreren Bundesländern, durch ihr<br />

Münchener Institut CAP (Centrum für angewandte Politikforschung) die Europapolitik (z. B. durch<br />

Entwurf der EU- Verfassung), durch CAP und MdEP Elmar Brok (CDU), den Fraktionsvorsitzenden<br />

im Eurpa-Parlament, beeinflusst sie die Europapolitik, durch eine Fülle von Netzwerken als PPP-<br />

Partnerschaften übt sie, spätestens seit Rot/Grün, maßgeblichen Einfluss auf Sozial-, Arbeitsmarkt-,<br />

Renten- und Gesundheitspolitik- bis hin zum Bibliothekswesen und der Musikerziehung aus. <strong>Die</strong><br />

andere Tochter, ARVATO AG bietet die gesamte Palette staatlicher Leistungen an, bis zur<br />

Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben (z. B. Steuererhebung). Muster ist die Stadt East Riding (GB,<br />

Yorkshire) und in der BRD Würzburg.<br />

Das bildungspolitische Engagement der BS geht auf die Mitarbeit von Reinhard Mohn 1992 in der<br />

NRW-Kommission „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ zurück.<br />

<strong>Die</strong> gesellschaftspolitischen Ziele formulierten der Stiftungsgründer und „Patriarch“ Reinhard<br />

Mohn: „Unsere Arbeit wird von der Erkenntnis geprägt, dass unternehmerisches Denken und Handeln<br />

entscheidend dazu beitragen muss, Problemlösungen für die verschiedenen Bereiche unserer<br />

Gesellschaft zu entwickeln und erstarrte Strukturen aufzulösen.“ (Leitbild der BS) „Es wird<br />

verglichen, bewertet, gemessen und alles mit jedem in ein Wettbewerbs- und Konkurrenzverhältnis<br />

gesetzt“ (Hagenloch). Schon bei Gründung hatte R. Mohn die Stiftung bewusst unter das Motto<br />

„Eigentum verpflichtet“ gestellt.<br />

Nun ist aber gerade aus dieser Verpflichtung etwas abgeleitet worden, was das bisherige allgemeine<br />

Verständnis von Sozialpflichtigkeit ins Gegenteil verkehrt. Nämlich, dass das Kapital die Pflicht habe,<br />

sich einzumischen, zu bestimmen. Das Gewicht des Kapitals gilt überhaupt nicht mehr als Gefahr für<br />

die Demokratie, sondern umgekehrt, die Demokratie wird als Gefahr für die Freiheit des agierenden<br />

Kapitals verstanden und deshalb - zu seinem Schutz – das Kapital geradezu verpflichtet, mit welchen<br />

Mitteln auch immer, als Teil der gesellschaftlichen Gewalten aufzutreten. „Eigentum (ist) mit<br />

gesellschaftlicher Verantwortung verbunden (Leitbild der BS).<br />

<strong>Die</strong> BS arbeitet vorrangig mit Netzwerken, auch internationalen Netzwerken, und in Public-Private-<br />

Partnership (PPP). Externe Anträge werden nicht entgegengenommen, darum drängen die<br />

Bertelsmännner umso eifriger mit eigenen Projekten in die deutsche Regierungsarbeit (H. Schumann<br />

„Macht ohne Mandat“, Tagesspiegel 24. 9. 06). <strong>Die</strong>se Ausschließlichkeit geht so weit, dass Mohn für<br />

Milliarden € die Aktien eines belgischen Mitbesitzers aufgekauft hat, um nicht an die Börse – und<br />

damit an die Öffentlichkeit – gehen zu müssen. Der Skandal beginnt da, wo für dieses<br />

antidemokratische und private Wirken die Bertelsmann Stiftung als gemeinnützige Stiftung auch noch<br />

fast volle Steuerbefreiung hat.<br />

38


Eine Spezialität der Bertelsmann- Stiftung (BS) ist es, mittels PPP und „gute Fee gegen Verkrustung,<br />

Bürokratie und unfähigen Staat“ aufzutreten, ihre Projekte unter wechselnden Namen und mit stets<br />

wechselnden Partnern anzudienen und in die durch Kürzung der staatlichen Mittel entstandenen<br />

Lücken zu stoßen, das gesamte Reformvokabular zu adaptieren und inhaltlich die emanzipatorischen<br />

und systemkritischen Inhalte ihrer politischen Zielsetzung zu entziehen und in die gegenteilige<br />

systemstabilisierende Richtung umzubiegen.<br />

Neben der Größe der einzusetzenden Mittel, ist die BS anders als alle anderen Stiftungen<br />

(Volkswagen, Bosch usw.) ausschließlich operativ tätig. Sie vergibt keine Mittel an „gute Projekte“,<br />

sondern entwickelt eigene Projekte und Kampagnen und übernimmt fast immer die Projektleitung<br />

durch „eigene“ Leute. Sie sammelt die dabei anfallenden Daten und verwaltet sie. Schon heute hat sie<br />

mit ihren Töchtern die umfassendste Datensammlung über Schulen und Schüler. (Allerdings nicht<br />

vollständig: Dazu fehlt noch die Errichtung des „Zentralen Schülerdaten-Registers. Das würde ihr die<br />

persönlichen Daten und Leistungs- wie Ausbildungsdaten aller SchülerInnen über 13 Jahre öffnen. Da<br />

schon jetzt einzelne ihrer Töchter mit Schülerdaten handeln, liegt hier ein enormer potentieller Markt<br />

mit enormer politischer Macht). Sie bindet erhebliche staatliche Mittel vertraglich auf Jahre, indem sie<br />

geringe eigene Mittel nur dann einsetzt, wenn der Partner erhebliche seiner Mittel zur Verfügung<br />

stellen. Anders als andere Stiftungen verfügt sie auch über in internationale publizistische Mittel,<br />

Verfahren und Erfahrungen, die Öffentlichkeit zu erreichen.<br />

Weit vorausschauend greift die BS reale gesellschaftliche Probleme und Konflikte unter<br />

gemeinnützigem Label und als scheinbar neutraler Beobachter auf. Im Kern will die BS nicht auf die<br />

klassische Weise die Privatisierung, d. h die Übernahme von öffentlichen Eigenstumstiteln. Sie setzt<br />

auf PPP, auf die Durchdringung des Sozialstaats. Um ihn langfristig auszutrocknen, auszuhungern,<br />

überflüssig zu machen.<br />

Dabei geht Bertelsmann seinen eigenen Weg, fast eigensinnig, allein mit der Macht des großen<br />

Kapitals, nicht mittels Unternehmervereinigungen wie BDI und BDA, aber keineswegs gegen sie.<br />

Bertelsmann wirkt vor allem über nationale und internationale Netzwerke unter Nutzung der<br />

Steuergesetze (Stiftung), bei geschickter Bindung öffentlicher Gelder und Institutionen und allein dem<br />

Stifter Reinhard Mohn und seiner Frau Liz verpflichtet. Gleichwohl stramm neoliberal und global<br />

aggressiv.<br />

Denn, wie bei einer Schlupfwespe in die Raupe, legt Bertelsmann in alle gesellschaftlichen Bereiche<br />

seine „Eier“ ab, die im Inneren der Institutionen und oft unbemerkt heranwachsen, wie bei einer<br />

Raupe, sogar genährt vom Wirtstier. Wenn es an der Zeit ist, schlüpft die neue Schlupfwespe und lässt<br />

die Wirtsraupe als leere und tote Hülle zurück.<br />

Wer ist Bertelsmann?<br />

<strong>Die</strong> bekannte Reihe „Konzerne in Schaubildern“ (Hoppenstedt- Verlag) konnte Bertelsmann mit 600<br />

Einzelfirmen schon 2002 nur auf 14 Seiten darstellen. Darum hier nur ein Überblick:<br />

<strong>Die</strong> Bertelsmann AG, Sitz Gütersloh<br />

76,1 % gehören der Bertelsmann-Stiftung, 23, 9 % der Familie Mohn. Umsatz: 20 Mrd. € (in Europa:<br />

5,54 Mrd. €) bei 100 000 Beschäftigten weltweit. <strong>Die</strong> einzelnen Gruppen der AG waren am Umsatz<br />

2003 beteiligt:<br />

RTL-Group (Sender) 25, 7 % Random House (Verlage) 10, 2 %<br />

Gruner+ Jahr 14, 3 % BMG (Musik) 15, 6<br />

%<br />

Direkt Group 13, 2 % Arvato (Firmendienstleistungen) 21,0<br />

%<br />

Bertelsmann ist aktiv im European Services Forum, einer Lobby-Organisation von <strong>Die</strong>nstleistern.<br />

Darüber auch an den internationalen Verhandlungen der WTO bei GATS, TRIPS und dem MAI<br />

beteiligt. Von 1983 – 2002 war der Vorstandschef Mark Wössner im European Round Table of<br />

Industrialists (ERT) aktiv, der führende Industrielle aller Art angehören und die auf Bildungs-,<br />

Forschungs-, Technologie-, EU- und Wirtschaftspolitik Einfluss nimmt. So hat sie auf den<br />

Maastricht- Vertrag gedrängt.<br />

39


Beteiligt (meist mit 100 %) u.a. an Fundazion Bertelsmann (1995 Barcelona), Bertelsmann Foundation<br />

(1994 New York), Centrum f. Krankenhausmanagement eGmbH (1994 Münster), Akademie zur<br />

Förderung der manuellen Medizin eGmbH (1994 Münster), Medienakademie eGmbH (1998 Köln),<br />

Akademie des dt. Buchhandels GmbH (1999 München), Centrum für Hochschulentwicklung GmbH.<br />

CHE (1994 Gütersloh, PPP-Projekt u. a. mit der Rektorenkonferenz, der wir die Studiengebühren<br />

verdanken), Centrum für angewandte Politikforschung, CAP (PPP- Projekt mit der Uni München),<br />

Stadtbibliothek Gütersloh GmbH (1979), Shanghai Bertelsmann Culture Industry Company (1995<br />

Shanghai), Bertelsmann China Holding GmbH (1998 Peking, mit Beteiligung der RTL-Group beim<br />

Staatssender China Central Television, seit 2004).<br />

Und selbst im Europaparlament hat die SB eine aktive „Stimme“: Der CDU- Parlamentarier Elmar<br />

Brok, Mitglied im Konvent, der die EU- Verfassung ausgearbeitet hatte, wurde zum „Senior Vice<br />

President“ und Europa-Beauftragten von B. ernannt und mit einem eigenen Büro mit 5 Mitarbeitern<br />

ausgestattet.<br />

<strong>Die</strong> Bertelsmann- Stiftung, Sitz Gütersloh (BS)<br />

766 Mill. € Stiftungsvermögen, jährlich 400 Mill. € operativ zur Verfügung, mit 300 festangestellten<br />

Mitarbeitern, tätig in aktuell 60 Projekten. Im Vorstand der BS sind/waren tätig u. a. Liz und Reinhard<br />

Mohn, Prof. Werner Weidenfeld, Prof. Heribert Meffert, Brigitte Mohn. Unterteilung in die<br />

Abteilungen:<br />

Kommunikation Internationale Verständigung<br />

Stiftungsentwicklung Wirtschaft + Soziales<br />

Bildung (Bereichsleiter: der ehemalige Kulturdialoge<br />

Hamburger Wissenschaftssenator Dräger) Politische Dialoge und Foren<br />

Journalisten- Dialoge Kompetenzzentrum Kommunen<br />

CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) und Regionen<br />

Kompetenzzenztrum U-Kultur Gesundheit<br />

Im Einzelnen: Sender, Medien, Musik<br />

RTL, VOX, RTL 2, Super RTL (50 % mit Disney), n-tv mit Beteiligungen und Töchtern an 34<br />

weiteren Fernseh- und Radiostationen: allein 11 Fernsehsendern in F, 3 in Sp, 6 in Belgien, 4 in NL, 2<br />

in Lux und mehrere in GB, Russ, Ungarn und Kroation. <strong>Die</strong> Tochter MEDIA AG mit Pro 7, SAT 1,<br />

Kabel 1, 9 live, N 24. <strong>Die</strong> Tochter PALMIRA (GB) und KKL (USA), dazu gehören Sender wie The<br />

VOice und weitere in N, SF, DK, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Belgien + NL, beide haben SBS<br />

übernommen mit weiteren 5 Fernsehsendern und Radio SBS in, N, SF, DK,, Bulgarien, Rumänien,<br />

GR und weiteren 15 Staaten<br />

Filmproduktion:UFA Film + TV Produktions GmbH, Trebitsch Produktion, Cinevideo (Kanada), First<br />

Choice (GB)<br />

BMG (Bertelsmann Music Group) mit Sony Music seit 2004 verbunden (50 % bei B). Am 6. 8. 08<br />

wird bekannt, dass sich B von BMG trennt, was Sony ganz übernimmt. Bei B verbleibt nur die<br />

elektronische Vermarktung von 200 Musiktiteln<br />

Printmedien<br />

Gruner und Jahr zu 74, 9 % mit 120 Zeitschriften wie Stern, Brigitte, Eltern, Geo, Capital, Essen +<br />

Trinken, Schöner Wohnen, Der Spiegel (25 %), P.M.,<br />

Chemniter + Dresdner Morgenpost, Sächsische Ztg., Ätzte Zeitung, in USA: American Homestyle,<br />

Parents, Fitness, Child, YM Magazins; Nepzabad (Budapest)<br />

Verlage: Vieweg, Heyne, MMV Malzum Verlag, Platow, Heinr. Vogel Verlag, Ullstein, List,<br />

Blanvalet, Siedler, cbj, DVA, Goldmann, Luchterhand, Gabler, Westdt. Verlag, Bauer Verlag. Nach<br />

und nach kauft B alte, renommierte Wissenschaftsverlage auf, die sie unter altem Namen weiterführen.<br />

40


Random House Gruppe, die größte Buchverlagsgruppe der Welt, weltgrößtes englischsprachiges<br />

Verlagshaus, Kooperation mit Montadori (zweitgrößtes spanischsprachiges Verlagshaus, auch in<br />

