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Kap. 13
Freiheit der Person
lichen Gefährdung des Untersuchungszwecks zu verweigern, kann somit, wenn der
Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt, gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK verstoßen. 329 Der
EGMR scheint insoweit einen deutlich strengeren Maßstab als das BVerfG anzulegen.
Auf das Akteneinsichtsrecht kann der Betroffene verzichten, allerdings muss
ein solcher Verzicht, um wirksam sein zu können, eindeutig festgestellt sein. 331 Für die
Zwecke der wirksamen Terrorbekämpfung kann das Recht auf Akteneinsicht eingeschränkt
werden, z. B. durch ein Verfahren mit besonderen, staatlich ernannten Prozessbevollmächtigten,
das allerdings nur dann den Anforderungen von Art. 5 Abs. 4
entsprechen kann, wenn der Beschuldigte hinreichend über die Vorwürfe gegen ihn
informiert wird. 332
86 Eine wesentliche Gewährleistung im habeas-corpus-Verfahren ist der Anspruch auf
eine zügige Entscheidung durch das Gericht. Auch Art. 5 Abs. 4 EMRK enthält eine
entsprechende Garantie, deren zeitliches Element in der neuen amtlichen deutschen
Übersetzung mit »innerhalb kurzer Frist« umschrieben ist. Sie gilt auch für Haftprüfungen,
die von Amts wegen in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. 333 Die
zu beurteilende Zeitspanne beginnt regelmäßig mit der Antragstellung durch den Betroffenen
bzw. – wenn die Haftprüfung von Amts wegen eingeleitet wird – mit den
ersten Verfahrensschritten der zuständigen Behörde. 335 Sie endet grundsätzlich mit
der Haftentscheidung des zuständigen Gerichts, 336 und zwar auch dann, wenn der
Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht mehr festgehalten wird. 337
86
87 Die nach Abs. 4 zulässige Verfahrensdauer ist im Normtext mit »speedily«/»à bref
délai« beschrieben, was sprachlich weniger strikt ist als »promptly«/»aussitôt« in
Abs. 3 und erst recht als »promptly«/»dans le plus court délai« in Abs. 2. 338 Daher ist
für die Haftprüfungsentscheidungen nach Art. 5 Abs. 4 EMRK als generelle Tendenz
weniger Eile geboten. Wie bei anderen auf die Verfahrensdauer bezogenen Garantien
auch 339 beurteilt der Gerichtshof die Einhaltung des konventionsrechtlichen Standards
nicht anhand einer abstrakten Festlegung, sondern nach den Umständen des Einzelfalls
und berücksichtigt dabei z. B. die Komplexität des Falles, die Art der Freiheitsentziehung,
die für die Entscheidung notwendigen Ermittlungen und die Art und Weise,
wie das Verfahren betrieben wurde. 340 Auch können Verzögerungen, die der Betroffene
selbst zu verantworten hat, in diesem Zusammenhang nicht dem Staat zur Last
87
329
Vgl. EGMR No. 24479/94, Rep. 2001-I, §§ 44 ff. – Lietzow; dazu O. Kieschke/B. Osterwald,
Art. 5 IV EMRK contra § 147 II StPO, NJW 2002, 2003.
330
Kühne/Esser, 391; Kieschke/Osterwald (Fn. 329), 2004.
331
EGMR No. 25116/94, Rep. 2001-I, § 48 – Schöps.
332
EGMR No. 3455/05, §§ 217–223 – A. u. a. v. Vereinigtes Königreich (GK) (2009).
333
EGMR No. 32605/96, § 52 – Rutten (2001).
334
Und zwar auch, wenn sie zunächst bei der unzuständigen Stelle erfolgt, von dort aber an die
zuständige weitergeleitet wird, vgl. EGMR No. 43191/98, § 24 – Laidin (2002).
335
EGMR No. 9862/82, A 107, § 54 – Sanchez-Reisse; No. 11487/85, A 185-B, § 28 – Koendjbiharie;
No. 33492/96, § 88 – Jabloñski (2000).
336
Vgl. EGMR No. 11400/85, A 164, § 22 – Bezicheri; No. 9106/80, A 129, § 63 – Bouamar.
337
EGMR No. 11509/85, A 170-A, § 35 – Van der Leer. Anders, nämlich auf den Zeitpunkt der
tatsächlichen Entlassung abstellend EGMR No. 43191/98, § 26 – Laidin (2002).
338
EGMR No. 11209/84 u. a., A 145-B, § 59 – Brogan u. a. (Pl.); No. 11701/85, A 181-A, § 64 – E
v. Norwegen. → auch Rn. 51.
339
Zu Art. 6 Abs. 1 EMRK → Grundsatz des fairen Verfahrens, Kap. 14 Rn. 114.
340
St.Rspr., z. B. EGMR No. 9862/82, A 107, § 55 – Sanchez-Reisse; No. 29462/95, Rep. 2000-XII,
674
Oliver Dörr