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Kap. 16<br />

Privat- und Familienleben<br />

sich u. a. daraus, dass auf der Ebene der EMRK keine »Familienpolitik« im eigentlichen<br />

Sinne betrieben werden kann, was für die grundgesetzliche Ebene natürlich anders zu<br />

beurteilen ist. Der grundgesetzliche Gesetzgeber kann schützend und fördernd eingreifen<br />

und insbesondere haushaltswirksame Maßnahmen zugunsten der Familie beschließen.<br />

Den familienpolitischen Implikationen von Gemeinschaftsrechtsakten entspricht<br />

es auch, dass die GRC – im Unterschied zur EMRK – den sozioökonomischen<br />

Aspekten des Familienlebens Rechnung trägt (Art. 33 GRC). So kritisch mancher<br />

Kommentator das gesamte Kapitel über Solidarität und damit auch den hier zu erörternden<br />

besonderen sozioökonomischen Schutz des Familienlebens aus grundrechtlicher<br />

Perspektive bewerten mag, 137 die Thematik liegt der EU nicht zuletzt wegen ihrer<br />

nach wie vor wesentlichen wirtschaftspolitischen Ausrichtung näher als die in Anlehnung<br />

an Art. 8 und 12 EMRK formulierten überkommenen Gewährleistungen der<br />

Art. 7 und 9 GRC.<br />

19 In Anbetracht des Wortlauts von Art. 8 EMRK, insbesondere der vier einander überlappenden<br />

Garantiebereiche, aber auch der damit verbundenen umfassenden Gewährleistung<br />

eines Freiheitsraums des Einzelnen als Grundlage der freien Persönlichkeitsentfaltung,<br />

ist diese Bestimmung der EMRK besonders geeignet, neuen Gefährdungslagen<br />

durch eine entsprechende Interpretation des Schutzbereichs Rechnung zu tragen.<br />

Dies war schon der Kommission und ist heute dem Gerichtshof intensiv bewusst und<br />

wurde und wird von beiden genutzt. Zu den prägnantesten Beispielen gehört insoweit<br />

sicherlich die grund- und menschenrechtliche Dimension des Umweltschutzes<br />

(→ Rn. 32). Es lassen sich aber auch weitere Bereiche nennen, in Anlehnung an die<br />

schon erläuterten neueren Bedrohungen im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung,<br />

des Internet, der technischen Möglichkeiten der Wohnraumüberwachung und<br />

zahlreicher weiterer staatlicher Begehrlichkeiten im Hinblick auf die Privatsphäre des<br />

Einzelnen (→ Rn. 30 f.). Allerdings ist Art. 8 EMRK weder nach der systematischen<br />

Stellung noch nach seinem Inhalt ein oder gar »das« Auffanggrundrecht der EMRK<br />

(→ Lücken der EMRK, Kap. 9 Rn. 82). Anders als das GG, dessen Art. 2 Abs. 1 GG<br />

eine – wenn auch nicht unumstrittene 138 – durch das BVerfG entwickelte Grundlage<br />

zur Entwicklung eines lückenlosen Grundrechtsschutzes bietet, gewährleistet die<br />

EMRK keinen umfassenden Grund- und Menschenrechtsschutz. Trotzdem ist und<br />

bleibt die dem Art. 8 EMRK innewohnende Dynamik bemerkenswert 139 und verspricht<br />

auch für die Zukunft, dass die EMRK jedenfalls im Hinblick auf den Schutz der<br />

Privatsphäre anpassungsfähig bleiben wird. Der Auffangcharakter wird von der<br />

Rechtsprechung vor allem dadurch vermieden, dass stets ein möglichst direkter Bezug<br />

zu den einschlägigen Gewährleistungen hergestellt werden muss. Im Umweltschutz<br />

19<br />

137<br />

Vgl. etwa R. Knöll, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Inhalte, Bewertung<br />

und Ausblick, NVwZ 2001, 392 (394).<br />

138<br />

S. dazu Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 42 ff. m. w. N.<br />

139<br />

Instruktiv J. Frowein, Die evolutive Auslegung der EMRK, in: T. Marauhn (Hrsg.), Recht, Politik<br />

und Rechtspolitik in den internationalen Beziehungen, 2005, 1 (6 ff.).<br />

888<br />

Thilo Marauhn/Judith Thorn

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