Südamerika tätig) mit 74 weiteren Verlagen weltweit (mehr siehe:<br />

www.ketupa.net/bertelsmann.htm#holdings).<br />

Projekte und Kampagnen im Bereich Schule/Bildung<br />

Der Bereich Schule, Kinder, Bildung ist das bevorzugte Operationsfeld der BS.<br />

Er verschlingt zeitweilig 80 % der Ausgaben der BS. Hier eine unvollständige Liste bundesdeutscher<br />

Projekte:<br />

1. SEIS (Selbstevaluation in Schulen): Computergestütze Fragebogenaktion zur Schulentwicklung bei<br />

Eltern, Schülern, Lehrern und Schulleitungen. Zuerst entwickelt mit 41 Schulen in 8 Nationen 2001-<br />

2004. Jetzt Teilnahme von 3500 Schulen in allen Bundesländern . Ab 1. 10. 08 geht SEIS in das<br />

„Länderkonsortium SEIS“ über (Copyright, Organisation, Auswertung), ein PPP-Projekt der BS mit<br />

den Bundesländern Baden- W., Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz,<br />

Sachsen- Anhalt und Zentralstelle für die Dt. Auslandsschulen). Vorsitz: Niedersachsen. Beisitzer: <strong>Die</strong><br />

Länder NRW und Baden- Württemberg. <strong>Die</strong> Kostenübernahme durch die Länder ist unterschiedlich.<br />

Z. B. übernimmt Rh-Pfalz seit 2006 für die teilnehmenden 28 Schulen des Bundeslandes die<br />

Servergebühren von 100 € pro Schüler. In Brandenburg muss jede Schule 300,-€ für Lizenzen<br />

berappen. Wollen Schulen aus dem Vertrag mit SEIS wieder aussteigen, werden sie daraus nicht<br />

entlassen. Erstmals haben jetzt 300 Eltern, Lehrer und Schüler einen Appell an Bertelsmann gerichtet<br />

(Robert- Blum- Gymnasium in Berlin Schöneberg- www.nachdenkseiten.de/?p=2484)<br />

(mehr dazu: www.das-macht-schule.de und: H. Bethge „Bertelsmann macht Schule“ in<br />

Wernicke/Bultmann „Netzwerk der Macht“, BdWi- Verlag, S. 173)<br />

2. Schule + Co/Projekt selbständige Schule, NRW. PPP zwischen Land NRW mit BS, zeitweilig<br />

auch mit DGB Technologieberatungsstelle Münster und GEW NRW. Beteiligt 278 Schulen, 19<br />

Regionen, 49 Schulträgern. Finanzierung BS-typisch: Land NRW jährlich 3 Mill. € plus je Schule ½<br />

Lehrer-Planstelle = 15 Mill. €, BS trägt jährlich 1 Mill. € für die Projektleitung. NRW hat am 23. 6. 08<br />

Vertrag auf Weiterführung mit der BS abgeschlossen „Erweiterte Verantwortung in Schulen“, jetzt<br />

113 Schulen mit 20000 Teilnehmern, Ausweitung zunächst auf 228 Schulen geplant<br />

3. JEKI- Jedem Kind sein Instrument: PPP zwischen den Ländern NRW und HH mit der Liz-Mohn-<br />

Stiftung und kommunalen Jugendmusikschulen, die sich an das Musikerziehungskonzept der Stiftung<br />

halten müssen, auch wenn sie ein kommunales Konzept jahrelang entwickelt und durchgeführt haben,<br />

das jetzt „finanzielle ausgemagert“ wird.<br />

4. Media Smart: Unterrichtmaterial zum Thema „Werbung“ für Kl. 3 + 4, inzwischen in 18 000<br />

Schulen kostenlos eingesetzt (mehr: www.mediasmart.de)<br />

5. Netzwerk Innovativer Schulen (1997 – 2005), daraus sind viele Filme des (grünen) Filmemachers<br />

Reinhard Kahl entstanden (die zumeist Bertelsmann bezahlt hat)<br />

6. Scoyo (Tochter in Hamburg). Mit 50 Mitarbeitern entwickelt Scoyo ein umfassendes Bildungs-E-<br />

Learning-Angebot für Kinder und Jugendliche für den „Nachmittagsmarkt“. Scoyo lehnt jegliche<br />

Auskunft über Absicht und Stand ihres Projekts ab. Investitionsvolumen 15- 20 Mill. € (wwwde.scoyo.com/)<br />

7. Leuphana-Uni Lüneburg: <strong>Die</strong> BS bezahlt Stellen für junge Professoren auf Zeit für 3- 5 Mill. €<br />

(mehr:<br />

www.asta-lueneburg.de/fileaduni/images/specherinnen/wkn/2008-04-30_wkn.abschlussbericht)<br />

8. InmediaOne (eine Arvato-Tochter) verkauft an der Haustür durch „Drücker“ für 2 200.- € ein Paket<br />

Lexika, Lexikothek, CD-Roms und Lizenz zum Internet –Zugang zu Nachhilfelehrern<br />

(http://forum.kijiji.de/post-1942215.html und:<br />

www.lieberzuhause.de/includes/show_pdf.inc.php?id=32)<br />

41


Sonstige Kampagnen und Projekte (Auszug aus der Liste)<br />

1. „Du bist Deutschland“ (Sept. 2005 gestartet) von 25 Medienfirmen und Konzernen unter<br />

Federführung von Bertelsmann, Kosten 35 Mill. €. Schirmherren: Bernd Kundrum (Chef Gruner +<br />

Jahr), G. Thielen (Bertelsmann), Koordination lag bei der BS. Bundesweite Medienkampagne (Welt<br />

am Sonntag, 16. 12. 07)<br />

2. THESEUS (vormals Quaero), europ. Suchmaschinenprojekt, Teil des Programms<br />

„Informationsgesellschaft Deutschland 2010“. Kommt laut Bundesregierung hohe wirtschaftliche und<br />

außenpolitische Priorität zu, soll Zugang, Verteilung und Nutzung des online-verfügbaren Wissens<br />

verbessern. Umgesetzt wird es von der AVATO-Tochter Empolis.<br />

3. CAP (Centrum für angewandte Politikforschung) seit 1995, Leiter: Prof. W. Weidenfeld<br />

(langjähriger Kanzlerberater). PPP-Beratungsprojekt mit Auswärtigem Amt, Uni München und BS.<br />

Budget: 3,2 Mill. € pro Jahr, 80 Mitarbeiter organisiert u. a.:<br />

- Kronberger Gespräche (Naher Osten)<br />

- Sommer Akademie Europa (Nachwuchs für europ. Strategiedebatte)<br />

- Konferenzreihe FAZIT (Dt. in Europa)<br />

- Round Table „Project Improving Responsiveness (Europa- USA)<br />

- Jahrestreffen junger ökonomischer Eliten (gemeinsam mit der Allianz- Kulturstiftung)<br />

- Europapolitischer Dialog<br />

- Balkan Forum (PPP zwischen CAP und Auswärtigem Amt)<br />

- Internationale Konferenz “Post-Conflict Management“ (mit UN-Vertretern)<br />

- Bertelsmann International Forum<br />

4. <strong>Die</strong> BS ist an der ZEIT-Stiftung beteiligt und fördert deren Aktivitäten<br />

5. Bertelsmann- Transformation- Index (BIT), erscheint alle zwei Jahre seit 2003. Ziel:<br />

„markwirtschaftliche Demokratie“ zu etablieren, stellt die „Reformbereitschaft“ von 119<br />

Entwicklungs- und Schwellenländern fest. Von CAP für die BS erstellt unter Mitwirkung von 250<br />

Wissenschaftlern und Politikern, mit“ Erfolgs- und Aktivitätsindex“.<br />

6. Länder- Ranking, Einzelanalysen, strategische Empfehlungen zu „good governance“<br />

7. Berliner Forum, Kanzlerdialoge, interne Gesprächsrunde zur Unterstützung der Politik der<br />

Bundesregierung und des Kanzleramtes<br />

8. HARTZ I-IV, div. Studien dazu, Mitarbeit in den staatlichen Arbeitsgruppen, Moderation des<br />

Diskussionsprozesses zu HARTZ IV, März 2003: Grundzüge für Job Center. Seit 2001: Konzepte für<br />

HARTZ I und Personal Service Agenturen<br />

9. Gesundheitsmonitor (seit 2001)<br />

11. Projekt „Eigenverantwortung im Gesundheitswesen“, div. Studien und Symposien vor der<br />

Gesundheitsreform. Formulierungshilfe für das Gesundheitsmodernisierungsgesetzes.<br />

12. Perspektive Deutschland (2001): „Ein Klick geht durch Deutschland“, in Koproduktion mit<br />

McKinsey, STERN, WEB (Internet Anbieter), 2. Dt. Fernsehen, Gruner + Jahr /Bertelsmann. Mit<br />

„öffentlicher Diskussion über Deutschlands Zukunft“, via Online-Fragebögen<br />

13.Rentenreform- Kapitalgedeckte Zusatzversicherung<br />

14.Wettbewerb „Unternehmerfreundliche Großstadt“<br />

42


So weit ein Ausschnitt aus den 60 laufenden Projekten- alles ohne öffentliche Kontrolle, Offenlegung<br />

der Finanzen und Ziele, allein der Familie Mohn verpflichtet und auch mit unseren Steuergeldern<br />

bezahlt. Wahrlich an der Zeit, der Krake Bertelsmann die Fangarme zu kappen, Aufklärung zu<br />

betreiben und vor Ort zu diskutieren, wie man sich gemeinsam wehren kann. Dafür ist die Situation<br />

sehr günstig, hat sich doch die neoliberale Ideologie, dass der Markt und die Privaten schon alles gut<br />

richten würden, gründlich diskreditiert. Tun wir was, bevor wir alle Bertelsmänner sind- yes, we can!<br />

Horst Bethge ist Mitglied des Sprecherteams der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik der<br />

<strong>LINKE</strong>N<br />

43


DIE <strong>LINKE</strong> im Bundestag<br />

Aus dem Bundestag<br />

Sonja Staack<br />

Schuldenbremse: Sparrunden in der Bildung vorprogrammiert<br />

Noch vor der Sommerpause will die große Koalition die Föderalismusreform II beschließen. Ein<br />

Kernbestandteil: <strong>Die</strong> Schuldenbremse. Den Ländern und Kommunen droht damit die finanzielle<br />

Grundlage für eine gestaltende Politik – und damit nicht zuletzt für eine gute Bildung – entzogen zu<br />

werden. Bereits ab 2011 würde die Kreditaufnahme stark eingeschränkt, der Bund müsste bis 2016<br />

eine Neuverschuldung von höchstens 0,35 Prozent des BIP erreichen, für die Länder würde ab 2020<br />

ein Neuverschuldungsverbot gelten. Der Handlungsdruck wird durch die Wirtschaftskrise dramatisch<br />

verschärft, denn massive Steuerausfälle in den kommenden Jahren sind absehbar.<br />

SPD und CDU/CSU versuchen die Folgen der Schuldenbremse herunterzuspielen. Doch die<br />

öffentlichen Anhörungen im Rechtsausschuss und im Bildungsausschuss des Bundestags haben<br />

deutlich gemacht: Massive Einschnitte durch Sparhaushalte sind vorprogrammiert, und das geht nur<br />

mit erheblichem Personalabbau im öffentlichen <strong>Die</strong>nst. Das würde zuallererst die Bildung treffen. Auf<br />

dem Bildungsgipfel im Oktober 2008 hatte die Kanzlerin noch vollmundig eine Steigerung der<br />

Bildungsausgaben auf 10 Prozent des BIP versprochen. Auf der Anhörung im Bildungsausschuss<br />

rechnete Roman Jaich von der GEW vor, dass dies Mehrausgaben von ca. 30 Mrd. Euro pro Jahr<br />

bedeuten würde. In einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung hat er außerdem berechnet, dass<br />

eigentlich Mehrausgaben von knapp 40 Mrd. Euro nötig wären, um die Unterfinanzierung der<br />

Bildungssysteme zu überwinden. Mit der Schuldenbremse ist das alles nicht zu machen.<br />

<strong>Die</strong> SPD wirbt außerdem damit, es sei ihr gelungen, das Kooperationsverbot für Bund und Länder in<br />

der Schulpolitik zu lockern. In Wahrheit ist die hier geplante Korrektur mehr als dürftig: Bund und<br />

Ländern soll „im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen“ die<br />

Zusammenarbeit in der Bildung erlaubt werden. Das strukturelle Problem unterfinanzierter<br />

Bildungssysteme, welches mit den Bildungsgipfel-Zielen immerhin anerkannt wurde, ist aber kein<br />

Problem außergewöhnlicher Notsituationen, sondern erfordert eine reguläre Bildungsförderung. DIE<br />

<strong>LINKE</strong> fordert die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe Bildung von Bund und Ländern. Der<br />

Bundestag wird am 29. Mai, der Bundesrat voraussichtlich in der ersten Juli-Woche über die<br />

Föderalismusreform II entscheiden.<br />

Hochschulpakt II auf Eis?<br />

18 Mrd. zusätzlich sollte es für Hochschulen und Forschung geben – so jedenfalls hat es die<br />

Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) beschlossen. Hieraus soll auch<br />

der Hochschulpakt II finanziert werden. Der ist bitter nötig, denn die Hochschulen sind auf die<br />

doppelten Abiturjahrgänge bisher nicht eingestellt. Das zusätzliche Geld wird gebraucht, um den<br />

Status Quo der Studienbedingungen überhaupt halten zu können – von einer besseren Finanzierung<br />

der Hochschulen ganz zu schweigen. Doch nun hat der Bundesfinanzminister das ganze Projekt in<br />

Frage gestellt: Nach der Finanzministerkonferenz am 30. April erklärte er, die Programme seien auf<br />

seinen Druck hin insgesamt unter Haushaltsvorbehalt gestellt worden. "Milliardenschwere<br />

Wahlgeschenke wie die Abwrackprämie werden schnell durchgewinkt, Ausgaben für Bildung und<br />

Forschung werden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben", sagte hierzu Petra Sitte, stv.<br />

Fraktionsvorsitzende der <strong>LINKE</strong>N im Bundestag.<br />

Umstritten ist auch, wo die Gelder hingehen. Neben dem Hochschulpakt II hat die GWK u.a. auch<br />

eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative vorgesehen. Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der<br />

