PDF (1,6 MB) - Mohr Siebeck Verlag
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Kap. 13<br />
Freiheit der Person<br />
steigen nicht nur die Anforderungen an den sachlichen Grund für die Haftfortdauer,<br />
sondern auch an die Zügigkeit der Verfahrensgestaltung. 257 Dies gilt nicht nur für den<br />
vollstreckten, sondern – wegen des über die Freiheitsentziehung hinausgehenden<br />
Schutzgehalts von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG – auch für den außer Vollzug gesetzten<br />
Haftbefehl. 258<br />
69 Die nach diesen Vorgaben verfassungsrechtlich zulässige Dauer der Untersuchungshaft<br />
hängt von den konkreten Umständen des einzelnen Verfahrens ab, wozu z. B. die<br />
Art der mutmaßlichen Straftaten, die Komplexität des Falles und der Verlauf der Ermittlungen<br />
zählen. So kann eine Untersuchungshaft von mehr als fünf Jahren durchaus<br />
gerechtfertigt sein, wenn es sich nicht nur um ein außergewöhnlich umfangreiches<br />
und schwieriges Ermittlungsverfahren wegen besonders schwerer Straftaten handelt,<br />
sondern die Strafverfolgungsbehörden auch alles in ihrer Macht stehende getan haben,<br />
um die Ermittlungen zügig abzuschließen. 259 Eine derart lange Untersuchungshaft ist<br />
andererseits dann unverhältnismäßig, wenn die Behörden das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2<br />
GG folgende Beschleunigungsgebot (→ Rn. 21) nicht beachtet haben und die Fortdauer<br />
der Untersuchungshaft daher maßgeblich durch vermeidbare Verzögerungen der Ermittlungen<br />
verursacht ist. 260 Auch eine Überlastung des zuständigen Strafgerichts<br />
kann eine Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, da der Staat unter<br />
Geltung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG alle notwendigen Maßnahmen treffen muss, um<br />
einer solchen Überlastung vorzubeugen bzw. ihr rechtzeitig abzuhelfen. 261<br />
69<br />
VI. Recht auf Haftentlassung gegen Sicherheit<br />
70 Die Möglichkeit, die Freilassung eines Untersuchungsgefangenen von einer Sicherheit<br />
abhängig zu machen, formuliert Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK als eine dem Staat offenstehene<br />
Beschränkungsmöglichkeit, deren Gebrauch in sein Ermessen gestellt ist. In<br />
der Praxis des Gerichtshofs wird daraus jedoch unter dem Einfluss von Verhältnismäßigkeitserwägungen<br />
eine echte zusätzliche Gewährleistung zugunsten des Einzelnen:<br />
Denn nach der Rechtsprechung hat der Einzelne, wenn seine Untersuchungshaft nur<br />
noch mit Fluchtgefahr begründet ist, ein Recht darauf, gegen Stellung einer angemessenen<br />
Sicherheit, die sein Erscheinen vor Gericht sicherstellt, aus der Haft entlassen zu<br />
werden. 262 Die vom Gerichtshof entwickelte Pflicht der Staaten, stets mildere Mittel zu<br />
prüfen, um die Anwesenheit des Betroffenen vor Gericht sicherzustellen (→ Rn. 61),<br />
setzt voraus, dass eine Haftverschonung gegen Auflagen jederzeit möglich ist. Somit<br />
verstößt eine nationale Regelung, die eine solche für einzelne Delikte kategorisch aus-<br />
70<br />
3485 (3486); (K) 2 BvR 170/06, NJW 2006, 1336, Abs. 24; (K) 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674,<br />
Abs. 20.<br />
257<br />
BVerfG (K) 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674, Abs. 20.<br />
258<br />
BVerfGE 53, 152 (159 f.).<br />
259<br />
BVerfGE 21, 220 (222).<br />
260<br />
BVerfGE 20, 45 (50); 20, 144 (148 f.); 21, 223 (226); BVerfG (K) 2 BvR 388/09, EuGRZ 2009,<br />
414, Abs. 21.<br />
261<br />
BVerfGE 36, 264 (273–275).<br />
262<br />
EGMR No. 2122/64, A 7, § 15 – Wemhoff; No. 12369/86, A 207, § 46 – Letellier; No. 543/03,<br />
Rep. 2006-X, § 41 – McKay (GK); No. 12050/04, § 79 – Mangouras (GK) (2010).<br />
666<br />
Oliver Dörr