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PDF (1,6 MB) - Mohr Siebeck Verlag

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B. Strukturvergleich<br />

Kap. 16<br />

war dies zunächst die ausdrücklich durch Art. 8 EMRK geschützte Wohnung, 140 später<br />

allgemeiner das Privatleben. 141<br />

III. Grundrechtsdimensionen<br />

20 Art. 8 EMRK ist nicht nur wegen der auf den Schutzbereich bezogenen Dynamik bemerkenswert.<br />

Auch in Bezug auf die Grundrechtsdimensionen hat die Auslegung dieser<br />

Vorschrift in der Straßburger Spruchpraxis eine beachtliche Entwicklung erfahren.<br />

Ausgangspunkt ist der Wortlaut der Vorschrift. Es ist dort nicht nur vom »Recht auf«<br />

die genannten Garantiebereiche die Rede, sondern vom »Recht auf Achtung« (»right<br />

to respect«/»droit au respect«) des Privat- und Familienlebens sowie der Wohnung und<br />

des Briefwechsels (zur Entstehungsgeschichte → Rn. 6). Diese Formulierung kann man<br />

zwar als »umständlich« charakterisieren. 142 Abgesehen davon kann sie jedoch auch<br />

den Ausgangspunkt 143 für eine über die abwehrrechtliche Dimension hinausgehende<br />

Auslegung des Art. 8 EMRK bilden. Eine solche Auslegung ändert jedenfalls grundsätzlich<br />

nichts daran, dass der »wesentliche Zweck des Artikels« 144 darin besteht, den<br />

Einzelnen gegenüber willkürlichen Eingriffen in sein Privat- und Familienleben zu<br />

schützen, also in der abwehrrechtlichen Dimension und der darauf beruhenden negativen<br />

Verpflichtung. 145 Daneben tritt jedoch – heute unstreitig – eine positive Verpflichtung<br />

der Konventionsstaaten. 146 Aufbauend auf der vom EGMR dem Art. 8<br />

EMRK entnommenen allgemeinen Verpflichtung, sinnvolle und angemessene Maßnahmen<br />

zur Sicherung der durch diese Vorschrift gewährleisteten Rechte des Einzelnen<br />

zu ergreifen, 147 hat der Gerichtshof Leistungspflichten des Staates beispielsweise<br />

zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern 148 und zur Anerkennung<br />

von Geschlechtsänderungen 149 abgeleitet. Nicht anerkannt hat der EGMR dagegen das<br />

20<br />

140<br />

EGMR No. 16798/90, A 303-C, § 58 – López Ostra. In No. 9310/81, A 172, § 40 – Powell u.<br />

Rayner heißt es: »the quality of [each] applicant’s private life and the scope for enjoying the amenities<br />

of his home [had] been adversely affected«. Vgl. hierzu aber auch den Text von Art. 1 ZP: »peaceful<br />

enjoyment of his possessions«.<br />

141<br />

In EGMR Nos. 21825/93 u. 23414/94, Rep. 1998-III, § 96 – McGinley u. Egan ging es um Belastungen<br />

am Arbeitsplatz durch Atomversuche.<br />

142<br />

So etwa Grabenwarter/Pabel, § 22 Rn. 1; Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 8 Rn. 1. Vgl. aber<br />

auch EGMR No. 9532/81, A 106, § 37 – Rees (Pl.).<br />

143<br />

Zur Bedeutung des Wortlauts für die Gewährleistungsdimensionen vgl. auch Wildhaber/Breitenmoser,<br />

in: IK-EMRK, Art. 8 Rn. 1 u. 35; Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 8 Rn. 1; s. a. EGMR<br />

No. 9532/81, A 106, § 37 – Rees (Pl.).<br />

144<br />

Deutlich Grabenwarter/Pabel, § 22 Rn. 1.<br />

145<br />

Das betont etwa EGMR No. 6833/74, A 31, § 31 – Marckx (Pl.).<br />

146<br />

Schon im Fall Marckx greift der EGMR diese Verpflichtung auf, No. 6833/74, A 31, § 31 –<br />

Marckx (Pl.). Zu den Einzelheiten → Rn. 103.<br />

147<br />

EGMR No. 9532/81, A 106, § 37 – Rees (Pl.); No. 9310/81, A 172, § 41 – Powell u. Rayner;<br />

No. 14967/89, Rep. 1998-I, § 58 – Guerra u. a. (GK).<br />

148<br />

Hierzu und zu vergleichbaren dem Recht auf Achtung des Familienlebens entnommenen Pflichten<br />

vgl. EGMR No. 6833/74, A 31, § 45 – Marckx (Pl.); No. 9697/82, A 112, § 74 – Johnston u. a. (Pl.);<br />

No. 31871/96, Rep. 2003-VIII, § 86 – Sommerfeld (GK); zu Fragen der erbrechtlichen Gleichstellung<br />

nichtehelicher Kinder vgl. EGMR No. 3545/04 – Brauer (2009).<br />

149<br />

Einschlägig ist insoweit das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung; vgl. EGMR No. 25680/94,<br />

§§ 51 ff. – I v. Vereinigtes Königreich (GK) (2002); No. 28957/95, Rep. 2002-VI, §§ 71 ff. – Goodwin<br />

(GK).<br />

Thilo Marauhn/Judith Thorn 889

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