Fraktion, machte deutlich, wo es aus Sicht der <strong>LINKE</strong>N hingehen muss: "Wir fordern, den<br />

Elitewettbewerb auslaufen zu lassen und die entsprechenden Mittel in neue Studienplätze zu stecken.<br />

<strong>Die</strong> zweite Runde des Hochschulpakts muss Priorität haben, um die ständig steigende Zahl<br />

studierwilliger junger Menschen mit guten Studienplätzen versorgen zu können." Am 4. Juni<br />

entscheiden die Ministerpräsidenten der Länder, ob die Gelder nun fließen – oder die Entscheidung bis<br />

nach der Wahl vertagt wird.<br />

Zehn Jahre Bologna-Prozess – eine Erfolgsgeschichte?<br />

44


„<strong>Die</strong> Reform gewinnt an Zugkraft, die Umstellung auf die gestuften Studiengänge macht gute<br />

Fortschritte.“ So bilanzierte die Bundesbildungsministerin Annette Schavan über zehn Jahre Bologna-<br />

Prozess. Im März legte die Bundesregierung dem Bundestag ihren dritten Bericht über die Umsetzung<br />

des Bologna-Prozesses in Deutschland vor. Im Wintersemester 2007/2008 waren nach Angaben des<br />

Statistischen Bundesamtes über 600.000 Studierende in Bachelor- und Masterstudiengängen<br />

eingeschrieben, das entspricht einem Anteil von gut 30 Prozent aller Studierenden.<br />

Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, kam zu einem anderen Ergebnis: "Der<br />

Bologna-Prozess wird mangelhaft bis ungenügend umgesetzt! Viele Studiengänge werden nur<br />

umetikettiert, der Prüfungsdruck steigt in ein beinahe unerträgliches Ausmaß und eine demokratische<br />

Beteiligung liegt in weiter Ferne. So wird diese Reform kein Erfolg", sagte sie am 06. Mai in der<br />

Debatte im Bundestag. Wenn der Prozess doch noch zum Erfolg werden soll, müsse sich in drei<br />

zentralen Fragen etwas ändern: Am neu geschaffenen europäischen Hochschulraum müssten erstens<br />

alle gleichermaßen partizipieren können. Hierzu müsste die soziale Absicherung der Studierenden<br />

deutlich verbessert werden. Zweitens müsste die Mobilität tatsächlich – und nicht nur in wohlfeilen<br />

Erklärungen – erhöht werden. Und drittens müsse der Bologna-Prozess zu mehr Qualität im Studium<br />

führen – bisher allerdings sei das Gegenteil der Fall. Auch die GEW hat auf ihrem Gewerkschaftstag<br />

im April ein radikales Umsteuern im Bologna-Prozess gefordert.<br />

Sonja Staack ist Referentin für Allgemeine und Berufliche Bildung in der Fraktion DIE <strong>LINKE</strong>. im<br />

Bundestag<br />

45


<strong>Die</strong> Schuldenbremse für die Länder ist eine falsche Weichenstellung<br />

Eine gemeinsame Erklärung von Wulf Gallert, (MdL Sachsen -Anhalt), Dr. Angelika Klein (MdL<br />

Sachsen-Anhalt), Stefan Liebich (MdA Berlin), Rolf Linsler (Landesvorsitzender <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong><br />

Saarland) , Klaus Rainer Rupp (MdBü Bremen)<br />

Björn Radke und Cornelia Möhring (Landessprecher <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong> Schleswig-Holstein)<br />

Bodo Ramelow (MdB) Dr. Axel Troost (MdB)<br />

1. <strong>Die</strong> Forderung der Föderalismuskommission II den Ländern per Grundgesetzänderung die<br />

Aufnahme neuer Kredite zu untersagen, ist weder aus finanzpolitischer Sicht noch aus<br />

verfassungsrechtlicher Sicht berechtigt.<br />

Sollte diese Änderung des Grundgesetzes tatsächlich stattfinden, wäre dies eine Zäsur im<br />

deutschen Föderalismus, weil die Länder dadurch einen Teil ihrer haushaltswirtschaftlichen<br />

Selbstständigkeit und damit ihrer Eigenstaatlichkeit verlieren. <strong>Die</strong> Landesverfassungen<br />

werden ausgehebelt. <strong>Die</strong> Budgethoheit der Landesparlamente, die bislang im Rahmen<br />

der Art 109 und 115 GG selbst über die Höhe der Verschuldung entscheiden konnten, wird<br />

geschwächt. Auch wenn diese Regelung erst ab 2020 greifen soll, müssen die Länder nach<br />

dem Inkrafttreten der Reform ab 2011 bereits mit ersten Schritten des Ausgabenabbaus<br />

beginnen.<br />

2. <strong>Die</strong> Konsolidierungshilfen für die fünf finanzschwachen Länder Bremen, Saarland, Sachsen-<br />

Anhalt, Schleswig-Holstein und Berlin sind nicht auskömmlich. Wir kritisieren nicht nur die<br />

Höhe der Sanierungshilfen, sondern auch, dass es für die betroffenen Länder keinen festen<br />

Rechtsanspruch auf sie gibt. Vielmehr sollen die Länder für die Gewährung der<br />

Sanierungshilfen langfristig auf politische Gestaltungsspielräume verzichten. Sie müssen sich<br />

zu Sanierungsprogrammen verpflichten, die deutlich über die bisherigen Kürzungsmaßnahmen<br />

hinausgeht. Der soziale und politische Preis, der für die Konsolidierungshilfen zu zahlen ist,<br />

wird sich in schmerzhaften Kürzungen in den betroffenen Ländern zeigen. <strong>Die</strong> betroffenen<br />

Länder erhalten deutlich weniger Mittel zu schlechteren Bedingungen, als ihre<br />

Ministerpräsidenten gefordert haben.<br />

3. Für den Schutz der Interessen der Finanzwirtschaft sind neue Milliarden-Schulden kein<br />

Problem.<br />

Sobald es darum geht, damit Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und das Sozial- und<br />

Bildungssystem auszubauen, fangen CDU und SPD plötzlich damit an, vor dem Marsch in den<br />

„Schuldenstaat“ zu warnen. Eine Schuldenbremse, wie sie die Föderalismuskommission<br />

vorschlägt, verschärft daher soziale die Schieflage in der Gesellschaft.<br />

4. Wir verbinden unsere Absage an das Projekt der Schuldenbremse zugleich damit, den aus<br />

unserer Sicht fortbestehenden, ernsthaften Reformbedarf im deutschen Föderalismus zu<br />

betonen. Dafür haben wir folgende Vorschläge gemacht.<br />

a. Einführung einer Bundesschuldenverwaltung, die einen Teil der Altschulden von Bund,<br />

Ländern und Gemeinden übernimmt. <strong>Die</strong> gesetzliche Grundlage muss sich am Prinzip der<br />

Erblastentilgung orientieren (private Vermögen müssen herangezogen werden).<br />

b. Einführung einer zentralen Bundessteuerverwaltung. Das würde mittelfristig rund 11 Mrd.<br />

Euro jährliche Mehreinnahmen bringen.<br />

c. Einführung einer zentralen Börsenaufsicht.<br />

d. Reform der Bildungsfinanzierung durch Einführung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe<br />

Bildung (Art. 91b) und Aufhebung des Kooperationsverbotes<br />

(Art 104b) im Grundgesetz.<br />

Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen<br />

46


Volker Schneider (MdB)<br />

Deutschland war Gastgeber zur UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in<br />

Bonn.<br />

Mit dieser Konferenz fiel der Startschuss für die zweite Halbzeit der UN-Dekade gleichen Namens.<br />

„Bildung für nachhaltige Entwicklung“, das ist ein guter Anlass, die Nachhaltigkeit des eigenen, des<br />

deutschen Bildungssystems auf den Prüfstand zu stellen und Verbesserungen einzufordern. Stattdessen<br />

beschränkte sich der vorliegende Antrag der Großen Koalition auf (im Übrigen ungerechtfertigte)<br />

Lobeshymnen und unverbindliche und schwammige Absichtserklärungen. Chance verpasst.<br />

Dazu Volker Schneider (MdB):<br />

“<strong>Die</strong> <strong>Linke</strong> versteht die Forderung nach nachhaltiger Bildung dagegen als umfassende Aufgabe – und<br />

vor diesem Hintergrund definieren wir in unserem Antrag drei Herausforderungen: Erstens: Bildung<br />

ist nur dann nachhaltig, wenn alle gleichermaßen an Bildung teilhaben können. Noch so löbliche<br />

Vorzeigeprojekte helfen nicht wirklich weiter, wenn es nicht gelingt, diese Errungenschaften in die<br />

Fläche zu übertragen und den Projektcharakter zu überwinden. Zweitens braucht bessere Bildung auch<br />

bessere Rahmenbedingungen. Mit der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ werden<br />

hehre Ziele formuliert, die auch meine Fraktion unterstützt. Was aber sind solche Zielsetzungen wert,<br />

solange im deutschen Bildungssystem Ganztagsschulen noch immer nicht die Regel sind, es an<br />

Lehrerinnen und Lehrern mangelt, zu wenig Kleinkinder einen Krippen- und/oder Kitaplatz erhalten,<br />

Tausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz im Regen stehen gelassen werden, jede bzw. jeder<br />

Zehnte die Schule ohne Abschluss verlässt oder die Betreuungsquote an den Hochschulen immer<br />

weiter sinkt? Es reicht nicht, die Proklamation der Ziele zu bejubeln, es ist Aufgabe der Politik, für<br />

bessere Rahmenbedingungen in der Bildung zu sorgen. Nicht zuletzt wäre es notwendig, dass Bildung<br />

endlich als gesamtstaatliche Aufgabe von Bund und Ländern wahrgenommen und die<br />

Bildungskleinstaaterei überwunden wird.<br />

<strong>Die</strong> dritte Herausforderung betrifft die inhaltliche Seite der Bildung: Ziel der UN-Dekade ist es unter<br />

anderem auch mithilfe der Bildung zu einer sozialen und demokratischen Entwicklung der<br />

Gesellschaft beizutragen. Damit dieses Ziel gelingt, muss vieles geändert werden.<br />

Bildungsinstitutionen müssen durch umfassende Mitbestimmungsrechte aller Beteiligten grundlegend<br />

demokratisiert werden. Lernende sollen nicht mehr in Konkurrenz zueinander lernen müssen, sondern<br />

gemeinsam und solidarisch. Es reicht nicht, Demokratie zu lehren; das eigene Leben demokratisch<br />

mitbestimmend zu gestalten, muss für junge Mensch ganz konkret erfahr- und praktizierbar sein.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Linke</strong> setzt sich dafür ein, dass diese drei Herausforderungen umgesetzt werden. Nur dann kann<br />

die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ernsthaft zu einem Erfolg werden. Anstelle<br />

von unverbindlichen Absichtserklärungen, richten wir in unserem Antrag konkrete Forderungen an die<br />

Bundesregierung. Dazu gehört insbesondere die Erhöhung der Bildungsausgaben auf mindestens 7<br />

Prozent des Bruttoinlandsproduktes, und das so schnell als irgend möglich und nicht irgendwann.<br />

Auch strukturell liegt einiges im Argen. Ganz oben auf der Tagesordnung müssen die Abschaffung<br />

des gegliederten Schulsystems und die Einführung von Gemeinschaftsschulen stehen, in denen alle<br />

Kinder und Jugendlichen gemeinsam lernen und individuell gefördert werden. In der beruflichen<br />

Bildung muss jeder und jede Jugendliche durch eine gesetzliche Umlagefinanzierung das Recht auf<br />

einen Ausbildungsplatz erhalten, und das Studium darf nicht zu einem Privileg für Reiche<br />

verkommen.<br />

Wer die Ziele der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wirklich ernst nimmt, muss<br />

aber vor allem mit dem größten Übel im deutschen Bildungssystem aufräumen: der erschreckenden<br />

sozialen Ungleichheit. Internationale Bildungsvergleichsstudien haben immer wieder belegt, dass<br />

Kinder aus bildungsfernen Haushalten, mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen im<br />

deutschen Bildungssystem ausgegrenzt und fallen gelassen werden. <strong>Die</strong>se Erkenntnisse dürfen nicht<br />

einfach hingenommen werden. Es muss das oberste Ziel der Bildungspolitik sein, diese<br />

Ungerechtigkeit aufzuheben und das Recht auf Bildung für alle durchzusetzen. Das ist für uns <strong>Linke</strong><br />

der Maßstab, an diesem werden wir Erfolg und Misserfolg dieser Dekade in unserem Land messen.“<br />

47


REDE IM BUNDESTAG<br />

27.03.2009<br />

48


Information über Ausbildungsmarkt und Berufsbildungsbericht<br />

Sonja Staak<br />

Der Ausbildungsmarkt ist nach wie vor angespannt. Das Verhältnis zwischen BewerberInnen und<br />

Stellenangeboten hat sich im Ausbildungsjahr 2007/2008 im Vergleich zu den Vorjahren allerdings<br />

verbessert. <strong>Die</strong>s ist nicht auf mehr Ausbildungsstellen, sondern auf einen Rückgang der<br />

BewerberInnenzahlen zurückzuführen (-15,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr; die Zahl der<br />

versorgten BewerberInnen ist demgegenüber schwächer, nämlich um 13,6 Prozent gesunken –<br />

Ausbildungsstatistik der BA, Berichtsjahr 2007/2008).<br />

Ausbildungsverträge:<br />

Im Ausbildungsjahr 2007/2008 wurden 616.259 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen und damit<br />

1,5 Prozent weniger als im Jahr vorher (Erhebung des BIBB/vgl. Berufsbildungsbericht 2009). Als<br />

Ursache benennt das BIBB einen Abbau von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen vor allem Osten,<br />

die zum Ausgleich für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen worden waren. <strong>Die</strong> Zahl<br />

der Neuverträge im öffentlichen <strong>Die</strong>nst ist gegenüber dem Vorjahr um 1,8 Prozent gesunken (liegt<br />

aber noch über den im Ausbildungspakt vereinbarten 7 Prozent der sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten, nämlich bei 7,6 Prozent).<br />

BA-Statistik/Vermittlungsquote:<br />

<strong>Die</strong> BA weist aus, dass von den insgesamt 620.209 BewerberInnen 605.730 – und damit 98 Prozent –<br />

versorgt worden seien; nur 14.479 – 2,3 Prozent der Gesamtzahl der BewerberInnen – blieben der<br />

Statistik nach unvermittelt. <strong>Die</strong>sen stünden außerdem 19.507 freie Ausbildungsstellen gegenüber.<br />

Hierbei gelten in der Statistik allerdings alle BewerberInnen als versorgt, die ihre Ausbildungssuche<br />

über die Arbeitsagentur nicht aufrecht erhalten haben, deren Verbleib aber unbekannt ist. Als versorgt<br />

gelten außerdem sogar diejenigen, die zwar eine Alternative wie beispielsweise ein<br />

Berufsvorbereitungsjahr oder eine Einstiegsqualifizierung (öffentlich gefördertes Praktikum) gefunden<br />

haben, ihre Ausbildungsplatzsuche aber explizit aufrecht erhalten.<br />

Wenn man diese Gruppen ausdifferenziert, zeigt die Statistik, dass 282.130 BewerberInnen – und<br />

damit nur 45 Prozent der BewerberInnen – tatsächlich von den Agenturen in Ausbildung vermittelt<br />

wurden, während 97.325 – 16 Prozent – ihre Ausbildungssuche aufrecht erhalten und der Verbleib von<br />

241.754 BewerberInnen – 39 Prozent – unklar ist. <strong>Die</strong>sen Zahlen gegenüber sieht die Zahl von 19.507<br />

freien Ausbildungsplätzen dann schon nicht mehr groß aus – zumal diese regional und nach Branchen<br />

sehr unterschiedlich verteilt sind. Von einem auswahlfähigen Angebot kann hier somit keine Rede<br />

sein.<br />

Betriebliche/außerbetriebliche Ausbildung:<br />

Unter den gemeldeten Ausbildungsstellen sind 85 Prozent betriebliche und 15 Prozent<br />

außerbetriebliche Ausbildungsstellen. <strong>Die</strong>ses Verhältnis differiert stark in Ost und West: Während in<br />

den alten Bundesländern 10 Prozent der Ausbildungsplätze außerbetrieblich angeboten werden, sind<br />

dies in den neuen Bundesländern 35 Prozent. Außerbetriebliche Ausbildungsplätze im Sinne der BA-<br />

Statistik sind Ausbildungsplätze, die überwiegend über staatliche Programme und über die BA<br />

finanziert werden (eine Differenzierung nach tatsächlichem Lernort ist anhand der existierenden Daten<br />

nicht möglich). Im Osten kommt die Wirtschaft folglich nur für 65 Prozent der Ausbildungsplätze<br />

finanziell auf. <strong>Die</strong>se sind außerdem unterschiedlich gut (oder schlecht) ausfinanziert – viele<br />

Ausbildungsvergütungen reichen bei weitem nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, vielfach<br />

fehlt eine hinreichende Ausstattung für gute Lernbedingungen (Lehr- und Lernmittel), häufig werden<br />

Auszubildende als Niedriglohnarbeitskräfte missbraucht.<br />

Kurzausbildungen:<br />

<strong>Die</strong> Anzahl sowie der Anteil zweijähriger Ausbildungen unter den Neuverträgen ist von 2004 bis 2007<br />

kontinuierlich gestiegen (von 6,3 Prozent in 2004 auf 8,6 Prozent in 2007). In 2008 ist die Zahl der<br />

Neuverträge in Kurzausbildungen erstmals gesunken, allerdings etwa gleich stark wie die Gesamtzahl<br />

der Ausbildungsverträge – der Anteil stagniert damit bei 8,6 Prozent der Ausbildungsverträge.<br />

AltbewerberInnen:<br />

<strong>Die</strong> Zahl der sogenannten AltbewerberInnen, d.h. derjenigen, die bereits seit einem Jahr oder längern<br />

nach einem Ausbildungsplatz suchen, ist nach wie vor höher als die der „NeubewerberInnen“. Nach<br />

dem Höchststand 2007 (385.000 AltbewerberInnen, vgl. Nationalen Bildungsbericht 2008) betrug ihre<br />

Zahl im Jahr 2008 320.450. Damit ist ihr Anteil von 52,4 Prozent (2007) auf 51,7 Prozent (2008)<br />

49


gesunken. Den BIBB-Bewerberbefragungen zufolge sinkt dieser Anteil auf etwa 40 Prozent, wenn nur<br />

diejenigen mitgezählt werden, die sich im vergangenen Jahr tatsächlich um einen Ausbildungsplatz<br />

bemüht haben.<br />

Zum Berufsbildungsbericht<br />

Einschätzung der Situation am Ausbildungsmarkt:<br />

Das Bundeskabinett befindet (Seite 3): „<strong>Die</strong> Bundesregierung sieht sich in ihrer Auffassung bestätigt,<br />

dass mit dem Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs und den gemeinsamen<br />

Anstrengungen aller Partner des Paktes eine Trendwende am Ausbildungsmarkt erreicht werden<br />

konnte.“ Es „apelliert“ außerdem an Wirtschaft und Betriebe, „gerade vor dem Hintergrund der<br />

derzeitigen konjunkturellen Situation … ihre gesellschaftspolitische Verantwortung wahrzunehmen“.<br />

Als das Kabinett das beschlossen hat, lag allerdings die DIHK-Betriebs-Befragung „Ausbildung<br />

2009“ bereits vor, aus der klar hervorgeht, was mit dieser Verantwortung in ihrer Freiwilligkeit<br />

passiert: <strong>Die</strong> Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Bereich wird um 5-10 % einbrechen. <strong>Die</strong><br />

Bundesregierung referiert ungerührt das Bildungsgipfel-Ziel, die Zahl der Jugendlichen ohne<br />

abgeschlossene Berufsausbildung von heute 17 auf 8,5 Prozent zu verringern – ohne hierfür neue<br />

Maßnahmen zu präsentieren.<br />

Weiter hinten stellt sie dann fest: „Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung<br />

muss davon ausgegangen werden, dass das Ausbildungsangebot im Jahr 2009 sinken wird“ (Seite 20).<br />

Demografie bedingt wird allerdings die Situation für die Jugendlichen nicht schlechter, solange<br />

immerhin noch 600.000 Ausbildungsplätze angeboten werden, so rechnet der Bericht vor.<br />

Das BIBB hat mit Hilfe von PROSIMA (Ökonometrisches Prognose- und Simulationsmodell)<br />

geschätzt, dass für 2009 mit knapp 580.000 Ausbildungsplätzen zu rechnen ist. Das wäre ein<br />

Rückgang von etwa 9 Prozent – und würde damit den vom DIHK vorhergesagten Einbruch um bis zu<br />

10 Prozent bestätigen. Der Berufsbildungsbericht allerdings meint: Für einen nur mäßigen Rückgang<br />

auf 600.000 spricht die „gegenwärtig zu beobachtende vorausschauende Personalpolitik der Betriebe<br />

im Hinblick auf die demografische Entwicklung“.<br />

Sollten diese 600.000 Plätze erreicht werden, sei dies „als Erfolg zu werten“ (Seite 21). Würde man<br />

die Qualifizierungsinitiative (Ziel: 100.000 neue Ausbildungsplätze durch Ausbildungsbonus) beim<br />

Wort nehmen, müssten man eigentlich gut 735.000 Ausbildungsplätze zum Ziel haben (635.766<br />

(Angebot 2008) + 100.000), der ausbildungspolitische Ehrgeiz scheint also seit Januar 2008 um gut<br />

135.000 Ausbildungsplätze nachgelassen zu haben.<br />

Zum Ausbildungsbonus:<br />

Für 2009 ist es laut Bundesregierung vorrangiges Ziel, die AltbewerberInnen in Ausbildung zu<br />

bringen (Seite 3). Sie verweist hierzu auf die Qualifizierungsinitiative, sprich: auf den<br />

Ausbildungsbonus. Hierzu hatte BIBB-Präsident Manfred Kremer bereits am 26.02.09 erklärt: Das<br />

Ziel von 100.000 zusätzlichen Lehrstellen ist nur mit verstärkten Anstrengungen erreichbar.<br />

Bisher haben nur rund zwei Prozent der Betriebe den Bonus genutzt (repräsentative Befragung des<br />

BIBB). Kremer: „<strong>Die</strong> Einführung des Ausbildungsbonus kommt bisher nur schleppend voran.“ Bisher<br />

wurden 12.700 Anträge zur Leistung eines Ausbildungsbonus bewilligt (Seite 16).<br />

Über den Ausbildungsbonus sollten auch nicht ausbildende Betriebe für die Ausbildung von<br />

Jugendlichen gewonnen werden. <strong>Die</strong> BIBB-Befragung zeigt jedoch, dass bis jetzt fast ausschließlich<br />

ausbildende Betriebe den Ausbildungsbonus in Anspruch genommen haben. Auch hat sich die<br />

Erwartung bislang nicht erfüllt, dass ostdeutsche Betriebe diese Möglichkeit zur Schaffung<br />

zusätzlicher Ausbildungsplätze in besonderer Weise nutzen.<br />

Zum Ausbildungspakt:<br />

Der Ausbildungspakt wird als Erfolg gefeiert, er habe seine Ziele übererfüllt: 86.500 statt 60.000 neue<br />

Ausbildungsplätze, 52.700 statt 30.000 neue Ausbildungsbetriebe (Seite 22). Dass die Zahl der<br />

Ausbildungsplätze unterm Strich trotzdem gesunken ist, der Ausbildungspakt also weniger neue<br />

Ausbildungsplätze schafft als alte gestrichen werden, muss folglich wohl bereits ein<br />

Konstruktionsfehler sein.<br />

Information/ Rezension<br />

50


Gewerkschaftstag beendet<br />

„Wir gehen gestärkt in die bildungs- und tarifpolitischen Auseinandersetzungen der nächsten vier<br />

Jahre“, unterstrich der neue und alte Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

(GEW), Ulrich Thöne, während des 26. Gewerkschaftstages der Bildungsgewerkschaft. „Mit dem<br />

‚Recht auf Bildung für alle Menschen in einem inklusiven Bildungssystem’, einem schlüssigen<br />

Finanzierungskonzept für den Bildungsbereich und einer klaren Position für die Tarifarbeit der GEW<br />

mischen wir uns in die aktuellen Diskussionen ein und bieten gute Lösungen an: zur<br />

Weiterentwicklung des Bildungswesens und der Durchsetzung der Arbeitsplatzinteressen der<br />

Beschäftigten.“<br />

Pm<br />

51


Recht auf Bildung - Leitschnur bildungspolitischen Handelns<br />

Beschluss des Gewerkschaftstages der GEW<br />

Das Menschenrecht auf Bildung soll zur Leitschnur des bildungspolitischen Handelns in<br />

Deutschland werden und der Ökonomisierung und Kommerzialisierung von Bildung entgegenwirken.<br />

<strong>Die</strong> GEW setzt sich in Übereinstimmung mit den internationalen Abkommen und Verträgen<br />

auch in Deutschland für ein umfassendes Verständnis des Rechts auf Bildung ein. Als so genanntes<br />

„Empowerment Right“ handelt es sich dabei um ein Recht, das zur aktiven Wahrnehmung<br />

anderer Rechte erst befähigt. Ihm kommt im internationalen Wertefundament der<br />

Menschenrechte deshalb eine zentrale Bedeutung zu. Das Recht auf Bildung gilt für den gesamten<br />

Lebenslauf. Es ist mit dem Ziel der Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit,<br />

mit Menschenwürde, der Achtung von Vielfalt, der Entfaltung aller menschlichen Potenziale<br />

und einer konsequenten Menschenrechtsbildung untrennbar verknüpft. Das Recht auf Bildung<br />

erschöpft sich folglich nicht im Recht auf Zugang zu den Bildungseinrichtungen und<br />

kann auch nicht mit Erledigung der Schulpflicht als befriedigt gelten.<br />

<strong>Die</strong> GEW intensiviert ihre Anstrengungen, die volle Verwirklichung des Rechts auf Bildung<br />

in Deutschland zu erreichen. Sie beteiligt sich an internationalen und nationalen Kampagnen,<br />

um Politik und Gesellschaft für die Verwirklichung des Rechts auf Bildung in Deutschland<br />

zu sensibilisieren und aufzuklären, den internationalen Menschenrechtsdiskurs zu<br />

einem öffentlich beachteten Thema zu machen und aus der Grauzone wenig beachteter<br />

Parlamentsdebatten<br />

herauszuholen.<br />

<strong>Die</strong> GEW legt den zuständigen UN-Ausschüssen - ggf. in Zusammenarbeit mit anderen<br />

Gewerkschaften<br />

und Organisationen der Zivilgesellschaft - Parallelberichte zu den Staatenberichten<br />

der Bundesregierung über die Weiterentwicklung des Rechts auf Bildung vor und gibt<br />

darin abweichende Informationen und Bewertungen ab.<br />

<strong>Die</strong> GEW fordert massive Investitionen in die Lern- und Arbeitsbedingungen sowie in die<br />

Aus- und Fortbildung der Professionellen im Bildungsbereich, damit die volle Verwirklichung<br />

des Rechts auf Bildung durch begünstigende Rahmenbedingungen unterstützt wird.<br />

<strong>Die</strong> GEW macht die Erklärung zum Berufsethos der Bildungsinternationale in Deutschland<br />

bekannt und organisiert einen Diskussionsprozess zum professionellen Selbstverständnis der<br />

Bildungsarbeiter/innen auf der Grundlage der Menschenrechte.<br />

<strong>Die</strong> GEW lehnt die alleinige Hoheit der Bundesländer im Bildungsbereich ab. Sie ist eine wesentliche<br />

Ursache für massive Probleme im Bildungssystem und verhindert, dass jedem Kind,<br />

Jugendlichem und Erwachsenem ein gleich- und hochwertiges Bildungsangebot unabhängig<br />

von der Finanzkraft des jeweiligen Bundelandes zur Verfügung gestellt wird. Deshalb setzt<br />

sich die GEW für eine stärkere Verantwortung der Bundesebene ein.<br />

<strong>Die</strong> GEW fordert von Regierungen und Parlamenten im Einzelnen:<br />

• das umfassende Recht auf Bildung (einschließlich Aus- und Weiterbildung) im Grundgesetz<br />

und in den Verfassungen der Länder zu verankern<br />

• die UN-Kinderrechtskonvention im Grundgesetz zu verankern<br />

• die Zusatzerklärung zur Kinderrechtskonvention zurückzunehmen, die das Aufenthaltsrecht<br />

über das Recht auf Bildung stellt<br />

• das Recht auf Bildung von Flüchtlingen und statuslosen Kindern zu garantieren<br />

• die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen<br />

zu ratifizieren<br />

• die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch den deutschen<br />

Bundestag in der korrekten Übersetzung des Begriffes „inclusive education system“ als<br />

„inklusives Bildungssystem“ zu ratifizieren<br />

• Bildung als öffentliches Gut zu garantieren und alle finanziellen Hürden für die chancengleiche<br />

und diskriminierungsfreie Teilnahme zu beseitigen<br />

• geschlechtergerechte Bildung und Erziehung auszubauen, damit stereotype<br />

Geschlechtsrollenzuweisungen<br />

durchbrochen werden können<br />

52


• das selektive hierarchische Bildungssystem zu einem inklusiven Bildungssystem ohne<br />

Diskriminierung<br />

weiter zu entwickeln<br />

• alle öffentlichen Bildungseinrichtungen schwellenfrei auszustatten und damit die baulichen<br />

Voraussetzungen für ein inklusives Bildungssystem für Menschen mit motorischen<br />

Behinderungen zu schaffen<br />

• regelmäßige Informationen, öffentliche Diskussionen und Kampagnen zur Bekanntmachung<br />

internationaler Abkommen zu den Menschenrechten und insbesondere zum<br />

Recht auf Bildung zu organisieren<br />

• eine regierungsunabhängige Beobachtungs- und Beschwerdeinstanz zu<br />

Menschenrechtsverwirklichung<br />

und -verletzungen einzurichten<br />

• eine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz zu<br />

den Empfehlungen des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Bildung (siehe Anlage<br />

2) abzugeben<br />

• das Recht auf Bildung im Sinne von Art. 13 des UN-Sozialpakts nach Maßgabe der Empfeh-<br />

lungen des zuständigen UN-Ausschusses in Genf zu erfüllen: Vollständige Wiederherstellung<br />

der Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums und eine strukturelle Verbesserung<br />

der Ausbildungsförderung, um Chancengleichheit für alle Schülerinnen und Schüler und<br />

Studierenden zu erreichen.<br />

• Gegen die Verstöße und Beeinträchtigungen, wie sie unter den Aspekten Geschlecht, Migration<br />

und Behinderung sowie aus Sicht der Beschäftigten in den Zeilen 370 – 1014 beschrieben<br />

sind, sind wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen.<br />

www.gew.de<br />

53


GEW und die Bertelsmann-Stiftung<br />

<strong>Die</strong> GEW wird über Kontaktpflege und Positionsaustausch hinaus nicht mehr mit der Bertelsmann-<br />

Stiftung zusammenarbeiten. <strong>Die</strong> Delegierten des Gewerkschaftstages machten in einer Abstimmung<br />

deutlich, dass die Ziele der Bertelsmann-Stiftung nicht mit denen der GEW vereinbar sind.<br />

<strong>Die</strong> bildungspolitischen Leitlinien der GEW sind von den Grundprinzipien Staatlichkeit,<br />

Steuerfinanzierung und Demokratie geprägt. <strong>Die</strong>sen stehen die Bertelsmann-Prinzipien Wettbewerb,<br />

Markt, Effizienz und Effektivität diametral gegenüber.<br />

<strong>Die</strong> Bertelsmann-Stiftung arbeitet mit der Strategie, über breite Bündnisse ihr Handeln zu legitimieren.<br />

<strong>Die</strong> GEW will nicht Teil dieser Strategie sein und lehnt eine passive und aktive Mitarbeit ab. Mit<br />

ihrem Beschluss betont die GEW ihre Unabhängigkeit in bildungspolitischen Fragen und verzichtet<br />

auf eine über Kontaktpflege und Positionsaustausch hinausgehende Zusammenarbeit mit der<br />

Bertelsmann-Stiftung.<br />

Des Weiteren setzt sich die GEW für eine kritische Prüfung der Gemeinnützigkeit von<br />

Unternehmensstiftungen ein.<br />

Pm vom29.04.2009<br />

Beschluss des GEW - Gewerkschaftstages<br />

Leitlinie der GEW-Bildungspolitik sind Öffentlichkeit, Staatlichkeit, Steuerfinanzierung und<br />

Demokratisierung; dem stehen die Leitlinien der Bertelsmann-Stiftung - Wettbewerb, Markt,<br />

Führung, Effizienz und Effektivität - diametral entgegen. <strong>Die</strong> Bertelsmann-Stiftung verfolgt<br />

das Ziel, die Prinzipien unternehmerischen Handelns in allen Bereichen der Gesellschaft zu<br />

verankern. Insbesondere im Bereich der Bildung lehnt die GEW dieses Ziel ab. Selbst wenn<br />

es zwischen GEW und Bertelsmann-Stiftung punktuelle Überschneidungen von einzelnen<br />

bildungspolitischen Vorstellungen gibt - die bildungspolitischen Ziele sind gegensätzlich.<br />

<strong>Die</strong> vorgebliche Philanthropie und Gemeinnützigkeit der ausschließlich operativ tätigen Bertelsmann-<br />

Stiftung und die Profitinteressen des Bertelsmann-Konzerns bilden eine Einheit<br />

strategischen Handelns. Demokratische Strukturen des Gemeinwesens werden so zugunsten<br />

der persönlichen Überzeugungen des Stifters Reinhard Mohn sowie einer Stiftungssatzung,<br />

„die dem Hause Bertelsmann ... Kontinuität ... ermöglicht“, umgangen.<br />

Dabei arbeitet die Bertelsmann-Stiftung mit der Strategie, die Legitimation ihres Handelns<br />

über breite Bündnisse zu erreichen. Sie bemüht sich daher um einen konzilianten Umgang<br />

gerade auch mit anders denkenden politischen Akteuren. <strong>Die</strong>se Strategie in Verbindung mit<br />

dem Rückzug des Staates war erfolgreich und hat die Bertelsmann-Stiftung zu einem bedeutenden<br />

Akteur und Faktor in der deutschen Bildungslandschaft gemacht. <strong>Die</strong> GEW lehnt es<br />

ab, durch passive oder aktive Mitarbeit ihrer Organe und FunktionsträgerInnen zum Gelingen<br />

dieser Strategie beizutragen. <strong>Die</strong> GEW ist sich bewusst, dass die Bertelsmann-Stiftung für<br />

eine marktförmige Umgestaltung des Bildungswesens eintritt. Dennoch sind Kontakte und<br />

Begegnungen unvermeidlich. Hier gilt – wie in Bezug auf Kontakte zu anderen großen Akteuren<br />

auch – für die GEW und ihre VertreterInnen folgendes:<br />

<strong>Die</strong> GEW ist ausschließlich den Interessen ihrer Mitglieder, den demokratischen Strukturen<br />

im Bildungswesen und der humanen, aufklärerischen und sozialen Dimension von Bildung<br />

verpflichtet. Sie legt großen Wert auf Unabhängigkeit in Fragen der Bildungspolitik und auf<br />

die Möglichkeit, marktorientierte politische Akteure wie Bertelsmann offen und öffentlich zu<br />

kritisieren. Eine über Kontaktpflege und Positionsaustausch hinausgehende Zusammenarbeit<br />

zwischen GEW und Bertelsmann-Stiftung findet nicht statt.<br />

<strong>Die</strong> GEW setzt sich dafür ein, dass die Gemeinnützigkeit von Unternehmensstiftungen einer<br />

besonders kritischen Prüfung unterzogen wird.<br />

54


Erste Schritte auf dem Weg zum inklusiven Schulsystem<br />

Behinderte und nichtbehinderte Kinder sollen künftig verstärkt gemeinsam lernen. Das bekräftigte<br />

Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) im Rahmen einer Konferenz zur Umsetzung der Rechte von<br />

Menschen mit Behinderung in Berlin. Parallel dazu hat Baden-Württemberg angekündigt, die<br />

Sonderschulpflicht abschaffen zu wollen.<br />

Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) erklärte in Stuttgart, durch eine<br />

Reform des Sonderschulwesens sollten alle behinderten Kinder und Jugendlichen in seinem<br />

Bundesland Regelschulen besuchen können.<br />

Laut Presseberichten bedeutet das aber nicht die Abschaffung der Sonderschulen. <strong>Die</strong>se würden in<br />

sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren umgebaut und weitherhin Sonderschüler<br />

unterrichten. Künftig könnten jedoch die Eltern über den Lernort ihres Kindes entscheiden, nachdem<br />

sie von einem Expertengremium Vorschläge für Schultypen erhalten hätten. Allerdings könne wohl<br />

auch die Sonderschule der einzige Vorschlag des Gremiums sein.<br />

"Nationaler Aktionsplan"<br />

In Berlin kündigte Bundessozialminister Scholz einen "nationalen Aktionsplan" an, der eine<br />

langfristige Gesamtstrategie zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die<br />

Rechte von Menschen mit Behinderung unter Einschluss aller Akteure und Handlungsebenen<br />

enthalten soll.<br />

Artikel 24 des VN-Übereinkommens verlange von und in Deutschland ein Bildungssystem, in dem<br />

Schülerinnen und Schüler mit Behinderung eine qualitativ hochwertige Bildung erhalten und<br />

gemeinsam mit nicht behinderten Altersgenossen lernen, so Scholz. Praktisch bedeute dies mittel- und<br />

langfristig eine deutliche Reduzierung der Förderschulen, die Integration von behinderten Kindern und<br />

Jugendlichen in Regelklassen sowie die Ausstattung dieser Regelklassen mit geschulten Lehrkräften<br />

und Betreuern sowie angemessenen Lehr- und Lernmaterialien.<br />

Etwa 84 Prozent - in Zahlen rund 400.000 - der Schüler mit Behinderungen werden derzeit in<br />

Deutschland auf Sonderschulen geschickt. "Das muss sich ändern", so Scholz. Eine echte Chance auf<br />

dem Arbeitsmarkt werde der Mehrzahl der Förderschüler verwehrt, kritisierte der Minister. Rund 80<br />

Prozent von ihnen erreichten nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Scholz forderte in diesem<br />

Zusammenhang: "Wir brauchen Schulen, die kein Kind einfach abschreiben."<br />

Neue Aufgaben für Lehreraus- und -fortbildung<br />

<strong>Die</strong> stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer betonte im Rahmen der Konferenz,<br />

Lehrerinnen und Lehrer müssten in ihrer Ausbildung befähigt werden, mit heterogenen Lerngruppen<br />

und in multiprofessionellen Teams zu arbeiten. <strong>Die</strong> traditionelle schulartspezifische Ausbildung stehe<br />

dem entgegen, so Demmer.<br />

Zudem bräuchten Regel- und Förderschullehrkräfte berufsbegleitend regelmäßige gemeinsame<br />

Fortbildungsmöglichkeiten. Durch die Reflexion der eigenen Praxis könnten sie ihr professionelles<br />

Selbstverständnis weiter entwickeln und z. B. Kenntnisse der Blindenschrift und Gebärdensprache<br />

erwerben.<br />

"Gemeinsamer Unterricht soll für alle Jungen und Mädchen gut sein, ob mit oder ohne Behinderung"<br />

forderte die GEW-Vize. Niemand dürfe den Eindruck haben, über- oder unterfordert oder ungerecht<br />

behandelt zu werden. "Mittelfristig wollen wir eine vollständig inklusive Schule ohne Selektion und<br />

Aufteilung in unterschiedlich anspruchsvolle Schularten", so Demmer. "Wir brauchen eine<br />

bedarfsgerechte sonderpädagogische, sozialpädagogische und pflegerische Ressourcenzuteilung in den<br />

Regelschulen. Wir wollen keine 'Inklusion light' als Sparmodell."<br />

Thöne: Inklusives Schulsystem kostengünstiger und leistungsfähiger<br />

55


Dem vor allem von Seiten der Landesregierungen immer wieder vorgebrachten Argument, inklusiver<br />

Unterricht sei zu teuer, hatte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne tags zuvor am Aktionstag zur<br />

Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen vehement widersprochen: "Es ist ein Märchen, dass<br />

ein inklusives Bildungssystem nicht zu finanzieren sei. Deutschland leistet sich beispielsweise ein<br />

teures, vielgliedriges Schulsystem. Es macht die Bundesrepublik zur Weltmeisterin in (sozialer)<br />

Auslese bei im internationalen Vergleich allenfalls mittelprächtigen Lernergebnissen."<br />

Der Blick in andere Länder zeige, so Thöne, dass ein inklusives System zum Beispiel wegen<br />

möglicher Synergieeffekte kostengünstiger und leistungsfähiger sein und zudem für mehr<br />

Chancengleichheit sorgen könne.<br />

"<strong>Die</strong> Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen bietet Möglichkeiten, von denen alle<br />

Schülerinnen und Schüler in einem gemeinsamen Lernprozess profitieren können", erklärte der GEW-<br />

Vorsitzende. "Dazu brauchen wir insbesondere auch die Kompetenzen der unter den gegebenen<br />

Bedingungen an Sonder- und Förderschulen hervorragende Arbeit leistenden Lehrkräfte. <strong>Die</strong><br />

Qualifikation der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen soll künftig den Schülern aller Schulen<br />

zur Verfügung stehen.“<br />

www.gew.de<br />

06.05.2009<br />

56


Bildungsgewerkschaft zum Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen<br />

Frankfurt a.M. – Für ein gemeinsames Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen in einem<br />

inklusiven Bildungssystem hat sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eingesetzt.<br />

„<strong>Die</strong> UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen muss auch in Deutschland<br />

mit Blick auf den Bildungsartikel 24 verwirklicht werden. Es ist für unsere Gesellschaft erbärmlich,<br />

dass in der Bundesrepublik lediglich rund 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen<br />

in Regelschulen gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern unterrichtet werden. <strong>Die</strong> Länder sind<br />

gefordert, die personellen und architektonischen Voraussetzungen in den Schulen zu schaffen, damit<br />

alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet werden können“, sagte GEW-Vorsitzender<br />

Ulrich Thöne am <strong>Die</strong>nstag in Frankfurt a.M. zum Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit<br />

Behinderungen.<br />

„Es ist ein Märchen, dass ein inklusives Bildungssystem nicht zu finanzieren sei. Deutschland leistet<br />

sich beispielsweise ein teures, vielgliedriges Schulsystem. Es macht die Bundesrepublik zur<br />

Weltmeisterin in (sozialer) Auslese bei im internationalen Vergleich allenfalls mittelprächtigen<br />

Lernergebnissen. Chancengleichheit bleibt auf der Strecke. Der Blick in andere Länder zeigt: Ein<br />

inklusives System kann zum Beispiel wegen möglicher Synergieeffekte kostengünstiger und<br />

leistungsfähiger sein und zudem für mehr Chancengleichheit sorgen“, betonte der GEW-Vorsitzende.<br />

„Es werden nicht alle Sonder- und Förderschulen von heute auf morgen abgeschafft, wenn sich<br />

Deutschland endlich auf den Weg zu einem inklusiven Schulsystem macht. Wir müssen einen weichen<br />

Übergang organisieren. <strong>Die</strong> Länder müssen dabei die Voraussetzungen dafür schaffen, dass etwa in<br />

kleinen Klassen oder Gruppen gearbeitet werden kann“, sagte Thöne. „<strong>Die</strong> Unterschiedlichkeit der<br />

Kinder und Jugendlichen bietet Möglichkeiten, von denen alle Schülerinnen und Schüler in einem<br />

gemeinsamen Lernprozess profitieren können. Dazu brauchen wir insbesondere auch die<br />

Kompetenzen der unter den gegebenen Bedingungen an Sonder- und Förderschulen hervorragende<br />

Arbeit leistenden Lehrkräfte. <strong>Die</strong> Qualifikation der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen soll<br />

künftig den Schülern aller Schulen zur Verfügung stehen.“<br />

Info: In Deutschland hat es von der Zeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit<br />

Behinderungen im Dezember 2006 bis Dezember 2008 gedauert, bis das Papier ratifiziert worden ist.<br />

Mit Blick auf den Schulbereich hat die Kultusministerkonferenz (KMK) bei der Übersetzung des UN-<br />

Textes jedoch unlauter getrickst: Der Begriff „inclusive education system“, die Zieldefinition der UN-<br />

Konvention, ist mit „integrativem Bildungssystem“ übersetzt worden. Der Grund: Nur so kann<br />

Deutschland mit seinem extrem selektiven Schulsystem behaupten, man stehe nicht im Widerspruch<br />

zu den Zielen der UN-Konvention und habe sich bereits auf den Weg zu einem integrativen System<br />

gemacht.<br />

Pm vom 05.05.2009<br />

www.gew.de<br />

57


Was war unsere Schule wert? Volksbildung in der DDR. Herausgegeben von Uwe Markus.<br />

Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 2009. 256 S. ISBN 978-3-360-01965-3. - 14,90<br />

Wolfgang Eichler, Rehfelde<br />

“Was war unsere Schule wert” - Der Titel lehnt sich an ein im gleichen Verlag erschienenes Buch an:<br />

Was war die DDR wert? (Siegfried Wenzel) Beide Bücher treten der gerade in diesem Jahr extrem<br />

gesteigerten Delegitimierung und Diffamierung der DDR sowie der Verfälschung ihrer Geschichte<br />

offensiv und mit Sachkenntnis entgegen. Im Unterschied zu Wenzels Monographie ist dieses Buch ein<br />

Sammelband von Texten sehr verschiedener Autoren. Bei einem Teil der Beiträge handelt es sich nicht<br />

um Originalbeiträge, sondern um Nachdrucke aus anderen Werken, die zum Teil schon längere Zeit<br />

vorliegen. 1 Dass bei diesen Nachdrucken der Quellennachweis nicht ganz exakt ist, sei nur nebenbei<br />

angemerkt. Einige der Autoren (Neuner, Reischock) sind bereits nicht mehr am Leben. Insgesamt ist<br />

ein Mosaik entstanden, das einen wesentlichen Bereich der DDR-Gesellschaft vielfarbig<br />

widerspiegelt. Dass der Zusammenhang deutlich wird, ist gewiß Verdienst des Herausgebers Uwe<br />

Markus.<br />

<strong>Die</strong> im Titel formulierte Frage zielt nicht auf einen Wert im ökonomischen Sinne. Sie ließe sich in<br />

eine Reihe weiterer Fragen auflösen: Was ergibt ein Vergleich der DDR-Schule mit dem<br />

vorangegangenen Schulwesen und mit der internationalen Entwicklung? Welche Bewertung erfährt<br />

die DDR-Schule von denen, die sie absolviert haben, welche von denen, die sie geschaffen haben und<br />

in ihr tätig waren? Wie steht die DDR-Schule da, wird sie mit dem gegenwärtigen Schulsystem der<br />

Bundesrepublik verglichen? Schließlich, und das scheint mir eine historische Bewertung vor allem zu<br />

erfordern: Welchen Beitrag hat die Schule zur Lösung der Probleme geleistet, vor denen die jeweilige<br />

Gesellschaft, in diesem Fall die der SBZ und der DDR, jeweils stand? Eine konkret-historische<br />

Beurteilung ist erforderlich, die unter anderem auch abzuwägen hat, welche objektiven Möglichkeiten<br />

zur Lösung der Probleme es gab und was die handelnden Subjekte von diesen Möglichkeiten sowie<br />

von den Folgen ihrer Entscheidungen und ihres Handelns wissen konnten. Und überhaupt: Auch das<br />

Recht auf Bildung kann - im Sinne von Karl Marx - “nie höher sein als die ökonomische Gestaltung<br />

und die dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft” (MEW, Bd. 19, S. 21). Der<br />

Gegenstand, von dem das Buch handelt, ist also sehr komplex und widersprüchlich.<br />

<strong>Die</strong> Darstellung eines solchen komplexen Sachverhalts wird von der jeweils subjektiven Sicht darauf<br />

und von der mit der Darstellung verbundenen Absicht der Subjekte bestimmt. Auch dies bringt der<br />

Titel zur Geltung: <strong>Die</strong> Autoren sprechen von ihrer Schule, das heißt von der Schule, die sie in dieser<br />

oder jener Weise mitgestaltet haben oder die sie erlebt haben. Für einige Autoren trifft beides zu. Bei<br />

all dem bemühen sich die Autoren um Ausgewogenheit, um Objektivität. Sie sprechen nicht nur<br />

selbstbewusst von den durch sie positiv bewerteten Seiten, sondern auch von dem, was sie früher<br />

schon oder im Rückblick als fehlerhaft und negativ beurteilten. In einzelnen Fällen spürt man, dass das<br />

durchaus berechtigte Selbstbewusstsein durch Nachwendeerfahrungen lädiert worden ist, dass die<br />

Anti-DDR-Propaganda quasi an keinem spurlos vorbei geht. Man kann allen Autoren Sachkunde<br />

bescheinigen, über weite Strecken werden auch Erinnerungen und generalisierende Meinungen<br />

dargelegt. <strong>Die</strong> Berufung auf Literatur erfolgt sehr unterschiedlich. Ich hätte mir einen stärkeren Bezug<br />

auf die im beträchtlichen Umfang schon vorliegende Forschungs- und Quellenliteratur gewünscht.<br />

Obwohl der Titel des Buches auf die Schule orientiert und der Untertitel den Gegenstand als<br />

Volksbildung der DDR noch weiter fasst, gerät doch weit mehr in den Blick: So mit dem<br />

Hochschulwesen ein weiterer Bereich des Bildungssystems (Bathke) oder mit der Körpererziehung<br />

(Rausch/Hummel) und der Begabtenförderung (Mehlhorn) die Schule übergreifende<br />

Erziehungsaufgaben oder das Wirken gesellschaftlicher Erziehungskräfte im Rahmen der Jugendweihe<br />

(Adam), der Kinder- und Jugendorganisation (Bolz) und der Medien (Wiedemann). Eigentlich könnte<br />

hier zutreffender von der erzieherischen Kultur der DDR-Gesellschaft gesprochen werden, deren Kern<br />

allerdings in der Tat die Schule war. Man mag diese Schulzentriertheit der Erziehung als Mangel<br />

ansehen, als Ausdruck des Wirkens des Erziehungsstaates oder - noch schlimmer - der<br />

Erziehungsdiktatur. Aber eine solche Sicht ist, wenn sie nicht gar böswillig wäre, unhistorisch, denn<br />

die Erziehung und ihre Institutionen werden von der Gesellschaft bei der Lösung ihrer konkret-<br />

1 Vgl.: Weißbuch 3: Bildungswesen und Pädagogik im Beitrittsgebiet. Berlin 1994;<br />

Kirchhöfer/Neuner/Steiner/Uhlig: Kindheit in der DDR. Frankfurt am Main 2003).<br />

58


historischen Probleme eingesetzt, und zwar so, wie sie über die dazu notwendigen Instrumente<br />

verfügt. <strong>Die</strong> nach dem Kriege erforderliche Umerziehung und die Heranbildung eines<br />

gesellschaftlichen Gesamtsubjekts, das fähig war, die neue Gesellschaft zu gestalten, erforderten den<br />

Einsatz des Staates und der von ihm geleiteten Schule. Dabei war im Schulkonzept durchaus eine<br />

Öffnung der Schule hin zur Gesellschaft angelegt, wie die polytechnische Erziehung eindrucksvoll<br />

belegte. Zu den Stärken der DDR-Schule gehörte der Systemcharakter des Bildungswesens. Deshalb<br />

ist es etwas bedauerlich, dass ausgerechnet ein Beitrag zum Kindergarten fehlt.<br />

Dem Buch ist - gewissermaßen als ein Leitmotiv - ein Wort von Hildegard Hamm-Brücher, der<br />

liberalen Politikerin und späteren Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, vorangestellt. 2<br />

Bemerkenswert ist, dass sie sich so äußerte, als die große, nicht endende Welle des DDR-Hasses schon<br />

anrollte. Ein richtiges Schulsystem hätte die DDR gehabt, vergleichbar der Aussage Golo Manns, dass<br />

dieser Staat sehr gute Schulen habe, in denen die Kinder wirklich etwas lernen können. <strong>Die</strong>se Tatsache<br />

wird kaum von den böswilligsten Kritikern in Frage gestellt, aber es kommt nicht nur darauf an, dass<br />

in der Schule gelernt wird, sondern auch und vor allem darauf was. Gerhart Neuner setzt sich mit dem<br />

Leistungsanspruch der DDR-Schule als Einheitsschule auseinander, wozu ihn seine führende<br />

Mitwirkung an der Ausarbeitung mehrerer Lehrplanwerke und seine theoretischen Untersuchungen<br />

zur schulischen Allgemeinbildung zweifellos prädestinieren. Nicht alle Resultate seines Rückblicks<br />

würde ich unterstützen. So waren es nicht nur “zählebige Ideologismen”, die eine sinnvolle<br />

Differenzierung der Einheitsschule behinderten. (S. 130f.) Vielmehr bedeutete mehr äußere<br />

Differenzierung (= mehr fakultativer Unterricht) bei einem nicht zu erweiternden Zeitvolumen immer<br />

auch Abstriche an der angestrebten hohen Bildung für alle im obligatorischen Unterricht. <strong>Die</strong><br />

Einheitsschule als Leistungsschule implizierte eine Reihe komplizierter Widersprüche, um deren<br />

Lösung man sich bei der Erarbeitung von Lehrplanwerken durchaus bemühte.<br />

<strong>Die</strong> Aussage von Hildegard Hamm-Brücher enthält jedoch ein “zwar-aber”. Das Schulsystem der<br />

DDR wäre eben auch ein ideologisiertes gewesen. Man kann ihr diese Sicht nicht verübeln. Aber<br />

Variationen davon finden sich auch in Beiträgen der DDR-Autoren. Dass die Erziehung und eben auch<br />

die Schule ideologisch und politisch waren, wird manchmal bedauernd eingeräumt. An der Art, wie<br />

ideologische und politische Erziehung in der DDR-Schule mitunter betrieben wurde, ist durchaus auch<br />

Kritik zu üben. Jedoch dass es diese Erziehung gab, ist eher zu verteidigen als ihr anzulasten. Vor<br />

allem bestimmte Grundzüge hatten ihre Berechtigung. Ich will hier nur einiges davon anführen. Da ist<br />

zum einen die Weltlichkeit des Unterrichtsinhalts, realisiert unter anderem durch die Eliminierung des<br />

Religionsunterrichts aus der Stundentafel und basierend auf der Trennung von Staat und Kirche. <strong>Die</strong>se<br />

früh getroffene Entscheidung ist die Einlösung einer alten Forderung der Arbeiterbewegung, die damit<br />

an die Aufklärung anschloss. Dass diese Entscheidung noch heute spürbare Wirkungen zeitigt, halte<br />

ich für eine bedeutende Kulturleistung der DDR und ihrer Schule. Dass die Schüler zu wenig über<br />

Wesen und Inhalte der Weltreligionen erfahren haben, hat Inge von Wangenheim 1982 meines<br />

Erachtens zu Recht öffentlich kritisiert. Nebenbei sei gesagt, dass eine atheistische Propaganda in der<br />

DDR-Schule nicht vorgesehen war und auch nicht geduldet wurde. Zum andern ist da die Ausrichtung<br />

der Unterrichtsinhalte, vor allem im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht, am Marxismus. <strong>Die</strong>s<br />

hatte unter anderem Bedeutung für die Darstellung des Kapitalismus. <strong>Die</strong> Erfahrungen nach der<br />

Wende haben viele ehemalige DDR-Bürger gelehrt, dass der Kapitalismus genau so ist, wie sie es in<br />

der Schule gelernt hatten. Ein intellektueller Fortschritt war es auch, dass die Geschichte nun<br />

gewissermaßen nach den “Fragen eines lesenden Arbeiters” (Brecht) vermittelt wurde. <strong>Die</strong> Erziehung<br />

zum Antifaschismus hatten in der DDR die “verordnet”, die gegen den Faschismus gekämpft hatten.<br />

Der Literaturunterricht war bestimmt von den humanistischen Werken der deutschen und der<br />

Weltliteratur. Es gibt keinen Grund, sich des ideologischen Charakters und Gehalts der DDR-Schule<br />

zu schämen, zumal es völlig unzureichend ist, den Ideologiebegriff ausschließlich im pejorativen<br />

Sinne zu gebrauchen, worauf Uwe Markus mit Recht aufmerksam macht. Ideologie als<br />

Selbstbewusstsein sozialer Subjekte ist immer und überall gegeben, und zwar als eine Einheit von<br />

Wirklichkeitswahrnehmung, Interessenartikulation, Wertekompendium und Wollensbekundungen.<br />

Man könnte der Schule der DDR aus einer anderen Sicht vorwerfen, dass sie die ihr gesetzten<br />

ideologischen und politischen Erziehungsziele nicht erreicht habe, da die Bürger der DDR ja quasi<br />

ihren Staat aufgegeben hätten, wie immer man das auch bewerten will. Ich vertrete den Standpunkt,<br />

2 Ähnliche Äußerungen gab es schon früher. Vgl. u.a. H. Heitzer: Andere über uns. Berlin 1969, S. 186ff.<br />

59


dass diese erzieherischen Zielsetzungen eine Überforderung der Schule waren, dass von der Schule in<br />

erster Linie Schüler erzogen werden. Staatsbürger formt der Staat und Arbeiter die Produktion<br />

Bezogen auf die Aufgaben, welche der Schule von ihrem Wesen her zukommen, hat die DDR-Schule<br />

ihre Funktion erfüllt. Das wird meines Erachtens in dem Beitrag des Herausgebers Uwe Markus<br />

überzeugend dargestellt. <strong>Die</strong> Schule und darüber hinaus das Bildungssystem der DDR vermittelten<br />

allen Kinder des Volkes, wie es hieß, eine hohe allgemeine und berufliche Bildung, sie beseitigten<br />

Bildungsprivilegien und Bildungsbarrieren, sie schufen eine neue und höhere Qualifikationsstruktur<br />

der Gesamtbevölkerung und brachten eine neue fähige und loyale Intelligenzschicht vor allem aus den<br />

bisher benachteiligten Klassen und Schichten hervor. Dass auch der gesellschaftliche Bereich der<br />

Bildung Widersprüche, Irrtümer und Fehler aufwies, die nicht immer erkannt und behoben wurden, ist<br />

völlig verständlich, wenn man weiß, dass hier eben nicht ein “Masterplan” (S. 227) einfach nur<br />

abgearbeitet werden konnte oder “Gesetze” einen vorherbestimmten Erfolg garantierten. <strong>Die</strong><br />

Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft unter den Bedingungen der Systemauseinandersetzung<br />

war eine ständige Herausforderung an schöpferisches Denken und konstruktives Handeln. Nicht<br />

immer waren dafür die Bedingungen gegeben. Dass die DDR in diesem Prozess ein solches<br />

Bildungssystem, eine solche Schule hervorgebracht und sich in ihrer schwierigen wirtschaftlichen<br />

Lage geleistet hat, bleibt historisches Verdienst.<br />

60


Veranstaltungen/ Termine<br />

Schule und Erziehungswissenschaften<br />

Veranstaltungen des Berlin-Brandenburger Forums „Schule, Pädagogik, Gesellschaft“<br />

im 2. Halbjahr 2009<br />

Veranstaltungsort: Rosa- Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin<br />

Zeit: 16.00 bis 18.00 Uhr<br />

30.9.2009<br />

(189) Kinderheim Königsheide - ein historischer Rückblick<br />

Mit: <strong>Die</strong>ter Engler (Berlin)<br />

28.10. 2009<br />

(190) Für welches Allgemeinbildungskonzept müssten sich <strong>Linke</strong> heute einsetzen?<br />

Mit: Dr. Hans-Joachim Hausten (Berlin)<br />

25.11. 2009<br />

(191) Das Berliner Gemeinschaftsschulkonzept und das Zwei-Säulen-Modell<br />

Mit: N.N. (Berlin)<br />

16.12. 2009<br />

(192) Naturwissenschaftlicher Unterricht am Scheideweg<br />

Mit: Prof. Dr. Eberhard Rossa (Berlin)<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Werner Lemm, Heidekampweg 88,<br />

12437 Berlin, Tel.: 030/5325276<br />

Prof. Dr. Horst Weiß, Lindenpromenade 32,<br />

15344 Stausberg, Tel.: 03341/422087<br />

61


In eigener Sache<br />

Vorbereitungstreffen für einen Arbeitskreis Weiterbildung bei der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik der <strong>LINKE</strong>N<br />

Am 18.04.2009 fand in Berlin ein Vorbereitungstreffen für einen Arbeitskreis Weiterbildung der BAG<br />

Bildungspolitik statt. Wir informieren über das Protokoll der Beratung.<br />

Bericht aus der Arbeit der BAG Bildung:<br />

Andreas Klepp berichtet über die bisherige Arbeit der BAG Bildungspolitik und die Idee zur<br />

Gründung eines Arbeitskreises Weiterbildung. Seit der Parteigründung hat die BAG Bildung in vielen<br />

Bildungsbereichen programmatische Arbeit geleistet. Auf dieser Grundlage hat der PV bereits<br />

bildungspolitische Eckpunkte für einige Bereiche beschlossen – zuletzt die Leitlinien linker<br />

Ausbildungspolitik. Das Feld Weiterbildung ist dagegen innerhalb der Partei noch nicht systematisch<br />

und nachhaltig bearbeitet.<br />

Um die Weiterbildungspolitik der immer noch jungen Partei inhaltlich zu fundieren und<br />

weiterzuentwickeln hat die BAG Bildung daher den dringenden Wunsch, dass sich ein Arbeitskreis<br />

Weiterbildung bei der BAG konstituiert. Ziel dieses Vorbereitungstreffens ist es, hierfür<br />

Möglichkeiten und Grenzen auszuloten und Vereinbarungen zum weiteren Vorgehen zu treffen.<br />

Hierbei muss es sowohl darum gehen, Debattenstränge aus unterschiedlichen Bereichen<br />

zusammenzubringen, als auch darum, neue Bereiche konzeptionell zu bearbeiten.<br />

Bericht aus der Arbeit der Bundestagsfraktion:<br />

Sonja Staack berichtet aus der Weiterbildungspolitik der Bundestagsfraktion. <strong>Die</strong>se wird für den<br />

Bereich SGB II/III-geförderter Weiterbildung maßgeblich durch den Bereich Arbeitsmarktpolitik<br />

mitgestaltet. Hier haben die Folgen der Agenda 2010, der Umbau der BA, drastische Kürzungen im<br />

Bereich der Weiterbildung und die Neugestaltung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente bisher die<br />

Legislaturperiode geprägt (→ Forderung nach einer Umorientierung auf längerfristige<br />

Weiterbildungsmaßnahmen, Überwindung der Trennung der SGB-Regelkreise, Sozial- und<br />

Tarifstandards bei der Vergabe durch die Arbeitsagenturen, belastbare Qualitätsstandards, Brachen-<br />

Mindestlohn).<br />

Hierüber hinaus wurde die Verantwortung der Politik für die betriebliche Weiterbildung thematisiert<br />

(→ Vorschlag der Bildung von Branchenfonds, verbindliche Weiterbildungszeiten und<br />

Qualifizierungsgespräche, bundesweites Weiterbildungsgesetz). Vor der Sommerpause will die<br />

Bundestagsfraktion eine Broschüre „Arbeitsmarktpolitik konkret“ vorlegen, die für diesen Bereich die<br />

Eckpunkte der Politik der Linksfraktion zusammenstellt. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit zwischen Arbeitsmarkt-<br />

und Bildungspolitik der Fraktion zur Weiterbildung ist bereits intensiver geworden, durchaus aber<br />

weiter ausbaufähig. Aktuell wird in der Fraktion insbesondere über die weiterbildungspolitische<br />

Begleitung der Wirtschaftskrise und der Qualifizierungs-Maßnahmen im Konjunkturpaket II<br />

debattiert.<br />

Anlässlich der Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetztes (AFBG) hat der<br />

bildungspolitische Bereich der Bundestagsfraktion Eckpunkte für eine Novellierung der öffentlichen<br />

Leistungsgesetze zur Förderung von Erwachsenenbildung erarbeitet und die Schaffung eines<br />

Erwachsenenbildungsförderungsgesetzes (EBiFöG) gefordert, in dem auch das<br />

Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) aufgehen soll.<br />

Bislang kaum kontinuierliche Zusammenarbeit gibt es in Bezug auf die Bereiche in Landeskompetenz<br />

bzw. die kommunalen Verantwortlichkeiten für die Weiterbildung, insbesondere zu den<br />

Volkshochschulen. Ein Austausch der SprecherInnen der Landtagsfraktionen zu diesem Bereich wäre<br />

wünschenswert.<br />

<strong>Die</strong> zentralen weiterbildungspolitischen Anträge der Bundestagsfraktion sind:<br />

o Verlässliche Bildungsförderung für Erwachsene noch in dieser Legislatur auf den Weg<br />

bringen: Drs. 16/11374<br />

o Der beruflichen Weiterbildung den notwendigen Stellenwert einräumen: Drs. 16/7527<br />

o Zukunftsaufgabe Weiterbildung: Drs. 16/785<br />

Themenpapier Weiterbildung:<br />

62


Auf Grundlage der Debatten in der BAG Bildung hat Andreas Klepp bereits ein Themenpapier zur<br />

Weiterbildung erstellt, das stichwortartig die aktuellen weiterbildungspolitischen Fragen umreißt. Das<br />

Papier wird um einige Punkte ergänzt; Andreas Klepp wird eine aktualisierte Version erstellen.<br />

Verabredungen zur Arbeit eines AK Weiterbildung:<br />

Als größte Herausforderung für die Arbeit eines AK Weiterbildung wird festgehalten, dass der<br />

Weiterbildungsbereich aus der Perspektive ganz unterschiedlicher Politikbereiche – vor allem der<br />

Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik – bearbeitet wird. Ein AK Weiterbildung kann aus Sicht der<br />

Anwesenden nur erfolgreich sein, wenn er diese unterschiedlichen Perspektiven einbindet und einen<br />

Austausch der unterschiedlichen Politikbereiche organisiert. Gleichzeitig muss es einen Kern von<br />

kontinuierlich am Thema Weiterbildung arbeitenden Personen geben, die einen roten Faden und eine<br />

kontinuierliche Fortentwicklung der Positionen gewährleisten können.<br />

Vor diesem Hintergrund wird vereinbart, etwa quartalsweise Treffen des AK Weiterbildung zu<br />

organisieren, die sich jeweils auf ein bestimmtes Themenfeld fokussieren. Für 2009 werden hierbei die<br />

Themen Weiterbildung und Wirtschaftskrise, Bildungs- und Berufsberatung, Deutscher/Europäischer<br />

Qualifikationsrahmen sowie die projektförmige Umstrukturierung des gesamten<br />

Weiterbildungsbereiches ins Auge gefasst. Zu jedem Treffen sollen je nach Thema auch<br />

VertreterInnen anderer Bildungsbereiche oder aus der Arbeitsmarktpolitik gezielt angesprochen<br />

werden, um den TeilnehmerInnenkreis zu erweitern.<br />

Alle Anwesenden wollen die Arbeit des AK Weiterbildung weiter begleiten bzw. mit tragen und somit<br />

– möglichst ergänzt um ein paar weitere VertreterInnen nicht zuletzt aus den LAGen – einen Kern des<br />

AK bilden.<br />

Arbeitsplanung:<br />

25. Juni 2009 Weiterbildung und Wirtschaftskrise<br />

Der Bundestagsfraktion wird vorgeschlagen, ein Fachgespräch zu diesem<br />

Thema auszurichten. Es soll um die Folgen der Krise für die Weiterbildung<br />

gehen, aber auch um die Tragfähigkeit der Instrumente des Konjunkturpakets<br />

II, u.a. um die Frage, was die Betriebe in Kurzarbeit in Sachen Qualifizierung<br />

tatsächlich tun. Hierzu soll auch der Bereich Arbeitsmarktpolitik eingebunden<br />

werden (Kornelia Möller/Axel Troost/Manuela Wischmann).<br />

Vorbereitung: BT-Fraktion (Anita, Sonja) sowie Ursula, Paul<br />

(ReferentInnenanfragen); über mögliche ReferentInnen wurde sich bereits<br />

verständigt.<br />

03. Oktober 2009 Weiterbildungsberatung<br />

Situation der Bildungs- und Berufsberatung und Anforderungen an ihre<br />

Weiterentwicklung, Debatten im Fachverband Berufsberatung und im<br />

Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung,<br />

Erfahrungen mit der Beratung zur Weiterbildungsprämie und mit dem BMBF-<br />

Programm „Lernen vor Ort“.<br />

Vorbereitung: Ursula, Sonja<br />

23. Januar 2010 Deutscher / Europäischer Qualifikationsrahmen<br />

Welche Konsequenzen haben die Outcome-orientierten<br />

Niveaubeschreibungen/Deskriptoren der Qualifikationsrahmen auf die<br />

Weiterbildung? Wie ist der Stand der Debatte um die Anerkennung<br />

informellen Lernens? Wie sollen Zertifizierung und Qualitätssicherung<br />

erfolgen – welche Stellen werden hier entscheidend sein?<br />

Vorbereitung: Andreas, Sonja<br />

<strong>Die</strong> Vorbereitungs-Teams sind als offene Gruppe zu verstehen und dürfen und sollen über die bereits<br />

notierten Namen hinaus unterstützt werden!<br />

Bundestagswahlprogramm:<br />

63


Sonja Staack stellt den Diskussionsstand in der BAG Bildung zum Bildungskapitel des<br />

Bundestagswahlprogramms vor. Es werden Konkretisierungen zu den weiterbildungspolitischen<br />

Forderungen vorgeschlagen, die möglichst in den Vorschlag der BAG Bildung einfließen sollen.<br />

(Anm. der Protokollantin: Das ist bereits geschehen, ein entsprechender Vorschlag liegt dem<br />

Parteivorstand vor.)<br />

64


DIE <strong>LINKE</strong>. Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik<br />

Wer wir sind und wie man bei uns mitarbeiten kann<br />

Wer wir sind<br />

<strong>Die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik ist eine Arbeitsgemeinschaft der neuen<br />

Partei: <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>.<br />

Sie ist eine Gruppe von Mitgliedern und Symphatisant/innen, die sich mit bildungspolitischen<br />

Problemen befasst, aktuelle bildungspolitische Probleme analysiert, Erfahrungen in<br />

bildungspolitischen Auseinandersetzungen wertet und Vorschläge erarbeitet, in welcher<br />

Weise die Partei <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. Einfluss auf notwendige Veränderungen im Bildungssystem<br />

nehmen kann.<br />

Viele ihrer Mitglieder kennen als Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrerinnen und<br />

Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Eltern- und SchülerInnenvertreter, in der Berufsbildung<br />

oder im Hochschulwesen als Lehrende und Studierende wie in der Wissenschaft Tätige, die<br />

aktuellen bildungspolitischen Probleme aus ihrer täglichen Erfahrung. Es gibt eine enge<br />

Zusammenarbeit mit Abgeordneten der Fraktionen <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. im Bundestag und in den<br />

Landtagen, zwischen den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene, mit den<br />

Gewerkschaften sowie mit Verbänden und Bewegungen, die Einfluss auf bildungspolitische<br />

Fragen nehmen.<br />

In den Bundesländern gibt es bei den Landesvorständen ebenfalls<br />

Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik, die mit der Bundesarbeitsgemeinschaft ein<br />

Netzwerk bilden und ihre Erfahrungen austauschen. Wir arbeiten auf internationaler Ebene im<br />

bildungspolitischen Netzwerk der Europäischen Linkspartei mit.<br />

Kurz: Wir sind eine Gruppe von Engagierten, die täglich sowohl mit dem Bildungswesen wie<br />

mit der Politik Kontakt hat. Wir halten das Bildungswesen in der Bundesrepublik für<br />

gründlich veränderungsbedürftig und wollen dazu eine Menge beitragen.<br />

Was wir wollen<br />

Grundlage unserer Tätigkeit sind die programmatischen Beschlüsse der Partei.<br />

Es ist unser Ziel, das Menschenrecht auf Bildung für alle auch in der Bundesrepublik zu<br />

verwirklichen.<br />

Wir fordern gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen.<br />

Wir wollen, dass endlich Schluss gemacht wird, mit der extrem hohen Abhängigkeit der<br />

Bildungsmöglichkeiten und des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft.<br />

Eine grundlegende, sozial gerechte, demokratische Bildungsreform ist in diesem Lande<br />

notwendig.<br />

Wir treten für ein längeres gemeinsames lernen in einer Gemeinschaftsschule ein, als<br />

Alternative zum Bestehenden.<br />

Dazu arbeiten wir mit allen Reformwilligen zusammen und wirken in verschiedenen<br />

gemeinsamen Aktivitäten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Initiativen auf diese<br />

Ziele hin.<br />

Das heißt für unsere konkrete Arbeit:<br />

• Analyse der bildungspolitischen Entwicklungen,<br />

• Diskussion bildungspolitischer Probleme,<br />

• Ausarbeitung von bildungspolitischen Alternativen,<br />

65


• Mitarbeit an Beschlüssen der Partei, Partei- und Wahlprogrammen,<br />

• Einflussnahme auf programmatische wie aktuelle Debatten,<br />

• Beteiligung an Demonstrationen und Protestveranstaltungen im Lande und auf<br />

internationaler Ebene.<br />

Wir veranstalten etwa viermal im Jahr eine bundesweite öffentliche Beratung -<br />

das Bildungsplenum - auf dem bildungspolitische Themen diskutiert und Erfahrungen<br />

ausgetauscht werden.<br />

Rund alle zwei Jahre findet unsere Bildungspolitische Konferenz in einem größeren Rahmen<br />

statt.<br />

Wir unterstützen die Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik und weitere kommunale<br />

und regionale Gruppen.<br />

Unsere regelmäßige Publikation mit dem Titel „ Zukunftswerkstatt Schule“ erscheint<br />

mindestens vierteljährlich.<br />

In regelmäßigen Abständen informieren wir über unserer aktuelle Arbeit und<br />

bildungspolitische Entwicklungen im Internet und in einem Newsletter linke Bildungspolitik.<br />

Wie man bei uns mitarbeiten kann<br />

Wir freuen uns über alle, die in unseren bundesweiten Zusammenschluss von an linker<br />

Bildungspolitik Interessierten mitarbeiten wollen.<br />

Jede kritische und konstruktive Meinung und Mitarbeit ist gefragt.<br />

Dazu kann man:<br />

An unseren Beratungen sowohl auf Bundes- als auf Landesebene teilnehmen; sich in Fragen<br />

der Vorschulerziehung, der Schulpolitik, der Berufsbildungspolitik oder der Hochschulpolitik<br />

wie der Weiterbildung einbringen; in einer der regionalen Gruppen mitarbeiten oder mit ihnen<br />

zusammenarbeiten; unsere Publikationsorgane abonnieren oder daran mitarbeiten,<br />

insbesondere als Autor von Beiträgen; bei verschiedenen Projekten und bildungspolitischen<br />

Kampagnen mitmachen; unsere Arbeit finanziell durch einmalige oder regelmäßige Spenden<br />

unterstützen.<br />

Kontakte über:<br />

AG Bildungspolitik Tel.: 030/ 24 009 615<br />

Maritta Böttcher Fax: 030/ 24 009 645<br />

Kleine Alexanderstr.28 Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

10178 Berlin<br />

66


DIE <strong>LINKE</strong>. Arbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik<br />

Erklärung<br />

O Hiermit erkläre ich, dass ich in der Arbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik mitwirken will.<br />

O Ich möchte in den Verteiler aufgenommen werden<br />

Name:-----------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Vorname:-------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Straße:---------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Ort:---------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

PLZ:-------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Tel.:--------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Fax:--------------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

E-Mail:-----------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

Landesverband:-----------------------------------------------------------------------------------------<br />

Gebiete der Mitarbeit:---------------------------------------------------------------------------------<br />

Datum: Unterschrift:<br />

An: Maritta Boettcher Parteivorstand DIE <strong>LINKE</strong>. Kleine Alexanderstraße 28<br />

Tel.:030/24009641, Fax:030/24009645, Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

67


Bunte Reihe/ Sonderhefte<br />

<strong>Die</strong> BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE <strong>LINKE</strong> gibt in loser Folge Aufsätze<br />

(Broschüre) von Wissenschaftlern, Praktikern, Schul- und Bildungspolitikern heraus mit dem Ziel, die<br />

offene Diskussion um linke Schul- und Bildungsprogrammatik zu unterstützen und zu fördern.<br />

Bisher sind erschienen:<br />

Horst Adam<br />

Jugend und Konflikte - pädagogische Überlegungen zur gewaltlosen Konfliktbewältigung<br />

Horst Adam<br />

Gesellschaftlicher Bruch und Erziehungsverständnis<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Max Horkheimer und die Bildung - Das autonome Subjekt als Schöpfer seiner selbst?<br />

(Zum 100. Geburtstag von M. Horkheimer)<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Zukunftsfähige Entwicklung von Bildung und Wissenschaft<br />

Gerhard Sielski<br />

Deutsches Bildungswesen zwischen Reform, Restauration und Alternativ- Versuchen<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

<strong>Die</strong> Ostdeutschen und der Weg zu mehr Demokratie<br />

<strong>Die</strong> Transformation in Ostdeutschland als Sonderfall der internationalen Transformation von historisch<br />

gewachsenen Gesellschaften<br />

Karl-Heinz Schimmelmann<br />

Schule und Arbeitswelt - zur Integration von Arbeit, Wirtschaft und Technik in die Allgemeinbildung<br />

Gerhard Sielski<br />

<strong>Die</strong> schulpolitische Landschaft im heutigen Deutschland und Ansätze einer linken Bildungspolitik<br />

Eberhard Mannschatz<br />

Gemeinschaftserziehung und Individualerziehung<br />

Wolfgang Altenburger / Ulrike Wend<br />

Erlebnispädagogik - Praxis gestern und heute<br />

Wolfgang Lobeda<br />

Politische Bildung - Historisches und Aktuelles<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Hat die Zukunft eine Zukunft? Bildung für das kommende Jahrhundert<br />

Edgar Drefenstedt<br />

Deutsche Pädagogen in der Zeit des Kalten Krieges<br />

Aus der Geschichte des gesamtdeutschen Schwelmer Kreises<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Globales Lernen - ein Beitrag zur Globalisierung des Lebens<br />

Alexander Bolz<br />

Gemeinschaftserziehung im Nationalsozialismus<br />

Horst Kühn<br />

Chancengleichheit der Geschlechter und Koedukation<br />

Marianne Berge<br />

Das Bild von einer künftigen Gesamtschule für alle<br />

Eberhard Mannschatz<br />

Jugendhilfe und Heimerziehung in der DDR und über die Rolle im heutigen sozialpädagogischen<br />

Diskurs<br />

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Eberhard Mannschatz<br />

A. S. Makarenko über den Zugang zu seinen pädagogischen Auffassungen<br />

Horst Kühn / Wolfgang Lobeda<br />

Blick auf die Jugend und die politische Bildung<br />

Peter Blankenburg<br />

150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei<br />

Reflexionen zur Bildungs- und Schulpolitik<br />

Bernhard Claußen<br />

„Autoritarismus“ und die „Mitte der Gesellschaft“<br />

Bernhard Claußen<br />

Bildung und Kultur als Politikum in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus<br />

Bernhard Claußen<br />

Bildungspolitische Aspekte der Politischen Bildung in Deutschland<br />

AG Bildungspolitik<br />

„Forum Bildung“ und PISA-Diskussion – Ansatz einer Bildungsreform in Deutschland?<br />

AG Bildungspolitik<br />

Nationale Bildungsstandards ein Schritt zur Bildungsreform in Deutschland?<br />

Günter Wilms<br />

Das Bildungswesen der DDR – Ein Rückblick mit Anregungen für eine Bildungsreform in Deutschland<br />

Lothar Gläser<br />

Das deutsche Bildungswesen im Abseits<br />

Hans-Georg Hofmann<br />

Freie humanistische Allgemeinbildung für alle contra verkaufte Bildung. Das neoliberale<br />

Bildungskonzept und Alternativen zur Erneuerung der Bildung<br />

Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />

Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen –Streiflichter Teil I –<br />

Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />

Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen – Streiflichter Teil II - Zur<br />

Bildungsprogrammatik linker Kräfte in europäischen Ländern<br />

INFORMATION – DOKUMENTATION Bildungspolitik 1/2006<br />

Bildungspolitische Aussagen von CDU,CSU,SPD, FDP und Bündnis90/<strong>Die</strong> Grünen<br />

Werner Kienitz<br />

Für eine Schulreform von Skandinavien lernen? Ja, aber sehen, wie es dort anfing.<br />

Volker Hoffmann, Edgar Günther-Schellheimer<br />

Zum 120.Geburtstag von A.S.Makarenko<br />

Beiheft 1/2009<br />

Ein anderes Bildungsverständnis ist notwendig<br />

Preis je Broschüre 1,50 Euro<br />

Erhältlich bei: BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE <strong>LINKE</strong>,<br />

Kleine Alexanderstraße 28<br />

10178 Berlin<br />

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<strong>ZUKUNFTSWERKSTATT</strong><br />

<strong>LINKE</strong> <strong>BILDUNGSPOLITIK</strong><br />

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,<br />

die „Zukunftswerkstatt <strong>LINKE</strong> <strong>BILDUNGSPOLITIK</strong>“ ist das Mitteilungsheft der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE <strong>LINKE</strong>.<br />

In ihm wird aus linker Sicht zu bildungspolitischen Themen Stellung genommen. Analysen,<br />

Positionen, Entwürfe, Streitpunkte und Informationen über Aktivitäten der Partei DIE <strong>LINKE</strong>,<br />

ihrer Abgeordneten in den Ländern geben einen Einblick in bildungspolitische Diskussionen,<br />

Positionen und Forderungen sowie Erfahrungen in der Arbeit der auf bildungspolitischem<br />

Gebiet Tätigen, neuerlich auch in Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen.<br />

Wir wenden uns damit an einen breiten Leserkreis von Bildungsaktivisten, Pädagogen,<br />

Wissenschaftlern, Studenten, Eltern, Schülern und bildungspolitisch Interessierten.<br />

Unsere Leser sind aufgerufen, unser Blatt mit Artikeln, Kritiken und Verbesserungsvorschlägen<br />

mit zu gestalten. Es erscheint mindestens 4x im Jahr.<br />

Unsere Bunte Reihe begleitet das Heft mit bildungspolitischen Themen aus der Feder von<br />

Bildungspolitikern und Erziehungswissenschaftlern.<br />

Das Heft wird von einer ehrenamtlichen Redaktion gestaltet, wie auch die Autoren auf ein<br />

Honorar verzichten.<br />

Unsere Anschrift:<br />

Parteivorstand der Partei DIE <strong>LINKE</strong><br />

Ansprechpartnerin: Maritta Böttcher<br />

Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin<br />

Tel.:030/24009615<br />

E-Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />

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Ich möchte:<br />

o Ein Probe-Exemplar Ich spende für die<br />

o Alle Ausgaben Zukunftswerkstatt 10 € / 20 €<br />

• Zusätzlich …..Exemplare zur Werbung<br />

Spendenkonto:<br />

Name, Vorname: ............................................. Parteivorstand der Partei DIE<br />

<strong>LINKE</strong><br />

Konto - Nr.: 4384840000<br />

Straße: ………………………………………………………… BLZ: 100 200 00<br />

Berliner Bank AG<br />

PLZ: ...................... Ort: …………..………........ Kennwort: Bildungspolitik<br />

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